Liebestod im Kloster
von Susi M Paul
Trotz der vorgerückten Stunde hatte niemand ein Auge zugetan. Betend hatten die Mönche im Kapitelsaal, die Nonnen in ihrem Refektorium ausgeharrt. Als sie die Pferdehufe auf dem Pflaster hörten, strömten sie binnen Minuten auf dem Platz zwischen der Kirche und dem Frauentrakt zusammen.
Der greise Abt war geschwächt durch die lange Reise und bedrückt von der Nachricht, die er zu übermitteln hatte. Deshalb übernahm es der Vogt, den unanfechtbaren Beschluss des Generalkapitels zu verkünden: „Um des Seelenheils unserer geliebten Brüder und Schwestern willen ordnen wir an, dass künftighin keines unserer Klöster von Mönchen und Nonnen gemeinsam bewohnt werden soll, sondern jedes nur von einem Zweig des Ordens “
Ohne auf das enttäuschte Gemurmel und nicht wenige Ausrufe des Entsetzens zu achten, fuhr der Schutzherr fort: „Ihr wisst, euer Vater Abt und ich selbst hätten euch gerne eine andere Entscheidung aus St. Eustach mitgebracht. Aber ihr wisst auch, dass wir dort auf verlorenem Posten standen. Nun obliegt es mir, diese Anordnung umzusetzen.“
Er legte eine kleine Pause ein, räusperte sich und bestimmte dann: „Die Nonnen werden sich unverzüglich in ihren Bereich zurückziehen. Zur Sicherheit werden meine Leute die ganze Nacht über ihre Pforte bewachen und zusätzlich den Verbindungsgang kappen. Bei Tagesanbruch, nach der Vigil, werde ich sie persönlich nach Steinlinden führen.“
*
„Müller“, schnaubte er widerwillig ins Telefon, das ihn beim Abfassen eines dieser unsäglichen Berichte unterbrochen hatte.
„Herr Müller, sind Sie der für Kloster Eichmühlen zuständige Archäologe?“, erkundigte sich eine Frauenstimme. „Wenn ja, dann hätten wir etwas für Sie.“
„Wer ist wir?“
„Oh, Verzeihung! Samling, Julia Samling, Gerichtsmedizinerin. Aber keine Angst, unser Fall ist eher ein Fall für Sie. Ich erkläre es Ihnen, sobald Sie hier sind.“
Keine halbe Stunde später schüttelte er ihre Hand. Zwei Polizisten rollten die Absperrbänder auf, die sie um den vermeintlichen Tatort gezogen hatten, ansonsten strahlte die Ruine im abgelegenen Tal die übliche Herbstruhe aus.
„Ein Bauer ist heute früh mit seinem neuen Traktor auf dem Weg neben der Kirchenmauer eingesackt. Besser gesagt: Ein Reifen hat so etwas wie eine unterirdische Kammer zum Einsturz gebracht. Und als er hinuntergeschaut hat, hat er ein paar Knochen gesehen und die Polizei verständigt.“
„Der Geheimgang!“, kommentierte ihr Gegenüber trocken.
„Dann kannten Sie den schon? Schade, ich dachte, wir hätten da eine archäologische Sensation gefunden.
„Kennen ist zuviel gesagt, und Geheimgang eigentlich auch. In der Krypta der Kirche gibt es eine zugemauerte Tür. Wir haben immer schon vermutet, dass es früher einmal eine unterirdische Verbindung zu dem ehemaligen Gebäudekomplex für die Nonnen auf der anderen Seite des Weges gegeben hat. Eichmühlen, müssen Sie wissen, war in seiner Anfangszeit nämlich ein Doppelkloster. Die Männlein wohnten rechts, die Weiblein hinter einer zusätzlichen Mauer links von der Kirche. Außer bei den Gottesdiensten hielten sie brav Abstand, damit auch nichts passiert.“
„Aber mit einem Verbindungsgang, falls die fleischliche Versuchung doch einmal überhand nahm?“, kommentierte die Medizinerin die doppelklösterliche Geschlechtertrennung mit einem verständigen Lächeln.
„Vermutlich gibt es für den eine ganz profane Erklärung“, umschiffte der Archäologe erst einmal reichlich humorlos die frivole Anspielung. „Die Schwestern wollten wahrscheinlich bei Schnee und Regen trockenen Fußes zum Beten kommen. Ob er auch für sündige Techtelmechtel benutzt worden ist“, setzte er dann doch hinzu, „wer weiß das schon? Irgendwann scheint er eingebrochen und verfüllt worden zu sein, zumindest größtenteils. Wir haben ihn nicht ausgegraben, weil er uns zu uninteressant erschien.“
„Jetzt dürfen Sie aber drin herumbuddeln. Wir haben für den Anfang einen kleinen Raum zu bieten, knapp einsfünfzig auf einsfünfzig. Die Polizei hat schon die Steine herausgeklaubt, die heute früh hineingefallen sind.“
„Vermutlich ein einfaches Tonnengewölbe.“
„Vermutlich. Spannend ist aber, was wir dort gefunden haben. Die Knochen, die der Bauer von oben gesehen hat, gehören nämlich zu zwei Skeletten. Die Schädel und Teile der Brustkörbe stecken in einem Berg von Schutt, den wir nicht angerührt haben. Möglicherweise ist das auch die Todesursache gewesen: ein Unfall. Oder jemand wollte sie für immer verschwinden lassen. Was den Todeszeitpunkt angeht, bin ich überfragt. Aber der Zustand der Knochen, ein paar Stoffreste, die zu Kutten gehört haben könnten, und zwei Metallkreuze im unteren Brustbereich haben mich zu der Mutmaßung veranlasst, dass wir den oder die Mörder nicht mehr zu suchen brauchen, selbst wenn es sich um ein Verbrechen gehandelt haben sollte. Die beiden waren ziemlich sicher Klosterinsassen und sind vor Jahrhunderten gestorben. Wie gesagt: ihr Fall.“
„Herzlichen Dank für die vorläufige Diagnose.“
„Moment! Das Wichtigste und Merkwürdigste kommt noch. Die Skelette lagen nämlich nicht neben-, sondern übereinander. Und zwar, man höre und staune, unten ein Mann und oben eine Frau, wenn ich die Beckenknochen richtig vermessen habe. Melden Sie sich mal bei mir, wenn Sie dafür eine schlüssige, möglichst eine schlüpfrige Theorie entwickelt haben!“
*
„Pater Gerhart, darf ich euch eine Frage stellen?“
Erstaunt blickte der Mönch auf. Seit zwei Monaten verrichtete Schwester Klara den Regeln gemäß schweigend ihren Dienst als Sakristanin. Noch nie hatte sie es gewagt, das Wort an ihn zu richten. Und auch jetzt schien sie mehr mit dem Zusammenfalten des Altartuchs beschäftigt als mit ihrem Anliegen.
„Was möchtest du denn wissen?“
Wie um Zeit zu gewinnen, beendete sie zunächst sorgfältig ihre Arbeit und wandte sich dann langsam zu ihm um.
„Heute Morgen habt ihr in der Predigt über die Keuschheit gesprochen, über die Stelle im Evangelium, wo es heißt: ‚Wer es fassen kann, der fasse es‘, und darüber, dass wir, die wir den Weg der Enthaltsamkeit gewählt haben, von Gott eine besondere Gnadengabe empfangen haben.“
„Das ist richtig. Hat dir daran etwas missfallen?“
„Oh nein!“, begann sie, stockte, senkte die Augen zu Boden, um sie nach einem kurzen Moment wieder zu erheben. Er konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie darum rang, die richtigen Worte zu finden. „Oder vielleicht doch“, fuhr sie zweifelnd und unsicher fort. „Ich meine… Ich wollte…“, stammelte sie.
„Bist du sicher, dass du nicht lieber mit deiner Mutter Priorin oder mit deinem Beichtvater darüber sprechen möchtest?“, warf Pater Gerhart ein, dem schwante, dass seine Helferin auf eine äußerst delikate Angelegenheit hinauswollte.
„Oh nein!“, kam es wieder als Antwort, diesmal fast brüsk. Dann sagte sie mit so leiser Stimme, dass er Mühe hatte, die Schwester zu verstehen: „Ich meine, ich habe es schon versucht, aber Mutter Jutta hat mich gar nicht ausreden lassen und mir eine Woche strenges Fasten auferlegt. Und der ehrwürdige Pater Augustinus, ihr kennt ihn, wurde als unser Beichtvater ausgewählt, weil er sich den Ruf eines Eiferers für die unbedingte Keuschheit erworben hat.“
Wieder blickte sie eine Weile zum Boden, bis ein Ruck durch ihren Körper ging. Sie hatte sich entschieden, die Gelegenheit zu nutzen.
„Ihr müsst wissen, Pater Gerhart, dass ich bereits verheiratet war, mit Graf Ulrich von Ulrichstein. Doch nach einem Jahr verunglückte er bei einem Ausritt. Da Gott uns keine Nachkommen geschenkt hatte, beschlossen mein Schwager und meine Schwiegermutter, mich in dieses Kloster zu stecken, um sich ihrer Verantwortung für mich zu entledigen.“
„Und du fühlst dich nicht berufen für ein Leben als Ordensfrau?“, half Gerhart ihr auf die Sprünge, als der Redefluss wieder zu versiegen drohte. „Du glaubst, dass der Weg der Enthaltsamkeit nicht dein Weg ist?“
„Ihr sagtet heute Morgen“, fuhr Schwester Klara ausweichend fort, „dass Mönche der Gnade Gottes noch viel stärker bedürften als wir Nonnen. Ihr Leib und ihre Natur, sagtest du, bescherten den Männern ein ums andere Mal das schändliche Erlebnis der fleischlichen Lust mit ihrem Ausfluss. Wenn dies bei Nacht geschehe und ohne ihr Zutun, trügen sie daran zwar keine direkte Schuld. Aber der Hang zur Sünde sei dadurch umso größer, als sie diesen flüchtigen Augenblick einer verderblichen Verzückung immer wieder erleben, so als ob Satan selbst sie stetig in Versuchung führen wolle. Die Natur von uns Frauen, sagtet ihr, kenne zwar den anderen Ausfluss, aber gerade nicht diesen wiederkehrenden Lockruf der Wollust, weshalb wir leichter die Gefahr für unser Seelenheil umschiffen könnten.“
„Das ist richtig, das sagte ich, und zwar, weil darin, wenn sie auch in anderen Punkten unterschiedlicher Ansicht sind, Theophrast von Alexandrien, Gundobald von St. Liuben und selbst der große Guillaume von St. Etienne übereinstimmen.“
„So, tun sie das?“, murmelte Schwester Klara nachdenklich vor sich hin, erinnerte sich an die Wonnen, die die tiefe, warme und allzu oft ohne ihr Zutun feuchte Einkerbung zwischen ihren Schenkeln ihr schon beschert hatte, und wagte es schließlich, ihre Zweifel auszusprechen.
„Ich glaube, Pater Gerhart, was diese drei in ihrer Weisheit über die Natur der Frauen und die Lockungen des weiblichen Fleisches sagen, mag vielleicht für einige meiner Mitschwestern gelten. Doch was soll ich sagen, die ich die Verzückung der Wollust so oft an meinem eigenen Leib erfahren habe? Und die ich nun gezwungen worden bin, Keuschheit zu versprechen. Dabei fühle ich mich viel zu schwach, gegen die Versuchung anzukämpfen! Wie kann ich so leben, ohne mich ständig zu versündigen. Auf der einen Seite muss ich Enthaltsamkeit versprechen. Auf der anderen Seite knete ich beinahe jede Nacht an dem Knoten der Verzückung und reibe verzweifelt die vom Verlangen träufelnde Spalte der Lüsternheit, bis ich in die süßen Krämpfe des sündigen Leibes verfalle, um endlich zur Ruhe zu kommen. Sagt mir, wie kann ich so zum Seelenheil gelangen?“
„Schwester Klara, was sagst du mir da? Was willst du von mir? Ich bin nur ein einfacher Mönch, der selbst mit der Versuchung ringt. Mir wurde die Aufgabe zugewiesen, die Messe zu lesen und die Kirchenlehrer zu studieren. Wie soll ich, der ich nicht in den Dienst der Führung der Seelen eingewiesen wurde, dir eine Antwort geben? Was kann ich dir anderes raten, als im immerwährenden Gebet die Gnade Gottes zu erflehen?“
„Nichts anderes habe ich in den letzten Monaten getan“, antwortete die Sakristanin mit verzagter Stimme. „Auch kann ich nichts von euch verlangen. Aber darf ich euch wenigstens inständig darum bitten, in euren Büchern nachzuschlagen, ob dort Trost und Hilfe für mich verborgen sind?“
Schweigend schüttelte er den Kopf. Doch als sie sich mit gesenktem Haupt auf den Weg zur Krypta machte, um durch den unterirdischen Gang ins Refektorium im Nonnentrakt zu eilen, da hatte Pater Gerhart ein Einsehen mit ihr.
„Lass uns in einigen Tagen noch einmal darüber sprechen“, rief er ihr nach, „vielleicht gibt es einen Ausweg.“
*
Der Prior hatte ihm ohne weitere Nachfragen die Erlaubnis gewährt, der neuen Sakristanin die Einzelheiten der Liturgie zum Patronatsfest des Klosters zu erklären. Ihn drückten an diesem Tag ganz andere Sorgen. Schließlich stand die Zukunft des Konvents auf dem Spiel.
„Habt ihr auch schon die Gerüchte gehört, dass heute die Gesandtschaft vom Generalkapitel zurückkehren soll“, fragte denn auch Schwester Klara ganz aufgeregt, ohne den großen Kerzenständer aus der Hand zu legen, den sie gerade polierte.
„Ja, und sie werden schlechte Nachrichten mitbringen“, erwiderte Gerhart bekümmert. „Aller Voraussicht nach ist das Ende der Doppelklöster beschlossene Sache. Ihr werdet sehr bald zu den Nonnen nach Steinlinden geschickt und die dortigen Mönche kommen hierher nach Eichmühlen. Wir werden uns also nicht mehr wiedersehen. Lass uns daher keine Zeit verlieren.“
„Du hast etwas herausgefunden?“, fragte Klara voller Hoffnung.
„Nun, leider nicht viel, was dir in deiner Seelennot helfen würde. Ich fürchte, wenn Gott dir nicht bald die Gnade der Enthaltsamkeit schenkt oder wenn sich vor dem Ablegen der ewigen Gelübde kein anderer Ehemann für dich findet, der die Glut deines vor Begehren brennenden Fleisches lindert, dann wird dich die Sünde immer wieder einholen. Allerdings, wenn dir dies als Trost gilt, gibt es über den Grad der Sündhaftigkeit deines geheimen Tuns Uneinigkeit in den Schriften, die ich konsultiert habe. Aber gehen wir Schritt für Schritt voran. Ich möchte erst einmal begreifen, wovon die Kirchenlehrer und Theologen überhaupt sprechen, wenn sie von den Gelüsten des Weibes sprechen, denn meine Kenntnis um die Natur der Frauen ist verständlicherweise begrenzt.“
„Was möchtest du wissen?“
„Paulus sagt, der Mann solle seine Pflicht der Frau gegenüber regelmäßig erfüllen und ihr beiliegen. Dein Mann hat dies wohl häufig getan, da du das letzte Mal davon gesprochen hast, dass du oft die Verzückung der Wollust am eigenen Leib erlebt hast.“
„Oh ja“, begann Klara, in ihrer Erinnerung zu schwelgen, „Graf Ulrich verstand sich wahrlich darauf, die ehelichen Pflichten nicht nur zu erfüllen, sondern sie zu einem Quell der Freude für mich zu machen. Und auch ich war nur allzu gerne dazu bereit, ihn bei Laune zu halten und gleichzeitig immer so auszulaugen, dass keine Gefahr bestand, dass er der Unzucht mit anderen Frauen verfallen würde. Kaum ein Tag verging, ohne dass er nicht schon beizeiten damit begann, mir in den Nacken zu beißen oder mit seinen starken Händen meine Brüste zu wiegen, um mich gebührend vorzubereiten. Lagen wir dann im Bett, unterließ er es nie, mich so lange zu liebkosen, bis der Freudentau aus meiner Pforte rann und ihn zum Aufspringen einlud.“
„Der Freudentau?“, fragte Gerhart verwundert.
„So nannte er das Öl der Begierde, das sich

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Kommentare
Kommentare: 76
Sehr interessant geschrieben. Gibt es davon auch eine Fortsetzung?
Gruß Martin«
Kommentare: 215
Eine interessante Geschichte, mit keinem HappyEnd. Der einzige Malus an der Geschichte.«
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