Der Entmannte im Eis (Langversion)
von Helios53
Hallburg ist eine nicht unbedeutende Stadt, eher im Süden Deutschlands gelegen, an beiden Ufern eines gemächlich fließenden Gewässers und umgeben von sanften Hügeln, an denen malerische Dörfer liegen, gekrönt von mancher Burg. Die meisten davon sind allerdings weder von besonderer Bedeutung, noch von gutem Zustand, also muss man wohl von Burgruinen sprechen. Etliche schmucke Kirchlein sind jedoch intakt, werden gepflegt und einige davon auch von Wallfahrern heimgesucht. Und wie das bei Städten eben so ist, leben nicht alle Menschen dort in friedlicher Koexistenz, sodass ein markantes Gebäude nahe der Altstadt der Polizei mit all ihren verschiedenen Abteilungen Unterkunft bietet.
Auf Zimmer 14-095 des Polizeipräsidiums Hallburg ging es hoch her. Die ‚Soko XXL‘ feierte den erfolgreichen Abschluss des Falles, dem sie ihren Namen verdankte. Ein Serienvergewaltiger und -mörder war gefasst und saß in Untersuchungshaft. Ein Geständnis lag auch bereits vor, sodass für ein Weiterbestehen der Soko wohl keine Veranlassung bestand.
Die vier Musketiere, wie sie sich die erfolgreichen Kriminalbeamten KHK Tom Schrötter, KHK Hajo Fussenegger, KOK Michael „Mike“ Rackelt und die Neue, KOK Nina „Muschi“ Muschetzky in Anlehnung an die richtige Aussprache von Muschetzky seit dem XXL-Fall nannten, hatten bis zum offiziellen Dienstende um fünf alle notwendigen Berichte geschrieben, alle Unterlagen in den Akten abgeheftet und nun beschlossen, den Erfolg und das Ende der Soko gebührend zu feiern. Dr. Hannes Schlaechter, der Pathologe, der wegen seines Namens davor zurückgeschreckt war, sich lebenden Patienten zu widmen und Doris Fussl von der KTU waren auch eingeladen. Doris hatte die entscheidende zweite DNA auf den Riesenkondomen entdeckt und auch sonst sehr entgegenkommend gehandelt. Bald kam das Gespräch wieder einmal auf Ninas Undercover-Mission, wo sie splitternackt in den Isarauen einen aggressiven Sexualstraftäter dingfest gemacht hatte. „Wie wäre es mit einer Strip-Vorführung?“, regte Schlaechter an, aber Nina lehnte zunächst kategorisch ab.
Nachdem sich aber auch Schrötter, Fussenegger und sogar Doris Fussl, die seit Jahren ein Verhältnis mit Hajo pflegte – wegen ihrer ähnlichen Namen Fussl und Fussenegger waren sie bei einem Seminar in ein angeregtes Gespräch gekommen – mehr als interessiert zeigten und Ninas aktueller Liebhaber, Kriminaloberkommissar Mike Rackelt, nur belustigt grinste, gab sie nach. Teilweise zumindest. „Okay, aber ich tu nur so, okay?“ Und ehe sich die anderen Gedanken machen konnten, wie man bei einem Striptease ‚nur so tun‘ konnte, sprang sie auf Mikes Schreibtisch und bewegte sich geschmeidig zu einer imaginären Musik, streifte einen ebenso imaginären Rock langsam ab und tat nun so, als knöpfe sie eine Bluse auf. Gerade, als sie einen BH öffnete, obwohl sie unter ihrem T-Shirt gar keinen trug, klopfte es an der Tür. Kriminaldirektor Friedhelm Wummerbäck steckte den Kopf herein. ‚Der alte Wummer‘, den man einzuladen ‚vergessen‘ hatte!
Der sah sich interessiert um, schüttelte den Kopf und ließ die Bombe platzen: „Ende der Fete, es gibt Arbeit!“
Schrötter, Fussenegger, Schlaechter und Doris Fussl erstarrten, Ninas Bewegungen gingen auf Zeitlupe und Rackelt stammelte sinnlose Silben. Ehe sich jemand von seiner Sprachlosigkeit erholt hatte oder darauf hinweisen konnte, dass sie allesamt außer Dienst waren, verkündete der Chef sachlich: „Normalerweise hätte ich Ihnen das morgen bei Dienstantritt erklärt, aber die Umstände … Jedenfalls habe ich beschlossen, und das Ministerium ist einverstanden, dass die Soko XXL zwar aufgelöst ist, die Mitglieder aber beisammenbleiben, da sie sich bewährt haben. Ab sofort als Abteilung ‚Gewaltverbrechen römisch vier‘. Und da gerade ein Fall hereingekommen ist, der wirklich prädestiniert für diese Gruppe scheint, ist das jetzt euer Fall. Es sei denn, ihr lehnt das alles ab. Dann …!“ Er wedelte mit der Hand, als sei das unvorstellbar und sparte sich die Ausführung der dahinter lauernden Drohung.
Schrötter schaute in drei erwartungsvolle Augenpaare, erkannte Freude und Zustimmung und sah dann Wummerbäck fragend an. „Worum geht es? Ist der Niehart ausgebrochen?“
„Nein, nein, unser mörderischer Fußballfan“ – ‚Die Wumme‘, wie Wummerbäck auch genannt wurde, schüttelte sich vor Abscheu – „sitzt in sicherem Gewahrsam, aber es kam gerade eine Meldung rein von ‚Hallo vierzehn-zwo‘, einem Streifenwagen vom Revier Hallburg Süddost. Tja, es klang ein wenig seltsam, aber anscheinend hat einer in einer total vereisten Gefriertruhe ein männliches Genital gefunden. Ob es auch eine Leiche dazu gibt, ist noch unklar. Macht euch auf die Socken. Schlaechter, Sie fahren am besten auch gleich. Fussl, holen Sie ihre Sachen und Verstärkung, wenn sie eine brauchen. Ab mit euch! Morgen ganz früh Bericht bei mir im Büro, damit das klar ist. Hier ist die Adresse!“ Er reichte Schrötter einen Zettel, drehte sich um und verschwand.
„Der macht jetzt Feierabend!“, nörgelte Fussenegger, der sich auf einen kuscheligen Abend mit Doris gefreut hatte. Aber die Freude, dass sie weiterhin miteinander arbeiten durften, überwog deutlich. „Ich finde das super, dass wir weiter zusammen arbeiten können. Hatte selten so viel Spaß an dem Job wie in den letzten Tagen. Danke dafür, Muschi!“ Nina sah ihn streng an, weil er den ihr seit Schülerzeiten anhängenden und eher unbeliebten Spitznamen verwendet hatte. Doch der grinste freundlich und daher nahm es Nina nicht tragisch.
„Okay, Fuzzy!“, kreierte sie spontan einen neuen Spitznamen für Kriminalhauptkommissar Hajo Fussenegger, der bisher ohne so etwas auch ganz gut über die Runden gekommen war. Seine oft etwas struppige Frisur widersprach diesem keineswegs. Das verhaltene Gekichere der anderen Anwesenden gab ihm einen Hinweis, dass er ‚Fuzzy‘ wohl behalten würde. Dagegen war nichts zu machen und mit ‚Fuzzy‘ konnte er leben. Doris wohl auch, denn sie strich ihm kurz zärtlich über sein Bäuchlein und verschwand, um ihre Ausrüstung zu holen. Auch Tom, Mike, Nina und ‚Fuzzy‘ packten ihre Sachen, steckten ihre Waffen in die Halfter - und ‚Gewalt IV‘ machte sich wie angeordnet ‚auf die Socken‘.
Knapp eine halbe Stunde später traf die ganze Mannschaft inklusive Gerichtsmediziner und Spurensicherung in einer Reihenhaussiedlung an der südlichen Peripherie von Hallburg ein. Auf der Stichstraße standen zwei Streifenwagen. Vier Polizisten sicherten den Zugang und schreckten neugierige Nachbarn ab. Einer kam auf die Kriminalpolizisten zu, salutierte, als Schrötter seinen Ausweis präsentierte und stellte sich als Polizeiobermeister Moosbach vor. „Erlauben Sie, dass ich zusammenfassend berichte, was wir bisher erhoben haben?“ Schrötter nickte aufmunternd. „Gut, also! Das Haus da, Lilienweg acht, gehört einem Herrn Burgmeier, mit zwei „e“ und „i“. Ihm gehören da drei ganze Reihen mit je sechs Häusern. Lilienweg zwei bis zwölf in dieser Reihe, eins bis elf auf der anderen Straßenseite und eine Reihe am Begonienweg. Er selber wohnt dort am Ende, Nummer elf mit dem großen Garten an drei Seiten. Der Zugang ist von der parallel hierzu verlaufenden Stichstraße …“
„Nur die Ruhe! Vergessen Sie nicht, gelegentlich Luft zu holen!“, unterbrach Schrötter den Redeschwall.“ Moosbach schaute verdutzt, kam leicht aus dem Konzept und fuhr stotternd fort:
„Äh, also, Be-be-Begonienweg zehn. Wo-wohnt er. De-der Burgmeier. Das Haus hier hat er vor gut zwei Jahren an einen Italiener vermietet, einen Massimo Ardente, fünfunddreißig Jahre alt und aus Mailand. Er ist Vertreter für ‚Dolgelato‘, eine neue Speiseeismarke, die er hier in Süddeutschland platzieren soll. Als er einzog, hatte er grad mehr als zweihunderttausend Euro im Casino gewonnen. Ich habe angerufen, es stimmt. Mit Burgmeier kam er zusammen, weil der wegen der Kreditraten knapp bei Kasse war und das Dach sanieren musste. Das kam beiden gelegen. Burgmeier bekam siebzigtausend im Voraus, dafür zahlte Ardente nur zwanzig Monatsmieten für zwei Jahre. Und die Kaution war auch darin enthalten. Nach Ablauf der zwei Jahre meldete sich Ardente nicht, …“
„Wann war das genau? Dass der Mietvertrag ablief, meine ich.“
„Ende Mai. Damals kam Burgmeier her, um anzuklingeln. Wollte wissen, ob der Italiener verlängern oder ausziehen wollte. Er war aber nicht erreichbar. Nicht ungewöhnlich bei einem Vertreter mit einem so großen Verkaufsgebiet. Burgmeier warf eine Nachricht durch den Briefschlitz. Am Tag darauf erlitt er einen Herzinfarkt und hatte anderes zu denken als an Ardente. Immerhin hatte er ja auch noch die Kaution. Erst heute Morgen kam er wieder vorbei, diesmal mit Schlüssel. Sofort fiel ihm ein Riesenhaufen Werbematerial hinter der Eingangstür auf. Alles deutet darauf hin, dass sich Ardente aus dem Staub gemacht hatte. Doch alle Sachen vom Mieter waren noch da. Burgmeier war es erst einmal egal, er ging aber nachsehen, ob Ardentes Alfa noch in der Garage stand. Das tat er auch.“
„Moment mal! Alle Sachen waren noch da und sogar das Auto? Das hat diesen Burgmeier nicht gewundert? Wer tut denn so etwas?“
„Ja, ha-hab ich auch gefragt. Burgmeier sagt, wenn einer einmal so viel Geld im Casino gewinnt, könnte er das auch ein zweites Mal tun. Vielleicht war es diesmal so viel, dass er ein ganz neues Leben als Millionär anfangen wollte.“
Schrötter schüttelte den Kopf. Das war ihm nicht geheuer. Wenn er Millionen gewinnen würde … Das würde nicht passieren, weil Schrötter nicht spielte, nicht im Casino, nicht in der Lotterie, nicht einmal Fußballtoto. Aber wenn doch, hätte er niemals seine Sachen einfach zurückgelassen, schon gar nicht einen Alfa Romeo! Seiner Meinung nach war Ardente nicht nach bella Italia verschwunden und auch sonst nirgendwohin! Er nickte Moosbach zu, im Bericht fortzufahren.
„Äh, ja! Hinter dem Alfa steht aber eine riesige Gefriertruhe, die auf vollen Touren lief, weil der Deckel nicht ganz geschlossen war. Der Innenraum war komplett vereist. Ein richtiger Gletscher! Burgmeier schaltete ab und ließ das Eis auftauen. Damit es schneller ging, klemmte er einen Fön zwischen Truhe und Deckel. Alle paar Stunden kam er nachsehen und schöpfte Wasser ab, das ja nicht abrinnen konnte. Irgendwann fiel ihm ein, dass da eventuell noch Probepackungen Eis drin sein könnten und fischte danach. Auf einmal hielt er einen – äh – Sch… - äh – ein Gemächt in der Hand. Fast hätte er den nächsten Infarkt bekommen, aber er begnügte sich doch damit, sein Mittagessen auf dem Garagenboden zu verteilen. Jetzt ist er daheim bei Frau und Hund. Inzwischen sieht man auch andere Körperteile, zum Beispiel einen Fuß, der das Schließen des Deckels verhindert hat. Laut den Nachbarn hat man Ardente seit ewig nicht mehr gesehen Das letzte konkrete Datum, an das man sich erinnert, ist der 2. Juni vor einem Jahr. Da hat er aus Anlass des italienischen Nationalfeiertags ein Feuerwerk abgebrannt. Das genau Datum wussten sie nicht, aber das habe ich recherchiert“, berichtete Moosbach stolz. „Danach, im Juli vermutlich war er auch noch da. Anscheinend hat er angekündigt, zu Ferragosto nach Hause fahren zu wollen. Seither nichts. Niemand hat ihn gesehen.“
„Danke, das war eine gute Zusammenfassung!“
„Ach ja, man erzählt auch, Massimo Ardente wäre ein Schürzenjäger, der im ersten Jahr seines Hierseins alle paar Wochen eine neue Freundin anschleppte. So ‘ne Art Papagallo, ne? Alles richtige Zuckerschnecken, alle blond, meistens verheiratet, sagt der Sohn von Nummer fünfzehn. Das ist die nächste Reihe südlich, gegenüber. Er ist neunzehn und auch so ein Filou. Hoffe, Sie können daraus was machen!“
„Sehr gut, Moosbach! Haben sie eine Aufstellung, wer wo wohnt und wem die Häuser gehören?“ Moosbach reichte ihm wortlos eine akribisch erstellte Liste. ‚Guter Mann!‘, dachte Schrötter und überlegte, ob er ihn mehr einbinden könnte.
Der Gerichtsmediziner war mit den Leuten von der Spurensicherung schon in die Garage vorausgegangen. Inzwischen war schon der ganze Unterschenkel frei. „Können Sie schon was sagen, Doc?“, fragte Schrötter, wie das auch alle Kommissare im Fernsehen fragen.
„Ein nackter Fuß, von einem Mann. Mehr, wenn ich ihn auf dem Tisch habe!“, antwortete Schlaechter exakt nach Fernsehdrehbuch und grinste.
„Kann man das Auftauen nicht beschleunigen? Mit Streusalz oder so?“, fragte Mike.
„Mit Streusalz?“, fragte Schlaechter entgeistert. „Das könnte Spuren vernichten!“
„Oder mit Mineralwasser?“, warf Nina ein. „Ich habe auf einer Flasche gelesen, dass es enteisend wirkt.“
Schlaechter grunzte. Dann prustete er los. „Meine Liebe, da stand ganz gewiss nicht ‚enteisend‘, sondern ‚enteisent‘. Mit hartem ‚t‘ hinten! Das heißt, dass dem Wasser Eisen entzogen wurde, nicht Eis! Nein, nein, das muss leider mit thermischer Kraft gemacht werde!“ Er schöpfte Wasser aus der Truhe, goss eine kleine Menge in ein Glasfläschchen und den Rest durch ein feines Tuch, um alle Partikel zu sichern.
Schrötter überlegte. „Ich glaube, hier können wir vorläufig nicht viel ausrichten. Hajo, fahr zurück ins Präsidium und kontaktiere die Kollegen in Mailand und die Firma Dolgelato! Wir müssen mehr über diesen Ardente wissen.“ Fussenegger ließ sich von Mike die Wagenschlüssel geben und verschwand.
„Passender Name übrigens für einen italienischen Lover. Ardente heißt heiß, feurig, leidenschaftlich, brünstig und so weiter“, warf Nina ein, die nach der Schmach mit dem ‚enteisenden Mineralwasser‘ bemüht war, ihre Kenntnisse anzubringen.
„Hat aber auch nichts genützt“, ätzte Schrötter und bohrte in der Wunde. „So heiß war er nicht, dass es ‚enteisend‘ gewirkt hätte. Sonst bräuchten wir keinen Fön!“ Nina schluckte eine Entgegnung hinunter. „Ich gehe davon aus, dass die Leiche in der Truhe der verschwundene Italiener ist. Ob er bei lebendigem Leib entmannt wurde oder post mortem, wird die Obduktion zeigen. Die Frage ist aber, warum? Wer macht so etwas. Für mich deutet alles auf eine Eifersuchtstat hin. Wenn man seinen Ruf bedenkt, könnte es eine Menge Männer mit Motiv geben. Wir müssen was über seine Eroberungen herauskriegen. Und deren Männer! Nina, Mike, schnappt euch diesen Moosbach und klappert noch einmal die Nachbarschaft ab. Wer hat eine seiner Freundinnen gesehen? Ich will alles wissen, was immer die Nachbarn mitgekriegt haben. Namen, Kosenamen, Aussehen, Kleider. Vielleicht hat eine Dame ein seltenes Kleidungsstück erkannt. Oder Schuhe, Handtaschen! Louboutins, Gucci oder sowas. Auto, Fahrrad, Moped, was weiß ich. Los! Ich schau, ob die Spusi schon was gefunden hat, was wir auswerten können, Computer, Tagebuch, Adressen, Handy und so weiter. Alle Erkenntnisse werden sofort ausgetauscht. Los geht’s!“
Sie beschlossen, sich vorläufig auf den Lilienweg zu konzentrieren, denn vom Begonienweg oder dem auf der anderen Seite parallel verlaufenden Gladiolenweg konnte man kaum etwas Zweckdienliches beobachten. Mike übernahm die Häuser links von Ardentes Wohnung bis zum Ende der Reihe und sollte dann auf die andere Straßenseite wechseln, immer im Uhrzeigersinn´. Nina klapperte die Häuser in der anderen Richtung ab. Irgendwann würden sie drüben auf der anderen Seite zusammentreffen. Moosbach sollte die Dienstleister und Ladengeschäfte in der Umgebung besuchen, Friseur, Drogeriemarkt, Penny, das Konditorei-Café ‚Unverblümt‘ und die Lottoannahmestelle.
Nina klingelte an der Tür von Nummer sechs, aber niemand öffnete. Urlaubszeit! Das würde wohl noch öfter passieren. Gut, so kam sie schneller weiter. Beim Nächsten Haus öffnete ein rüstiger Rentner in Ringel-T-Shirt und kurzen Hosen und bat Nina auf seine Terrasse, die auf dem Flachdach der Doppelgarage zwischen Haus zwei und vier lag und Zugang von beiden Häusern hatte. Als Trennlinie fungierten nur drei Blumentöpfe mit Palmen, von denen eine blühte. Der Rentner nötigte Nina zu einer Limonade. Über Ardente wusste er zwar, dass dieser häufig Frauenbesuch hatte, aber die Beschreibungen waren kaum erhellend. Während Joseph Mülleiner, so hieß der Rentner, geschwätzig über seine eigenen Vorlieben bei Frauen – rothaarig mit Monsterbusen – seine Krankheiten und seine Enkel faselte, trank Nina die Limo aus, denn sie war tatsächlich durstig. Dann verabschiedete sie sich schleunigst und klingelte bei Frau Dinkelsam, der Mieterin von Nummer zwei. Nach Moosbach war die Frau Mitte dreißig und recht lebenslustig, hatte aber mit Ardente nichts gehabt.
Kurz kam ihr in den Sinn, dass sie unbedingt mit den Bewohnern von Haus Nummer sechs sprechen musste, denn die teilten sich ja mit Ardente die Terrasse über der Doppelgarage zwischen ihren Häusern. Aber da war ja niemand zu Hause. Kurz entschlossen wollte sie Herrn Burgmeier anrufen, als die Tür aufging. „Ja?“
Nina zeigte ihren Ausweis. „Nina Muschetzky von der Kripo Hallburg. Frau Dinkelsam?“
„Ja?“, fragte Frau Dinkelsam lauernd und machte keinerlei Anstalten, die Tür freizumachen.
„Es geht um Herrn Ardente von Nummer acht. Darf ich hereinkommen?“
„Äh!“, sagte Frau Dinkelsam, ohne ihre Hand vom Türstock zu nehmen. „Ich dachte, es sei ein Bekannter!“ Dann drehte sie sich um. „Es ist die Polizei, Schatzi!“, rief sie über ihre Schulter, worauf hektische Betriebsamkeit hörbar Platz griff. Erst jetzt bat sie Nina hinein. Die schaute sich aufmerksam um reimte sich einiges zusammen. Es roch auch deutlich nach Marihuana, aber jemand hatte alle Utensilien in Sicherheit gebracht. „Schatzi, wo bist du?“
„Oben, auf der Terrasse“ Der Jupp ist auch da!“
„Ihr Mann?“, fragte Nina, obwohl sie genau wusste, dass Frau Miriam Dinkelsam verwitwet war, reich verwitwet.
„Nein. Ein – äh – Bekannter. - Komm runter, Fred!“
Fred erschien und trug nur Bermudas. Nina fiel auf, dass auch die Wohnungsinhaberin nur sehr leicht bekleidet war. Ein dünnes Sommerkleid, kein BH, möglicherweise auch sonst keine Unterwäsche, so sittsam, wie sie auf der Couch saß. Ach! Und da erwartete sie noch einen Bekannten? Da war wohl eine kleine Sommerorgie in Planung! „Nur ein paar Fragen, dann bin ich wieder weg“, versprach Nina. „Kannten Sie den Herrn Ardente?“
„Den Eisfritzen von Nummer acht?“
„Ja, genau den. Wann haben Sie den das letzte Mal gesehen?“
„Ist ja schon eine Ewigkeit her. Der ist doch vor einem Jahr oder so ausgezogen.“
‚Ausgezogen ist er schon, aber nicht aus dem Haus!‘, dachte Nina, fragte aber: „Haben Sie da mit ihm gesprochen?“
„Nein, der hat überhaupt nicht mit mir gesprochen. Ich war für den Luft oder noch weniger. Also habe ich ihn auch ignoriert. Ich bin ja nicht blond!“ In der Tat hatte sie lange schwarze Haare, zwar gefärbt, aber auch von Natur war sie eher dunkel. „Was ist denn mit dem?“
„Danke, Frau Dinkelsam, ich wünsche noch einen angenehmen Abend. Ich muss weiter!“ Nina ging allein zur Haustür und sah im Spiegel, wie sich Miriam Dinkelsam im Wohnzimmer das Kleid über den Kopf zog. Sie war wirklich darunter ganz nackt. Nina grinste. Zu anderen Zeiten und Gelegenheiten …
Bevor sie auf die andere Straßenseite wechselte, ging sie ein paar Schritte zurück und rief Herrn Mülleiner an den Rand der Terrasse. „Haben Sie eine Ahnung, wann die Bewohner von Nummer sechs nach Hause kommen?“
„Die Zecke? Die ist im Sanatorium. Lässt sich wohl mal wieder liften. Nützt aber nichts. Da beißt keiner mehr an!“
„Und ihr Mann?“ Laut Moosbachs Aufstellung war Herlinde Zögge verheiratet.
„Der hat sich schon lange vertschüsst. Das Auto hat er mitgenommen, sonst nicht viel. Keine Ahnung, wo der hin ist. Die Zecke hat keinen Führerschein, deswegen hat sie dem Itaker auch ihre Hälfte der Garage überlassen.“ Nina erinnerte sich, dass neben dem Alfa Romeo eine Trennwand verlief. Umgehend informierte sie Tom Schrötter, der ja noch das Haus des Opfers inspizierte. „Du, Tom, der Ardente hat auch die Garage vom Nachbarn dazu gemietet. Da wohnt eine Frau Zögge allein, die keinen Führerschein und kein Auto hat. Mit dem hat sich ihr Mann verdünnisiert. Da muss Ardente irgendwo den Schlüssel dazu haben. Von seiner Wohnung aus kommt er ja nicht hinein.“ Schrötter bedankte sich und eilte sofort nach draußen und probierte mit einem gefundenen Schlüsselbund. Einer passte und in der zweiten Garage fand Schrötter weitere Kühltruhen. Alle waren offen und ausgeschaltet. Außer einem muffigen Geruch fiel ihm nichts weiter auf. Er atmete auf. Noch eine Leiche hätte ihm wirklich den Tag vergällt.
Kaum stand er wieder in Ardentes Schlafzimmer, rief Hajo Fussenegger an: „Ich habe einen Kollegen gefunden, der perfekt italienisch spricht, weil seine Mutter aus Venedig stammt. Mit seiner Hilfe habe ich die Polizei in Mailand erreicht. Sie wollen eine schriftliche Anfrage über den Innenminister, aber Kollege Mario Müller …“
„Westernhagen?“
„Quatsch, Tom, der heißt doch Marius, nicht Mario!“
„Stimmt. Entschuldige! Also, was war dann?“
„Kollege Mario Müller konnte den italienischen Maresciallo bei einem ‚Selbstgespräch‘ belauschen. Der las laut von seinem Bildschirm ab. Außer einigen Strafen wegen Schnellfahrens, liegt gegen Ardente nichts vor, auch keine Kontakte zur Unterwelt. Ach ja, eine Anzeige wegen Nichteinhaltung eines Eheversprechens. Das Verfahren wurde aber eingestellt, weil die Frau schon mehrfach so etwas angezeigt hatte. Bei mehreren Männern. Summa summarum ein braver Bürger.“
„Okay, so kann man den Kollegen unbürokratisch helfen. Bravo! Aber irgendwen hat er wohl tödlich beleidigt. Ich tippe auf einen eifersüchtigen Ehemann oder Freund.“
„Wirst wohl Recht haben. Ich hab‘ dann, weil ich ja dem Mario Müller bei der Hand hatte, gleich noch bei seiner Firma Dolgelato angerufen.“
„Aha! Haben die ihn denn nicht vermisst?“
„Nicht wirklich. Ardente war ein Hitzkopf. Er hat sie einige Male im Jahr wissen lassen, was und wo sie ihn können. Wegen Kleinigkeiten. Immer wieder hat er ihnen ausgerichtet, dass sie nicht nach ihm suchen sollen, wenn er sich mal nicht mehr meldet. Er liege dann irgendwo, was sich Kopippi nennt und zwar am Strand mit einer heißen Braut.“
„Kopippi? Was ist das denn?“
„Keine Ahnung. Das hat mir die Personalchefin so gesagt. Sie klang so, als sei sie beleidigt, dass Ardente nicht mit ihr dort Pippi macht. Jedenfalls waren die bei Dolgelato erleichtert, dass sie Ardente so billig losgeworden sind. Sie wussten ja auch von seinem Gewinn im Casino und dachten, er sei jetzt ausgestiegen. So sparten sie sich die Abfertigung und weiteren Ärger mit dem Typen. Also überwiesen sie ihm die letzten Gehaltsreste, Provisionen und Reisekosten. Letzte Abrechnung betraf den Juli letzten Jahres, per Mail eingelangt am 2. August. Schon im September schickten sie seinen Nachfolger nach Deutschland, einen Südtiroler, der sein Geschäft jetzt von Ulm aus abwickelt.“
„Wieso so schnell? Angeblich wollte Ardente ja auf Urlaub fahren.“
„Stimmt, er hatte Urlaub angemeldet für 11. bis 25. August, also zwei Wochen. Spätestens am Montag drauf hätte er neues Eis bestellen sollen für seine Präsentationen. Hat er aber nicht. Also ‚Kopippi‘ und aus! Die waren wirklich froh, ihn so billig losgeworden zu sein.“
„Danke, Fuzzy!“ Tom Schrötter legte schnell auf. „Weiß jemand von euch, wo Kopippi liegt? Die glaubten, unser Frauenheld da liege dort mit einer heißen Braut in der Sonne!“
Doris Fussl krabbelte unter dem Bett heraus und schüttelte sich. „Du meinst wohl Ko Phi Phi?“
„Sag ich ja!“
„Du betonst es falsch, weil du ans Pinkeln denkst! Ko Phi Phi, nicht Kopippi!“
Tom verdrehte die Augen. „Und wo ist das Piipii-Dings?“
„Zwei Inseln im Süden von Thailand. Bringt dich das jetzt der Lösung des Falles näher?“
Tom grummelte und verzog sich ins Wohnzimmer. Mit Doris zu diskutieren überließ er gern seinem Partner Hajo Fussenegger. Fuzzy hatte ja auch den Spaß, sobald Doris Recht behalten hatte. So sah es aus!
Nina arbeitete sich inzwischen konsequent Haus um Haus durch die ‚ungerade‘ Reihe. Ihr wurde bald klar, dass Ardente offenbar ausschließlich auf Blondinen stand. Leider waren die Beschreibungen einander so ähnlich, dass sie nicht abklären konnte, ob es sich bei den beschriebenen Frauen um ein halbes Dutzend verschiedene oder um nur eine einzige handelte. Außer blond waren alle eher groß, schlank, vollbusig und trugen gute Kleidung, nicht billig, aber auch nicht extravagant. Besondere Merkmale, die zu einer Identifizierung geführt hätten, konnte niemand nennen. Leicht frustriert stand sie unter einer Straßenlaterne und machte sich daran, bei Nummer dreizehn zu klingeln, als Mike aus dem Nebenhaus kam. „Hallo, Mike! Machen wir das letzte Haus gemeinsam?“
„Mit dir mache ich alles gern gemeinsam, auch wenn Klinkenputzen nicht zu meinen Favoriten gehört.“ Er wollte seine Freundin in eine Umarmung ziehen, aber sie schob ihn von sich. „Bist du verrückt? Doch nicht hier, gegenüber vom Tatort! Hast du was?“
„Nicht wirklich. Der Junge, Leo Popp von da …“ – er deutete mit dem Daumen über seine Schulter – „… hat genau das gesagt, was uns Moosbach berichtete. Er hat sich mit Ardente gelegentlich unterhalten. Autos, Frauen, Fußball, Eis. Da hat ihn der Italiener oft mit Probepackungen versorgt. Kurz vor seinem – äh – Abgang hat er noch Restbestände verschenkt, weil er die Kühltruhen abtauen wollte. Ardente war sehr erfolgreich bei Frauen und konnte ganz nach seinem Geschmack wählen. Er hatte laut Leo drei Regeln: Nur verheiratete Frauen, denn die konnten ihn nicht wegen Ehewünschen nerven, nur Blondinen, echte, denn dunkelhaarige fand er daheim genug und keine aus der Nähe. ‚La malia‘ nannte es Ardente. Leo hat es nachgelesen, das heißt ‚Bannkreis‘. Ein Bannkreis von einem Kilometer. Eigentlich ganz gescheit. Gesehen hat er nur zwei, die letzte etwa um Ostern herum im letzten Jahr. Er konnte nur eine allgemeine Beschreibung geben, weil er sie nur von seinem Zimmer aus gesehen hat, wo es schon dunkel war. Und du?“
„Auch nichts Konkretes. Blond, groß, sportlich, vollbusig und so um die dreißig Jahre. Davon gibt es allein in Hallburg mindestens zweitausend. Hoffentlich wird Tom fündig. Sonst bleiben uns noch die Verbindungsnachweise von seinem Telefon. Also schauen wir doch mal, ob wir hier bei Altbauers weiterkommen werden!“ Nina drückte auf den Klingelknopf. Fast sofort wurde die Tür aufgerissen und ein kleiner Junge grinste sie an.
„Mama, Papa! Die Polizei ist endlich da!“ Nina und Mike sahen sich an. So freudig wurden sie sonst nicht begrüßt. Herr Altbauer erschien im Flur und bat sie ins Wohnzimmer. Mike stellte der Familie sich und Nina vor und sie nahmen auf dem bequemen Sofa Platz.
„Kaffee oder Tee?“, fragte Frau Altbauer, eine hübsche Blondine mit üppigem Vorbau, eigentlich exakt Ardentes Beuteschema.
Mike lehnte beides ab, bat nur um ein Glas Leitungswasser, aber Nina sehnte sich nach Tee. „Wenn Sie einen Kräutertee hätten?“
„Ja, Simone! Nimm den mit den Limetten! Da nehm‘ ich auch gern einen“, meinte ihr Mann, der sich dann an Mike wandte. „Unser Sohn ist schon ganz aufgeregt, weil er etwas beobachtet hat, was er Ihnen gern mitteilen möchte. Ralf, komm her und erzähl!“
Der vorhin so quirlige Junge stand jetzt verlegen vor den Erwachsenen. „Ralf, das ist der Herr Rackelt von der Polizei und dies …“
„Ich bin die Nina, Ralf! Sag mal, wie alt bist du denn?“
„Elf.“
„Und du kennst den Herrn Ardente von dort drüben?“
Ralf nickte. „Stimmt es, dass der Massi tot ist?“
„Der Herr Ardente? Ja, leider ist der tot und wir müssen alles wissen, was mit ihm zusammenhängt. Weißt du da was?“ Ralf nickte wieder.
„Und möchtest du es mir erzählen?“ Ralf nickte wieder.
Nina schaute ihn erwartungsvoll an. Ralf streckte die Hand nach ihr aus. „Komm!“ Sie nahm seine Hand und ließ sich von Ralf in sein Zimmer ziehen. Dort nahm er eine Plastikhülle aus einer Schublade und zeigte ihr die Karte, die ganz oben lag. Ein Auto-Quartett-Spiel, genauer gesagt, ein Oldtimer-Quartett. Die Karte hatte die Bezeichnung 7c und zeigte einen Volvo PV444 von1952. „Das ist ein Buckelvolvo“, erklärte Ralf. „Und da ist der Massi manchmal eingestiegen.“
„In so ein Auto?“
Ralf nickte und schüttelte dann den Kopf. „Fast!“
„Wie ‚fast‘?“
„Er war nicht rot, er war weiß. Und irgendwie anders. Aber nicht viel.“
„Also ein weißer Buckelvolvo. Hat der dem Massi gehört?“
Ralf schüttelte den Kopf.
„Wem denn dann? Weiß du das?“
„Seiner Freundin.“
„Ah, seiner Freundin! Weißt du, wie sie heißt? Wie hat er sie genannt?“
„Mm, Karra und manchmal auch Tschitschinna.“ Nina kannte das. Schließlich war sie schon gelegentlich an einem italienischen Strand gelegen. Manchmal allein. Dann blieb es nicht aus, dass sich ein paar Papagalli an sie heranmachten und sie mit Kosenamen zu bezirzen suchten. ‚Cara‘ - Geliebte und ‚Ciccina‘ – Schätzchen waren nur einige, der blumigen Namen, die auf sie wenig Eindruck gemacht hatten. Hier brachten diese aber keinen Fortschritt.
„Wie sah sie denn aus, diese Freundin?“
„So wie Mutti, nur nicht so schön!“ Nina grinste. Mutti, Mutti über alles! Auf jeden Fall eine Bestätigung dessen, was schon Polizeiobermeister Moosbach berichtet hatte. Über das eher seltene Auto würden sie diese Freundin schon ausfindig machen.
„Hast du noch andere Freundinnen von ‚Massi‘ gesehen?“ Ralf nickte.
„Und was für Autos hatten diese?“
„Weiß ich nicht. Massi hat sie mit seinem Alfa hergebracht.“
„Ach so.“ Kleine Enttäuschung, aber es gab ja noch weiter Möglichkeiten. Ein Adressbuch Ardentes zum Beispiel.
„Eine kam ein paarmal mit dem Fahrrad.“
„Was denn für ein Fahrrad? Ein besonderes vielleicht?“
„Es war rot, sonst weiß ich nichts.“ Naja, nicht gerade eine heiße Spur, aber besser als nichts. Nina bedankte sich herzlich bei Ralf und stieg wieder hinunter ins Wohnzimmer, wo Mike in einem angeregten Gespräch mit Ralfs Vater stand, sich aber schnell verabschiedete. Gemeinsam verließen sie das Haus der Altbauers und schauten hinüber zum Tatort. Der Wagen der Spurensicherung war schon weggefahren, Schlaechter samt Leiche offenbar auch, nur ein Streifenwagen und der Dienstwagen von Kriminalhauptkommissar Schrötter standen noch vor Nummer acht. Nina rief Hajo Fussenegger wegen dem Volvo an, während sie zum Tatort hinüberschlenderten, wo Moosbach sich ihnen anschloss.
„Also, der Friseur hatte schon geschlossen, ich werde ihn morgen befragen, alle anderen Stellen waren Nieten. Ardente war nie dort, zumindest kannte ihn keiner. Was jetzt?“, sprudelte er heraus. Tja, das wussten Mike und Nina auch nicht. Also wünschten sie dem eifrigen Polizeiobermeister viel Erfolg am nächsten Morgen.
Mike wählte gerade Toms Nummer, als dieser aus der Garage trat und das Tor verschloss. Auf der gemeinsamen Heimfahrt tauschten sie ihre Erkenntnisse aus. Mike Rackelt bestätigte Ralfs Beobachtung über die Frau auf dem Fahrrad. „Herr Hornvogel hat so eine gesehen. Er konnte aber nicht bestätigen, dass sie was mit Ardente zu tun hatte. Auch seine Beschreibung der Frau ist vage. Dafür hat er das Bike genau beschrieben. Ich persönlich hätte mich ja eher auf die Frau konzentriert …“
„Konzentrier du dich gefälligst auf mich!“, fuhr ihm Nina in die Parade. „Heute brauch ich noch ein paar – äh – Streicheleinheiten.“
„Da bin ich gerne behilflich. Lass uns zu dir fahren! Oder möchtest du die Asservatenkammer ausprobieren?“
„Hättest du da unter den ganzen Mordwerkzeugen einen besonderen Kick? Ich bin da mehr für meine Lu… - äh – Wohnung.“
„Ich auch. Wenn ich daran denke, dass deine Nachbarin wieder mithört … - Das ist Kick genug!“
„Okay, ihr zwei Turteltäubchen! Dann steigt ein. Habt ihr ein Fahrzeug beim Präsidium? – Ja?“ Tom Schrötter setzte die beiden Oberkommissare bei Mikes Auto ab. „Verschlaft aber nicht, morgen geht es gleich in der Früh weiter. Um sieben im Büro?“
Nina und Mike wussten, dass das keine Frage gewesen war und fuhren so schnell, wie es ohne Blaulicht gerade noch möglich war, zu ihrer Wohnung. Unter leisem Gekichere – weil Mike seine Hand nicht von Ninas Po nehmen und ihr schon im Treppenhaus einen Vorschuss auf die gewünschten ‚Streicheleinheiten‘ verpassen wollte – stiegen sie zur Dachwohnung hinauf. Beiden war klar, dass Nina auf ganz was anderes scharf war, aber das zu erfüllen trauten sie sich denn doch nicht, bevor sich die Wohnungstür hinter ihnen geschlossen hatte. Dafür waren beide schon nackt, ehe sie noch Ninas Lustwiese erreicht hatten, keine schlechte Leistung, wenn man die Kleinheit der Wohnung und die dadurch nur kurze Strecke zwischen Eingangsbereich und Schlafzimmer bedenkt. Nur wenige Minuten später wussten alle Bewohner des Hauses, dass Nina daheim und nicht allein war.
Am nächsten Morgen klopfte Tom Schrötter beim Kriminaldirektor. Der bot Kaffee an, aber der Leiter der neuen Abteilung ‚Gewaltverbrechen IV‘ lehnte ab. „Ich möchte nur kurz deponieren, was wir bis jetzt herausgefunden haben: In der besagten Kühltruhe befand sich eine vollständige nackte Männerleiche. Die Genitalien waren aber abgeschnitten und, wie es ausschaut, auf dem Kopf des Mannes abgelegt, weswegen die zuerst gefunden wurden. Das Opfer hieß aller Wahrscheinlichkeit nach Massimo Ardente und war Vertreter einer neuen Speiseeismarke. Und außerdem ein sehr erfolgreicher Frauenheld, spezialisiert auf blonde Verheiratete. Wir gehen davon aus, dass er eine verhängnisvolle Affäre mit einer Frau hatte, deren Gatte in einem Anfall rasender Eifersucht die Tat begangen hat. Wir müssen versuchen, mögliche Verdächtige über seine Liebschaften aufzuspüren. Tatort war sein eigenes Schlafzimmer. Die Spusi konnte Blutreste feststellen. Ardente wurde die Kehle durchgeschnitten und außer, dass ihm der Schwanz samt Sack abgeschnitten wurde, hat der Täter ihm auch noch das Mordwerkzeug in den Arsch gerammt. Vorher, denn es fanden sich Kotspuren in der Halswunde.“ Wummerbäck verzog in Abscheu sein Gesicht. „Vermutlich wurde er auch bei lebendigem Leib kastriert. Ob bei vollem Bewusstsein, steht noch nicht fest. Tatzeitpunkt ist nicht genau feststellbar, weil die Leiche ja gefroren war, doch nach den hinter der Tür angesammelten Werbebroschüren dürfte es etwa Mitte August gewesen sein. Also vor ziemlich genau einem Jahr. Ardente war offenbar gerade dabei, zu Ferragosto nach Italien zu fahren. Ein Koffer war schon in seinem Auto.“
„Hat die Obduktion noch etwas ergeben? Tatwaffe?“
„Ja, das ist komisch! Nach den Wunden war das Instrument ziemlich lang, sehr scharf geschliffen, auf der Oberseite strukturiert und vorne etwas aufgebogen. Nicht sehr spitz. Dr. Schlaechter meint, wenn es nicht so scharf wäre, könnte es ein Champagnersäbel sein, von der Form her. Aber die sind üblicherweise eher stumpf, weil man beim Köpfen den Rand nach oben schlägt, nicht abschneidet.“
„Das ist kein Grund, der dagegenspricht. Man kann durchaus mit der anderen Seite sabrieren, mit der stumpfen. Nur muss dann der Griff so sein, dass man den Säbel von beiden Seiten packen kann. Ich habe sogar schon mal eine Flasche Bollinger mit einem Suppenlöffel geköpft, …“
„Das ist interessant, aber Champagnersäbel oder was Ähnliches haben wir keinen gefunden. Die Tatwaffe hat der Täter wohl mitgenommen.“
„Habt ihr einen Ständer gefunden? Oft werden diese Dinger in Holzständern präsentiert. Das schaut dann so aus wie diese japanischen Schwerter im Miniformat.“
„Nein, auch nicht, aber wir werden danach Ausschau halten, wenn wir seine Eroberungen überprüfen. Von den Nachbarn haben wir einige Beschreibungen. Ist aber nicht ganz klar, ob es überhaupt verschiedene Frauen sind. Eine fuhr mit einem eher seltenen Auto, einem uralten Buckelvolvo in Weiß. Sagt zumindest der elfjährige Ralf von gegenüber. Der hat so einen in seinem Oldtimer-Quartett. Kriminalhauptkommissar Fussenegger ist schon in der Zulassungsstelle. Und mit der Polizei in Mailand hat er gestern schon gesprochen. Ardente ist ein unbeschriebenes Blatt.“
„Sonst noch was?“
„Schon, aber dass Ardente die Masern hatte, die noch nicht ausgebrochen waren, hilft uns nicht weiter. Von Ärzten erfahren wir sowieso nichts, wie üblich! Und einmal kam eine Frau mit dem Fahrrad. Nicht so ein Citybike, sondern eine echte Rennmaschine. Rot und von Scott. Das behauptet ein Nachbar, der zwar selber viel mit dem Rad fährt, aber mit einem uralten Klappergestell. Beschreiben konnte er das Gerät näher als die Frau. Er hat wohl eher spezielle Interessen. Das bringt uns auf die Schnelle nichts, es gibt zu viele Händler, unter anderem im Internet.“
„Sie meinen, er ist schwul? Warum auch nicht. Okay, okay!“ ‚Die Wumme‘ wedelte mit der Hand. „Ermitteln Sie weiter. Volldampf, ich will, dass die Presse nicht alles durcheinanderbringt!“
In Schrötters Büro wartete Hajo mit der Nachricht, dass es in Hallburg und Umgebung genau zwei Buckelvolvos in hellen Farben gab. Der eine war gelb und gehörte einem alleinstehenden Greis von fünfundachtzig Jahren, der andere einem Oberarzt der Klinik, Dr. Hubertus Potze, der ihn von seinem Vater geerbt hatte. Die Frau des Oberarztes, Jacqueline Potze, war Mitte dreißig und blond. „Das ist eine heiße Spur!“, rief Schrötter. „Aber lass den Opa trotzdem nicht aus den Augen. Vielleicht fährt ja seine Enkelin oder Nichte oder was weiß ich mit dem Auto.
„Okay!“, bestätigte Hajo Fussenegger. „Ich setz‘ das zuständige Revier darauf an. Wenn sich eine blonde Frau ans Steuer setzt, sollen sie eine Fahrzeugkontrolle machen. Sollen wir den Oberarzt herholen?“
„Nein, wir beobachten zuerst die Frau Potze. Vielleicht hat sie inzwischen einen anderen Liebhaber. In dem Fall können wir mehr Druck machen. Dann redet sie eher mit uns und lügt nicht ganz so viel über ihre Affäre mit Massimo Ardente. Mike, Nina, das macht ihr. Euch fällt es wohl nicht schwer zur Tarnung das junge Liebespaar zu mimen.“
„Wozu sollten wir uns tarnen müssen?“
„Was weiß ich, womöglich verkehrt sie in Swingerclubs ...! Lasst euch nicht abschütteln! Ab mit euch, sondiert das Haus von diesem Potze und hängt euch an seine Frau, wenn sie es verlässt. Wir versuchen in der Zwischenzeit, weitere Freundinnen zu identifizieren. Eventuell über das Fahrrad. Hajo? Hast du nicht eine Schwester oder Cousine oder was im Krankenhaus? Versuche mal, die über den Dr. Potze auszuhorchen! Die Verbindungsnachweise vom Opfer müssten ja bald eintreffen. Ich werde auch die von der Potze anfordern.“
Potzes wohnten weit außerhalb, direkt am Waldrand. Weit und breit war kein Buckelvolvo zu sehen. Alles war ruhig. Nina und Mike entdeckten einen Jägerhochstand, von dem aus man sowohl den Eingang als auch eine Dachterrasse und einen großen Teil des Gartens observieren konnte. Dort machten sie es sich gemütlich und weil sich so gar nichts tat, begannen sie, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie schmusten. Nicht sehr lange, dann rückte Nina damit heraus: „Eine alte Wunschphantasie wird wahr!“, freute sich Nina. „Ich wollte schon immer mal in so einem Hochstand vögeln! Los, Mike, raus aus den Klamotten!“
„Nina, du bist völlig …!“, versuchte Mike einen lauen Protest, aber da stand seine Partnerin schon halbnackt vor ihm und streckte ihm den runden Po entgegen. Nur das dünne T-Shirt hatte sie anbehalten. „Wir sollen das Haus observieren, nicht rummachen!“, nörgelte er.
„Papperlapapp! Wenn sich was tut, sehen wir auch dann, was sich tut, wenn wir mitten unterm Vögeln sind. Ich habe da jedenfalls einen herrlichen Blick auf die Eingangstür. Die kommt nicht ungesehen raus.“
„Und dann? Bis wir wieder richtig angezogen sind, ist sie weg!“ Aber trotzdem ließ er seine Hose runter, massierte seinen ‚Polyphem‘ in Form und ließ ihn in ‚seine Höhle‘ einfahren. Nina seufzte glücklich.
„Oh, Mike, das habe ich sooo gebraucht!“ Das Teufelsweib kriegte doch immer, was sie wollte und Mike konnte solchen Versuchungen im Grunde nie widerstehen. Weil das Geländer ein wenig wackelig wirkte, stieß er nur behutsam zu, dafür aber immer die volle Länge, was Nina sehr genoss. „Mach gerade so weiter! Das ist ideal, erstens, weil wir so den Fick schön lang dehnen können, zweitens, weil es gesünder ist, nicht durch das Geländer zu brechen und drittens, weil wir nebenbei gut beobachten können.“
„Nebenbei!“, schnaubte Mike vorwurfsvoll. „Mann, du bist schon eine Nummer! Das ‚Nebenbei‘ ist doch der einzige Grund, warum wir überhaupt hier sind!“
„Hab dich doch nicht so! Wenn es dir nicht gefallen würde, hättest du keinen Ständer, der meinen Blinddarm kitzelt!“
Mike verkniff sich eine Bemerkung über die anatomische Lage des Blindarmes und fickte schön langsam und gemütlich weiter. ‚Eigentlich‘, dachte er, ‚eigentlich gar keine so schlechte Nachmittagsgestaltung.‘
Die fand aber eine überraschende Unterbrechung, denn plötzlich rollte der weiße Buckelvolvo vor die Garageneinfahrt. Eine eindrucksvolle Blondine schraubte sich aus dem Fahrersitz und eilte auf die Eingangstür zu. Sie hantierte mit einem Schlüsselbund, rief etwas durch die geöffnete Tür, lauschte. Dann winkte sie und von der Beifahrerseite kam ein schwarzhaariger Mann, Typ Latin Lover lässig zu ihr geschlendert. Sie legte ihm den Arm um die Hüfte und schob ihn ins Innere der Villa. „Das ist ziemlich eindeutig die Frau Potze und ebenso eindeutig nicht Oberarzt Dr. Hubertus Potze“, murmelte Mike, während er Nina noch langsamer bediente.
„Gib ein bisschen Gas, Mike!“, forderte Nina und wackelte mit dem Arsch. „Ich bin sooo nah dran!“
Daraus wurde aber vorerst nichts, denn Frau Potze und ihr Lover erschienen auf der Dachterrasse Sie trugen nur Sonnenbrillen, eine Flasche Sekt und zwei Gläser. Diese stellte er auf den Boden die Flasche behielt er in der Hand und sah sich suchend um. Offenbar hatten die zwei keine Ahnung, wie gut man vom Hochstand aus alles beobachten konnte. Oder es war ihnen egal. Womöglich geilte sie der Kitzel sogar noch zusätzlich auf, eventuell einen Spanner zu erfreuen. Der Triebstau schien gewaltig vorgearbeitet zu haben, denn Jacqueline kniete sich auf eine Gartenliege, streckte ihren Hintern in die Luft, klatschte sich mit einer Hand fordernd auf die Backe und schaute ungeduldig zurück. Ihr Liebhaber fackelte nicht lange, und weil er schon ein gut gehärtetes Glied vor sich hertrug, steckte er es auch gleich freihändig und ohne zu zögern in jenes Loch, das Gott vorsorglich für solche Fälle geschaffen hatte und fing wie eine Maschine an, die Frau zu rammeln. Der Chamgagner wurde dabei gut durchgeschüttelt. Als er ihr die Flasche auf den Hintern drückte, kreischte sie laut auf. War wohl ordentlich gekühlt!
Mike hatte währenddessen innegehalten, weil er vom Geschehen auf der Terrasse fasziniert war. Daher übernahm Nina die Bewegung und schob ihren schönen Hintern immer schneller nach hinten und vorne. Endlich passte sich Mike langsam wieder dieser Bewegung an, erfolgte die nächste Störung. Ein schwarzer BMW brauste durch die Einfahrt und hielt hinter dem Volvo. Ein Mann im Arztkittel stürzte heraus und stürmte zum Eingang. Noch war die Tür nicht offen, da brüllte er schon: „Jacqueline, Jacqueline, hast du mein …!“ Auf der Terrasse entstand Hektik, Jacqueline Potze trieb ihren Lover über die niedrige Begrenzungsmauer. Nackt kletterte er über ein Rankgerüst in den Garten und hockte sich abwartend hinter einen kugelförmig geschnittenen Buchsbaum. Die blonde sportliche Jacqueline hetzte ins Haus, kam gleich darauf mit einem Packen Kleidung wieder auf die Terrasse und warf das Bündel über die Brüstung ins Rosenbeet. Gleich darauf erschien der aufgeregte Oberarzt. „Jacqueline, hast du mein …?“ Er stutzte, als er seine nackte Frau gewahrte, die dekorativ auf der Liege posierte und sich erotisch streichelte. Dr. Potze stutzte nur kurz, dann riss er sich den Arztkittel und sämtliche Kleider vom Leib, stürzte sich rasant auf seine Frau und küsste sie stürmisch. Bis zum Hochstand hörte man sie stöhnen.
„Ich wette, sie hatte Angst, dass er sie verprügelt, weil ihm irgendwer verraten hat, dass sie eine Affäre hat. Aber er scheint davon nichts zu wissen. Jetzt jubelt sie innerlich. Mal sehen, wie sie die Situation bewältigt“, meinte Mike.
„Sie wird es genießen, sag ich dir! Sieh dir nur seinen Schwanz an! Der ist ja noch größer als deiner! Ich würde es auch genießen! Steck jetzt deinen Schwanz wieder rein, Mike! Ich war sooo kurz davor!“
„Äääh …?“
„Was äääh, hm?“ Nina drehte sich um. „Du hast keinen Ständer mehr? Hast du etwa …? Nicht wirklich, oder?“ Sie sank auf die Knie und lutschte, saugte, nuckelte und leckte intensiv, aber Mike versagte. „Das gibt’s ja nicht! Du hast einfach so in die Botanik gespritzt? Und jetzt geht nichts mehr?“
„Ich hab gar nicht gespritzt!“ Mike wurde rot. „Es ist schon peinlich, aber wie du das gesagt hast …“
„Was hab ich gesagt?“ Nina grübelte. Dann ging ihr ein Licht auf. „Oh – mein – Gott! Ich glaub es nicht! Ich habe gesagt, dass der Oberarzt einen noch größeren Schwanz hat und das hat sich bei dir auf die Erektion geschlagen? Das ist krass! Ihr Männer seid doch echt schwanzfixiert! Dabei willst du ja nach eigener Aussage gar keinen noch größeren haben!“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. „Dann schau halt der Potze auf die Fotze, vielleicht bringt dich das wieder in Stimmung!“ Nina war eindeutig sauer. Das Ehepaar Potze hingegen war in bester Ficklaune. Es bot sich dasselbe Bild wie vorhin, nur jetzt eben mit dem doch etwas älteren Hubertus Potze hinter dem prallen Hintern seiner ficklustigen Gattin, die bald in schrilles Geschrei ausbrach, was den leicht schmerbäuchigen Oberarzt enorm beflügelte. Trotz Riesenschwanz. sehr standfest war er nicht und nach wenigen Minuten ergoss er sich röhrend in seine Frau. Ninas Kommentar fiel entsprechend aus: „Lieber nicht ganz so lang, dafür länger, wenn du verstehst was ich meine!“ Ihr Zorn war schon verraucht und so zog sie ihre Beinkleider wieder an.
Als Potze wieder zu Atem kam, konnte er endlich seine Frage zu Ende stellen: „Sag, liebste Jacqueline, hast du irgendwo mein Handy gesehen?“, rief er, denn die ‚liebste Jacqueline‘ war bereits ins Haus gegangen, vermutlich, um zu duschen. Oder um Spuren zu beseitigen. „Ach was? Am Frühstückstisch? Danke! Ich komme abends später!“ Und weg war er, flitzte mit seinem BMW wohl zurück in die Klinik. Und der Liebhaber seiner Frau holte seine Sachen aus dem Blumenbeet und schlich sich wieder ins Haus. Klettern musste er nun nicht mehr
„Wetten, er treibts im Krankenhaus mit einer Schwester?“, ätzte Nina. „Heute noch!“
„Dann wird er wohl dort auch duschen. Möchte ich jetzt auch gern tun!“
„Komm, lass uns fahren. Du kriegst keinen mehr hoch und die Potze geht heute sicher nicht mehr aus dem Haus.“ Denn der Latin Lover stand bereits wieder auf der Terrasse und protzte mit seiner Erektion. „Auch nicht übel, aber der dicke Oberarzt hat den Größeren!“, provozierte sie Mike erneut.
Am nächsten und übernächsten Tag versuchte ‚Gewaltverbrechen IV‘ weitere Freundinnen von Massimo Ardente zu identifizieren. ‚Fuzzy‘ Fussenegger fand über Ardentes Nummernverzeichnis im Handy heraus, dass dieser Jacqueline Potze ausgerechnet im Club ‚Amour fou‘ kennengelernt hatte, jenem Club, den Ninas gute Freundin aus Modeltagen, Marlene, leitete. Umgehend machte sie sich auf den Weg zu einem kleinen Freundschaftstreffen. Es war später Nachmittag, da war der Club noch gar nicht offen, aber die Geschäftsführerin versprach, ausnahmsweise heute früher zu kommen.
Es benötigte einige Indiskretionen, ehe Marlene bereit war, wirklich zu helfen. Sie meinte, dass sie für ihre Hilfe beim letzten Fall einen ausführlichen Bericht – ausführlicher als in der Zeitung – verdient hätte. Sie versprach auch hoch und heilig, keine Details an andere weiterzugeben. Danach rückte die Clubchefin mit den wirklich wichtigen Informationen heraus. Hier wieder versprach Nina, nur zu verwenden, was für den aktuellen Mordfall unbedingt notwendig war.
Laut Marlene war der Club ‚Amour fou‘ nicht nur ein Lokal, in dem Stripvorführungen und Tabledance geboten wurden, sondern besaß auch einen speziellen Bereich, in dem sich Gäste miteinander vergnügen durften. „Prostitution dulde ich nicht, aber ich gebe Leuten, die sich bei unseren Vorführungen aufgeheizt haben, die Möglichkeit, sich im hinteren Bereich zu amüsieren. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein Mann mit einer Professionellen als Begleitung aufkreuzt und sich dann mit ihr nach hinten verabschiedet, aber hier im Club darf keinerlei Anbahnung stattfinden.“
„Ich bin ja weder bei der Sitte noch sonst moralisch irgendwie …“ Nina ließ den Rest offen. „Kennst du den Massimo Ardente?“
„Sagt mir im Moment nichts, denn viele Clubmitglieder geben einen falschen Namen an. Ausweise sind nur nötig, wenn jemand aussieht, als könnte er unter achtzehn sein. Aber wir haben Überwachungskameras vorne am Eingang, bei der Zwischentür zum hinteren Bereich und eine, die den Gang dort aufnimmt. Und was dich besonders freuen wird: Seit es für die Aufnahme keine Bänder mehr braucht, löschen wir nichts mehr. Unser ‚Filmarchiv‘ reicht fast zehn Jahre zurück.“
„Das ist super! Pass auf, wir haben einen Anruf von Ardente an deinen Club vom zehnten Juli und einem vom zwanzigsten Mai letzten Jahres. Können wir uns die Filme von diesen Tagen und jeweils drei Tage vorher und nachher ansehen?“
„Natürlich! Aber da wirst du allein das Vergnügen haben. Ich kenne den Typen ja nicht, also nützt es nichts, wenn ich mitschaue. Ruf mich, wenn du ihn hast. Und gib mir seine Nummer, vielleicht hat er sie bei seiner Anmeldung angegeben.“ Marlene zog sich mit der Nummer in ihr Büro zurück, nachdem sie Nina die Festplatte vom Vorjahr angeschlossen und ihr die Bedienung des Gerätes erklärt hatte.
Nina hielt Ardente für einen potentiellen Besucher der ‚speziellen‘ Räumlichkeiten und begann gleich mit Kamera 2, den Aufnahmen von der Zwischentür. Der Besucherstrom war überschaubar und so entdeckte sie das Mordopfer gleich beim erstgenannten Datum, wie er in Begleitung einer sehr attraktiven Blondine den Club verließ. Seine Hand, weit unter dem Minirock der Dame ließ keinen Zweifel offen, was die beiden in den Hinterzimmern vorhatte. Nina wechselte zur Kamera 3, die den Gang zeigte. „Wow! Die haben’s ja wirklich dringend nötig!“, entfuhr ihr, als sie sah, dass sowohl Bluse als auch Minirock schon gefallen waren, ehe die zwei in einem Zimmer verschwanden.
Schon zwanzig Minuten später kam das Paar wieder heraus – die Frau war nackt - sammelte die verstreuten Kleidungsstücke auf und begab sich in die vorderen Clubräume. Nina wechselte zu Kamera 1, die den Bereich auf der Straße vor dem Club zeigte und fand umgehend das Paar, das eng umschlungen das Gebäude verließ. Es sah sehr neckisch aus, weil Ardente den Rock so weit nach oben geschoben hatte, dass unschwer erkennbar war, dass die Frau kein Höschen anhatte. Und falls das jemand nicht so richtig kapierte, hatte der Italiener das fehlende Kleidungsstück auch noch so in seine Jacketttasche gestopft, dass es unübersehbar heraushing. „So ein Angeber! – Marlene, kommst du mal?“
Es dauerte ein wenig, bis ihre Freundin vor dem Bildschirm hockte. „Ach, der! Ja, der war sehr oft da in dem einen Jahr. Hat jede Menge Blondchen abgeschleppt, frustrierte oder notgeile Hausfrauen meistens. Ich habe übrigens seine Nummer gefunden. Hier nannte er sich ‚Timo Messardane‘, was ein ziemlich billiges Anagramm seines echten Namens ist. Da kannst du wohl davon ausgehen, dass du ihn gefunden hast.“
„Und wie hilft mir das jetzt weiter?“
Du wirst staunen, was unsere Anlage kann. Als Timo Messardane hatte er die Mitgliednummer TM-026 und mit der können wir alle seine Besuche in unserem Lusttempel – das bleibt aber unter uns, ja? – herausfiltern. Ich druck dir die Liste aus, dauert nur zwei Minuten.“ Marlene verschwand wieder in ihrem Büro und kam wirklich nach kürzester Zeit mit einem Blatt Papier wieder. Darauf waren lediglich Datum und Uhrzeit gedruckt, kein Name, kein Clublogo, kein Hinweis, was diese Daten besagten. Damit war es ein Leichtes, fast sechzig Besuche des nunmehrigen Mordopfers in bester Filmqualität aufzurufen, wobei Nina neunzehn verschiedene Frauen unterscheiden konnte, von denen sie hervorragende Portraits kopierte. „Kennst du diese Frauen auch alle, Marlene?“
„Alle nicht, aber ein paar schon. Für den Zutritt zu den Extrazimmern muss sich nur eine Person ausweisen, meist ist das der Mann. Trotzdem kenne ich natürlich meine Stammgäste.“
„Namen, Marlene, Namen! Kannst du mir ihre Namen nennen, zum Beispiel die Letzte da?“
„Die nicht, aber die habe ich auch vorher und nachher nie gesehen, aber die davor, die ist Stammgast und reißt sich recht oft einen Lover auf. Das ist die Frau vom Arzt Dr. Potze.“
„Ja, ist klar, die kenn ich, aber die anderen?
„Auswendig weiß ich das nicht, aber ich könnte die eine oder andere herausfinden, wenn es wichtig ist.“
„Bitte finde es heraus. Wenn es wirklich wichtig ist, frage ich danach. Inzwischen beschäftigen wir uns mal mit Frau Potze. Hat die später auch noch solche Eroberungen gemacht? Kann ich da auch die Filme sehen?“
„Das geht jetzt zu weit! Was sie später in ihr Bett gezerrt hat, wird ja wohl nichts mit deinem Mord vom Vorjahr zu tun haben! Oder ermittelt ihr etwa gegen sie wegen Ehebruch?“
„Blödsinn! Kann ich trotzdem vielleicht die Aufnahmen von der letzten Woche durchsehen?“
„Ich kann das nicht erlauben!“ Marlene zwinkerte. „Die aktuellen Filme sind sowieso nicht auf einer externen Festplatte. Ich schau aber nach, ob die Potze selber eine Zugangskarte für den Extrabereich hat oder nur auf Einladung nach hinten gehen konnte.“
Nina rekapitulierte, dass Marlene nicht ‚auf einer anderen‘, sondern ‚nicht auf einer externen Festplatte‘ gesagt hatte und schloss messerscharf, dass die aktuellen Filme also auf der internen Festplatte zu finden waren und wechselte hurtig von Laufwerk ‚F‘ zu ‚D‘. Tatsächlich, da waren sie! Inzwischen schon in der Handhabung geübt, sichtete Nina das Material im Schnelldurchlauf. Und wirklich, auf dem ältesten noch gespeicherten Film entdeckte sie Jacqueline Potze am Arm eines Mannes, den sie vor ein paar Tagen in voller Aktion hatte beobachten können. Rasch zoomte sie sein Gesicht und fotografierte es vorsichtshalber mit dem Handy. Erst dann wandte sie sich wieder an Marlene mit der Frage, ob sie diesen Mann identifizieren würde.
Marlene gab sich empört und ließ sich recht lange bitten, ehe sie aus Datum und Uhrzeit Jacqueline Potzes neuesten Lover mit ‚Giorgio Torello‘ einen Namen gab, aber bezweifelte, dass das sein richtiger war, denn ‚Torello‘ bedeutet ‚junger Stier‘. Er war erst vor drei Monaten aufgetaucht und hatte sich für ein halbes Dutzend Frauen interessiert, ehe er sich auf Frau Potze konzentrierte. Oder sie sich auf ihn. Da war sich Marlene unsicher, denn auch Jacqueline war stark auf Aufriss aus, wenn sie den Club besuchte. „Dafür habe ich aber was gut bei dir, Nina!“
Nina musste zugeben, dass sie Recht hatte und zog mit ihrer Beute ab. Insgeheim plante sie einen Besuch im Club ‚amour fou‘ mit ihrem Mike und dann wollte sie ihn im Hinterzimmer vernaschen. Sie überlegte sogar, Marlene mit dazu zu bitten. Schließlich hatte sie sich früher schon sehr für den Besitzer des Penisses interessiert, der zu groß für handelsübliche Kondome sein sollte. Aber vorläufig hatte der brutale Mord Vorrang.
Aufgeregt platzte sie im Präsidium in eine improvisierte Dienstbesprechung bei Kaffee und Kuchen. Offenbar plante der Chef einen verlängerten Arbeitsabend. Angesichts des reichhaltigen Angebotes merkte sie erst, wie hungrig sie war, stürzte sich auf die großen Stücke Zwetschgendatschi, die sicherlich Schrötters Frau gebacken hatte und berichtete schmatzend, was sie von Marlene erfahren hatte.
„Die Dame hat es wohl mit Italienern, was?“, warf Mike ein.
„Passt ja gut. Italienische Männer stehen oft auf gut gebaute Blondinen“, warf KHK Hajo Fussenegger ein und schielte dabei auf Nina, auf die diese Beschreibung sehr gut passte. Die tat so, als hätte sie das nicht gesehen. Mike grinste siegesgewiss, denn diese ‚gutgebaute Blondine‘ gehörte trotz seines Ausfalles auf dem Hochstand ihm, nicht, weil er Italiener gewesen wäre, sondern wegen seiner anderen Vorzüge. Die Ausmaße seines ‚Kleinen Mike‘ spielten dabei keine geringe Rolle, im wahrsten Sinn des Wortes.
Die Aufgabenverteilung am nächsten Morgen unterbrach ein Anruf. Tom Schrötters Gesicht erstarrte und wurde lang und länger. „Wir haben noch eine kastrierte Leiche. Ein Brotausfahrer hat sie an einem Hang unter der Straße nach Neupendorf gefunden.“
„Was macht der denn am frühen Morgen unter der Straße?“, wollte Hajo Fussenegger wissen.
„Anscheinend hatte er eine Platten, hielt am Rand an, die Straße ist ja relativ schmal und begann mit dem Reifenwechsel. Da ist ihm das Reserverad über den Rand gerollt und er musste ihm nach. Dabei hat er die Leiche gefunden. Nackt und kastriert. Los, wir treffen uns am Tatort. Zwei Streifen sind schon vor Ort, Schlaechter ist unterwegs und die Spusi auch.“
Am Fundort begrüßte sie Dr. Schlaechter mit grimmigem Gesicht. „Alles wie bei dem Eismann: Kehle durchgeschnitten, entmannt und ein Stich in den Anus. Auch die Fesselspuren sind identisch.“
„Fesselspuren? Davon wissen wir ja gar nichts!“
„Ich wollte gerade anrufen und es euch sagen, als die neue Leiche dazwischenkam. Die winzigen Partikel auf der Haut deuten auf gepolsterte Hand- und Fußschellen hin, so Sex-Utilities, die die BDSMler verwenden, um jemand in Kreuzform ans Bett zu fixieren. Und Knebelspuren an der Mundschleimhaut. Daher konnte er nicht schreien, als er kastriert wurde. Also alles wie beim ersten Toten. Nur sind hier die Genitalien nicht aufzufinden.“
„Trophäe?“
„Ich nehme eher an, dass die ein Tier verschleppt hat. Der Mann ist seit mehr als vierundzwanzig Stunden tot.“
„Grauslich, grauslich!“
„Fuchs, du hast den Schwanz gestohlen, gib ihn wieder her, gib ihn wieder her! Sonst wird dich der Wummer holen mit dem Dienstgewe-e-ehr!“, trällerte Nina und verstummte, als sie die indignierten Blicke aller anderen Anwesenden bemerkte. Nicht einmal Mike teilte ihren schwarzen Sinn für Humor zur Gänze.
Der hob das Tuch auf, unter dem der Leichnam lag und prallte zurück. „Da-da-das ist der neueste Lover der Frau Potze! Der kleine Stier!“, stammelte er.
„Dann holen wir uns jetzt den perversen Oberarzt!“ rief Hajo grimmig und Tom Schrötter telefonierte mit Kriminaldirektor Wummerbäck, der zusagte, Haftbefehl, Durchsuchungsanordnung und Verstärkung zu besorgen und zur Villa der Potzes zu schicken.
Die Aktion war äußerst erfolgreich. Oberarzt Dr. Hubertus Potze beteuerte seine Unschuld, ja fiel theatralisch aus allen Wolken, als er erfuhr, dass seine ‚liebste Jacqueline‘ regelmäßig wechselnde Affären gehabt hatte. Aber niemand glaubte seiner Show. Mike entdeckte im Wohnzimmer an der Wand einen scharf geschliffenen Champagnersäbel. Die Spurensicherung bestätigte abgewischte Blutspuren an der Klinge. Nina fand die Knebel- und Fesselungsausrüstung im Schlafzimmerschrank. Hajo schleppte aus der Waschküche im Keller einen frisch gewaschenen Overall herbei, doch mit Luminol wurden auch darauf Blutspuren nachgewiesen. Jetzt wurde es eng für Dr. Potze, doch er leugnete weiter hartnäckig, obwohl ihn die beiden Kriminalhauptkommissare hart in die Mangel nahmen.
Nina streifte durchs Haus und ließ sich ungern von den Spusi-Leuten verscheuchen, die in ihr nur einen Störfaktor sahen. So lümmelte sie sich im Wohnzimmer an die Wand, hörte unaufmerksam dem Verhör zu und betrachtete den Overall. Danach rannte sie fast in den Garten und rief ihre Freundin Marlene an. „Hallo, Marlene, ich bins schon wieder! Ja, du, du kennst doch eh alle Leute. Aber kennst du die Jacqueline Potze auch näher? Abgesehen davon, dass sie in deinem Club auf Männerfang geht?“
„Ja, sicher, die kennt doch hier in der Szene jeder. Damals hieß sie noch Jay Ramsey und kam aus einem Kaff in Schottland zum Studieren. Mit der ganzen Familie. Ist jetzt schon fast zwanzig Jahre her. Der Vater repräsentiert einige bekannte Whiskymarken, starb aber vor einigen Jahren. Die Mutter ist zurück nach Schottland, von den Geschwistern weiß ich nichts, aber die Jay …“
Als Nina wieder ins Wohnzimmer kam, waren alle drei, Tom, Hajo und der Tatverdächtige, reichlich erschöpft. So war Schrötter froh, dass ihn Nina zu sich winkte: „Ich glaube, dass er unschuldig ist, Tom! Schau dir doch den Overall an, der ist ihm mit seinem Bauch doch viel zu eng. Und zu kurz. Der gehört nicht ihm, sondern seiner Frau. Über die habe ich einiges von Marlene, du weißt schon, die …“ Tom winkte ab. Er wusste sehr genau, welche Marlene gemeint war. ‚Fuzzy‘ Fussenegger und Mike gesellten sich dazu und lauschten.
„Also! Die Jacqueline Potze – oder Jay Ramsey, wie sie damals noch hieß- wurde vor exakt fünfzehn Jahren in Rimini von drei bisher unbekannten Männern brutal vergewaltigt. An ihrem zwanzigsten Geburtstag. Dabei verlor sie sozusagen den Verstand und blieb dann über zehn Jahre in der Psychiatrie, in der Geschlossenen. Anscheinend hat sie am Anfang das ganze Jahr über kein Wort geredet und nur zu ihren Geburtstagen – oder Jahrestagen der Vergewaltigungen – getobt und geschrien, dass sie ihnen den Schwanz abschneiden wird, den Scheiß-Itakern. Nur wusste sie halt nicht, welchen. Sie konnte oder wollte keine Personenbeschreibungen abgeben. Später hat sie dieses Verlangen nur noch gelegentlich eben im August geäußert, dann gar nicht mehr. Ihren Mann hat sie auch dort in der Psychiatrie kennengelernt. Nach ihrer Entlassung haben sie geheiratet. Das ist noch keine drei Jahre her. Man dachte wohl, wenn sie unter ärztlicher Obhut lebt, hat man sie auch unter Kontrolle. Das war wohl reines Wunschdenken und zwei unschuldige Italiener haben es mit ihrem Leben bezahlt.“
Alle Männer waren geschockt! Solch grauenvolle Taten hätten sie einer Frau, noch dazu einer so schönen, niemals zugetraut.
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