Paul Heihl - die vierte Loge 2
von Jeremy Kottan
Die Kapitel
Teil 2
Kapitel 7 – Die Tempelhure Mai-Lin
Kapitel 8 – Der unheimliche Keller des Tempels
Kapitel 9 – Mahatma und Kung-Fu
Kapitel 10 – Die Hölle ist nicht weit genug
Kapitel 11 – Sterben ist nicht einfach
* * *
Kapitel 7
Die Tempelhure Mai-Lin
Während ich aufgeregt, mit Spannung und Neugier durch die Gänge des Tempels stromerte, kam ich an den abgetrennten Zellen, den Séparées vorbei, die natürlich ganz besonders meine Aufmerksamkeit erregten. Zu dumm, dass fast alle Türen zum Schutz vor den Blicken allzu interessierter Menschen geschlossen waren. Zwar hielten sich einige Paare nicht an dieses Gesetz und ließen die Türen offen stehen. Aber wenn man die anderen Mitglieder am Liebesakt teilnehmen lassen, sich zeigen oder nur zugucken wollte, kam man in den offenen Räumen und Nischen viel besser auf seine Kosten.
Die Séparées boten den Mitgliedern Diskretion und Intimsphäre. Hier herumzuschnüffeln stellte eine Todsünde dar, das merkte sogar ich als unbeteiligtes „Tempel-Greenhorn“. Trotzdem – ja vielleicht gerade deshalb - zogen mich die hinteren Räume in ihren Bann. Ich konnte sie nicht ignorieren, einfach so an ihnen vorbeigehen, denn weiter hinten stand an einer der Türen eine Gestalt in einer blauen Robe, die interessiert zu mir herübersah.
Schleppend, mit bleiernen Füßen ging ich in Richtung des geheimnisvollen „Kerkers“.
Die Person vor mir streckte einladend ihre Hand aus.
„Komm!“, lud mich eine warme weibliche Stimme ein. Langsam zog das Wesen vor mir seine Kapuze herunter, Stück für Stück, so feierlich als enthülle es sich selbst wie ein Denkmal.
Ich erstarrte beim Anblick einer zierlichen Frau, aus deren Gesicht mich zwei große rehbraune Kulleraugen ansahen.
Noch immer hielt sie meine Hand fest.
„Alle hier nennen mich Mai-Lin“, hauchte sie mir verführerisch entgegen. „Komm zu mir herein. Ich mache dich glücklich.“
Die Mätresse – es musste eine sein - ging ein Stück rückwärts in den Raum. Sie ließ mich los, behielt mich aber im Auge. Ihren Blick fest auf mich gerichtet, öffnete Mai-Lin langsam ihre Robe, streifte sie über die Schultern hinab, und ließ den Stoff lautlos zu Boden fallen.
Sie stand nackt vor mir und sah mich einfach nur an.
Das rassige, gebräunte Gesicht strahlte eine Schönheit aus, wie ich sie selten zuvor bei einer Frau sah. Dabei gehört Schönheit ja in die Kategorie „Geschmackssache“, und auch das Wort „hübsch“ gibt nur die Sichtweise des Betrachters wieder. Doch Mai-Lins Anmut lässt sich mit diesen beiden gleich bedeutenden Worten „schön“ und „hübsch“ nicht im vollen Umfang beschreiben.
Die straffen Brüste, die langen Beine und festen Schenkel, ein zart behaartes, gepflegtes Dreieck, das ihre Scham bedeckte, der flache Bauch und die wohlgeformten Hüften, all das vereint zu einem vollkommenen Körper.
Noch einmal streckte sie ihre Hand nach mir aus.
„Komm!“, sagte sie wieder mit warmer Stimme. Fast unbemerkt fuhr sie sich mit der Zunge über die vollen roten Lippen, sodass diese anschließend auffallend glänzten.
Ich betrat das Zimmer und schloss hinter mir die Tür.
Etwas verloren stand ich auf der Stelle, als Mai-Lin mich mit kurzen Schritten immer wieder umkreiste.
„Bist du ein Mitglied?“, fragte sie mich. „Ich habe dich hier in den Séparées noch nie gesehen.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein“, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß, „ich bin Besucher.“
Sie blieb kurz stehen und sah an mir herunter.
„Dann solltest du nicht hier sein.“
„So? Und warum nicht?“, fragte ich vorsichtig.
„Weil hier die Schattenwelt der menschlichen Abgründe beginnt. Das ist nichts für Gäste.“
Sie stoppte ihr Gesicht kurz vor meinem, und blinzelte mich neckisch an. Dann flüsterte sie: „Ich bin eine Mätresse, eine Tempelhure, eine Auserwählte des Meisters, und nicht jeder hat Zugang zu mir. Das hast du aber mitbekommen, oder?“
Ohne es mir vorher zu sagen, zog sie mir die Kapuze vom Kopf und streifte den schwarzen Umhang ab, der meinen nackten Körper verhüllte.
Von oben bis unten musterten mich ihre gierig glänzenden Augen, sie sagte aber nichts, obwohl ich spürte, dass sie mich ganz genau begutachtete und meine Statur sie beeindruckte.
Von dieser Frau ging etwas Geheimnisvolles aus. Beide wussten wir, dass ich sie nicht im Séparée besuchen durfte. Trotzdem versuchte sie, mich bei sich zu halten, und ich versuchte, bei ihr zu bleiben.
Ganz leicht hielt sie mich am Arm und sagte leise: „Hier ist für Fremde ein Ort voller Pein und Qual, ein wahrhaft düsterer Ort.“
Bei ihren Worten spürte ich, wie mich ein Zittern durchlief, während sie mich mit ihren großen braunen Augen durchdringend ansah.
Sie ließ von mir ab und lief wieder im Kreis um mich herum.
„Wenn du bleibst, tauchst du ein in diese düstere Welt, du wirst ein Teil von ihr“, sagte sie. Von hinten schob sie ihre Arme durch die meinen, faltete die Hände über meinem Bauch und hielt mich fest umklammert. Dabei drückte ihre Vagina gegen meinen Po, leidenschaftlich und verlangend.
„Du wirst vollkommen in diese Welt aufgehen, oder Angst vor ihr bekommen.“
„Dann werde ich wohl lieber gehen“, sagte ich, während ich heimlich nach dem Umhang schielte, den Mai-Lin achtlos auf das halbrunde Bett geworfen hatte.
„Ich habe tatsächlich Angst vor Geistern und Dämonen.“
„Davon sagte ich nichts. Ich meinte nicht irgendwelche Spukgestalten, sondern allein deine Fantasie, die dir die tiefsten Abgründe deiner Seele offenbart, die dir Bilder zeigt, die du vielleicht lieber nicht sehen möchtest.“
„Ich habe ein ziemlich klares Bild von mir selbst. Ich weiß genau, was mit mir los ist und ich kenne mich sehr gut.“
„So, meinst du?“
Ich nickte selbstbewusst.
„Das mag ja sein. Nur du bist noch nicht mal ein studierendes Mitglied, hast also keine Ahnung, was dich hier in der vierten Loge erwartet.“
„Das ist hier die oberste Liga?“ fragte ich erstaunt. Ich rührte mich nicht vom Fleck, wich aber ihrem Blick aus.
„Ja! Was glaubst du denn, wo du hier bist?“, fragte Mai-Lin mich schließlich.
Plötzlich wirkte sie angespannt und schien über meine Anwesenheit nicht mehr glücklich zu sein. Wohlmöglich stellte meine Gegenwart ein Risiko für sie dar, das sie selbst nicht einschätzen konnte. Deshalb überspielte ich die drohende Pause mit einer taktischen Frage.
„Warum nur das ganze Theater mit dem Orden und so. Weshalb könnt ihr nicht einfach ein ganz normaler Swingerklub sein - oder ein Bordell.“
„Weil wir dann genau das wären: ein Swingerklub und ein Puff. Das sind wir aber nicht“, antwortete sie ausweichend.
„Und wieso nicht? Wenn ein Mann und eine Frau zusammenkommen, ist die sexuelle Handlung, der Vorgang immer derselbe. Daran gibt es nichts herumzudeuten. Der Volksmund nennt das Ficken. Basta!“
Mai-Lin schüttelte überzeugt den Kopf.
„Wir haben eine andere Ideologie, eine Kultur, die Leuten wie du es bist, verborgen bleibt, denn unsere Geheimlehre wird nur innerhalb des Zirkels an die Eingeweihten weitergegeben. In den Geheimbünden wie dem Mahatma-Orden wird eine Arkandisziplin gefordert, das heißt, dass nach außen nichts über Mitglieder, die Symbole, die Lehre und die Rituale verbreitet werden darf. In unseren Zusammenkünften werden Belehrungen über das geheime Wissen gegeben und rituelle Feiern ausgerichtet – schon deshalb dürftest du gar nicht hier sein“, stieß sie heftig hervor und sagte dann etwas verhaltener: „Wenn du auch meinst, etwas zu wissen, stößt du immer nur auf das Körperliche, nämlich den Sex. Aber wenn du dich besser auskennen würdest, wüsstest du zu unterscheiden, dass Sexualität nur ein Bruchteil – wenn auch ein entscheidender - von dem ist, was wir wissen, lehren und leben.“
Sie nickte entschlossen, schien sich durchgerungen zu haben, mir doch noch etwas zu erzählen.
„Bei den Mormonen ist es das Gleiche. Allein die Vorurteile, dass die Männer dort mehrere Frauen haben, reicht aus, um die gesamte Gemeinschaft zu diskriminieren. Nur wenige Menschen machen sich die Mühe, hinter die Kulissen zu schauen. Nur sie wissen von den geheimen Tempelritualen, von den Belehrungen, Handgriffen und Zeichen, von der Sieglung und die stellvertretende Taufe für Tote. “
Mai-Lin löste ihre Umklammerung und kam zu mir nach vorn herum. Sie stand direkt vor mir, nur mit einem spiralförmigen, mit kleinen Steinen besetzten Amulett bekleidet, das an dünnen Lederriemen um ihren Hals baumelte. Das lange schwarze Haar hing auf bezaubernde Art um ihren Kopf bis auf die straffen Brüste. Ich hatte das dringende Bedürfnis, diese strammen Titten anzufassen, ich wollte sie kneten und küssen. Nur ihr strenger Blick, ihre Augen hielten mich davon ab. Aus ihnen schien es Blitze zu sprühen.
Sie stemmte die Hände in die Hüften. Herausfordernd sah Mai-Lin mich an, als sie sagte: „Aber um mit mir zu diskutieren, bist du nicht hier. Ich weiß: Du bist nicht so lieb, wie es den Anschein hat. Habe ich recht? Du bist nicht brav. Du bist ein versauter Kerl, der aus sich hervorbricht, wenn er darf, und alles ausprobiert, was eine Frau und seine Fantasie ihm anbieten. Es stimmt doch, was ich sage, oder?“
Sie schien nachzudenken, was sie mir als Nächstes erzählen sollte, wartete dann aber doch lieber auf meine Antwort. Ich war jedoch vorsichtig und schwieg.
„Es ist, wie ich sage. Vielleicht ist das sogar der einzige Grund, weshalb du hier bei mir bist.“
„Ich verstehe nicht“, murmelte ich leise, worauf Mai-Lin mysteriös lächelte.
„Zu meinen Aufgaben gehört es, bei jedem Mann sicher zu sein, was er wirklich will, und ihm Sicherheit zu geben, dass er bekommt, was er will.“
„Du sprichst in Rätseln“, bestätigte ich ihr.
„So wie du mir etwas vormachst“, konterte sie. „Du bist höflich, freundlich, charmant. Offensichtlich gefalle ich dir und meine Schönheit imponiert dir. Trotzdem denkst du von mir, ich sei eine Schlampe.“
„Bist du eine hellsehende Gedankenleserin – oder was soll das werden?“
Na das war ja etwas ganz Neues für mich: Parapsychologie!
Unbeeindruckt durch meinen Einwand, fuhr Mai-Lin fort: „Du hast recht, mit dem was du über mich denkst. Ich bin eine unanständige Schlampe; eine Hure! Ja, und ich bin das gern. Deshalb werden wir nicht über Mormonen und den Orden reden, sondern das machen, weswegen du hier bist.“
Ich erstarrte. Aus ihrem Mund klang es wie das Lachen des Teufels.
* * *
Mai-Lin hielt mir einen Pinsel hin mit buschigen Borsten, die aus einem bemalten Holzstiel ragten, und sagte: „Schau ihn dir genau an. Die Borsten … sie bestehen aus den Schamhaaren meiner Muschi.“
Ich lachte laut auf.
„Wer’ s glaubt.“
„Doch! Sieh nur. Ich habe ihn extra für mich anfertigen lassen.“
„Hör mal zu! Ich will dich ja nicht beleidigen, aber jetzt willst du mich ziemlich verarschen, was? Das ist ein ganz normaler Kosmetikpinsel, den man in jeder Drogerie oder im Supermarkt kaufen kann.“
Sie kicherte verhalten.
„So, meinst du?“, fragte sie wieder.
„Ja das meine ich.“
„Aber es könnte trotzdem so sein, wie ich sage.“
„Eher unwahrscheinlich; und besonders spaßig finde ich das auch nicht. Ich meine … das ist doch albern.“
„Sicher bist du aber nicht?“, gab Mai-Lin kritisch zurück. Ihre Lider zuckten.
„Nein! Bei allem was ich hier bisher erlebt habe, bin ich mir wirklich nicht sicher. Du müsstest dann aber rasiert sein und davon sehe ich nichts.“
„Lass deine Fantasie doch mal etwas abschweifen und sei nicht so pedantisch dem Realismus verfallen. Träume und Vorstellungskraft gehören zu den höchsten Tugenden, die ein Mensch besitzen kann.“
Sie biss sich auf die Unterlippe, kniff das rechte Auge zu und sah mich einäugig mit dieser interessanten Mimik Sekunden lang an. Danach entspannte sie ihre Gesichtsmuskeln wieder, wie nach einer Gymnastikübung.
„Die Haare stammen natürlich nicht von nur einer Rasur, und dass sie wieder nachwachsen, davon hast du schon gehört, oder?“
Sie hob den Kopf etwas und sah mich fragend an.
„Doch … doch“, stotterte ich verlegen. Ein wenig ernüchtert sah ich zu ihr hinüber. Inzwischen ging Mai-Lin zu dem Schrank, der hinter einer großen Spiegeltür versteckt war und seitlich neben dem halbrunden Bett stand. Sie entnahm ihm von einem Stapel einen weißen Panamahut und gab ihn mir.
„Setz den auf!“, befahl sie mir tonlos.
Irritiert blickte ich sie fragend an.
Sie nickte mir aufmuntert zu.
„Setz den Hut auf. Er ist ganz neu. Niemand sonst hat ihn vor dir getragen“, sagte sie.
„Ihr scheint ja mächtig auf Kopfbedeckungen zu stehen“, krächzte ich. „Hüte, Kapuzen …“
„Der Panamahut aus Ecuador verleiht dir Macht. Er schenkt dir Überlegenheit und ist bei uns ein Symbol für Stärke, und … und er steht dir.“
Das alles sollte ein einziger, eleganter, weißer Hut mit schwarzem Hutband und großzügiger Krempe bewirken?
„Der Strohhut?“
„Was sonst“, lachte sie.
Während ich den Hut zurechtrückte und mich im Spiegel betrachtete, nahm Mai-Lin eine flache Keramikschale aus dem Schrank.
„Ist der Hut besprochen, mit einem Hexenzauber belegt?“, wollte ich wissen.
„Quatsch. Er ist das, was du in ihm hineininterpretierst.“, entgegnete Mai-Lin. Aus einem Tütchen dosierte sie vorsichtig etwas grünes Pulver in den Behälter, indem sie behutsam mit dem Zeigefinger auf die Tüte klopfte.
Ich warf der Frau einen kritisch, neugierigen Blick zu. Sie wischte sich eine Strähne ihres schwarzen Haars aus der Stirn, bevor sie aus einer kleinen, dickbauchigen Flasche eine Flüssigkeit, die wie Öl aussah, in die Schale schüttete. Sie zögerte - nur kurz. Dann nickte sie sich selbst zu und vermengte mit dem Finger die Flüssigkeit und das Pulver in der Keramikschale.
Ich muss Ihnen gestehen: Am Anfang war ich so naiv zu glauben, ich könne hier einfach so hereinspazieren, die Frau mal eben flachlegen, mich mit ihr ein wenig vergnügen und dann wieder mir nichts, dir nichts – so als wäre nichts gewesen - verschwinden.
Weit gefehlt!
Hier lief alles nach eigenen Regeln. Aus allem wurde ein Ritual, eine Zeremonie gemacht.
Ohne die Keramikschale aus der Hand zu legen, ging die junge Frau vor mir herunter und kniete sich vor mich hin. Blitzschnell schnappte sie mit dem Mund nach meinem hängenden Penis, presste die Lippen hinter der Eichel zusammen und krabbelte langsam auf allen vieren rückwärts in Richtung des runden Bettes. Mit kurzen Schritten, den Hintern fest zusammengekniffen, lief ich, als hätte ich einen Stock im Arsch, meinem lang gezogenen Schwanz hinterher.
„Was soll das werden?“, keuchte ich vor Überraschung, als ich ihren warmen Atem, ihren feuchten Mund an meiner Kuppe spürte.
„Leg dich aufs Bett, junger Mann“, befahl sie mir mit einem warmen, aber bestimmenden Ton, als wir dort ankamen.
Ich gehorchte und legte mich auf den Rücken. Dabei verlor ich den Strohhut, was im Augenblick aber niemanden kümmerte.
Mai-Lin kniete sich zu mir aufs Bett. Sie tauchte den „Muschihaarpinsel“ in die Tinktur und hielt mir die Mixtur an den Sack. Mit sanftem Pinselstrich fuhr sie mir über den Beutel, anschließend über den Penis hoch bis zur Eichel, dann wieder herunter bis zum Beutel.
Ich erschauderte.
Jede einzelne Zelle meines Körpers schien bei dieser Stimulanz zu erwachen.
Noch einmal tauchte Mai-Lin den Pinsel in die Schale. Sie schmierte immer wieder meinen Penis mit diesem grünen, breiartigen Zeug ein.
Gespannt sah ich zu ihr herunter und beobachtete genau, was passierte.
Nachdem sie meine Rute mit der Mixtur einbalsamiert hatte, brannte er wenig später wie ein ausgetrockneter Wald und gleichzeitig schrumpfte er, als hätte ich ihm einen Eisbeutel auf die Kuppe gelegt.
„Was hast du gemacht?“, schrie ich sie entsetzt an. „Du hast mein Geschlecht verätzt!“
Ich richtete mich auf und setzte mich breitbeinig vor sie hin, während ich ängstlich beobachtete, was mit meinem besten Stück passierte.
Mai-Lin lächelte gelassen. Mit zwei Fingern stieß sie gegen meine Brust und drückte mich zurück in die waagerechte Position.
„Warte!“, sagte sie.
Ich wartete.
Es passierte nur nichts. Nicht gleich.
Aber dann – als ich mächtig Panik schob – fuhr er aus wie eine Teleskopantenne. Stück für Stück wurde mein Penis länger. Ich konnte zusehen, wie er ohne mein Zutun wuchs. Trotzdem brannte mein Geschlecht noch immer, als hätte sie mir eine halbe Gallone japanisches Minzöl drüber gekippt.
Was allerdings als bemerkenswerte Nebenwirkung auftrat, war eine unvorstellbar heftige Erektion. Zwar hatte ich bisher noch nicht so viele Gelegenheiten zum Ficken, wie sich das für einen jungen Mann in meinem Alter vielleicht gehörte, und mir fehlten deshalb ein bisschen die Vergleichsmöglichkeiten. Dennoch: Nie zuvor bekam ich - so weit ich mich zurück erinnern konnte - eine solche Erektion.
Ich konnte mir plötzlich vorstellen, dass jeder Mann das hoch gelobte Viagra als wirkungslose „Büffelscheiße“ in den „Müller“ würfe, wenn er nur einen Fingerhut von diesem grünen Zauberbrei bekommen könnte.
Mai-Lin öffnete ihre vollen Lippen und ließ fast zeremoniell meinen erigierten Schwanz tief in ihren Mund fahren. Für sich allein genommen war das nichts Besonderes, nur eine Aktion, die man von einer professionellen Hure erwarten durfte. Nur, dabei blieb es nicht!
Mai-Lin verharrte einen Augenblick. Dann näherten sich ihre Lippen meinem Bauch. Immer tiefer schluckte sie meinen Penis. Ich konnte nicht glauben, was ich sah und noch weniger, was ich fühlte. Ich traute meinen Augen, meinem Gespür nicht. Diese geradezu betäubend schöne Frau ließ meinen Schwanz – wie eine „Schwertschluckerin“ - bis zur Wurzel in ihrem Rachen verschwinden, so weit, bis ihre Lippen an meinen Sack stießen, bis es nicht mehr weiter ging. Gleich musste sie würgen, ersticken, da war ich mir sicher.
Im selben Moment spürte ich das Bedürfnis, in sie zu spritzen.
Auf der Stelle!
Vielleicht wartete sie ja auch nur darauf, dass der Trieb, die Erregung, der Sinnesrausch mich derart überfielen, um genau das zu tun. Oder sie wollte, dass ich ihr bedingungslos ins Netz ging, vielleicht auch nur um zu prüfen, wie es mit meiner Selbstbeherrschung aussah.
Ich wusste es nicht!
Nur eines hatte ich schon recht bald gelernt: Frauen sind manchmal wie heiße Eisen, an denen man sich leicht verbrennen kann – oder sie sind wie Eis, so kalt, dass man schockgefriert. Bei Mai-Lin wusste ich nicht, woran ich war, noch nicht.
Sie nuckelte, saugte ein wenig. Dann begann sie, mir mit rhythmischen Bewegungen mit dem Mund einen „abzunudeln“. Während sie das tat, pinselte sie meinen Sack wieder ein, und anschließend herunter bis zum Anus.
Ich zuckte zusammen und unterdrückte nur mit Mühe ein lautes Kreischen. Mein Beutel kribbelte, als liefe eine wild gewordene Horde von Ameisen darüber.
Ich kniff den Hintern zusammen und hob ihn an.
„Ich komme gleich“, keuchte ich schwer. Überall prickelte, kitzelte, juckte es.
Sie schluckte den „Haselstock“ wieder ganz, bis ihre warmen, weichen Lippen am Sack anstießen. Dann begann sie zu saugen und ihre Lippen fuhren sanft nach oben zur Spitze; und wieder herunter – zwei-, dreimal.
Ich spürte, wie mir der Saft hochstieg.
„Ja … ja …“, winselte ich. Alle Muskeln begannen zu zittern, als würde mich die Kraft meines Körpers verlassen, um sich unten im Hoden zu bündeln.
Hilflos zappelte ich unter ihr, und mein erigierter Schwanz zuckte in ihrem Mund, ohne zu ejakulieren.
Immer wieder versuchte ich, meinen Penis noch tiefer in ihren Mund zu stecken.
Ergebnislos.
Hier führte Mai-Lin Regie.
Sie gab meinen Schwanz frei und leckte mit ihrer nassen, warmen Zunge um den Kranz meiner Eichel. Ihre weichen Lippen stülpte sie immer wieder über meine Kuppe, nur kurz, um anschließend wieder zu lecken.
Jetzt gab es kein Halten mehr.
„Jaaahhh“, brüllte ich los. „Ja … ich komme!“
Mit einer gewaltigen Wucht schoss mir das Sperma durch die Rute. Ich spritzte ab, wie wohl nie zuvor. Direkt in ihren geöffneten Mund.
Sie sammelte meinen Samen auf der Zunge und spuckte ihn danach zurück auf den Penis. Anschließend leckte sie ihn noch einmal ab, ließ ihn aber kurz darauf abermals aus ihrem Mund herauslaufen.
Sie schluckte meinen Samen nicht. Nein! Sie gab ihn mir zurück, wieder und wieder.
„Mach’ was!“, flehte ich sie an. „Tu’ irgendetwas gegen meinen harten Schwanzhammer.“
Mai-Lin schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte sie, „ noch nicht. Den brauchen wir noch ein wenig.“
„Dann fick ich dich! Auf der Stelle“, brüllte ich ihr entgegen.
Wo sollte ich hin mit meiner Gier? Wer sollte meine Lust in den Lenden bändigen?
„Nein … nicht. Nicht gleich.“
Sie setzte sich, schloss ihren Schoß und wich vor mir zurück, als machte ich ihr Angst. Doch die Tempelhure hatte keine Angst vor mir. Die Verführung strahlte geradezu aus ihren Augen.
„Küss meine Brüste“, verlangte sie schamlos.
Ich gehorchte ihr, streichelte ihre Titten, knetete sie. Mit meinem vibrierenden Zeigefinger lockte ich ihre Warzen aus den dunkelroten Vorhöfen. Ihre steifen Nippel luden mich ein an ihnen zu lecken, an ihnen zu nuckeln.
„Macht dich das geil, Mai-Lin?“, wollte ich wissen.
„Es gefällt mir“, antwortete sie ausweichend. Sie spürte ein wohliges Kribbeln im Schoß, und ohne dass sie es wollte, spreizte sie ihre Beine.
„Soll ich dir lieber die Pussy lecken?“, fragte ich sie daraufhin. „Würde dir das vielleicht noch mehr gefallen?“
Sie lächelte dünn.
„Du kannst es versuchen“, schlug sie vor …
Ich war mir nicht sicher, ob Mai-Lin mir diese Option nur vorspielte, oder ob sie wirklich so großen Spaß am Sex mit mir hatte. Aber ich wollte daran glauben und weil ich glaubte, konnte ich es genießen.
Denn in den Monografien stand noch so einiges, was sie mir unbedingt zeigen wollte.
* * *
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als wir aufstanden.
Etwas benommen steuerte ich das Waschbecken an, nahm den Panamahut ab und sah in den Spiegel. Während ich mich wusch, spürte ich, wie die Anspannung meinen Körper verließ. Mai-Lin stand seitlich von mir. Sie beobachtete mich dabei. Irgendwie sah sie gezwungen, unnatürlich aus. Ihre Augen blickten mich noch immer verlangend an.
„Wenn eine Frau gestreichelt werden will, dann streichle sie“ sagte die junge Frau in das Rauschen des Wassers hinein.
„Wenn sie dich darum bittet, sie zu küssen, ihre Brüste zu kneten, sie unten zu lecken, dann tue auch das. Und wenn sie zu dir sagen sollte, dass du sie benutzen, ihr Dinge sagen sollst, die sie hören will, dann mache das genau so, wie sie es verlangt. Aber tu' eines niemals: Zwinge sie keinesfalls zu irgendetwas, das sie nicht will. Hörst du?“
„Würde ich nie machen!“ behauptete ich.
Zustimmend nickte Mai-Lin mir zu.
„Du bist ein wunderbarer Liebhaber“, lobte sie mich mit rotem, erhitztem Gesicht.
Sie reichte mir meine schwarze Robe. Ich zog sie über, und noch bevor ich mich bedecken konnte, nahm Mai-Lin ihr Amulett ab und hängte es mir um den Hals.
„Es soll dich an mich erinnern“, sagte sie. „Denke an mich, wenn du willst; so oft du das möchtest.“
Sie gab mir einen Klaps auf den Hintern.
„Es hat sich gelohnt, dich kennen zu lernen. - Jetzt aber raus mit dir.“
Ich stülpte mir die Kapuze über den Kopf.
„Mach’ s gut, Paul“, sagte sie zum Abschied.
Ich erstarrte im gleichen Moment zur Salzsäule.
„Woher kennst du meinen Namen?“, wollte ich wissen. „Ich erwähnte ihn nicht.“
Wortlos schob sie mich hinaus in den Gang und schloss hinter mir die Tür.
Eine Antwort blieb die schöne Tempelhure mir schuldig.
Benommen wachte ich auf, wie aus einem angenehmen Traum.
Kapitel 8
Der unheimliche Keller des Tempels
Ich suchte Corvina und fand eine Weile später im großen Tempel eine schwarz verhüllte „Figur“, die auf dem Boden saß und den Musikern zusah, die noch immer weit weg von der Realität vor sich hintrommelten.
„Corvina?!“
„Wo warst du denn so lange, verdammt noch mal. Ich suche dich ewig.“
Ich lächelte hinter der Kapuze. „Tatsächlich?“
„Ja tatsächlich.“ Corvinas Stimme klang forsch.
Ich versuchte sie zu beruhigen, deshalb sagte ich als wäre nichts geschehen: „Es ist nicht so leicht dich zu finden, wenn alle gleich aussehen.“
„Ich denke du bist Detektiv. Da dürfte es für dich ja wohl kein Problem sein, einen Menschen aufzufinden.“
„Ich habe mich – wie gesagt - ein wenig umgesehen, aber jetzt können wir meinetwegen abhauen, wenn du willst.“
„Ach wie schön. Und das Umsehen dauert Stunden“, entgegnete Corvina leicht gereizt.
Meine gute Laune regte sie auf.
„Okay. Hauen wir lieber ab“, entgegnete ich lässig, ihre schlechte Stimmung ignorierend.
Corvina griff nach meiner ausgestreckten Hand, und ich zog sie vom Boden hoch.
Unbehelligt gelangten wir zu der Garderobe und zogen unsere Kleider an. Als wir damit fertig waren, bemerkte ich den weißen Panamahut in meinem Fach.
Ich nahm ihn heraus und setzte die „Macht“ und die „Überlegenheit“ gleich auf.
„Schau mal, Corvina“, sagte ich, „ich habe ein Geschenk bekommen.“
Überrascht sah sie mich sekundenlang an. Dann verschloss sie mit beiden Händen ihren Mund und lachte kreischend los.
„Was ist?“
„Er steht dir nicht … Himmel, siehst du komisch damit aus“, hänselte sie mich, als wir gemeinsam den Ausgang ansteuerten.
„Nimm bitte diese seltsame Kopfbedeckung herunter. Sie ruiniert dein Aussehen.“
Ich kam nicht mehr dazu, denn bevor wir die Tür erreichten, sahen wir eine Delegation der „Zuckertüten“ von allen Seiten auf uns zukommen. Eine laute Stimme ertönte hinter uns.
„Wir haben Gäste. Wie schön. Guten Abend meine Freunde“, sagte der weiß Vermummte. Sein Gefolge bestand aus fünf Maskierten, die sich dicht hinter ihm aufstellten.
„Ich hoffe sehr, unsere Darbietungen haben Sie nicht zu sehr erschreckt. Sie können auch gleich ihren Weg fortsetzen, wenn Sie möchten. Aber vorher werden Sie uns sicher unser Eigentum zurückgeben. Nur deshalb sind sie ja hier, oder.“
Corvina und ich sahen uns an und fieberhaft überlegten wir, was wir sagen sollten. Natürlich hatten wir die Monografien nicht dabei, und deshalb fiel uns der Entschluss die Ahnungslosen zu spielen nicht schwer.
„Was für ein Eigentum?“, fragte ich verdrießlich.
„Ich denke da an die Dokumente, die Sie uns entwendet haben.“
„Na, hören Sie mal“, kreischte Corvina, „sind Sie verrückt? Wir haben Ihnen nichts gestohlen. - Wir wissen nicht, wer Sie sind, aber wenn Sie sich einbilden, Sie könnten uns gängeln …“
„Das Maul sollen Sie halten!“, schrie der Meister sie an und Corvina wich entsetzt einen Schritt zurück.
„Dachte ich mir’s doch, dass Sie vernünftig sind. Jetzt hören Sie zu: Sie werden mir augenblicklich die Schriftstücke aushändigen, die Sie von einer abtrünnigen Person aus unseren Reihen erhalten haben, und der Diebstahl ist aus der Welt, kapito!?“
Die Journalistin war wie betäubt, aber ziemlich gleichmütig. „Ich weiß nichts von Schriftstücken“, gab sie trocken zurück, „und mein Freund auch nicht.“
„Nicht so voreilig, Genossen. Überlegen Sie es sich noch mal.“
„Da gibt es nichts zu überlegen“, mischte ich mich ein. „Weshalb nehmen Sie an, dass wir etwas haben könnten, das Ihnen gehört?“
Ohne meine Frage zu beantworten, erneuerte die Gestalt gefährlich leise ihre Aufforderung.
„Ich sagte, ich weiß nichts von Unterlagen“, schrie Corvina jetzt. „Und außerdem: Nehmen Sie gefälligst die lächerliche Verkleidung herunter, wenn Sie mit uns reden wollen. Ich weiß nicht, was der ganze Zirkus soll!“
Der Meister ignorierte sie. Statt dessen sah er mich noch einmal mit stechendem Blick durch die Augenschlitze seiner Kapuze an.
„Sie werden jetzt doch nicht auf den abwegigen Einfall kommen, dass ich Ihre Dokumente habe …“, sagte ich gedämpft.
„Okay, dann sind Sie für eine Weile unsere Gäste. In den Keller mit ihnen – und den Riegel vor!“, befahl der Bemäntelte erzürnt. „Dort haben sie Gelegenheit, ihre Entscheidung noch mal zu überdenken.“
Mit der Hand gab er den anderen ein Zeichen. Die fünf Maskierten griffen nach uns und rissen Corvina und mich schier von den Beinen.
„Beeilt euch, na macht schon!“, donnerte der Erneuerungspriester laut, „bringt sie endlich hinunter.“ –
Einer der Kerle sperrte die massive Eisentür auf, die anderen schubsten uns vorwärts in einen muffigen Raum. Der Keller strotzte nur so vor Schmutz. Es stank penetrant nach Heizöl und Moder, und es gab nur eine vergammelte Pritsche als Inventar. Die Rumpelkammer besaß keine Fenster oder sonstigen Öffnungen, und wenn man nach einem Luftschacht suchte: Fehlanzeige. Die Sauerstoffzufuhr wurde durch ein Plastikrohr in das Verlies geleitet. Hier gab es keine Möglichkeit auszubrechen.
Das war zweifellos der erste Versuch, uns die Schriftstücke wieder abzunehmen. Aber es würde nicht der Letzte bleiben, da war ich mir sicher; und wie das hier ausgehen würde, konnte niemand vorher abschätzen.
Allein gelassen sahen wir uns minutenlang an. Corvina legte ihre Wange gegen meine Stirn.
„Hattest du Angst. Paul?“
„Und wie!“
„Ich auch! Deshalb ist es schön, dass du bei mir bist. Sonst hätte ich noch mehr Angst“, stieß sie heiser hervor.
Über ihr Gesicht rann eine Träne des Zorns. Sie wischte sie fort, fuhr sich mit dem Handrücken immer wieder über die Wangen, weil noch immer Tränen herunterkullerten, und fasste mich dann an die Hand.
„Ich kann mir nicht vorstellen, woher diese lächerlichen Kunstfiguren so schnell wissen, dass wir die Monografien haben.“
Sie brachte ihre Wut hemmungslos zum Ausdruck. Ich stand stumm an die Tür gelehnt und blickte zu ihr hinüber.
„Das ist jetzt egal“, versuchte ich sie zu trösten. „Eigentlich brauchen wir das Zeug nicht mehr, denn dass wir hier eingesperrt sind, und alles was wir da oben mitbekommen haben, ist Beweis genug für die Existenz des Geheimordens.“
Ich sprach noch eine Weile mit ruhiger Stimme auf Corvina ein, bis ich merkte, dass sich ihre Beklemmung löste.
Sie schüttelte sich, weil ein kühler Schauer sie durchfuhr. Dann sagte sie leise mit feuchten Augen: „Ich weiß nicht, aber Orte wie dieser erregen mich in einer ganz besonderen Weise. Es ist merkwürdig, aber manchmal finde ich es attraktiv, in einer ausweglosen Lage gefangen zu sein.“
„Du hast sexuelle Gefühle – hier?“ fragte ich überrascht.
Corvina nickte.
„Ja“, gestand sie mir leise. „Ein bisschen. Aber ich habe auch Angst.“
Sie deutete auf den Hut, den ich noch immer trug.
„Deshalb zum Beispiel.“
Eine bedrückende Schwere begleiteten ihre Worte.
„Während du nicht da warst, bin ich durch den Tempel gegangen, um nach dir zu sehen. Dabei habe ich die Leute beobachten können, wie sie es in der Lobby miteinander getrieben haben. Ich sah furchtbare und aufregende Rituale zugleich.“
„Das gibt es nicht“, entgegnete ich ihr. „Entweder ist etwas furchtbar, oder es ist aufregend.“
„Was sagst du dazu, wenn ich dir erzähle, dass drei Männer eine Frau gedemütigt haben, und dass die Frau es geil fand?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Langsam kann ich mir bei diesem Verein alles vorstellen“, meinte ich gleichgültig.
„Es sah aus, als wollte sie das nicht, und sie hat laut geschrien und gezappelt. Zwei der Männer haben sie festgehalten, während ein Dritter sie fickte. Die Männer trugen die gleichen Hüte wie du.“
„Kann eine Frau so etwas wollen?“, fragte ich, obwohl ich es besser wusste. Nichts anderes hatte ich ja anschließend auch mit Mai-Lin gemacht, weil sie es genauso mochte, als ich sie fickte.
Corvina nickte.
„Ja“, sagte sie. „Ab jetzt glaube ich das. Ich will aber gar nicht so weit gehen und behaupten, die Frau hätte irgendwelche Vergewaltigungsfantasien ausgelebt. Für mich sah das anderes aus. Nicht der angedeutete erzwungene Sex erregte sie so sehr, sondern ihre Hilflosigkeit. Sie wollte von den starken Männern festgehalten werden und dass die Kerle sich den Zugang zu ihr erkämpften. Die gespielte hoffnungslose Lage, in die die drei Herren sie brachten, brachte ihr den Lustgewinn. Sie ersehnte sich, von ihnen benutzt, beschimpft und erniedrigt zu werden - bis hin zur absoluten Erfüllung.“
Corvina seufzte schwer.
„So etwas habe ich noch nie gesehen, Paul. Glaube mir! Plötzlich mache ich mir Sorgen, dass ich in einen Spiegel geschaut oder neben mir selbst gestanden habe und ich mir schon bald wünsche, an der Stelle der Frau gewesen zu sein.“
„Wenn du das wirklich willst, musst du dem Orden beitreten, denn in einer normalen Beziehung sind solche Phänomene garantiert grenzwertig. An ihnen scheiden sich die Geister, und für einen Mann wächst die Gefahr ein Frauenschänder zu sein zu einem unkalkulierbaren Risiko.“
„Ich verstehe“, sagte sie. „Aber was mich besonders beunruhigt, ist noch etwas anderes. Die Frau trug ein mit Glaskristallsteinen besetztes, spiralförmiges Amulett, das in den Farben rot, grün und blau in hellen Strahlen leuchtete, als sie einen Orgasmus hatte. Glaube mir, der Teufel wohnt in diesen Gemäuern. Da bin ich mir sicher.“
Ich nahm sie in den Arm.
„Das ist doch nur Theater, übersinnliches Getue; irgendwie erklärbar.“
Mittlerweile war ich es gewohnt, dass Corvina sich manchmal etwas seltsam benahm.
Beinahe hätte ich sie geküsst, um sie zu trösten, doch in diesem Augenblick fuhr ihre Hand über meinen Hals und stieß gegen die schwarze Lederbandkette.
Verflixt und zugenäht!
Der rote Glassteinanhänger von Mai-Lin! Den hatte ich völlig vergessen.
Sie blickte mir nachdenklich in die Augen und trat noch etwas näher an mich heran.
„Was ist das?“, wollte die Journalistin wissen.
Innerlich fluchte ich über mich selbst. Wie konnte ich mich nur auf so kreuzdumme, naive Art und Weise erwischen lassen?
Sie öffnete den Karabinerverschluss und nahm mir die Kette vom Hals.
„Das ist der gleiche Anhänger, wie ihn die Frau trug“, erkannte sie bestürzt. Ihre Worte kamen auffallend unbedacht.
„Das Amulett … Der Hut …“
Ihr Blick traf mich. Sie blickte durch mich hindurch und fragte sich verzweifelt, was ich wohl getan hatte.
Dabei ließ sie mich erst gar nicht antworten, wischte gleich mit einer Handbewegung meine möglichen Ausreden unwillig beiseite.
„Du hast mit einer von ihnen geschlafen, während ich dich im Tempel suchte! Habe ich recht? Du hast dich von einem Mädchen mitnehmen lassen“, stieß sie fassungslos hervor.
Corvina schloss ihre Augen. Erschöpft sank sie gegen die Kellerwand.
„Wie konnte das geschehen?“, stieß sie heiser hervor. „So völlig unerwartet vor allen Dingen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass du mit so einem Tempelflittchen fickst, mit einer Hure rum machst.“
Wie erstarrt stand ich da und ließ ihre Vorwürfe auf mich niederprasseln. Nachdem sie ihren Frust abgeladen hatte, ging ich einen Schritt auf sie zu. Als ich Corvina fast berührte, wollte sie zurückweichen, aber sie stand schon an der Wand.
„Ich erinnere mich nicht, dass wir verheiratet sind oder sonstwie liiert. Seit wann muss ich dir Rechenschaft geben über das, was ich tue“, erkundigte ich mich ärgerlich.
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, das musst du gewiss nicht. Nur glaubte ich … ich habe gedacht, das mit uns sei etwas Besonderes gewesen. Ich hoffte, es könnte mehr daraus werden. Aber jetzt …“
„Deine sexuellen Abenteuer sind auch nicht gerade lupenrein. Vielleicht warst du ja auch in einem der Séparées. Dahingehend haben wir uns beide nichts vorzuwerfen. Gar nichts.“
Ihre Augen fuhren fragend über mein Gesicht; dann zischte sie mich empört an: „Okay, lassen wir das.“
Es klang, als hätte sie den Wunsch mich zu hassen.
* * *
Gemeinsam saßen wir nebeneinander auf der Pritsche und hingen schweigend unseren eigenen Gedanken nach. Gerade noch im Gefühl der totalen Überlegenheit, musste ich jetzt erkennen, dass ich nicht unverletzbar war.
Ihre Vorwürfe trafen mich mehr, als ich zugeben wollte. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich sie scheinbar mit meinem Verhalten sehr gekränkt hatte.
Deshalb fühlte ich mich gleich besser, als Corvina mich völlig unerwartet in die bedrückende Stille hinein fragte: „Hast du eigentlich den Angreifer erkannt, der dich überfahren wollte und mit dem Messer nach dir geworfen hat?“
„Wie denn?“, fragte ich noch immer beleidigt, obwohl ich mich innerlich freute, dass sie überhaupt noch mit mir sprach.
„Er war maskiert mit einer Sturmhaube. Außerdem ging alles furchtbar schnell. Ich konnte mir nicht mal das Kennzeichen merken, nur dass es ein roter Renault 4 war. Allerdings ist das eine kleine Chance, denn so viele von den Fahrzeugen wird es nicht mehr geben.“
„Und was willst du jetzt machen?“
„Ich kenne jemanden bei der Zulassungsstelle. Den habe ich gleich angerufen. Er wird sich darum kümmern und mir nach dem Wochenende Bescheid geben. Vielleicht habe ich ja Glück.“
Es dauerte nicht lange, bis Corvina mir ihre nächste Idee vortrug. Sie hatte ihre Haltung zurückgewonnen und bestürmte mich, etwas zu unternehmen.
„Wir müssen hier irgendwie heraus und an dem Fall dranbleiben“, ermutigte sie mich.
Mir schwoll die Zornesader.
„Dranbleiben, dranbleiben. Du willst nichts weiter als eine Story, die sich leicht verkaufen lässt!“, brüllte ich los, weil ich mich so hilflos fühlte, und die gute Stimmung zwischen uns noch nicht wieder funktionierte.
Corvina nickte halb verstört, halb entschlossen.
„Wenn du einen Fall übernimmst, möchtest du auch nichts anderes, als ihn lösen.“
„Ja, das stimmt schon. Nur wenn man den Feind nicht besiegen kann, dann muss man sich mit ihm verbünden, um auf diese Weise zu überleben.“
Corvina lachte schallend.
„Ein schöner Beschützer bist du. Ein Aufpasser, der sich einsperren lässt“, presste sie angriffslustig hervor. „Wo ist denn da das Bündnis?“
Sie hob fröstelnd die Schultern. Dann schien sie sich zu besinnen.
„Wir werden doch jetzt nicht aufgeben, Paul“, redete sie mir energisch zu, „nicht jetzt, wo wir fast am Ziel sind.“
Leichte Röte stieg ihr in die Wangen.
„Was glaubst du denn, warum wir hier sind? Weil die glauben, dass wir viel mehr über ihren Geheimbund wissen und weil sie nicht wollen, dass wir noch mehr erfahren oder das durch uns etwas nach außen dringt. Nur deshalb haben sie uns in dieses vergammelte Loch gesperrt, in dem es nach Pisse und Kot stinkt. Ich habe wenig Lust, hier noch länger auszuharren, denn wenn die Leute wirklich Killer sind, werden wir sterben. Die bringen uns um“, sagte Corvina entschieden.
„Was sollte denen das bringen. Ich glaube nicht …“, wollte ich aufbegehren, doch sie schnitt mir das Wort ab.
„Ich will hier raus, Paul. Verstehst du das nicht?“
„Eben noch fandest du es geil, eingesperrt zu sein. Jetzt plötzlich nicht mehr?“, meinte ich verzweifelt, weil ich nichts tun konnte. Trotzdem verspürte ich das Bedürfnis, Corvina Zuversicht zu schenken. Deshalb sagte ich: „Sie können uns hier nicht ewig festhalten. Irgendwann – ich schätze schon sehr bald - werden Sie uns rauslassen müssen. Das ist nur eine Frage der Zeit.“
Unmutig lehnte Corvina sich zurück und sprach kein einziges Wort mehr. Sie fühlte sich tief gekränkt, denn, obwohl sie sehr liebenswert sein konnte, war sie überempfindlich, wenn es um ihren Beruf ging. Eine Unterschätzung ihrer journalistischen Fähigkeiten konnte sie ungenießbar werden lassen, und dass ich mit einer anderen geschlafen hatte, verzieh sie mir nicht.
Trotzdem reichte ich ihr jetzt die Hand.
„Friede?“
Sie schlug ein.
„Friede!“, sagte sie.
Kapitel 9
Mahatma und Kung-Fu
Man konnte Britta als außergewöhnliches Mädchen bezeichnen. Außergewöhnlich deshalb, weil sie es verstand, sich in unzählige Charaktere zu verwandeln. Mal in ein graues Mäuschen, mal in einen verführerischen Vamp. Auch das Outfit einer biederen Hausfrau fehlte nicht in ihrem Fundus. Britta brachte es auf 18 Lenze, und Selbstbewusstsein zählte ohne jeden Zweifel zu ihren Stärken.
Aber nun pochte ihr Herz wild gegen die Rippen, als sie die schmalen Holztreppen in dem dunklen Treppenhaus emporstieg. Nach wenigen Schritten war das Mädchen am Ziel: einer weiß lackierten Tür. Unter dem Klingelknopf stand in großen Lettern „Benjamin Rusler“.
Ihr Herz schlug noch schneller. Zuerst legte sie zaghaft den Daumen auf den Knopf, drückte ihn dann aber entschlossen. Drinnen ertönte ein lauter, schriller Klingelton.
Wenig später öffnete sich die Tür.
„Ja?“
Britta lächelte.
„Ja?“, fragte Ben noch einmal, weil sie nichts sagte, nur nach Luft rang. Mit erwartungsvollem Blick musterte Ben die junge Frau.
„Wer bist du? - Woher kommst du? - Was willst du?“
„Das sind drei Fragen auf einmal“, lächelte sie.
„Ich bin Britta! Britta Booth.“
„Und was willst du?“
„Darf ich reinkommen?“, fragte sie leise.
„Sicher“, antwortete Ben mit rauer Stimme. „Komm nur!“
Gemeinsam gingen sie in sein Apartment und auf dem Weg dorthin, präsentierte Britta meinem Freund ihr Anliegen.
„Ich bin diejenige, die Corvina Petri Unterlagen zum Mahatma-Orden überlassen hat“, begann sie zaghaft. Sie sagte es wie nebenbei, und beobachtete Ben, um seine Reaktion ablesen zu können.
„Zuerst dachte ich, das sei okay. Ich konnte ja nicht ahnen, dass meine Aktion einen solchen Wirbel auslösen würde.“
Ben bot Britta einen Platz auf dem Sofa an.
„Ach von dir stammen die lächerlichen Schriften“, murmelte er, während sie sich setzten.
„Lächerlich?“
Ben nickte.
„Ich kann nicht sehen, was daran lächerlich sein sollte. Die Anweisungen unserer Gründungsväter, die nur den Eingeweihten des Ordens zur Verfügung stehen,
bergen eine beispiellose Energie in sich.“
Ben lachte überheblich.
„Diesen Schwachsinn höre ich in letzter Zeit andauernd – aber von welchem Wirbel sprichst du?“
„Etwas Geheimes ist nur für wenige Insider. Es geschieht im Verborgenen. Also: Wenn die Journalistin Informationen über unsere Geheimwissenschaft an die große Glocke hängt, ist es vorbei mit der Exklusivität des Mahatma-Ordens. Das bedachte ich nicht, als ich Corvina die Monografien überließ. Ich habe viel zu viel ausgeplaudert.“
„Was ist den so Geheimnisvolles an den „Schmuddelblättern“. Warum wird so viel Wind darum gemacht?“, fragte Ben. „Jeder Zehnjährige weiß heutzutage, was Ficken ist und wie das geht. Ein paar durchgeknallte Himmelskomiker wollen daraus ein Geheimnis kreieren. – Dass ich nicht lache.“
Britta starrte ihn verständnislos an, kurz nur.
„Was zum Teufel ist denn mit dir los? Wenn du deinen Verstand gebrauchen würdest, dann kämst du von selbst drauf. Es geht dabei doch nicht allein ums Ficken.“
„So, und um was geht es denn?“
„Um das Rezept. Wenn ich darüber nachdenke, geht es allein um die Rezeptur. Denke mal an die italienische Eisdiele, in der du im Sommer dein Eis kaufst. Kein Eisverkäufer aus Italien würde das Rezept preisgeben und dir sagen, wie er sein Eis herstellt. Erst die genaue Zusammenstellung von bestimmten Zutaten gibt dem Eis einen besonderen, einmaligen und unverkennbaren Geschmack.“
„Komm lass gut sein! Wenn ich so was in der Art höre, treten meine Eier zum Sackhüpfen an. Theoretisch glaube ich dir ja, praktisch aber nicht. - Sag mir deshalb lieber, warum du dich überhaupt an die Presse wandtest?“, brummte Ben mürrisch. „Die werden diesen Müll ohnehin nicht drucken.“
„Rache!“, sagte sie. „Aber das ist eine andere Geschichte.
„Und?“, fragte Ben lang gezogen.
„Ich will die Monografien von der Journalistin zurückhaben, ohne dass auch nur ein Wort darüber in irgendeiner Zeitschrift steht.“
Mein Freund lachte schallend auf.
„Hör mal genau zu, verehrtes Fräulein Booth. Ich will ja nicht unhöflich sein. Aber jetzt wird’s langsam doch komisch. Bei den Recherchen von Corvina taucht plötzlich aus dem Nichts der Name eines ominösen Ordens auf, so richtig spannend gewürzt mit geheimen Schriften, mit Logen und, und, und. Corvina kratzt ein bisschen an der Oberfläche, trifft sich mit einem Informanten, der dann mal so eben in der Tiefgarage kaltgemacht wird - getötet, bevor er reden kann - damit das vermeintlich große Geheimnis ja nicht gelüftet wird.“
Britta sprang auf.
„Das war doch niemand von uns!“, schrie sie. „Niemand aus unseren Logen würde einen Menschen umbringen.“
„Du gehörst also dazu, wie Susanne auch“, stellte Ben sachlich und kritisch zugleich fest.
„Ja! – Aber warum ich eigentlich hier bin. Der Rat des Ordens hat den Detektiv und die Reporterin, sagen wir mal vorsichtig, unter Hausarrest gestellt.“
„Was soll das bedeuten?“, wollte mein Freund wissen.
„Dass die beiden unfreiwillige Gäste des Rats sind.“
„Du willst sagen …“
„Ja!“
„Vortrefflich!“, rief Ben aus. Langsam fing er an zu verstehen, dass etwas faul sein musste.
„Das ist Freiheitsberaubung – Entführung - Geiselnahme!“
„So krass würde ich das jetzt nicht sehen. Ihnen passiert ja nichts. Auch deshalb bin ich hier, um meinen Fehler wieder gutzumachen“, gab sie verlegen zu.
Ben räusperte sich unsicher.
„Ich werde dir helfen“, sagte sie. „Ich kann sie rauslassen.“
Schnell fügte sie hinzu: „Unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“, fragte Ben interessiert.
„Ich bekomme die Dokumente vollständig zurück.“
„Wenn´s nicht mehr ist … spätestens, wenn du den Quatsch in der Zeitung liest, hast du sie wieder und sogar schön gedruckt. Schwarz auf weiß.“
„Lass den Scheiß!“, rügte Britta meinen Freund und erläuterte ihm gleich darauf ihren Plan.
„Auf dem Nachbargrundstück ist eine Baustelle. Da wurde ein Haus abgebrochen. Durch diese Maßnahme befindet sich deshalb im ersten Stock ein etwa fenstergroßes Loch im Mauerwerk des Tempels; nur mit einer dünnen Wetterplane verschlossen. Hier könnten wir mühelos das Gebäude betreten, wenn wir eine Leiter hätten.“
Jetzt stand auch Ben auf.
„Also“, sagte er hilfsbereit und voll Tatendrang, „worauf warten wir noch?“
* * *
Gesagt – getan!
Unbemerkt kamen die beiden durch die Absperrung der Baustelle.
„Beeile dich, Ben“, drängte Britta.
„Sieht nicht gerade billig aus – aber das Loch in der Wand ist hässlich.“
„Na ja. Und am Keller haben die bei der Sanierung auch gespart. Das Untergeschoss ist eine Bruchbude. Selbst die Feuertüren aus Eisen haben keine Schlösser, nur von außen Riegel.“
„Können wir da nicht auf natürliche Weise reingehen“, wollte Ben wissen, „ich meine, ganz normal durch den offiziellen Eingang.“
Britta sah ihn verblüfft an. „Ich schon“, sagte sie.
„Aber dich lassen sie garantiert nicht hinein. Der Eingang wird bewacht wie Fort Knocks. Keine Chance, mein Lieber.“
Ben schnaubte.
Also gut“, sagte er widerwillig. „Erst mal brauchen wir eine Leiter.“
Ohne Leiter lief überhaupt nichts, deshalb inspizierte Ben die Baustelle, fand aber keine. Dafür bot sich ein stabiles Seil an, das er unter dem alten Bauwagen hervorkramte. Ein Stück Moniereisen fand er nur wenige Meter weiter. Aus dem Eisen bog er einen Widerhaken und befestigte ihn am Ende des Seils. Dafür brauchte er eine Weile, denn das Zurechtbiegen des Eisens stellte für ihn ein großes Problem dar. Irgendwann schaffte Ben es und ging zurück zu Britta.
„Warum dauert das denn so lange?“, monkte sie.
„Ich kann nicht hexen!“
Gemeinsam betraten sie das Grundstück und blieben unter dem abgedeckten Loch stehen. Jetzt kam wohl die schwierigste Aufgabe. Ben musste das Seil mit dem Haken voran durch die Plane schmettern und gleichzeitig genau in das Loch treffen, sodass sich das Eisen irgendwo im Mauerwerk verfangen konnte. Das gelang nicht auf Anhieb, weil die Plane das Moniereisen wie bei einem Trampolin abprallen ließ.
Es wurde langsam dunkel, und noch immer fiel leichter Regen, der die Geräusche abmilderte – ein wesentlicher Vorteil für ihre Unternehmung.
Nach unzähligen Versuchen durchschlug das Eisen endlich die Wetterplane, der Haken verfing sich an der Mauer, und das Seil konnte gespannt werden.
„Du musst zuerst, Britta … ich bin vielleicht zu schwer … ich will auch erst sehen, ob das Seil hält“, gab Ben verlegen zu.
„Männer!“
Britta griff nach dem Seil. Wie ein Eichhörnchen kletterte sie an dem Strick empor, bekam das Mauerwerk zu fassen und zog sich hoch.
Waghalsig, mit an Akrobatik grenzender Geschicklichkeit, vergrößerte sie das Loch in der Plane und verschwand kurz darauf im Innern des Gebäudes. Missmutig ergriff nun auch Ben das Ende des Seils und folgte ihr. Natürlich viel schwerfälliger - wenn das nur gut ging …
Doch dann stand auch er im Zimmer.
Natürlich wollten sie länger bleiben, darum mussten Seil und Moniereisen weg; sie hätten die Eindringlinge zu leicht verraten können. Ben zog das Seil hoch und legte es hinter eine große Zimmerpflanze, die neben dem Loch an der Wand stand.
Plötzlich wurde an der Tür gerüttelt. Sie wurde erst nur halb geöffnet und diesen Augenblick benutzten die beiden, um sich hinter der Tür zu verstecken. Ben glaubte, dass seine Füße noch etwas hervor guckten, und zog sie schnell zu sich heran.
Zwei vermummte Personen betraten das Zimmer. Sie hatten ihre Kapuzen tief über ihre Gesichter gezogen.
„Was sind das denn für „Himmelskomiker“?“, flüsterte er nach Luft ringend in Brittas Ohr. Sie trat ihm leicht auf den Fuß und legte ihren Zeigefinger auf den Mund.
Stumm nickte der Dicke. Er hatte Mühe, seinen Atem unter Kontrolle zu halten, denn plötzlich geschah etwas Unerwartetes.
Die Nähe des Mädchens sprach ihn aus unerklärlichen Gründen an. Das Gefühl packte ihn so sehr, dass es ihm beinahe die Kehle zuschnürte. Er hörte auf zu denken, zu atmen. Der Duft ihrer Haut und die Berührung ihres Körpers lähmten seine Sinne, packten sie ein in Watte -und bescherten ihm eine Erektion.
Er konnte nicht mehr länger darüber nachdenken, warum das mit einem Mal passierte, denn als die Eingehüllten die Tür hinter sich schlossen, standen Ben und Britta ohne Deckung im Raum.
„Was macht ihr hier?“, entfuhr es einer der Gestalten. Als sie Britta erkannten, fügte die andere hinzu: „Du weißt, dass du hier nicht rein darfst! Und schon gar nicht mit Fremden.“
„Schon klar! Wir suchen auch nur das Finanzamt“, behauptete Ben fasst überzeugend. Er trat sofort die Flucht nach vorn an.
„Ihr seht beide sehr süß aus, aber …“, sprach er weiter, brach dann aber plötzlich ab und wartete.
Britta sah zu Ben.
Mit gebeugtem Rücken, die Hände in den Hosentaschen, stand mein Freund grimmig da.
Die beiden Figuren sahen Britta und Ben durch die schmalen Sehschlitze mit funkelnden Augen an. Sie wussten nicht, wie sie auf die außergewöhnliche Situation reagieren sollten, die jedoch kein Problem für Ben darstellte - er trat da wesentlich flexibler auf.
„He, Mann, ihr beiden schwarzen Schafe. Kommt mal her, ich zeige euch einen neuen Trick“, grinste er und ging auf die „Götter“ los. Er nahm die Hände aus den Taschen, ballte sie zu Fäusten und hielt sie den Verdutzten vor ihre Gesichter. „Nicht mogeln, meine Herren! Nur auf die Faust blicken!“ Sie waren so perplex oder wirklich töricht genug, auf diesen albernen Gag hereinzufallen.
Blitzschnell hieb er dem Ersten seine Faust in die dunkle Visage, dass dem Hören und Sehen verging. Von oben ließ er dann die andere Faust– wie einst Bud Spencer in „Vier Fäuste für ein Halleluja“ – auf den Kopf des Zweiten niedersausen. Seine Kapuze wurde platt gemacht, seine Augen verdrehten sich hinter den Schlitzen, und dann lagen sie am Boden und rührten sich nicht mehr.
Mit einem tiefen Diener verneigte er sich vor ihnen.
„Nett, meine Herren“, lachte er. „So gefallt ihr mir am besten.“
Ben zog das Seil hinter der Pflanze hervor und verschnürte sie Rücken an Rücken zu einem festen Paket, während er zu Britta sagte: „Hol’ Corvina und Paul aus dem Keller. Ich bleibe so lange hier und passe auf. Unsere zwei Helden dürfen keinen Alarm schlagen. Diese Gelegenheit möchte ich ihnen nun wirklich nicht geben.“
Britta huschte aus dem Zimmer. Sie kannte sich hier gut aus, und als sie vom Flur her Stimmen hörte, die langsam näher kamen, blieb ihr nichts anderes übrig, als in den Tempel zu flüchten.
Der Meditationssaal schien leer zu sein, und das Glück Britta hold.
Oder doch nicht? Erst als sie mitten im düsteren Raum stand merkte sie, dass sie sich nicht allein im Tempel aufhielt. Drei meditierende Personen konnte sie erkennen. Eine sang leise vor sich hin, die anderen beiden starrten nur stumm vor sich ins Leere. Weiter hinten saß noch ein unmaskiertes Pärchen. Sie waren beide nackt und der Typ wichste seinen Schwanz vor den Augen der Frau, die ihm dabei interessiert zusah, und ihm leise Befehle gab, was er als Nächstes machen sollte.
Britta musste sich ducken, um nicht entdeckt zu werden. Aber die Anwesenden im Tempel waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Es ging gut und sie blieb unbemerkt. Nach einer Weile wagte sie sich wieder zurück in den Gang. Die Treppe zum Keller des Tempels lag am Ende des Flurs. Hastig stieg sie die Stufen hinunter und schob vorsichtig den Riegel zurück.
Als Britta die Tür öffnete, erschrak sie, obwohl sie wusste, was sie hinter der Eisentür erwartete.
„Sieh an wen wir da haben … Britta Booth“, hallte es aus der Dunkelheit. Das Mädchen zögerte eine Sekunde - dann betrat sie den Raum. Eine seelische Erschütterung konnte sie sich jetzt nicht leisten. Nur das Grauen in diesem Keller machte es ihr schwer, ihre Haltung zu bewahren. Sie hätte schreien mögen, so unheimlich kam es ihr hier unten vor.
„Du bist sicher Paul Heihl, der Detektiv?“, fragte sie schnell, weil sie mich zuerst sah, und um ihre Unsicherheit zu überspielen.
Ich nickte ihr zu und meldete mich gleich zu Wort, als ich niemand sonst hinter ihr sah.: „Wir müssen so schnell wie möglich von hier weg.“
Die beiden weiblichen Wesen musterten sich abschätzend. Corvina voller Wut. Sie würde dem Mädchen gehörig die Meinung sagen – aber erst später, wenn sie endlich aus diesem scheußlichen Loch heraus waren.
„Wir sollten gehen“, drängte ich. Ich hatte wenig Lust, mich hier noch einmal erwischen zu lassen.
Als wir das Zimmer erreichten, in dem mein Freund Ben auf uns wartete, hatte sich dort die Situation schlagartig geändert. In dem Raum schien der komplette Rat des Ordens versammelt zu sein. Zu dumm, dass die Priester gerade jetzt darüber beraten wollten, was mit dem Loch in der Wand geschehen sollte.
Britta, die den Raum zuletzt betrat, wurde von der neuen Situation so sehr beeindruckt, dass sie entsetzt ausrief: „Ben! Was ist geschehen?“
„Sie haben mich erwischt. Ich konnte ja nicht wissen, dass die beiden nur die Vorhut waren“, gab er kleinlaut zu. Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, krächzte einer der Vermummten: „Nett, dass Sie kommen, Fräulein Booth. Und ihre Gesinnungsgenossen haben Sie auch mitgebracht.“
„Gar nichts habe ich“, piepste das Mädchen.
Irgendwie sahen ihre Gebärden ein bisschen nach einer Rolle, nach Show aus. Darauf eingehen konnte aber niemand von uns, denn Corvina mischte sich schon wieder ein. Zum zweiten Mal legte sie sich mit den „Oberherrlichkeiten“ an.
„Ich werde euch mal was sagen, euch Clowns. Mit mir könnt ihr ein solches Affentheater nicht ein zweites Mal machen. Verstanden? Ihr könnt mich mal …!“
„Aber, aber“, machte der getarnte Abt. Er trat aus der Gruppe heraus und ging auf sie zu. Noch bevor ich mich schützend vor sie stellen konnte, versetzte er Corvina einen kräftigen Schlag ins Gesicht. Sie unterdrückte einen Schrei und wich bestürzt zurück. Hilflos sah sie zu mir herüber, so als wolle sie sagen: ‚Paul, wieso lässt du zu, dass er mich schlägt.’
Doch ich unternahm noch nichts, auch nicht, als seine Hände weiter an ihr zerrten.
Die Augen des Vermummten verloren jeden Ausdruck. Seine Fingernägel bohrten sich in ihre Haut.
„Lassen Sie es sich nicht einfallen, noch einmal so mit mir zu sprechen.“ Ein Wort, nur noch ein einziges Wort von ihr und er würde sie …!
Die Stimme hinter der Kapuze – ich kannte sie. Jetzt wusste ich, zu wem sie gehörte. Ich war mir sicher, ganz sicher.
Er ließ sie los und keiner der Ordensmitglieder wagte es, sein Handeln zu missbilligen.
Ich sah zu Ben herüber, der vor Wut weiß, wie eine gekalkte Wand dastand und nicht so recht wusste, was er unternehmen sollte. So langsam dämmerte es wohl auch ihm, dass er den Orden bisher als viel zu harmlos einschätzte.
Aber jetzt!
Jetzt wusste ich, was zu tun war. Ich besann mich auf meine Funktion als Beschützer und wurde tätig. Mit den Augen gab ich meinem Freund ein Zeichen - und würde gleich erfahren, ob mir das Kung-Fu-Training in seiner Sportschule etwas eingebracht hatte.
Wir befanden uns in der Mitte des Raumes und die Gruppe bildeten einen Kreis um uns, um Fluchtmöglichkeiten auszuschließen. Zwar wussten wir nicht, wie das hier ausgehen würde, aber Angst hatten wir keine - jedenfalls was Ben und mich betraf.
Ben streckte seinen Arm aus und winkte den Ersten auf diese Weise heran.
„Komm’ mal her, Freundchen. Du siehst aus, wie mein Freund Rüdiger aus der Uhlandstraße, der mit dem Messer. - Ich zeige dir einen neuen Trick“, sagte er wieder.
Der Angesprochene lachte grölend auf.
„Du solltest wissen, ein dummer Gag zieht nur einmal“, krächzte er überlegen.
„Stimmt auch wieder“, stellte Ben anerkennend fest, „aber ich habe von Kindesbeinen an ADHS. Ich bin hyperaktiv und lass mir ständig etwas Neues einfallen, um meinen Bewegungsdrang zu stillen!“
Er sprang heran und hieb dem „schwarzen Fleck“ mit einem lässigen Streich die Handkante gegen den Zinken, dass es krachte. Das veranlasste den Geschlagenen, zu grunzen und ununterbrochen zu fluchen.
Ein knappes Dutzend gegen zwei – wenn man die Frauen wegließ. Ziemlich unfair. Dieser Raum war ohne Zweifel zu eng für eine große Schlacht. Hier würden sie uns das Fell über die Ohren ziehen, deshalb durchbrachen wir die Phalanx der Vermummten und flüchteten nach einem kurzen Handgemenge über den Gang in den Tempel. Hier wirkte alles noch viel gespenstischer. Die Kerzen – die lodernden Flammen in den Messinggefäßen - das Höhlengestein – die Brüder des Klans – der fensterlose Raum.
Ben und ich suchten uns blitzschnell unsere Gegner aus und so gut es ging versuchten wir, sie in zwei Gruppen zu trennen.
Die erste Figur ging auf mich los, wie ein Profiringer, mit einer gewaltigen Wucht. Ich blockte seinen Angriff ab. Mit anderen Worten: Ich riss den Typ mit aller Kraft vor mir hoch, und er hatte noch so viel Schwung drauf, dass er über mich – ich war in die Hocke gegangen – im Hechtsprung hinwegsauste.
Er donnerte mit Getöse gegen die Bauschaumwand, sodass ich mich über das Ergebnis meiner Aktion wunderte. Doch ich hatte zum Wundern wenig Zeit. Sofort hieb ich der mir am nächsten stehenden Gestalt die Faust aufs Hirn. Ihre Sinne wurden für ein Moment durchgeschüttelt wie ein trockener Martini, und sie legte sich unsanft schlafen.
So weit - so gut.
Der Dritte – er sah stärker aus, als er war - wollte nun Ernst machen. Er schwang seinen mächtigen Arm wie ein Schmiedehammer und tat so, als wolle er mir damit den Kopf zertrümmern. Nur: Unentschlossenheit lähmte ihn für Sekunden - die von mir sofort ausgenutzt wurde. Ich bekam seinen Arm zu fassen und drehte ihn ruckartig aus dem Gelenk.
Er brüllte vor Schmerz und ging mit seinem Oberkörper auf den Fußboden zu. Ich bekräftigte sein Vorhaben, in Richtung Boden zu flüchten, mit einem weiteren Faustschlag streckte ich ihn nieder - den drei verbleibenden Wachsfiguren vor ihre Beine.
Sofort kam Leben in diese Gestalten. Sie gingen jetzt vereint auf mich los, was natürlich über meine Kraft ging. Ich musste höllisch aufpassen, dass sie mich nicht erledigten, denn sie schlugen auf mich ein, dass mir die Beine abknickten wie Streichhölzer. Ich bekam was auf die Augen, dass mir Hören und Sehen vergingen - und ich konnte meine geschwollenen Lider kaum noch öffnen. Wieder und wieder gab es eins auf den Schädel.
„Aufhören!“ schrie jemand plötzlich.
Der Meister!
Er hielt Corvina am Hals fest und drückte langsam zu.
„Ich hasse Gewalt – oh, wie ich die Gewalt hasse! Aber ihr ungläubige Eindringlinge, ihr verdammten Einmischer zwingt mich zu Taten, die ich nicht will und die gegen meine Tugenden entsetzlich verstoßen.“
Er schubste die Reporterin vor sich her.
„Die Dokumente – wo haben sie unsere Dokumente!“, brüllte er. „Ich lasse da auf keinen Fall locker. Ich will, dass Sie die Monografien herausgeben, na los. Geben Sie die Akten heraus, oder …“
Corvina lief blau an.
* * *
Die Situation eskalierte! Der Meister flüchtete mit Corvina aus dem Tempel und Ben und ich verloren die Kontrolle, sofern wir sie überhaupt für ein paar Momente besaßen.
Ich rappelte mich gerade vom Boden auf, als ein lang gezogener Schrei die Halle durchdrang. Der markerschütternde Schrei einer Frau.
Er kam aus einem der Séparées.
Die versammelte Mannschaft rannte hinaus auf den Flur.
Am Boden lag Dr. Booth, seine Kapuze neben ihm. Der Psychiater hielt sich die linke Schulter und durch die Finger sickerte Blut, das über seine Hand langsam herunter in den Ärmel seiner Robe lief. Mit schmerzverzerrtem Gesicht keuchte er: „Ich bin angegriffen worden! Der Satan hat mich von hinten angegriffen und mit einem Messer attackiert. “
„Sieh an, sieh an“, sagte ich. „Dr. Booth. Der Meister aller Klassen ist so verletzlich …“
Ben stellte sich vor mich.
„Wie konnte das nur passieren bei einem so runderneuerten Prinzipal?“, fragte er gehässig und konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen, obwohl er eigentlich sauer war. Als er außerdem begriff, dass Britta seine Tochter war, ging er auf den Psychiater zu und deutete einen Fußtritt an.
„Affenarsch!“, entfuhr es ihm.
Ich ging dazwischen.
„Haben sie jemanden erkannt?“, fragte ich ihn.
„Nein! Aber von der Statur her könnte es eine Frau gewesen sein. Ja ich bin mir sicher. Es war eine Frau.“
Eine Frau!
Mein Freund und ich sahen uns an. Auf Anhieb fielen mir nur zwei ein, obwohl es hier von Frauen nur so wimmeln musste.
Mai-Lin und Susanne.
„Britta!“, rief Ben mir zu. „Wo ist Britta, seine Tochter?
Die Kleine wollte unbedingt die Dokumente von Corvina zurückhaben. Deshalb kam sie zu mir.“
Ich wurde wütend.
„Ja sind hier denn alle verrückt geworden, und habe ich es nur mit Vollidioten zu tun? Glaubt hier etwa irgendeiner, Corvina würde die Dokumente in ihrem Kosmetiktäschchen herumtragen?“
Ich blickte einen Moment in die Runde. Keiner bewegte sich.
„Idioten!“, brüllte ich erbost.
Ich sah noch, wie Benjamin den umherstehenden Mitgliedern die Kapuzen von den Köpfen riss. Einem nach dem anderen. Hervor kamen ganz normale Gesichter unterschiedlichen Alters; und so sehr ich mich auch anstrengte: Ein „erneuertes“ oder gar „magisches“ Angesicht konnte ich nicht entdecken.
Dann lief ich los – den beiden hinterher.
Kapitel 10
Die Hölle ist nicht weit genug.
Der vermummte Priester lief mit Corvina zur angrenzenden Baustelle, von der Ben das Seil geholt hatte. Es war still hier, nur ein leichter Wind umsäuselte ihre Gesichter. Gehetzt irrten die Blicke des Geheimnisvollen in die Runde. Er entschied sich für den Turmdrehkran, vor dem sie jetzt keuchend stehen blieben.
„Los rauf da!“, befahl er.
„Nein! Wieso sollte ich das tun“, widersetzte sich die Journalistin. „Ich bin nicht schwindelfrei. “
„Na, mach schon. Los, vorwärts“, stieß er Corvina an.
„Ich geh’ da nicht rauf! Ich kann das einfach nicht!“
„Hör zu, ich diskutiere meine Entscheidung nicht mit dir! Ich habe die Waffe und du kletterst da rauf.“
„Auf keinen Fall!“
Der Druck der Messerspitze wurde kräftig. Es piekte richtig dort an der Stelle, wo ihre rechte Niere saß.
„Du machst, was ich sage. Steig endlich hoch!“
„Nein niemals! Wenn ich da an die dämlichen Krimis im TV denke, so rennt dort doch der Verfolgte mit Vorliebe die Treppen hoch zum Dach, wohl wissend, dass es von dort nur einen Ausweg geben kann – den Sprung in den Tod oder den Gang in den Knast. [e.j.] Du kannst mich gleich hier abstechen, denn ich werde niemals auf den Kran steigen, niemals, hörst du.“
„Und ob! Du bist meine Geisel. Rauf da jetzt. Verstanden? Wenn du sterben willst, dann ziere dich nur weiter …“
Das spitze Messer im Rücken tat ihr weh. Sie glaubte ihm, dass er nicht eine Sekunde zögern würde, sie abzustechen. Deshalb musste sie handeln. Wenn sie nicht ins Gras beißen wollte, musste sie gehorchen. Zwar konnte sie keine Sekunde nachvollziehen, warum er sie gerade auf den Kran schickte, nur gehorchen musste sie, nur gehorchen.
Sie bekam ihre Füße auf die unterste Stufe der Leiter und ihre Finger umklammerten eine andere Sprosse.
„Steig auf!“, schrie der Vermummte ungeduldig. Er atmete hastig, während er beobachtete, wie Corvina zaghaft einen Fuß vor den anderen setzte. Sie zwang sich, von Sprosse zu Sprosse zu steigen - und zögerte wieder. Ihr Fuß glitt ab und sie klammerte sich unsicher an die kalte, vom Regen nasse Leiter.
„Schneller!“, rief der „Meister“ immer wieder, doch seine Worte peitschte der Wind davon. –
* * *
Ich hetzte um die Ecke in die hell erleuchtete Straßeneinmündung. Meine Blicke jagten über den menschenleeren Gehweg. Meine Lungen begannen zu stechen, doch ich rannte, rannte und rannte wie ein Hamster in seinem Laufrad. Der Talar war mein Wegweiser.
„O du Bastard, du gemeiner Bastard“, stieß ich zornig hervor, als ich sie den Kran emporklettern sah.
„Bastard!“ Ich schrie es heraus so laut ich konnte.
Sie waren schon ziemlich weit oben. Arme Corvina, wie musste sie vor Angst zittern.
„Runterkommen!“ brüllte ich los, obwohl ich wusste: Das konnte ich genauso gut bleiben lassen. Glaubte ich doch selbst nicht, dass das den „eingepackten Spaßvogel“ im geringsten beeindruckte.
Deshalb kletterte ich kurz entschlossen die Eisenleiter empor, ihnen nach. Die vom Regen nassen Sprossen waren sehr glitschig. Vorsichtig tastete ich mich höher.
Die beiden standen jetzt weit oben auf dem Turm, oberhalb des Führerhäuschens auf dem Stutzen, an dem der Schwenkarm verankert war.
Fast hatte ich sie erreicht, nur noch wenige Stufen lagen vor mir. Aber der Vermummte war gerissen. Ich hatte seine List nicht einkalkuliert. Er kletterte zwei Sprossen tiefer und trat mir ohne Vorwarnung auf die Hand. Ich brüllte auf vor Schmerz, doch er ließ nicht locker, nein, er drehte seinen Fuß noch, um mir mehr Schmerzen zuzufügen. Mit der freien Pranke umklammerte ich seinen Fuß, doch er stand fest auf meiner Hand.
Corvina konnte nicht mit anhören, wie ich schrie. Sie griff nach der Kapuze verkrallte ihre Finger darin und zog den Stofffetzen zusammen mit den eingeklemmten Haaren nach oben. Der Druck des Fußes wurde schwächer. Ich konnte meine Hand befreien und klammerte mich an seinen Talar, um wieder Standfestigkeit auf der Leiter zu erlangen. Ich meinte, Sterne zu sehen. Doch ich sah keine Sterne. Jemand hatte die Feuerwehr gerufen und das grelle Blaulicht erhellte immer wieder zuckend den Nachthimmel.
„Lass los!“, schrie der Psycho, weil Corvina noch immer an der Kapuze zerrte.
Ihre Hand hielt mitten in der Bewegung inne, während sie ängstlich von einem zum anderen blickte. Sie musste doch etwas tun, irgendetwas. Widerstrebend wandte sie ihren Blick von mir ab, konzentrierte sich auf die weiße Gestalt.
Sie wartete einen Moment, zog die Beine an und hockte sich auf die Fersen, um den Angreifer zum Straucheln zu bringen und ihm die Stelzen besser wegziehen zu können. Doch er erkannte ihr Vorhaben rechtzeitig und gab der Journalistin einen Stoß.
Das Unfassbare geschah sekundenschnell, noch bevor ich etwas tun konnte.
Schwankend glitt Corvina zur Seite, rutschte vom nassen Stahlträger ab und fiel durch die Verstrebung. Im letzten Moment noch konnte sie den Träger fassen, ihre Beine baumelten frei über der Tiefe und suchten erfolglos nach Halt.
„Corvina!“, schrie ich wie von Sinnen.
„Nein, … du nicht! Nicht du.“ Und gleich darauf: „Festhalten, Corvina. Nicht loslassen!“
All mein Schreien war vergebens – sie hörte mich nicht. „Zieh sie wieder hoch, du verfluchter Drecksack!“, brüllte ich den Vermummten an.
Der lachte höhnisch: „Leck mich am Arsch!“
Er dachte nicht im geringsten daran, der in tödlicher Gefahr schwebenden Frau zu helfen. Statt dessen trat er die Flucht über den Schwenkarm an, verlor dabei aber das Messer. Lautlos purzelte es kreisend nach unten und verschwand in der Dunkelheit.
„Fahrt zur Hölle! Alle beide!“, rief er uns zu, während er flüchtete.
„Die Hölle ist nicht weit genug!“, brüllte ich zurück. „Denn ich werde dich kriegen, wohin du dich auch verkriechst.“
Sein meckerndes Lachen hörte ich nicht mehr.
Hastig kletterte ich zu Corvina und beugte mich mit ausgestreckter Hand zu ihr herunter.
„Ich kann nicht mehr, Paul. Ich kann mich nicht mehr festhalten“, schrie sie verzweifelt. Panik zeichnete ihr Gesicht.
„Bitte hilf mir …“
„Nimm meine Hand!“, schrie ich ihr entgegen.
„Nein … nein. Dann muss ich loslassen … Hilfe … bitte hilf mir doch“
„Nimm meine Hand! Mehr bleibt dir nicht. Nur so kann ich dich hochziehen … du musst mithelfen, Corvina!“
Corvina ließ den Träger nicht los. Trotz zugeschwollener Augenlider erkannte ich, dass sie sich nicht mehr lange halten konnte.
„Bitte …“ keuchte ich. „Ich will, dass du mir zuhörst, Corvina. Du musst aufhören zu zappeln. Das kostet dir zu viel Energie.“
Ich glaubte mir selbst nicht. Jeden Augenblick musste sie fallen.
„Sieh mich an … sieh mich an! Nicht nach unten gucken“, beschwor ich sie.
Sie nickte tapfer. Nie zuvor hatte ich in ein so angsterfülltes Gesicht geschaut, nie den Tod so deutlich in dem Gesicht eines Menschen gesehen.
„Meine Finger werden steif“, schrie Corvina voller Panik. Ich kann mich nicht mehr festhalten.“
So ratlos war ich im Leben noch nie gewesen. Bisher gab es immer ’ne Chance für mich.
„Ich will nicht sterben, Paul. Bitte … bitte … hilf mir.“
Tausende von Möglichkeiten rasten durch mein Hirn, doch es kam immer nur dasselbe Ergebnis heraus.
Corvina musste den Träger loslassen und meine Hand nehmen. Wie sollte ich sie sonst hochziehen?
Ich setzte mich auf den Ausleger und beugte mich zu ihr herunter. Mit beiden Händen packte ich sie an den Handgelenken.
„Ich lasse nicht mehr los“, versprach ich ihr, nach Atem ringend.
„Ich werde dich festhalten und du wirst deinen Fuß auf den Träger legen … los, versuche es.“
„Ich kann das nicht. Ich habe Angst.“
„Doch … du musst, komm mach! Ich bin da!“
Langsam begann ich zu ziehen.
Himmel. Wie schwer konnte so ein „Leichtgewicht“ wie Corvina sein. Mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht zog ich sie nach oben, langsam Stück für Stück.
Noch heute wundere ich mich darüber, zu welchen Kräften ein Mensch kommen kann, wenn es um Leben und Tod geht.
Nie hätte ich es für möglich gehalten, das ich es schaffen würde Corvina aus dieser Position wieder auf den Kran zu ziehen. Doch als sie plötzlich vor mir auf dem Träger saß, hätte ich heulen können vor Glück.
Corvina umfasste mit beiden Armen meine Schultern und drückte sich fest an mich. Stumm wiegte sie mich vor und zurück. Immer wieder küsste sie mein verbeultes Gesicht.
Die Figur im Talar war jetzt am Ende des Auslegers angekommen. Mit einem Funk-Joystick – weiß der Teufel, woher er den hatte – setzte er plötzlich den Kran in Bewegung. Ich traute meinen Sinnen nicht, riss weit meine geschwollenen Lider auf. Die gleichen Bilder, wie in einem Action-Thriller im Kino oder im TV, flimmerten vor meinen Augen. Nur, dass sie kein Spiel, sondern Realität waren. Der Schurke zog eine Standkreissäge hoch, die zur Diebstahlsicherung am Haken in der Luft baumelte. Er griff sich das Stahlseil und kletterte herunter auf den Sägetisch. Abwärts ging es auch relativ leicht. Wie verrückt schaukelte diese Fahrstuhlkonstruktion im Wind, aber er hielt sich gut fest. Wahrscheinlich erhoffte er sich eine Chance, unten von der Säge abspringen zu können. Und die Chancen dafür standen nicht schlecht. Aber er musste doch die Polizei und Feuerwehr gesehen haben. Glaubte er wirklich, hier nochmals davon zu kommen?
Ein eiskalter Wind erfasste unsere Haare und begann darin zu spielen. Es zog in unseren Ohren und wir hatten Mühe, uns festzuhalten auf dem schwankenden Kran.
Mir starben langsam sämtliche Körperteile ab. Meine zertretene Hand schmerzte, meiner verbeulten Visage ging es nicht viel besser. Unter uns die gähnende Tiefe, die ihr Maul weit aufriss und uns noch immer verschlingen wollte, ohne dass es ein Entrinnen gab. Nein, ich konnte nicht mehr weiter. Was hatte es noch für einen Sinn, einem Phantom hinterherzujagen?
Corvina ging es genauso. Wäre ich nicht gewesen, sie wäre jetzt tot. Das behauptete sie jedenfalls immer wieder, während sie meine verletzte Hand vorsichtig streichelte. Also, was brachte es noch, diese Bestie weiterhin zu verfolgen? Wir – ich hatte verloren, versagt.
Ich schloss die Augen und blieb einfach auf dem kalten Eisen sitzen. Mir fehlte die Kraft, nach unten zu steigen.
Ich weiß nicht, wie lange Corvina und ich so hilflos auf dem Schwenkarm des Krans kauerten, als ich eine behutsame Hand auf meinen Rücken spürte.
„Kommen Sie herunter“, sagte eine warme Stimme. „Es ist vorbei.“
War es das wirklich? Oder konnte das Bündnis weiterhin sein Unwesen treiben?
„Machen Sie keinen Unsinn!“, ermahnte die Stimme. „Mann, sein Sie doch vernünftig. Kommen Sie herunter! Ich helfe Ihnen.“
Vorsichtig drehte ich den Kopf und sah hinter mich. Ein Retter von der Feuerwehr. War ich froh, dass der Mann da war. Und obwohl er Corvina behutsam half, in den Rettungskorb zu steigen, hielt sie sich krampfhaft an mir fest.
Kapitel 11
Sterben ist nicht einfach.
Mein Auftrag erledigte sich mit der Enthüllung des Mahatma-Ordens. Unser Ziel war erreicht. Für Corvina gab es genügend Stoff für eine skandalöse Story und ganz nebenbei konnten wir eine Verbindung zu Dr. Booth und dem Orden belegen. Also letztendlich ein Erfolg, der meine Arbeit als Bodyguard aufhob, sodass der Umzug zurück in meine Wohnung unmittelbar bevorstand.
Ich packte meine Sachen in Corvinas Wohnung zusammen, und checkte anschließend über den DSL-Anschluss der Journalistin meine E-Mails, während ich auf ihre Rückkehr wartete. Sie wollte bei der Zeitung ein paar Dinge erledigen - eigentlich müsste sie längst zurück sein.
Genervt kämpfte ich mich durch die massenhaften Spamnachrichten, die mir alles Mögliche anpriesen. Ich sollte Wein kaufen, meinen Penis verlängern lassen und einen Kredit aufnehmen. Beinahe hätte ich bei der Fülle der unwichtigen Mitteilungen die Wichtigste übersehen. Eine Nachricht vom Straßenverkehrsamt. Sie stammte von meinem Bekannten, der sich um den roten R4 kümmerte. Das hatte ich bei den ganzen Ereignissen der letzten Tage und Stunden total vergessen.
Interessiert öffnete ich die E-Mail und überflog den Text. Der Mitarbeiter der Zulassungsstelle teilte mir vertraulich mit, dass es genau sieben Renault 4 im Landkreis gab. Vier Rote, einen Blauen und zwei Weiße. Mich interessierten nur die Roten. Zwei davon gehörten wohl Studenten, einer fuhr auf einem Bauernhof herum und der Letzte …
Ich sprang auf!
Nein! Das konnte nicht wahr ein. Das durfte nicht wahr sein. So etwas, solch einen Zufall gab es nicht wirklich. Ich kramte mir eine Camel aus der Tasche und rauchte die Zigarette, als gäbe es nur noch diese eine.
Noch einmal las ich den Text in Ruhe durch.
Es stimmte.
Das Auto gehörte …
Verflixt und zugenäht!
Die ganze Zeit über tanzte mir die Lösung eines Mordfalls so simpel vor der Nase herum, und ich erkannte die Zusammenhänge nicht. Ich suchte hier, suchte da, dachte an dies und das, vermutete alles Mögliche. Dabei war es so einfach und vor allem ganz anders!
Ich rannte hinunter auf die Straße.
* * *
Hier schien alles normal zu sein.
Nichts Auffälliges, nichts Verdächtiges.
Ich wusste genau, wohin ich gehen musste. Aus der Haustür heraus, links, nach ein paar Schritten wieder links durch den Torbogen nach hinten auf den Garagenhof. Die Unterstellplätze gehörten zum angrenzenden Nachbarhaus und wurden als Lager oder Parkplätze genutzt, obwohl es eine gemeinsame Tiefgarage für mehrere zusammengebaute Häuser des Trakts gab. Auf dem Hof standen zehn von diesen Extra-Garagen mit großen grauen Flügeltüren aus Holz, die teilweise sehr verwittert und antik aussahen.
Manche der Türen besaßen kleine Fensterscheiben, durch die man in das Innere gucken konnte. Diese Tore inspizierte ich zuerst - ohne Erfolg. Danach rüttelte ich an den verbleibenden Pforten.
Volltreffer!
In einer der unverschlossenen Garagen stand das gesuchte Auto.
Vorsichtig schlich ich nach vorn und sah mir das Fahrzeug genauer an. Der R4 wies genau die Schäden auf, die ich erwartete. Stoßstange, Blinker, Licht. Alles kaputt.
Als ich Schritte hörte, richtete ich mich langsam auf.
„Was machst du hier?“
Ich fühlte mich erwischt, obwohl ich genau wusste, wer hinter mir stand.
„Ähm … das Tor stand offen“, stotterte ich verlegen.
Langsam drehte ich mich um.
„Da habe ich den Wagen bewundert. Einen R4 sieht man heut zutage kaum noch.“
Ich wagte nicht, den Kopf zur Seite zu wenden, sondern blickte starr in zwei kalte Augen. Mit diesem Menschen war nicht zu spaßen, das spürte ich.
„Ist der zu verkaufen?“, fragte ich mit gespieltem Interesse. Ich lächelte flüchtig.
„Das Tor stand nicht offen. Ich lasse meine Garage nie offen stehen.“
Die Person vor mir verschränkte die Arme vor der Brust.
„Und zu verkaufen ist der Wagen erst recht nicht. Also noch mal: Was willst du hier?“
„Das ist schwer zu sagen“, gestand ich fast demütig, „und doch ist es ganz einfach. Ich suche nach einem roten Renault 4, der vorn beschädigt ist, und der auf einen gewissen Gerhard Buck zugelassen ist. Wie es aussieht, habe ich gerade beide gefunden.“
Er atmete tief und überlegte.
„Na, wenn du so schlau bist, Schnüffler, dann ist dir spätestens jetzt klar geworden, dass du ein Anwärter für den Friedhof bist.“
‚Pass auf, Paul, dass er dir nicht auf die Schnauze haut, oder das Messer zückt’, dachte ich und nahm mir vor, wachsam zu sein. Wer sonst, als ich wusste, dass der Überraschungsmoment einen enormen Vorteil in sich barg. Trotzdem unterlief mir genau dieser Fehler. Meine vermeintliche Überlegenheit schaltete für Sekunden alle Vorsicht und Vernunft aus.
Ich kann das nur so erklären: Wahrscheinlich sonnte ich mich darin, dass ich jetzt plötzlich eins und eins zusammenzählen konnte. Dabei fiel mir etwas von großer Bedeutung auf: Der Mord in der Tiefgarage hing gar nicht mit dem geheimen Orden zusammen. Außer vielleicht einer Mitgliedschaft des Opfers in dem Bündnis. Das Motiv aber lag ganz woanders; und wenn ich die häufigsten Gründe für ein Kapitalverbrechen bedachte, tauchten immer wieder zwei an vorderster Stelle auf: Habgier und Eifersucht.
Habgier konnte ich in diesem Fall ausschließen. Also blieb die Eifersucht.
Ich sah den Entlarvten an, dessen Gesicht hier in den kahlen weiß getünchten Räumen etwas grau und verfallen aussah. Dabei konnte ich mir nur sehr schwer vorstellen, dass dieser kleine, unscheinbare, untersetzte Mann vor mir, der den Leuten Zeitungen, Zigaretten und Süßigkeiten an seinem Kiosk verkaufte, ein gefährlicher Killer war. Und ich ging ihm in die Falle wie ein Anfänger.
„Du hast versucht, mich zu überfahren“, versuchte ich meinen Fehler vor mir selbst herunterzuspielen.
Der Untersetzte lachte. Das beeindruckte ihn nicht.
„Außerdem hast du mit einem Messer nach mir geworfen. Dafür wirst du dich verantworten müssen. -Trotzdem interessiert es mich, warum du mich angegriffen hast, denn ich habe dir nichts getan.“
„Weil mir deine dämliche Schnüfflerfresse nicht passt. Klar?“ Er konnte mir nur Feindseligkeit entgegenbringen.
„Nein“, sagte ich, „das ist mir nicht klar.“
„Hör zu!“
Er schloss das Garagentor hinter sich und kam – von mir unbemerkt – einen Schritt auf mich zu.
„Meine Gründe gehen dich nichts an.“
„Kann sein. Allerdings gibt es keine Rechtfertigung für einen Mordanschlag, denn der Mann, den du in der Tiefgarage getötet hast, wird dir das Genick brechen.“
„Ich habe ihn bestraft, weil er Frauen entehrt hat, weil er Corvina geschändet hat, diese erbärmliche Sau!“, korrigierte er mich.
Verständnislos sah ich den kleinen Untersetzten an. „Davon weiß ich nichts. Es ist wohl eher so, dass beide sich einvernehmlich näher kamen.“
Er schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Für mich sah das völlig anders aus. Er hat sie in der Tiefgarage überrumpelt, sie zum Sex mit ihm gezwungen - und du bist genau so ein Schwein. Auch du hast sie dazu gedrängt, dass sie mit dir vögelt. Was sollte sie denn auch machen, um sich zu wehren? Sie ist alleine … schutzlos euch Aasgeiern ausgeliefert … sie hat doch niemand. Ich musste ihr doch helfen, sie beschützen.“
Er sah Sekunden lang zu Boden.
„Corvina will das nicht“, sagte er leise, „das weiß ich.“
„Ach? Woher denn?“, fragte ich.
Er hörte mir nicht zu.
„Meine Arbeit ist noch nicht vollendet“, entgegnete der kleinwüchsige Mann mir statt dessen trocken. Ein melancholischer Ausdruck zeichnete sein Gesicht. Kurz sah ich ihm direkt in die Augen. Dann sagte ich zu ihm: „Deine Aktionen stellen sich als irrational heraus, völlig unverhältnismäßig und unangebracht. Du hättest Corvina nämlich einfach fragen können, was sie will und was nicht. “
Er begann an seinen Nägeln zu kauen und überlegte dabei, was er mir darauf antworten sollte. Ich half ihm mit einer Anregung.
„Aber du als „Versteher“ von Gut und Böse, schaltest kurzerhand die Männer aus, die nur in die Nähe von Corvina kommen, was? Oder nur diejenigen, die mit ihr gefickt haben?“
„Halt die Klappe, Schnüffler! Du weißt gar nichts“, fauchte er.
„Doch!“, beharrte ich auf meiner Meinung.
„Du bist eifersüchtig und neidisch gewesen. Krankhaft fixiert auf Corvina. Dabei will die Frau gar nichts von dir. Sie denkt nicht eine Sekunde daran, dich als Partner in Betracht zu ziehen.“
„Nein!“, schrie er laut. „Du hast keine Ahnung!“
„Und ob“, entgegnete ich beherrscht. „Als du feststelltest, dass ich bei Corvina eingezogen bin, versuchtest du mich in deinem krankhaften Wahn zu töten. Wenn du sie nicht bekommen konntest, ein anderer sollte sie auch nicht haben.“
Energisch schüttelte er den Kopf.
„Ich wollte das doch nicht! Das war ein Unfall. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie herunterfällt“, murmelte er kaum hörbar.
Fest sah ich ihn in die Augen.
„Und dann haust du einfach ab, ohne ihr zu helfen …? Du bist krank!“
„Nein!“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin.
„Ihr seid krank. Allesamt! Ihr könnt nicht anders, als die unschuldigen, reinen und göttlichen Frauenwesen in den Schmutz zu ziehen, sie zu demütigen, zu beflecken und zu missbrauchen. Ihr nehmt sie einfach anderen Menschen skrupellos weg, die sich um sie kümmern. Und am Ende könnt ihr sie nicht einmal beschützen.“
„Gehörst du etwa zum Klan des Mahatma-Ordens?“
„Was?“
„Gehörst du zu dieser Sexsekte?“
„Zu diesen abartigen Kreaturen? – Du spinnst wohl!“
Mattes Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Nichts würde ich lieber tun, als diese verfluchten Frevler auszurotten, allesamt.“
„Aber du weißt schon, wovon ich rede?“, hakte ich noch mal nach.
„Natürlich weiß ich das. Schließlich bin ich ungehindert im Tempel ein und ausgegangen. Da gibt es nämlich einen vergessenen, ungesicherten Zugang durch den Keller, den wohl niemand mehr – außer mir – kennt. Man kommt da ganz leicht rein“, prahlte Gerhard. „Ich weiß Bescheid, was die da machen.“
„Und“, sprach ich für ihn weiter, „dann hast du Corvina und mich dort gesehen, du hast den Streit mit dem Rat des Ordens mitbekommen und die Gelegenheit genutzt, Corvina zu entführen.“
„Entführen? Du hast wohl ’nen Knall! Ich wollte sie retten.“
„Retten? Vor was … vor wem?“
„Vor euch, du Vollidiot!“, wetterte er, völlig von sich überzeugt. Eine andere Möglichkeit existierte für ihn erst gar nicht.
„Und dafür musste es ausgerechnet ein Baukran sein? Wie spektakulär.“
„Spektakulär? Keine Ahnung! Du hast wirklich keine Ahnung!“
Vernagelt schüttelte Gerhard den Kopf.
„Du willst so schlau sein, und bist strohdoof. Überlege doch mal! Wenn du klug wärst, dann würde dir sofort auffallen, dass der Kran für die kleine Baustelle viel zu groß ist. Er wird nur zum Hochziehen von Lasten benutzt. Man braucht normalerweise einen so langen Ausleger nicht.“
Ein triumphierendes Lachen huschte über sein rundes Gesicht.
„Aber wenn man den Turm um 180 Grad nach hinten dreht, reicht der Ausleger über die Dächer der angrenzenden Häuser. Man kann sich leicht auf den Haken setzen, das Seil herunter lassen und schon, gelangt man so in die Parallelstraße, direkt vor der U-Bahn Haltestelle. Kapiert?“
„Du bist ja wahnsinnig“, konnte ich mir nicht verkneifen. Ein erschrockener, fast entsetzter Ausdruck zeichnete mein Gesicht.
„Ja. Ja. Vielleicht bin ich in deinen Augen wahnsinnig oder krank. Aber das ist jetzt egal.“
Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass es für mich gefährlich wurde.
Er oder ich!
Ich wollte aufpassen, aber aus irgendeinem Grund unterließ ich es fahrlässig. Ich fürchtete mich nicht vor ihm. Deshalb gelang es dem Kioskbesitzer, von mir unbemerkt noch näher an mich heranzukommen. Zynisch lächelte er und er sah im Moment wirklich nicht gefährlich aus.
Bevor ich seine Hinterlist richtig realisierte, schnellte er urplötzlich vor wie eine Gazelle, packte mich an der Kehle und drückte gnadenlos zu. Mit der anderen Hand schlug er mich ohne Vorwarnung mit einer gewaltigen Wucht. Seine kleine, schmierige Faust traf mich schwer an der Schläfe und ließ mich zur Seite kippen. Dabei prallte mein Kopf hart gegen das Dach des R4. Er ließ meinen Hals los und versetzte mir blitzschnell weitere kräftige Faustschläge am Kopf. Angeschlagen taumelte ich zur Seite und gleich darauf stürzte ich ohne Gegenwehr ungebremst zu Boden. Rote Flecken, weiße Kreise, bunte Blumen und sämtliche Kung-Fu Stile, die ich gerade jetzt nicht anwandte, tanzten gleichzeitig vor meinen Augen. Stöhnend kämpfte ich gegen die drohende Ohnmacht an, konnte es aber nicht verhindern, dass mir kurz schwarz vor Augen wurde. Mein Knock-out nutzte Gerhard, um mir blitzschnell die Hände mit einem langen Kabelbinder auf den Rücken zu fesseln. Das Gleiche tat er - am Boden kniend - mit meinen Füßen. Er setzte mich so flink außer Gefecht, dass es mir fast peinlich wurde, mich weiterhin als ausgebildeter Detektiv zu bezeichnen.
„Niemand kann sie mir wegnehmen, hörst du?“, keuchte er mir weit weg, wie durch dicke Watte ins Ohr, während er sich wieder aufrichtete.
„Auch du verfluchter Schnüffler nicht. Niemals kannst du sie für dich haben.“
Nur mit Mühe verstand ich, was er mir erzählte. Benommen richtete ich so gut es ging meinen Oberkörper auf und lehnte mich mit dem Rücken an die Karosse des R4.
„Was willst du damit sagen?“
„Du bist nicht der Einzige, der das versucht hat“, brüllte er wie von Sinnen, „aber sie hat mich lieb. Sie liebt mich, ich bin sicher. Ich bin der Mann, in den sie verliebt ist. Verstanden?“
Mit zusammengekniffenen Augen sah ich den Untersetzten fragend an. Wenn ich ihm Recht gab, ließ er mich dann vielleicht gehen?
Niemals! Dieser Verrückte wollte mich zappeln sehen. Schlimmer noch. Er wollte mich aus der Welt, aus seiner Welt schaffen.
Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf versuchte ich Zeit zu schinden.
„Wen meinst du? Corvina kann das niemals sein“, sagte ich lahm.
Gerhard krauste die Stirn. „Willst du mich noch immer verarschen, Schnüffler?“, fragte er ungläubig. An den kahlen Stellen am Kopf bildeten sich Schweißperlen, was darauf hindeutete, dass sein Blutdruck stieg.
Kopfschüttelnd konterte ich mit einer klaren Antwort und schob gleich eine Gegenfrage hinterher: „Nein! Ich will dich nicht verarschen. - Du aber willst über Corvina Petri Bescheid wissen?“
Er antwortete nicht, sah nur mit stierem Blick zu mir herab.
„Ich werde es dir sagen! Corvina ist eine junge Frau, die viel ausgeht, die ihr junges Leben genießt. Weißt du, was eine Frau macht, die viel ausgeht? Sie trifft sich mit zahlreichen Leuten; auch mit Männern. Eine Frau wie sie hat jede Menge Spaß mit den Männern.“
„Halt die Fresse! Ich will das nicht hören.“
„Es ist aber so.“
„Du Vollidiot!“, attackierte er mich wieder. „Das macht Corvina doch nicht aus Liebe, und erst recht nicht freiwillig.“
Jetzt wurde ich sauer, denn der, der mich einen Vollidioten nannte begriff selbst nichts, gar nichts.
„Ja schau dich doch mal an!“, brüllte ich los.
„Klein, fett und Glatze. Du bist schlechthin der Inbegriff von Hässlichkeit. Mit anderen Worten: Du siehst einfach Scheiße aus, mein Junge; bist viel zu alt für Corvina.“
Er nahm meine Beleidigung gelassen entgegen.
„Na und“, meinte er überheblich, „als ob das Alter und Aussehen alles wäre.“
Ich konnte nicht aufhören, ihn verbal anzugreifen, für all die Untaten, für all das Leid, was dieser kranke, eingebildete Pinsel anderen Menschen antat. Er schien noch bekloppter zu sein als manche, die im Mahatma-Orden beheimatet waren. Dieser Mann war „naturbekloppt“ und deshalb um ein Vielfaches gefährlicher. Ich sagte ihm das auch, ohne mir dabei bewusst zu werden, selbst in tödliche Gefahr zu geraten.
„Tja – wenn man auch noch einen kleinen Schwanz hat, dann wird’s eng, besonders bei den Frauen.“
„Mein Schwanz ist nicht klein, du Wortwichser. Er ist vielleicht größer als deiner.“
„Aber ficken durfte er Corvinas ’Dose’ nicht – meiner schon. – Willst du noch mehr wissen, mein Lieber?“
„Nichts mehr“, sagte er, und ich spürte, dass es ihm schwerfiel, mit dieser Tatsache zurechtzukommen. Der Gedanke daran erinnerte ihn aber gleichzeitig daran, dass er gerade Macht über mich hatte und diese Macht wollte er auskosten, solange es ging.
„Das ist egal“, meinte er triumphierend. „Da wo wir jetzt gemeinsam hingehen werden, da brauchst du deinen großen Schwanz nicht mehr.“
„Was soll das heißen?“, fragte ich.
„Dass wir eine Reise antreten, von der niemand zurückkommt; unsere letzte“, erwiderte er hämisch.
„Du hast wohl ’nen Klaps weg, was“, bellte ich ihn an.
„So? Das werden wir ja sehen.“
Auf der Fahrerseite riss er die Tür von dem alten Renault auf und startete, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, den Motor. Kurz darauf erfüllte weißer beißender Qualm die Garage.
„Was soll das? – He, mach keinen Scheiß!“
Er lachte, knallte die Tür des Autos zu, rutschte mit dem Rücken an der Karosserie des R4 herunter und setzte sich neben mich.
„Sterben ist nicht einfach“, behauptete er. Seine starren Augen blickten verloren zum Boden. „Es gibt aber eine Gerechtigkeit – keine irdische – nein, eine höhere. Eine Himmlische. Und darüber bin ich sehr froh.“
„Ich habe das alles nicht so gemeint, Gerhard“, versuchte ich mich mit ruhiger Stimme bei ihm zu entschuldigen. Vielleicht stimmte ihn eine Abbitte ja noch um. Doch er ließ mir keine Chance mehr.
„Das ist jetzt egal“, stieß er wieder hervor.
Ich sah ihn von der Seite an. „Und was ist mit Corvina, die du so liebst. Sie wird allein sein. Er wird niemanden geben, der sie beschützt.“
Gerhard konnte nicht mehr antworten, vielleicht wollte er auch nicht. Jedenfalls bekam ich mit, dass er keine gute körperliche Kondition besaß. Bei der dicken Luft, die hier jetzt herrschte, überfiel ihn relativ plötzlich Schwäche. Er verdrehte die Augen, sein Kopf fiel auf meine Schulter und sein Gesicht bekam nur wenig später eine hellrote Farbe. Sein Atem ging hastig und schwer.
Er hustete.
„Mach das Garagentor auf, bitte!“, stieß ich hervor.
Das kleine Kerlchen reagierte nicht und tat so, als gehe ihn das nichts mehr an. Nur ein paar Minuten später röchelte er; er schluckte, würgte. Dann kotzte er los. Weißen, zähen Schleim.
Ich stieß ihn von mir. Leblos sank sein Körper zur Seite.
Er erstickte, wenn ich nichts unternahm ... doch was konnte ich tun? Gar nichts. Verzweifelt versuchte ich, irgendwie über den Boden zur Tür zu robben. Das funktionierte aber nicht. Zu sicher hatte er mich gefesselt. Außerdem fehlte mir die Kraft, gegen die Schwere in meinen Gliedern anzukämpfen.
Vor meinen Augen stiegen die Nebel der Auspuffgase immer schneller zur Decke, der Raum schien sich zu lichten und dahinter kam eine schwarze Wand auf mich zu.
Der Tod!
Meine Gliedmaßen fühlten sich an wie Blei, ich zitterte vor ohnmächtigem Zorn und vor Angst. So also sah das Schicksal mein Ende vor.
Kohlenmonoxidvergiftung!
Viel zu bald und völlig sinnlos, nur weil ein Psychopath mit seinem Leben nicht zurechtkam, sich unerfüllt verliebte wie ein Graupapagei in eine Büffelkuh. Deshalb musste ich so jung sterben, durch eine Gasvergiftung. Das wollte ich nicht einsehen.
Doch es war aus!
So etwas lernt man schon in den ersten Wochen in der Ausbildung. Deshalb wusste ich genau, dass es hier kein Entrinnen mehr gab. Nicht für mich.
Nur wenige Minuten, vielleicht nur noch Sekunden, dann würden auch bei mir die Symptome auftreten. Kopfschmerzen, Benommenheit, Schwindel. In meinen Ohren würde „Daniel Düsentrieb“ sausen, und vor meinen Augen würde es flimmern wie die Wüste in der Gluthitze. Schon jetzt konnte ich kaum noch atmen und eine schleichende Übelkeit überfiel mich. Nicht mehr lange, dann musste ich mich wie Gerhard übergeben, ich würde bewusstlos werden und mein Herz würde seinen Dienst versagen.
Ich hörte und sah nichts mehr. Der beißende, weiße Nebel hüllte mich vollständig ein. Ich fühlte mich wie in Trance und konnte nicht mehr klar denken. Nur noch die Furcht vor dem Tod umschlich mich und umkreiste mich wie eine Tempelhure.
Aber mit der Angst ist es wie mit den Schmerzen. Auch da gibt es Grenzen. Man überschreitet sie normalerweise nicht, weil man sich vorher nicht vorstellen kann, so große Angst und Schmerzen überhaupt zu ertragen. Dessen ungeachtet lernte ich in dieser Situation, dass man nichts mehr fühlt, wenn man hinter diese Grenze gerät. Der Schmerz und die Angst ermorden sich, weil sie sich selbst nicht mehr aushalten.
Hatten Sie auch schon einmal solchen Moment? Einen Augenblick, an dem Sie glaubten, dass Sie nicht sterben können?
Verflixt!
Es musste doch etwas geschehen, oder es wäre besser gewesen, ich wäre zusammen mit Corvina vom Kran geflogen, denn dann hätte ich nicht alleine so jung das Zeitliche segnen müssen, und erst recht nicht neben einem, dem sowieso niemand mehr helfen konnte …
Jetzt geschah das Wunder!
Von außen riss jemand die Flügeltüren der Garage auf. Helles Sonnenlicht erfüllte den vernebelten Raum, frische Luft sog den Mief aus der Garage, sodass ich für einen Moment meinte, die Tore zum Paradies täten sich für mich auf. Und als mich ein »schwarzer Engel« ins Freie zog, glaubte ich dem Vorhof des Totenreichs entrissen zu werden.
Von Weitem rief jemand: „Hierher! Er lebt!“
Daraufhin machte sich Hektik breit. Sofort sperrte die Polizei den Tatort ab und versuchte erfolglos die Schaulustigen zu verscheuchen. Die Feuerwehr kümmerte sich um die verseuchte Garage, die Sanitäter und der Notarzt um mich.
Ich bekam von alledem nichts mehr mit. Aus Erzählungen weiß ich aber, dass es sehr ernst um mich stand und mein Schutzengel bereits im Begriff war, sich von mir zu verabschieden.
Der Notarzt hatte mit den Sofortmaßnahmen alle Hände voll zu tun. Es ging vorrangig darum, einen Kreislaufstillstand bei mir zu verhindern. Ich musste künstlich beatmet werden und sie verpassten mir eine Sauerstoffüberdruckbehandlung, frottierten mir die Glieder und schützten mich so vor dem Wärmeverlust.
Nur Corvinas Neugier, die Vollblutjournalistin in ihr, die nicht widerstehen konnte, die geöffnete E-Mail-Nachricht auf meinem Laptop zu lesen, und die richtigen Schlüsse, die sie daraus zog, nur deshalb überlebte ich - wie durch ein Wunder - die erneute Attacke des Psychopathen. Als Corvina vom Fenster ihrer Wohnung Rauch aus der Garage aufsteigen sah, alarmierte sie Feuerwehr und Notarzt! Die Polizei kam automatisch.
Wäre die Journalistin nur wenige Minuten später nach Hause gekommen … ich wäre tot!
Diesmal hatte ich unsagbares Glück und dieses Mal verdankte ich Corvina mein Leben.
Für Gerhard Buck kam jede Hilfe zu spät.
* * *
Der Rest waren stupide Polizeiarbeit und Abschlussermittlungen der Kripo. Zeugenaussagen, Protokolle, Überprüfungen.
Für mich als privater Ermittler blieben viele Fragen offen.
Zum Beispiel, weshalb Gerhard über so reichliche Informationen und Details verfügte, die Corvina betrafen. Der Kerl musste sie pausenlos observiert haben. Ich fragte mich, wie es sein konnte, dass die Journalistin seinen Liebeswahn nicht bemerkte, nicht mitbekam, was mit diesem Mann los war.
Gut: Nicht auf jedes Detail konnte ich eine befriedigende Antwort finden. Doch das musste ich auch nicht. Die Kripo fand sie bestimmt, wenn sie danach suchte.
Was mit dem Mahatma-Orden passierte, wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Es sah aber so aus, als konnte der Verein unbehelligt von der Staatsmacht weitermachen wie bisher. Niemand konnte nämlich den „erneuerten“ Brüdern und Schwestern eine Straftat nachweisen. Nicht nur deshalb überlegte ich mir ernsthaft – noch immer beeindruckt von der erlebten Todesnähe - ob ich dem Geheimbund beitreten, und mich offiziell als »Studierender« in alle Geheimlehren des Ordens einführen lassen sollte; bis herauf in die vierte Loge, vielleicht sogar bis hin zum Prinzipal. Außerdem konnte ich dann Mai-Lin wiedersehen, die mir garantiert nicht alle ihre Geheimnisse verraten hatte, und ich dürfte offiziell den Panamahut aus Ecuador aufsetzten.
Das Erlebte spukte so lebendig in meinem Kopf und machte mich immer wieder unfähig, klaren Gedanken nachzugehen. Doch ich hoffte, dass das starke Gefühl, das Verlangen, noch mehr von den geheimnisvollen Ritualen zu erfahren, eines Tages nachlassen würde. Eine vage Hoffnung nur, denn schon jetzt wusste ich sicher, dass es bei dieser Erwartung bleiben würde.
Nachdem ich die Klinik verlassen durfte, wurde es Zeit, endlich meine Sachen bei Corvina abzuholen. Auch diese notwendige Angelegenheit fiel mir schwer, obwohl ich gar nicht so lange bei ihr wohnte. Man gewöhnt sich rasend schnell an Umstände, dass es - wenn man in „alte“ Umgebung zurückkehrt - schon nach einer Woche so aussieht, als käme man von einer langen Reise zurück nach Hause.
Auch der Journalistin fiel der Abschied nicht leicht. Uns verband etwas nach dem Erlebnis auf dem Kran und in der Garage. Etwas Unausgesprochenes, ein starkes Gefühl, das uns zueinander hinzog; eine Seelenverwandtschaft. Oder war es nur Dankbarkeit?
Ich wusste es nicht genau.
Jedenfalls redete Corvina sehr viel, tröstete sich damit, dass wir uns ja sehen könnten, wann immer wir wollten.
Nervös tigerte sie durch ihre Wohnung, bis ich sie am Arm festhielt.
„Komm Corvina. Lass uns in die Tiefgarage gehen“, meinte ich augenzwinkernd zu ihr, obwohl ich gerade anfing, Garagen zu hassen und mich vor einer Panikattacke fürchtete.
Sie kniff die Augen zusammen und sah mich überrascht an.
„Was sollen wir da machen?“, fragte sie.
Ich warf ihr ein Küsschen zu.
„Ficken!“, sagte ich, griff blitzschnell nach ihrer Hand und zog sie hinter mir her in Richtung Tür.
„Ich kann nicht anders, als dich unschuldiges, dich reines und göttliches Frauenwesen in den Schmutz zu ziehen; ich muss dich demütigen und werde dich schamlos missbrauchen …“
„Ja!“, kreischte sie immer wieder, als ich mit ihr an der Hand durchs Treppenhaus hinab in die Tiefgarage rannte. „Ja … ja … tue es!“
Eines hatte ich bei diesem Auftrag gelernt. Ein Bodyguard muss jeden Tag so leben, als sei es der Letzte.
Ein „Schnüffler“ auch.
Ende
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Copyright 07/2008 by Jeremy Kottan
Korrektorat: GENO
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Hinweis: Für meine Freunde und Fans gibt es von dieser Geschichte eine eBook-Edition im Adobe PDF-Format. Interessierte können diese über den Autorenkontakt anfordern.
Über zahlreiche Bewertungen und Kommentare freue ich mich.
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Kommentare
(AutorIn)
Kommentare: 38
vielen Dank für dein Feedback. Hat mich gefreut.
Um deine Frage zu beantworten: Nein, es wird wohl bei dieser einen Story bleiben. Eine Fortsetzung ist nicht geplant.
@HG1
ich freue mich, dass dir meine Geschichte Spaß gemacht hat - allein das zählt :-)
Euer Jeremy«
Kommentare: 5
Darf man auf eine Fortsetzung hoffen?
Gruß Jennifer«
Kommentare: 66
Jedoch fand ich den ersten Teil besser. War noch geheimnisvoller (storybedingt) und ... runder. Irgendwie bist du nicht so konsequent gewesen in Teil 2. Die Loge zu schnell abgehandelt, die Sache mit Gerhard stand so nebenbei.
Was mir noch aufgefallen ist: Du setzt einige Wörter in Anführungsstriche. Diese Wörter habe ich jeweils nicht so passend gefunden.
So, genug Kritik. Es hat trotz allem Spass gemacht zu lesen«
Kommentare: 19
Sie ist in meinen Augen gut und sie reist ein mit.
Mach so weiter. DANKE!!!!!!!«