Die Wahrheit über Adam und Eva
von tyami takez
Am Anfang schuf Gabi die Bibelgruppe. Es war öd und leer in dem kleinen Kaff, in dem wir wohnten, und bald sprach sich das Gerücht herum, dass dies eine gute Gelegenheit wäre, ein Mädchen abzuschleppen. Der dicke Martin und ich gehörten zu den Ersten, die sich anmeldeten, obwohl uns der Rest unserer Gang sofort für verrückt erklärte. Martin war Feuer und Flamme für die Idee und redete tagelang von nichts anderem, bis ich daheim mal vorsichtig anfragte.
Und Gabi sprach zu meiner fürsorgenden Mutter: „Liebe Frau Hauser, natürlich können Sie mir Ihren Jan anvertrauen, ich werde ihn zu einem gottesfürchtigen jungen Mann erziehen“, und es wurde Licht. Es grenzte an ein Wunder, dass meine Mutter auf mein plötzlich bekundetes Bibelinteresse hereinfiel, und es war gut so, denn sie hatte meinen achtzehnten Geburtstag schlichtweg ignoriert und behandelte mich immer noch, als wäre ich zwölf. Freilich konnte Gabi jeden an die Wand reden, wenn sie etwas durchsetzen wollte. Gott hatte ihr keine eigenen Kinder geschenkt und ihr Mann sich früh ins Grab getrunken, auch sie selbst roch gelegentlich nach Fusel. Dennoch war sie für die Öffentlichkeitsarbeit unserer Pfarrei zuständig, weil sich der Kaplan, ebenfalls ein großer Trinker vor dem Herrn, dauernd mit der Gemeinde in die Wolle geriet.
Und Gabi sprach: „Willkommen in meiner bescheidenen Wohnung. Die anderen kommen sicher bald, darum lasset uns mit dem Bibelstudium beginnen. Ich habe das Erste Buch Mose ausgewählt, denn es stehet am Beginn der Schöpfung.“ Also begannen wir die Bibel zu lesen, Gabi, Martin und ich, aber es kam keine rechte Stimmung auf. Die Wohnung war nicht nur bescheiden, sondern schäbig, und Gabis Konzentrationsprobleme machten die Unterhaltung nicht einfacher. Zudem zeigte sie einen Hang zu Rechthaberei und Menschenhass, und die Sache mit der Nacktheit, die Martin und mich natürlich am meisten interessierte, gefiel ihr gar nicht. So kam es, dass das Gespräch bald einschlief.
Und Gabi sprach: „Gehet nun hin und diskutieret miteinander die Schöpfungsgeschichte.“ Martin und ich warfen einander einen verstohlenen Blick zu. Natürlich war außer uns beiden kein Aas aufgetaucht, und niemand war da, unsere Langeweile zu stillen, außer einem hübschen, blonden Mädchen, das uns vom Sofa aus mit einem Gesichtsausdruck zusah, als litte es unter heftigem Zahnschmerz. Dieses jedoch hieß Jenny und stand im Ruf, nach ihrer Mutter zu geraten, die als die größte Schlampe im Dorf galt. Zudem zählte Jenny bereits zwanzig Jahre und wohnte vorübergehend bei Gabi, weil ihr gewalttätiger Stiefvater sie daheim rausgeworfen hatte.
Und Gabi sprach: „Jenny, so unterhalte du dich bitte mit den beiden Knaben, auf dass sie in Gottes Namen nicht unter sich bleiben müssen. Ich will einstweilen zum Supermarkt wandeln, um für das Abendessen einzukaufen. In der Küche gibt es Saft und Salzgebäck, aber vom Kühlschrank bleibet fern.“ Mit diesen Worten entschwand sie, und Stille senkte sich über das Land und die Wohnung.
„Und warum sollen wir vom Kühlschrank wegbleiben?“, fragte Martin nach einer geraumen Weile.
„Weil die alte Schnapsdrossel dort ihren Apfelbrand bunkert“, gab Jenny gelangweilt zurück, aber ihre Katzenaugen musterten mich dabei mit unverhohlenem Interesse. „Unter zwei Stunden ist die nicht weg, so, wie sie am Ende gezittert hat. Der Branntweiner liegt ja gleich gegenüber.“
„Und sie waren alle nackt, und sie schämten sich nicht“, sagte Martin, und sein Antlitz färbte sich blutrot. Er konnte kaum noch sprechen, was zum einen daran lag, dass Jenny bereits den dritten Knopf ihrer Bluse geöffnet hatte, zum anderen daran, dass Martin keinen Alkohol vertrug. Sein Kopf pendelte hin und her, während er vergeblich versuchte, nicht ständig auf Jennys Busen zu starren.
„Geht mir öfter so“, Jenny sah mich ungerührt an, öffnete den nächsten Knopf und nahm einen Schluck aus der Schnapsflasche, bevor sie diese an Martin weiterreichte. „Zum Beispiel, wenn mir der alte Luttenberger wieder mal beim Sonnenbaden zuguckt und sich dabei in der Hecke einen runterholt.“ Das saß. Der alte Luttenberger war der Nachbar von Jennys Familie und der Briefträger unseres Kaffs. Außerdem war er ein weithin bekannter Lustmolch und Martins Opa.
„Was hat er gemurmelt?“, fragte Jenny ärgerlich.
„Immer dasselbe“, ich rückte von Martin weg, der immer weiter in meine Richtung kippte. Sachte glitt er nach vorn, bis sein Kopf auf der Tischplatte angelangt war. „Er sagt die ganze Zeit: Zeig uns doch endlich deine Äpfel.“
Jenny sah an sich herab und schüttelte entrüstet den Kopf. „Der kommt nach seiner Familie.“ Wieder traf mich einer ihrer rätselhaften Katzenblicke. „Schläft er endlich?“ Ich nickte. „Und du?“, sie deutete mit einladender Geste auf das Sofa, auf dem sie saß. „Willst du auch meine Äpfel sehen?“
„Und sie waren beide nackt“, bemerkte Jenny spöttisch, während sie ihren Slip vom Knöchel streifte. „Oh, bis auf Adams Boxershorts natürlich."
Ich schluckte und nahm all meinen Mut zusammen. Ich sah nicht schlecht aus und war auch an der entscheidenden Stelle ganz ordentlich gebaut, doch Jenny war nicht nur zwei Jahre älter, sondern unendlich erfahrener als ich, und das machte mir Angst. Aber konnte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen, ohne es mir bis ans Lebensende vorzuwerfen? Was auch immer noch in ihrem Blick lag, vor allem spiegelte sich darin unendliche Geilheit. Ihre kleinen, festen Apfelbrüste schaukelten leicht, als sie ihre schlanken Beine einladend auf und zu klappte, doch sie schwieg geduldig, bis ich meine Scheu überwunden hatte.
„Na also“, sagte sie zufrieden. „Da ist die Schlange ja endlich.“ Sie streichelte ihr zärtlich über den zitternden, dunkelroten Kopf, doch die Schlange bäumte sich auf und spie sie an. Jenny sah mir unentwegt in die Augen und hielt die Hand fest geschlossen, bis das Tier in sich zusammenfiel. Dann roch sie kurz und wortlos an dem weißen Saft, bevor sie ihn sorgfältig in ein Stück Klopapier wischte und dieses in der Toilette runterspülte. Ich starb in der Zwischenzeit fast vor Verlegenheit, aber Jenny tat, als bemerkte sie es nicht, und sie setzte sich wieder neben mich und legte meine Hand auf ihren Busen, und er war eine Lust für die Augen und verlockend.
„Und sie schämten sich nicht“, ich spürte weiche, feuchte Lippen auf meinen, und mir wurden die Augen aufgetan und ich lernte sodann, von den Früchten vom Baum der Erkenntnis zu naschen.
„Aber wehe, du beißt rein“, Jenny drückte meinen Kopf zwischen ihre Beine. „Ich hatte mal so einen miesen Stecher, und dann meint diese perverse Sau noch, ein dreckiges Luder wie ich steht sowieso drauf und ich soll jetzt nicht rumzicken. Ja, so ist es gut.“ Sie legte sich zurück, schloss die Augen, und ihr Atem wurde allmählich schneller und heftiger. „Ihr Männer seid ganz schöne Schweine, und trotzdem kommen wir nicht weg von euch. Nur wegen dieser dämlichen Scheißapfelgeschichte.“
Nach einiger Zeit zog sie mich hoch und lehrte mich mit den Worten: „Keine Angst, ich nehm die Pille“, im Schweiße meines Angesichts ihren Acker zu pflügen. Und wir waren beide nackt und geil und schämten uns nicht, und nur selten warfen wir einen prüfenden Blick auf Martin, doch der schlief wie das Murmeltier im Winter. Und wir schmiegten uns aneinander und küssten und streichelten unsere Körper, bis die Lust uns überwältigte, und Jenny legte ihren Kopf auf meine Brust und sprach: „Vom Handwerk verstehst du ja noch nicht allzuviel, aber wenigstens bist du ein netter Kerl. Weißt du, wie weh es tut, von euch Mackern dauernd benutzt und dann weggeworfen zu werden wie ein abgelutschter Knochen?“
Und es dunkelte, als wir uns wuschen, und immer noch schlief Martin, aber just, als wir uns in unsere Gewänder hüllen wollten, erschien Gabi, und siehe, trotz ihres Vollrauschs erkannte sie sofort, was vorgefallen war.
Und Gabi wurde wütend und sprach: „Ihr habt meinen Schnaps ausgesoffen, ihr Dreckschweine, obwohl ich euch das verboten habe, und jetzt vögelt ihr auch noch rum wie die Tiere. Und das in meiner Wohnung.“ Und wir senkten die Köpfe und schämten uns, nicht nur, weil wir immer noch nackt waren, sondern auch, weil die leere Schnapsflasche neben Martins Kopf keine Gelegenheit zur Ausrede bot. Gabi schwankte in den Raum und baute ihre hundertzwanzig Kilo Lebendgewicht vor uns auf, doch ehe sie abermals den Mund öffnen konnte, erwachte Martin, sah uns mit wirrem Blicke an und verteilte seinen Mageninhalt zu ihren Füßen.
Und es hob an eine große Strafpredigt, und Gabi warf uns alle drei Hals über Kopf aus ihrer Wohnung und verbot uns, diese jemals wieder zu betreten. Ich begleitete Jenny noch zum Postbus, denn sie wollte sich zu ihrem Halbbruder in die nahe Stadt begeben, um dort Unterschlupf zu finden, und ich versprach, sie bald zu besuchen.
Und es herrschte große Zwietracht zwischen Martin und mir, denn er war neidisch und machte mich für alles verantwortlich und redete einen geschlagenen Monat lang nicht mit mir, doch Jenny sah ich nie wieder. Nur ihr letzter Satz, bevor sie in den Bus stieg, blieb mir bis zum heutigen Tag in Erinnerung.
„Gib doch zu, es war sowieso scheißlangweilig im Paradies.“
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@ Elmar und Anja: Die Schreibübungen (und die Wörterkette ;) ) vermiss ich wirklich ein bisserl. War eine kreative Zeit, irgendwie.
@ Helios53: Richtig witzig find ich's auch nicht, wurmt mich selber eh am meisten. Mein Schmähführertum hat leider genug Luft nach oben.
Nachtrag: @ Auden James: Danke für die ausführliche Kritik. Ein Wort zu den "Brüdern": Sie heißen (steht so im Text) Martin Luttenberger und Jan Hauser. Nicht sehr subtil, ich weiß, aber offenbar genug, um es zu überlesen. Es gibt eine Aussage, aber die erklärt sich aus der Kirchengeschichte, nicht aus dem Buch Genesis. Und was seit 2007, als der Text entstand, alles ans Licht kam, sollte man aus mehreren Gründen nicht "satirisch" verarbeiten. Schon gar nicht hier.«
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Bei der Bewertung habe ich deshalb auch ordentlich zugelangt.
Leichtgewicht«
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ich erinnere mich noch an die Aufgabenstellung, die war nämlich von mir. :-)
Eine herrliche Satire, die richtig Spaß macht.
LG
Elmar
der seinen Beitrag von damals mal wieder rauskramen muss«
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Sorry.
Aber ein ambitioniertes Vorhaben, konsequent durchgezogen.
Nachtrag: Höhöhö! Erfahre gerade, dass Tyami auch "südlichen Ursprungs" ist.
Wieder mal in ein gewisses Näpfchen getappt. Shit happens! ;)«
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Ich bewundere jeden Autor, der gute Kurzgeschichten schreiben kann.
LG Mondstern«
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Und das ist als Satire harmlos und alles andere als böse.
Fast ministrantenfreundlich. Und der Pfaffe würde drei Vater Unser und eine Nachhilfestunde als Buße geben.
Darüber kann man nicht lachen. Eher weinen.
Und das liegt nicht zuletzt an der sprachlichen Gestaltung, die zwischen Pseudo-Bibelsprache (die umgänglich ungelenk wirkt) und Pseudo-Umgangssprache (die ungelenk umgänglich wirkt) sich nicht entscheiden/kann will und so zwei halbe Sachen zu Buche stehen, die zusammen kein Ganzes ergeben.
Und so wie die sprachliche Form fällt auch die Wirkung aus: schief.
Denn auch als Parabel funktioniert der Text bestenfalls ansatzweise, weil nette Ansätze (z.B. versoffener weiblicher Gott) nicht konsequent durchgehalten werden (z.B. passt Adams "Bruder" Martin nicht ins Bild; Kain und Abel kommen erst eine Generation nach Adam und Eva), weshalb auch keine kohärente Aussage zustande kommt.
So stehen am Ende nur oberflächlich nette Versatzstücke aus dem Phrasenschwein wie der Schlusssatz: "Es war sowieso scheißlangweilig im Paradies."
Und selbst der ist noch schief, denn insbesondere für unseren Adam war die Zeit mit Jenny im Paradies offenbar alles andere als langweilig, denn zum einen scheint der Sex mit Jenny mit sein erster Sex gewesen zu sein und zum anderen ist er im Paradies sogar ins Schwitzen gekommen.
Von Langeweile im Paradies kann also keine Rede sein.
Von Langeweile im Texte allerdings sehrwohl: Denn am Ende steht die Frage: "Na und?"
-AJ«
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tut gut und macht lust - danke!«
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Vergiss Auden James. Der hat in jedem Forum an den Autoren etwas auszusetzen. Er bildet sich ein, der Beste zu sein.....
Na ja....«