Perfekt
von Valain
Perfekt März 2017
Wie immer am Freitag nach der Frühschicht, ging Robert direkt in den
nahegelegenen Supermarkt, um für‘s Wochenende einzukaufen.
Um diese Zeit war es noch nicht so voll und es fiel ihm danach leichter, die
Sachen in den fünften Stock zu tragen. Später war er müde, legte sich meistens
kurz auf‘s Ohr und hatte dann keine Lust mehr nochmal runter zu gehen.
Seine Einkäufe waren in der Regel schnell erledigt. Er musste knapp rechnen,
Extravaganzen konnte er sich nicht leisten.
Das alte Auto war der einzige Luxus den er sich gönnte, der tägliche Weg zur
Arbeit wurde dadurch um eine halbe Stunde verkürzt.
Robert lebte alleine und er hatte, was das kochen betraf, seit Jahren ein
Repertoire das er beherrschte und nicht allzu viel Mühe bereitete. Seine
Wohnung war klein, zwei Zimmer, Dusche, Klo und einer Küche, die nur eine
Nische war. Doch er kochte mit Lust und staunte manchmal selbst, was er auf
zwei Herdplatten zustande brachte.
Beinahe schlafwandlerisch schob er den Einkaufswagen durch die Gänge und
griff zu den Sachen die auf dem Zettel standen. Lediglich die Sonderangebote
brachten ihn manchmal aus dem Konzept, er packte dann schon mal das eine
oder andere ein, was nicht vorgesehen war.
Am Weinregal stand ein Mann und studierte Etiketten. Genau da, wo der Rioja
stand, den er gewöhnlich für‘s Wochenende kauft.
„Entschuldigung, dürfte ich mal bitte...?“
„Oh, Pardon, ich stehe im Weg,“ sagte der Typ und trat einen Schritt beiseite.
„Danke, geht schon.“
Robert griff nach seinem momentanen Lieblingswein und legte eine Flasche in
den Einkaufswagen.
Auf dem Weg zur Kasse hatte er die Idee, endlich seine zwei besten Freunde
zum Essen einzuladen, ein Vorhaben, das er seit langem von einem
Wochenende auf‘s andere verschoben hatte.
Die beiden Hühnerbrüste würden auch für drei Personen reichen und die
Champignons auch. Vielleicht krieg ich ja die Kurve, ging ihm durch den Kopf.
Entschlossen schob er den Wagen zurück, um eine weitere Flaschen zu holen.
Der Typ stand immer noch da und schien sich nicht entschliessen zu können.
„Sorry, darf ich noch mal?“ Er trat erneut beiseite und schaute Robert an, als
wäre es ihm peinlich, dass er sich nicht entscheiden konnte.
„Ist der gut?“ fragte er plötzlich, “ich kenne mich nicht so aus und bekomme
heute Abend Besuch.“
„Ja, kann ich empfehlen, zwar kein Spitzenwein, aber in der Preislage machen
sie nichts falsch.“ meinte Robert, griff nach einer weiteren Flasche und legte sie
in den Wagen.
„Danke!“ sagte der Mann lächelnd und schien sich noch immer nicht
entscheiden zu können.
Robert stand vor den Blumen und konnte sich auch nicht entscheiden.
Rosen oder Nelken, einsneunundneunzig, doch welche Farbe ?
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Gelb hatte er letzte Woche, pink nicht schon wieder, weiss war schon gammelig,
also doch rote Rosen? Nein, dann halt keine Blumen. Rote Rosen bekommt
man geschenkt, man kauft sie sich nicht selbst.
Es war früher Nachmittag und nur eine Kasse besetzt. Zwei junge Frauen mit
quengelnden Kindern und überquellenden Einkaufswagen standen vor ihm.
Sie schienen sich zu kennen und quasselten in einem fort in einem Migranten
Kauderwelsch über Sonderangebote und ihre Männer, die auf Montage arbeiten
würden und am Wochenende fix und alle wären. Dabei lachten sie und
verdrehten die Augen.
In der verspiegelten Säule beobachtete Robert den Typ vom Weinregal, der
direkt hinter ihm stand und versonnen in die Gegend guckte. Er hatte nichts
anderes im Korb, als zwei Flaschen Wein und wartete geduldig.
Manchmal trafen sich ihre Blicke im Spiegel, kurzes Lächeln, dann schaute
jeder schnell woanders hin.
Bürohengst, ging Robert durch den Kopf, aus einem der Versicherungsbüros in
der Gegend.
In der Mittagspause bevölkern sie die Restaurants, die Schnellimbisse, die
Kioske. Eine halbe Stunde später sind sie weg, wie vom Erdboden verschluckt.
Beim zweiten Blick erinnerte ihn der Typ eher an Führungsetage.
Sein korrektes Äusseres war auffallend, obwohl er in keinster Weise
geschniegelt wirkte. Ein bisschen wie George Clooney in den Filmen, die in
eleganten weißen Hotelzimmern oder Appartements spielen. Angegrautes Haar,
perfekt gescheitelt, der anthrazitfarbene Anzug sass wie angegossen.
Die Seidenkrawatte hatte exakt den Ton seiner wasserblauen Augen. Mit kleinen
dunklen Punkten, die ihn wie unzählige Pupillen im Spiegel plötzlich anstarrten.
Was macht so ein Typ in diesem Hinz und Kunz Supermarkt ? Der kauft seinen
Wein doch mit Sicherheit woanders, zwölf Flaschen ‚Chateau‘ irgendwas, zu
fünfundzwanzigneunzig die Flasche.
Der Typ sah auf die Uhr, die einzige Geste, die auf Ungeduld schließen liess.
An seinem entblößten Handgelenk schimmerte eine goldene Armbanduhr von
dezenter Eleganz. Das zartblaue Hemd war mit ovalen Manschettenknöpfen
geschlossen, in deren Mitte ein dunkelblauer polierter Stein glänzte.
„Gehen sie doch nach vorne, wenn sie nur die Flaschen haben.“ sagte Robert.
„Danke, nicht nötig. Ich habe ausnahmsweise Zeit.“ antwortete er freundlich.
Die Schnatterfrauen stapelten Pizzen, Dosenbier, Kekse und billige
Fruchtjoghurts auf das Laufband und legten einen Warentrennstab zwischen die
Berge. Als sie ihr Eingekauftes endlich in zahlreiche Tüten verstaut hatten, legte
Robert seine Sachen auf das Band.
Wieder traf sein Blick im Spiegel die Augen des Mannes im Anzug.
Diesmal war es Robert peinlich, weil er sich ertappt fühlte. Während die
Kassiererin seine Waren einscannte klingelte hinter ihm ein Handy.
Der Typ stellte die Flaschen ab und griff nach seinem flachen silbernen Gerät.
„Ja, bitte?“ sagte er.
Nach einem mehrmaligen „Mmh“ kam plötzlich ein entschlossenes: „Schade,
wirklich schade, ich hatte mich schon sehr gefreut. Macht ja nichts, vielleicht ein
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andermal. Nächste Woche? Tut mir leid, da bin ich verplant. Genau, wir finden
einen Termin. Also dann, -wir hören, tschüss, ja tschüss.“ Dann steckte er das
Handy weg.
Als Robert bezahlt hatte, kam eine beleibte, stark geschminkte Frau auf ihn zu
und streckte ihm einen Euro entgegen.
„Kann ich Wagen haben? Wissen sie, Brille zuhause. Euro in Wagen geht ohne
Brille nix gut.“
„Aber ja, bitte!“ sagte Robert, nachdem er begriffen hatte, was die Frau wollte.
Er sah ihr amüsiert hinterher und wunderte sich, wie eine so dicke Person auf so
dünnen Absätzen gehen kann.
‚George Clooney‘ bezahlte in diesem Moment seine beiden Flaschen. Als er
bemerkte, dass Robert in seine Richtung schaute, winkte er plötzlich.
“Hallo, sie! Warten sie einen Moment.“
Robert wusste nicht genau, ob er gemeint war, doch er fühlte sich
angesprochen. Der Mann kam auf ihn zu und streckte ihm lächelnd die
Plastiktüte mit den Weinflaschen entgegen.
„Darf ich ihnen den Wein schenken? Ich brauche ihn nicht mehr. Meine
Verabredung hat eben abgesagt und alleine trinke ich keinen Wein. Bitte,
nehmen sie sie!“
„Danke sehr nett,“ stotterte Robert „den können sie doch ein andermal trinken,
der wird ja nicht so schnell schlecht.“
„Nein, er war für heute Abend gedacht.“
„Das kann ich nicht annehmen, geben sie ihn doch zurück, dann bekommen sie
das Geld wieder.“
„Das fände ich albern, es geht mir nicht um die paar Euro, bitte nehmen sie.
Ich werde in der Innenstadt noch ein paar Einkäufe machen und einen Café
trinken, anschließend suche ich ein Restaurant um etwas zu essen. Da würde
die Tüte nur stören. Robert hätte wetten können, dass ihn zuhause in der
Halbhöhenlage eine adrette Frau und zwei pubertierende Kinder erwarten, doch
offensichtlich lebte er alleine. Vielleicht war es Anmache und ich Dussel hab mal
wieder nix gemerkt, geht ihm durch den Kopf. Nein, er will seine Tüte loswerden,
das ist alles.
Eigentlich war er Roberts Traumtyp. Ende vierzig, Anfang fünfzig, schlank, gute
Manieren, angenehme Stimme und er trug einen Anzug, der ihm verdammt gut
stand. Anzüge hatten für Robert beinahe Fetischcharakter. Sie symbolisierten
für ihn Erfolg, Durchsetzungsvermögen und Sex. Vielleicht hatte er dieses
Faible, weil er selbst wenig Gelegenheit hatte, einen Anzug zu tragen. Mal zu
einer Opernvorstellung oder Hochzeit, doch er kommt sich jedes Mal verkleidet
vor.
Als er aus seiner Reflexion erwachte, stand der Mann immer noch da und hielt
ihm die Tüte entgegen. Robert kam es vor, als wären fünfzehn Minuten
vergangen, doch es waren tatsächlich zwei Sekunden. Der Typ schien seine
Verunsicherung zu spüren und sagte plötzlich: „Es sei denn, wir trinken ihn
gemeinsam.“
„Was trinken wir gemeinsam?“
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“Na den Wein!“
„Wie soll ich das verstehen?“ stotterte Robert.
„Haben sie heute Abend etwas vor?“
„Nein, bis jetzt nicht.“ sagte Robert verblüfft und wahrheitsgemäss.
Der Typ zog eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Jacketts und hielt sie
Robert entgegen.
„Hier, meine Adresse. So gegen acht? Ich habe bereits ein kleines Essen
bestellt, für einen Gast, der eben abgesagt hat. Kommen sie? Ich würde mich
sehr freuen.“ Robert kam sich überrumpelt vor. Der Mann sah ihm
erwartungsvoll in die Augen und lächelte so umwerfend, dass er in diesem
Moment alles andere abgesagt hätte.
„Okay, warum nicht. Es ist zwar eine ungewöhnliche Einladung, doch ich nehme
gerne an. Um acht sagten sie ?“ „Ja, plus, minus halbe Stunde. Ich freue mich
und nehme den Wein jetzt doch mit und erwarte sie heute Abend bei mir
zuhause. Falls sie Probleme haben, das Haus zu finden, rufen sie einfach an.
„Okay mach ich.“
„Dann freue ich mich auch, bis später!“ sagte Robert und sah ihm verdutzt
hinterher. Er rieb sich die Augen, als ob er geträumt hätte, dann sah er auf die
Visitenkarte.
Bruno Berger stand drauf, elegantes helles Grau, in einer schlichten schwarzen
Schrift die notwendigsten Informationen. Name, Adresse, Handynummer, kein
Schnörkel, kein Schnick-Schnack. Robert trug seine Einkäufe nach Hause und
warf erst mal die Kaffeemaschine an. Wie kommt so ein Typ dazu, mich
einzuladen? Was will er von mir? Ein Schäferstündchen? Gut, ich würde ihn
nicht abweisen, im Gegenteil. Doch nichts deutete darauf hin. Schwule Männer
blicken einen anders an, taxierender, abschätzender. Bei ihm war nichts, ausser
Freundlichkeit und Spontanität.
Was findet er an mir? Gut, ich sehe nicht aus wie ein Zombie, doch aus dem
Lustknabenalter bin ich längst raus. Meine Alltagskleidung ist nicht der feine
Zwirn, den er so selbstverständlich trägt, wie ich Jeans und Pulli.
Mit Sicherheit hat einen angenehmeren Job als ich. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass er dementen Alten die Windeln wechselt, sie füttert und aus
dem Bett hievt. Vielleicht ist er nur einsam, ging Robert durch den Kopf.
Vielleicht stürzte ihn die Absage einer Verabredung in eine tiefe Krise. Robert
wusste selbst, was es bedeutet, ungewollt alleine zu sein.
Um sich abzulenken, schaltete er den Fernseher ein. Er zappte sich durch die
Kanäle und blieb bei einer Vorabendserie hängen. Gut aussehende Menschen
in hippen Klamotten hatten in noch hipperen Wohnungen unsägliche Probleme.
Normalerweise putzte er Freitag nachmittag die Wohnung, doch im Moment
hatte er weder Lust dazu, noch brachte er etwas anderes zustande. Mit dem
Staublappen in der Hand sass er vor der Glotze und schlürfte den Kaffee. Statt
zuzusehen, träumte er vor sich hin. Aurelienstrasse, nie gehört, obwohl er schon
lange in dieser Stadt wohnt.
Der Stadtplan lag im Auto, also fuhr er sein Laptop hoch, um nach der
Aurelienstrasse zu googeln.
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Plötzlich fiel ihm ein, dass er vergessen hatte Brot zu kaufen. Alles half nichts, er
musste nochmals runter zum Bäcker. Bei der Gelegenheit nahm er noch ein
Stück Kuchen mit und holte den Stadtplan und zwei Flaschen Mineralwasser
aus dem Auto.
Als er wieder im 5.Stock ankam, war er so aus der Puste, dass er sich vornahm
nächste Woche wieder ins Training zu gehen. Überhaupt fand er sich momentan
wenig attraktiv und überlegte, ob er nicht anrufen und absagen soll.
‚Nein, das wäre unfair, schließlich ist der Kerl heute schon mal versetzt worden.
Die Einladung kam sehr spontan und herzlich, nein ich geh da hin, beschloss er,
so eine komische Einladung brachte etwas Spannung in sein eintöniges Leben.
Die Aurelienstrasse war eine kleine Nebenstrasse im Osten der Stadt. Er
markierte sie im Stadtplan mit einem Kreis und während er mit schlechtem
Gewissen den Kuchen mehr verschlang als ass, beobachtete er die Wolken.
Zum ersten Mal seit Wochen entdeckte er am Himmel einen blauen Fleck. Der
April machte bisher seinem Ruf alle Ehre und zeigte sich von der
schmuddeligsten Seite. Dann trat plötzlich ein Sonnenstrahl durch das
Wolkenloch und schien auf den Küchentisch. Es war kurz nach sechs. Unter der
Dusche überlegte er, was er anziehen soll. Seine Lieblingsjeans war in der
Wäsche, samt dem neuen hellblauen Pulli, über den er am ersten Abend
Tomatensauce gekleckert hatte. Innerhalb von zehn Minuten sah das
Schlafzimmer aus wie ein Schlachtfeld.
Den Fleck auf der beigen Hose, für die er sich schließlich entschied sah man
kaum.
Weißes Hemd kommt immer gut, dachte er prüfenden Blickes vor dem Spiegel.
Vorsichtshalber nehme ich noch einen Pulli mit, man weiß ja nie. Die
Entscheidung Lederjacke oder Sacco dauerte noch mal eine Viertelstunde, sein
Bett sah inzwischen aus, wie ein Wühltisch bei C&A.
Im Kühlschrank war noch der Prosecco, den er vor Wochen für ein Sexdate
gekauft hatte, das dann frustrierender weise doch nicht stattgefunden hat.
Froh darüber, dass die Flasche noch da war, begann er mit der Suche nach
einem Einwickelpapier. In kürzester Zeit war auch der Flur in ein Chaos
verwandelt.
Kurze Kontrolle im Spiegel, Zähne blecken, ob sich nicht irgendwo doch noch
ein Kuchenkrümel versteckt hat. Der Griff in die oberste Schublade der
Kommode passierte schon automatisch. Ohne hinzusehen steckte er drei
Kondome in die Gesässtasche, machte den Fernseher aus, kippte noch einen
Schluck Wasser in den Basilikum auf dem Fensterbrett und schloss mit einem
merkwürdigen Gefühl die Wohnungstür ab.
Viertel vor acht stieg Robert mit Stadtplan und einer in Zeitungspapier
gewickelten Flasche Prosecco in sein klappriges Auto.
Er versuchte sich vorzustellen, wie der Abend werden wird. Über was werden
sie reden? Wird es zu Sex kommen? In der Regel wusste er, was ihn erwartet.
Doch heute wusste er gar nichts. Er wusste nur wie der Typ aussah und wie er
hiess, mehr nicht. So ein seltsames Date hat er in seinem ganzen Leben nicht
gehabt.
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Der Feierabendverkehr war noch nicht vorbei. Lange Schlangen vor roten
Ampeln, bei jedem Wechsel auf Grün, wurde Robert nervöser. Als er sich in der
Nähe der Aurelienstrasse befand, begann er nach einen Parkplatz zu suchen.
Das Viertel war dicht bebaut und vollgeparkt. Zur Strasse hin hatten die Häuser
den drögen Charme der sechziger Jahre, doch in den Hinterhöfen gab es
Backsteingebäude aus dem letzten Jahrhundert. Kleine Druckereien,
Designbüros, Medienagenturen hatten sich dort eingenistet und da es
Freitagabend war, fand Robert hier einen Parkplatz.
Die Strasse war leicht ansteigend, Nummer 68 das letzte Haus. Davor befand
sich eine Wendeplatte auf der verbotenerweise ein paar Autos parkten. Dahinter
stieg ein unbebauter steiler Hang an, der mit Büschen und Gestrüpp bewachsen
war.
Das Haus stand da, wie ein trutziger Backsteinturm mit fünf Etagen, der
überhaupt nicht zur restlichen Bebauung passte. In den beiden unteren
Stockwerken waren die eisernen Sprossenfenster mit weisser Farbe zu gemalt.
Darüber waren die Fenster so klein wie Schiessscharten. Die einzige Tür war
aus grau lackiertem Eisen, mit einem kleinen vergitterten Fenster.
Ein paar Stufen führten hinauf, es gab nur eine Klingel. ‚B.Berger‘.
Robert las noch einmal die Adresse auf der Karte, ob er sich auch nicht geirrt
hätte, so seltsam kam ihm dieses Haus und diese Gegend vor.
Wenigstens gab es bei der Klingel eine Sprechanlage. Zögerlich drückte er den
Knopf. Es dauerte, bis sich eine Stimme mit „Ja bitte“ meldete.
„Ich bin‘s, Robert Reiser, ihre Einladung vom Supermarkt. Erinnern sie sich?“
„Aber ja, ich habe dich erwartet. Nimm den Aufzug,“ sagte die Stimme, “der ist
zwar alt, doch er funktioniert.“
Er hat mich geduzt, ging Robert durch den Kopf, als sich die massive Stahltür
summend öffnete.
Der Vorraum war schwach beleuchtet, von einer einsamen Neonröhre über der
Aufzugtür. So einen Aufzug hatte er schon öfter im Kino gesehen, in diesen
Gangsterfilmen, die meistens in New York oder Chicago spielten.
Es roch seltsam. Wie in einer alten staubigen Buchhandlung. Auch ein bisschen
nach Tier. Die Vorstellung, dass es hier Ratten geben könnte, passte überhaupt
nicht zu Bruno‘s Erscheinung. Bisher passte eigentlich gar nichts, fand Robert.
Er hatte einem schicken Altbau erwartet, oder gewagte neue Architektur in
Halbhöhenlage, doch nicht ein Haus, das eher an ein Gefängnis erinnert.
Ein ziemlich verbogenes Scherengitter entpuppte sich als Fahrstuhltür, das sich
jedoch mühelos öffnen liess. Der Fahrkorb schaukelte als er einstieg, doch die
dicken Seile, an denen er hing, flößten Vertrauen ein. Mit einem quietschenden
Geräusch schloss das Gitter. Es gab keinen Knopf, ein alter Drehschalter aus
Bakelit setzte das Fossil in Bewegung.
Im Schneckentempo ruckelte Robert nach oben. Jede Etage wurde von einer
funzligen Neonröhre beleuchtet, die regelmäßig angeordneten Türen erinnerten
tatsächlich an ein Gefängnis. Der Geruch nach Staub und Papier begleitete ihn
bis ganz oben, wo der Aufzug mit ein paar Nachruckern zum Stillstand kam.
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Beim Aussteigen stolperte er über die Stufe, mit der er nicht gerechnet hatte.
Auch die Türen in der letzten Etage waren abweisend verschlossen.
Ohne Klingel, ohne Namensschild. Eine steile kurze Eisentreppe führte noch
höher. Von dort kam Bruno‘s Stimme.
„Jetzt hast du es gleich geschafft, nur noch diese Treppe.“
Die Tritte auf den Eisenrosten erzeugten einen dumpfen Hall. Auf den letzten
Stufen stellte sich wieder die Erregung ein. Die einzige Tür, auch eine Stahltür,
stand offen.
„Komm rein. Sorry, ich bin noch kurz am Telefon.“
Zögerlich trat Robert durch die Tür.
„Wir sehen uns dann Dienstag, es bleibt alles wie besprochen.“ hörte er Bruno
sagen, dann kam ein Pieps.
„Entschuldige, war eben noch wichtig.“ sagte er, als er Robert mit
ausgestreckter Hand entgegen kam. „Schön, dass du kommst, ich weiß nicht
mal deinen Namen, es ist mir peinlich, dass ich dich nicht danach gefragt hatte.“
„Robert, Robert Reiser.“
“Ich bin Bruno.“
„Ich weiß, hallo Bruno.“
„Hallo Robert, hast du es gut gefunden?“
„Ja, war nicht so schwierig.“
„Hast du einen Parkplatz gefunden? Es ist manchmal zum Verzweifeln. Komm,
leg ab.“ Robert streckte ihm erstmal die Prosecco Flasche entgegen.
„Ich hab leider kein anderes Papier gefunden, ich hoffe es stört sie nicht.“
„Nein wirklich nicht, trotzdem vielen Dank.“, sagte Bruno lächelnd, „doch wollen
wir nicht beim Du bleiben?“
„Ja doch, entschuldige, ich muss mich erst daran gewöhnen.“
Der schmale Vorraum, in dem sie sich befanden, wirkte wie eine Schleuse zu
dem grossen Raum, in den ihn Bruno nun führte. Beim Eintreten war Robert so
überrascht, dass er ein lautes „Wahnsinn.“von sich gab. Gegenüber war keine
Wand, zumindest keine sichtbare. Sie war ganz aus Glas und man hatte das
Gefühl, auf eine Plattform zu treten, die kein Geländer hat. Völlig überwältigt
versuchte er Worte zu finden.
„Boah, diese Aussicht ist ja unglaublich.“
„Das geht jedem so, der zum ersten mal hier oben ist. Komm, tritt näher.“ sagte
Bruno freundlich.
Robert starrte geradeaus und ging wie magisch angezogen auf die Glaswand
zu. Der Blick in die Weite, über die anderen Häuser hinweg war umwerfend.
Die untergehende Sonne färbte den Wolkenschleier, der über der fernen
Hügelkette schwebte, in ein sattes Orange. Der Blick erinnerte eher an eine
Filmkulisse, als an eine reale Aussicht.
In so einem Licht, zu so einer Stunde, von solch einem Blickwinkel hatte er die
Stadt noch nie gesehen.
„Voll cool, das erwartet man nicht.“
„Siehst du, das ist der Grund weshalb ich hier wohne. Willst du nicht ablegen?“
Robert schlüpfte aus seiner Jacke, die Bruno entgegen nahm. „Bitte, setz dich
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doch.“ sagte er mit einer Geste auf die beiden Sofas weisend, die sich in der
Mitte des Raumes gegenüberstanden. „Danke, ich möchte noch etwas diesen
Blick genießen.“
„Tu das, ich hole uns inzwischen etwas zu trinken, entschuldige mich kurz.“
Er verschwand lächelnd mit Robert‘s Lederjacke in einem kleinen Flur.
Was für Manieren, was für eine angenehme Stimme, was für ein attraktiver
Mann. Alles an ihm wirkte korrekt, selbst in Jeans sah er aus, wie aus dem Ei
gepellt. Robert war nicht entgangen, dass der cremefarbene Pulli, den er trug so
dünn war, dass seine Brustwarzen durchschimmerten. Etwas, das ihn bei
attraktiven Männern besonders elektrisierte. Wahrscheinlich hatte er ihn hastig
übergestreift und keine Zeit mehr gehabt, die Frisur zu korrigieren. Das leicht
verstrubbelte gefiel Robert besser, auch der leichte Bartschatten stand ihm gut.
Trotzdem wusste er noch nicht, weshalb er hier war. Als Ersatz, nur weil jemand
abgesagt hatte, kam ihm plötzlich unwahrscheinlich vor.
Das ‚etwas zu trinken holen‘, dauerte seltsam lange.
Robert setzte sich auf eines der hellgrauen Ledersofas, zwischen denen ein
anthrazitfarbener Teppich lag, der kratzbürstig wirkte, sich beim Betreten jedoch
weich und flauschig anfühlte. Je dunkler es draußen wurde, desto mehr
veränderte sich im Innern die Lichtstimmung, wie von Zauberhand. Nun wurden
auch die großformatigen Bilder beleuchtet, die er davor kaum wahrgenommen
hatte.
Es waren eher Zeichnungen, die sich hell aus einer gemalten graugrünen
Struktur abhoben. Kinder, ein Junge und ein Mädchen konnte er erkennen.
Draußen färbten sich die Wolken in ein dramatisches Orange, die Sonne war
kurz davor, hinter dem Hügel zu verschwinden. Wieder stand Robert auf und
ging zum Fenster.
Er fühlte sich in eine andere Stadt, in ein anders Land, ja in eine andere Welt
versetzt. Ganz leise meinte er die Geräusche der Stadt zu hören, so leise, dass
es auch Einbildung sein könnte. Er wagte nicht daran zu denken, wie dieser
Abend weitergehen könnte.
Vielleicht braucht er wirklich nur Gesellschaft, vielleicht sogar mehr? Das
seltsame Gefühl, das er im Treppenhaus noch hatte, wich einer freudigen
Erregung, die ihn warm durchströmte. Er war sich sicher, dass es ein ganz
besonderer Abend werden würde.
Während er tief Luft holte, um der Erwartung Platz zu machen, nahm er plötzlich
aus den Augenwinkeln etwas großes Graues wahr, das sich schnell auf ihn zu
bewegte. Hinter ihm standen zwei riesige Doggen, die seine Hände
beschnüffelten und seinen Puls beschleunigten.
Bruno kam lächelnd mit einem Eiskübel und zwei Gläsern auf ihn zu.
„Darf ich vorstellen: Angelina und Carlotta.“
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2.)
„Komm, wir trinken den Aperitif draußen, es ist schön, wenn die Stadt ihre
Lichter anknipst.“ meinte Bruno, stellte alles auf einem kleinen Beistelltisch ab
und schob einen Teil des Fensters beiseite.
„Bitte, geh voraus, doch pass auf, die Stufe.“
Robert betrat die Terrasse so vorsichtig, als würde er als Erster den Mond
betreten. Die Hunde folgten ihm dicht und lautlos. Bruno kam mit zwei gefüllten
Champagnergläsern hinterher und überreichte ihm eines davon. Robert lächelte
verquält, als er ihm zuprostete. Die Hunde produzierten einen Klos in seinem
Hals, der ihn am Sprechen hinderte. Ein knappes “Danke, zum Wohl.“ war das
einzige, was er über die Lippen brachte. Er wurde ausgiebig beschnüffelt und
hatte den Eindruck, dass sich die Viecher schneller an seine Gegenwart
gewöhnten, als er sich an ihre. Plötzlich liessen sie von ihm ab und schlichen
nur noch um Bruno herum, der so gerecht wie möglich seine Streicheleinheiten
verteilte.
„Das ist ihre Zeit“, sagte Bruno, „sie haben gefressen, jetzt wollen sie
schmusen.“
Eine dünne Mondsichel schob sich hinter einer Wolke hervor.
„Schau, gleich ist sie ganz weg, die Sonne. Zum Glück ist nicht Vollmond, dann
würden Angelina und Carlotta die Terrasse nur unter Protest verlassen wollen.
Wir warten noch den Menüservice ab, dann dürfen sie ins Treppenhaus und wir
haben unsere Ruhe.“
Zum Glück ist nicht Vollmond, dachte Robert erleichtert, sonst hätten wir den
ganzen Abend diese Viecher um uns herum.
„Diese Terrasse vermutet man nicht, sehr raffiniert gebaut.“
brachte Robert über die Lippen, nachdem er gehört hatte, dass die Hunde bald
weg sein würden.
„Ja, der Architekt hat sich was dabei gedacht. Das Penthouse hier oben hat man
für den Archivar gebaut, Anfang der siebziger Jahre.“
„Für welchen Archivar?“
„Das ganze Haus ist ein Archiv. Ein Verleger hat es sich kurz nach der letzten
Jahrhundertwende bauen lassen. Unten war die Druckerei, darüber die Büros,
dann nur noch Lagerräume. Deshalb dieser Papiergeruch. Der Mann war Jude
und hatte hier einen kleinen aber feinen Kunstverlag betrieben. Doch dann kam
Hitler an die Macht, er wurde enteignet und deportiert. Die Nazis haben sich das
Haus samt der Druckerei unter den Nagel gerissen und hier
Propagandamaterial gedruckt und gelagert. Der Geruch von Papier scheint sich
in die Mauern eingefressen zu haben.“
„Puh, Interessant,“ sagte Robert am Champagner nippend.
„Nach dem Krieg hat das Land einen Archivar eingestellt, der die Akten sichten
sollte. Alles was geschichtliche Wichtigkeit hatte, hat man aussortiert und
woanders hingebracht.“
„Und was ist jetzt in den Räumen?“ fragte Robert interessiert.
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„Immer noch Akten und Fundstücke, die bisher nicht zugeordnet werden
konnten.“
„Und du verwaltest das?“ „Ja, mehr oder weniger.“
„Du bist also der neue Archivar?“
„Nun ja, eher nebenbei. Es ist der kleinere Teil meiner Aufgaben. Das Haus
steht inzwischen unter Denkmalschutz. Wenn es nicht genutzt wird, verfällt es.
Also hat man aus der Not eine Tugend gemacht und ganz oben dieses
Penthouse gebaut.“
„Okay, verstehe.“ meinte Robert beeindruckt.
„Ein unglaubliches Glück, so zu wohnen.“
„Ja, deshalb hat mich diese Stelle gereizt, weil sie mit dieser Wohnsituation
verknüpft war. Noch Champagner?“
„Gern, es ist voll cool hier draussen.“
Als Bruno die Gläser nachfüllte, ertönte ein lautes ‚ding dong‘.
„Ah, unser Abendessen, entschuldige, ich bin gleich zurück.“ Die Hunde
huschten ihm nach, bisher waren sie nicht von seiner Seite gewichen und hatten
außer einem Grunzen, keinen Laut von sich gegeben.
Robert war froh, dass diese Ungetüme endlich weg waren. Was das wohl wird ?
Seine erotische Erwartung war inzwischen einer nervösen Anspannung
gewichen. Daran hatte auch der Champagner nichts geändert, dessen Wirkung
einfach ausblieb.
Er hörte das Rattern des Aufzugs und das Quietschen der Gittertür. Dann, wie
Bruno mit jemandem sprach, dann ratterte der Aufzug wieder nach unten.
Bruno kam mit einem großen Styroporkarton die Eisentreppe hoch und
verschwand in dem kleinen Flur.
Hoffentlich keine Pizza, das würde ja überhaupt nicht passen, ging Robert durch
den Kopf. Er lehnte vorne an der Brüstung und beobachtete fasziniert die
Veränderungen des Himmels. Die Terrasse war unmöbliert, bis auf einen
Sonnenschirm, zwei Stühle und einen kleinen Tisch mit Marmorplatte. Es gab
auch keine Pflanzen oder Blumenkübel. Rechts ging der Blick über die Dächer
des Stadtteils, auch dort entdeckte er die eine oder andere Dachterrasse und er
wünschte sich, dass er eines Tages auch eine Wohnung finden würde, die solch
eine Lebensqualität bietet.
Seine Wohnung hat nicht mal einen Balkon, er nahm sich vor, diesen Umstand
in Angriff zu nehmen und sich eine neue Wohnung zu suchen. Ein kühles
Lüftchen kam auf, als Bruno die Terrasse wieder betrat, diesmal ohne die
Hunde.
„Hier, dein Glas, ich habe noch einmal nachgefüllt. Zum Wohl, Robert, schön,
dass du hier bist. Ich habe schon bemerkt, dass dich die Hunde irritieren, doch
wenn sie einen Besuch nicht sehen dürfen, nehmen sie mir das sehr übel.“
„Schon gut.“ meinte Robert, nun etwas entspannter. Er trank noch einen Schluck
Champagner und hoffte, dass er ihn lockerer machen würde.
„Komm, wir können essen, nimm bitte dein Glas mit.“
Robert folgte seinem Gastgeber durch den rechten Flur, an dessen Ende eine
Tür offen stand. Ein gedeckter Tisch empfing sie, zwei Kerzen in alten
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Silberleuchtern unterstützten das stimmungsvolle Licht, mit dem der Raum
beleuchtet war. Das grosse Fenster bot dieselbe Aussicht, wie auf der Terrasse,
doch da der Raum etwas zurückgesetzt war, nahm man das Fenster von aussen
nicht wahr. Auch hier war alles in dezentem Grau gehalten, der Fussboden, die
unverputzten Betonwände, und die aus Metallfäden gewirkten Vorhänge, die
Bruno beiseite schob. Der Tisch stand vor einer freistehenden Wand, hinter der
eine perfekte Küchenzeile aus Edelstahl verborgen war.
Auch an dieser Wand hingen zwei dieser seltsamen Bilder, die ihm draussen im
Wohnraum schon aufgefallen waren. Traurig blickende Portraits eines Knaben
und eines Mädchens, die sich zart von der beinahe monochromen graublauen
Fläche abhoben „Setz dich bitte hierher. Das ist der Gästeplatz, hier kannst du
die Aussicht genießen.“
Robert versuchte hinter das Geheimnis der Atmosphäre zu kommen, die der
Raum ausstrahlte. Eigentlich war ja alles grau, doch wie angenehm und elegant.
Obwohl er von solchen Dingen keine Ahnung hatte, erschien ihm die Einrichtung
der Räume so perfekt wie ihr Bewohner.
Der Tisch war mit hellgrauem Leinen gedeckt und weißen Tellern, die ein
schmaler Platinrand zierte. Edles altes Silberbesteck schimmerte im Kerzenlicht,
auch die weissen Damastservietten passten perfekt.
Bruno stellte zwei dampfende Suppentassen auf die Teller und setzte sich
Robert gegenüber. Der dekantierte Wein stand bereits in einer Karaffe auf dem
Tisch, beinahe feierlich goss er eine kleine Menge in die beiden grossen Gläser.
„Auf dein Wohl Robert.“
Bruno sah dem Gast in die Augen, lächelte und steckte seine Nase ins Glas.
„Mmh, gut, bisschen nach Blaubeere, leicht nach Honig ...,“ darauf nahm er
einen Schluck, liess ihn nicht allzu übertrieben auf dem Gaumen ruhen und
schluckte ihn hinunter. Leichte Frucht, wenig Säure, mild im Abgang. Danke, du
hast mich gut beraten...“
„Auf dein Wohl und danke für die Einladung.“ sagte Robert etwas steif und
wunderte sich über den angeblichen Nichtkenner. Aus den großen feinen
Gläsern schmeckte der Wein in der Tat besser, als aus seinen kleinen billigen
Bistrogläsern zuhause.
„Ich habe selten Gäste und vergesse immer Wein zu kaufen. Wenn ich alleine
bin trinke ich keinen Alkohol. Da ich ungern selbst koche, bin ich froh, dass ich
diesen Menü-Service entdeckt habe. Die Hunde sind im Restaurant nicht gerne
gesehen und wenn ich ohne sie ausgehe, sind sie enttäuscht und entziehen mir
ihre Liebe.“
„Wo sind die Hunde jetzt? Nicht dass ich Sehnsucht hätte...“ fragte Robert
besorgt, denn erstmals hatte er das Gefühl, dass es doch noch ein angenehmer
Abend werden könnte.
„Carlotta und Angelina sind jetzt im Treppenhaus. Sie spielen und werden später
dort schlafen.
„Mhmmm, die Suppe riecht gut.“
„Eine Steinpilzbouillon, guten Appetit.“
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Das einzige Geräusch im Raum war der leise Kontakt der Löffel mit dem
Porzellan. Robert hätte sich etwas Musik gewünscht, traute sich aber nicht
danach zu fragen. Es kam ihm vor, als sässe er in einem steifen Restaurant für
zwei Personen.
Bruno sah in immer wieder an, auf eine Art und Weise, die Robert nicht
einordnen konnte. Er lächelte zwar, sein Blick war aber auch prüfend.
Doch in keinster Weise zärtlich oder gar verlangend, wie es sich Robert
gewünscht hätte.
„Komm Robert, erzähl mir was von dir.“ sagte er plötzlich ganz unvermittelt.
„Och, da gibt‘s nicht viel zu erzählen. Ich komm über die Runden. In meinem
Leben passiert nicht viel, jedenfalls nicht im Moment. Manchmal geh ich aus, mit
Freunden, oder lade jemand ein, das ist alles. Meine letzte Beziehung hat vor
einem Jahr die Fliege gemacht, seither bin ich etwas geschädigt.“
„Wieso geschädigt?“
„Na ja, es war zum Schluss ziemlich unschön. Weisst du, ich mag das Wort
Torschlusspanik nicht, aber in meinem Alter kommt einem das schon manchmal
in den Sinn.“
„Was meinst du ‚in deinem Alter‘, du bist doch ein junger Mann!“ sagte Bruno
verblüfft.
„Ohh, danke für die Blumen, aber als schwuler Kerl biste ab vierzig reif für den
Kompost. Interessant biste jetzt nur noch für ein paar Youngsters, die nen
Daddy mit grossem Schwanz und Geldbeutel suchen, doch mit Beziehung
nichts am Hut haben.“
Robert spürte, dass seine Direktheit wieder mal Unbehagen auslöste,
doch es war ihm wurscht, er hatte weder was zu verbergen, noch zu
fürchten.
„Das sind Offenbarungen, mit denen ich leider nichts anfangen kann,
ich kenne mich in diesem Bereich nicht aus.“
„Schon gut, ich bin da halt lieber offen.“
„Bist du hier geboren?“ fragte Bruno, um vom Thema abzukommen.
“Nein, zugezogen, vor 12 Jahren, wegen einem Job.
Isch komm aus einem kleinen Nest in der Nähe von Fronkfort, aus dem
Hessische“ sagte Robert dialektgefärbt, um etwas Humor anklingen zu lassen.
Bruno sagte nichts darauf, was Robert ziemlich irritierte. Statt dessen lächelte er
dieses Lächeln, dessen Zauber sich für Robert mehr und mehr verflüchtigte. Es
kam ihm inzwischen stereotyp vor.
Bruno wirkte auf ihn, wie jemand aus einer andern Welt, aus einem Film oder
so. Doch die Spontanität, mit der er ihn im Supermarkt angesprochen hatte, war
weg.
Robert versuchte locker zu bleiben, obwohl es ihm zunehmend schwerer fiel.
Vielleicht ist er nervös, oder im Grunde seines Herzens schüchtern, dachte er.
Wortlos löffelten sie die Suppe.
„Du lebst ganz alleine in diesem Geisterhaus? Ich meine, es gibt unten keine
andere Klingel?“
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„Ja, unter mir sind nur noch die Lagerräume mit den Akten, doch das erzählte
ich bereits.“
„Gibt es einen Partner in deinem Leben?“ fragte Robert nun direkt.
„Ja, meine beiden Gefährtinnen. Du hast sie doch kennengelernt.“
„Machst du jetzt Witze, oder was? Du weisst, dass ich etwas anderes meine.“
„Im Moment bin ich in der Tat alleine. Meine Frau hat mich verlassen und die
Kinder mit nach Amerika genommen. Entschuldige, ich rede nicht gerne
darüber.“
„Oh sorry wenn ich neugierig war.“
„Ist schon gut,“ sagte Bruno nun überraschend sanft.
„Weisst du Robert, ich habe hier nicht viele Freunde und fühle mich manchmal
sehr einsam. Ich bin auch Smalltalk nicht mehr gewohnt. Es freut mich, dass du
mir Gesellschaft leistest, du bist sehr nett.“
Robert hätte am liebsten gewusst, weshalb ihn seine Frau verlassen hat, doch
er hatte kapiert, dass das ein wunder Punkt war.
Statt dessen lächelt er verständnisvoll, als ihn Bruno mit kühlen blauen Augen
dankend anblickte.
„Hat die Bouillon geschmeckt?“
„Danke, sehr gut.“ „Kann ich die Tassen abräumen?“
„Gern.“ Bruno holte ein Tablett, stellte die Tassen darauf, die Ärmel des Pullis bis
zu den Ellbogen zurückgeschoben. Robert bewunderte die kräftigen behaarten
Unterarme, doch Bruno‘s zurückhaltende Art liess den Gedanken, dass ihn
diese Arme umfassen könnten, in weite Ferne rücken.
Er verschwand mit dem Tablett hinter der Wand. Robert sah sich um, ob er nicht
irgendwo eine Stereoanlage oder wenigstens ein Radio entdecken würde.
Diese Stille ging ihm auf den Keks. Nach einer Weile kam Bruno mit zwei
angerichteten Tellern wieder.
„Perlhuhnbrust in Portweinsauce,“ sagte er wie ein Profikellner, als er den Teller
vor Robert stellte. Darf ich dir noch Wein nachgießen?“
„Gern.“ Insgeheim hoffte Robert, dass der Wein jetzt sie beide lockerer machen
würde.
„Kannst du ein bisschen Musik machen?“ traute er sich zu fragen.
„Aber ja, wenn du möchtest. Ich höre selten Musik. Manchmal abends vor dem
Einschlafen. Deshalb habe ich nur eine kleine Anlage im Schlafzimmer. Doch ich
kann es so laut drehen, dass wir hier etwas hören.“
„Bitte mach das, ich bin diese Stille nicht gewohnt. Sie macht mich nervös.“
„Sofort ! Mein Gast soll sich ja wohl fühlen.“ meinte Bruno lächelnd.
„Hast du einen bestimmten Wunsch? Allerdings ist meine Musikauswahl
begrenzt.“
„Egal, blos nix nerviges, Klassik oder Jazz, ein bisschen Untermalung, mehr
nicht.“
Aus einem angrenzenden Raum drang nun leise Klaviermusik. „Ist das so
okay?“ rief Bruno aus einer Entfernung.
„Ja, aber haste auch was mit Saxophon, das wär mir lieber.“
Es dauerte, bis eine Musik erklang, die Robert als entspannend empfand.
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Als Bruno sich wieder zu Tisch setzte, verzog sich sein hübscher Mund zu
diesem Lächeln das Robert plötzlich wie eine Maske vorkam.
„Jetzt lass es dir schmecken.“ sagte er in in einem höflich förmlichen Ton.
Wieder war das Metall des Bestecks auf dem Porzellan das vorherrschende
Geräusch. Die Musik war kaum wahrnehmbar, doch wenigstens durchbrach sie
die Stille.
Plötzlich kam von draussen ein aggressives Bellen.
Bruno sprang auf, rannte zur Tür und brüllte etwas ins Treppenhaus hinunter.
Es klang, als würde er in einen grossen leeren Kessel brüllen. Ein Knurren und
Winseln folgte, dann nur noch der Nachhall von Brunos Gebrüll, dann fiel mit
einem Knall die Tür ins Schloss.
Bruno war rot im Gesicht vor Erregung, als er sich wieder an seinen Platz
setzte.
„Entschuldige, sie lassen ihren Frust aneinander aus. Normalerweise dürfen sie
hier sein, wenn ich Besuch habe. Doch du kennst sie noch nicht, deshalb ist es
besser, sie bleiben draussen. Carlotta ist ausserdem total verschmust und hätte
dich schon total vollgesabbert.“ Wenn du wüsstest, dachte Robert, dass ich mit
dir gerne schmusen und mich von dir gerne vollsabbern lassen würde.
„Danke, sehr rücksichtsvoll, darauf kann ich gerne verzichten “meinte Robert
deutlich und froh, dass Bruno wieder einen gesprächigeren Ton anschlug.
„Was machst du genau, wenn ich fragen darf, ausser dass du hier dieses
Geisterhaus hütest?“ begann Robert die Konversation von Neuem.
„Ich arbeite für das Innenministerium.“ sagte Bruno knapp. „Doch ich muss nicht
jeden Morgen ins Büro, vieles kann ich von hier aus erledigen.“
„Bist du etwa Abgeordneter oder Politiker?“ fragte Robert verblüfft.
„Nein, ich bin Jurist und arbeite für die Rechtsabteilung. Wenn ich eine
langwierige komplizierte Materie habe, kann ich hier in meinem Büro arbeiten.
Manchmal habe ich Termine und Konferenzen im Ministerium. Das ist für die
Hunde immer sehr unerfreulich, obwohl sie dort einen Korb im Büro haben.“
Robert lobte das Perlhuhn, das Kartoffelgratin und das knackige Gemüse. „Dein
Menüservice ist echt Klasse. Schmeckt wie im feinen Restaurant.“
„Danke, ich werde das Kompliment weitergeben“ sagte Bruno lächelnd während
er das Glas hob.
„Zum Wohl, Robert. Diesem Wein haben wir zu verdanken, dass du heute mein
Gast bist.“ „Stimmt, zum Wohl Bruno.“
Der dunkle Klang der Gläser passte zur Farbe des Weines. Diesmal sahen sie
sich tief in die Augen. Was Robert dort entdeckte, liess ihn einen Moment
erschaudern. Beim zweiten Blick war ihm, als hätte er sich getäuscht. Das kalte
Blau schien ihm plötzlich wieder wärmer. So wie im Supermarkt, als er ihm die
Tüte entgegenstreckte und ihn anblickte.
„Hast du mit Deiner Familie hier gelebt, in diesem Haus?“
„Nein, wir haben auf dem Land in der Nähe von Baden-Baden gewohnt. In
einem schönen Haus mit Garten. Doch dann passierte etwas, das uns
auseinander gerissen hat.“
„Oh, das tut mir leid. Ich meine, - ihr wahrt dort glücklich ?“
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„Ja, sehr glücklich sogar. Die Renovierung des Hauses war abgeschlossen,
der Garten war noch eine Wiese mit ein paar Bäumen, das wollten wir als
nächstes in Angriff nehmen.“
Bruno sprach immer stockender und leiser und Robert nahm sich vor, nicht
weiter nachzufragen. Statt dessen sagte er den fatalen Satz:
„Ich möchte auch gar nicht in dich dringen, es geht mich ja nichts an.“
„Doch, es geht dich etwas an, du wirst es erfahren, noch heute Abend.“
Robert dachte, er hätte sich verhört.
„Wie bitte, wie soll ich denn das verstehen? Jetzt machst du mich aber
neugierig.“
„Wir haben Zeit, es ist gerade mal kurz nach zehn. Der Abend ist noch lang.
Oder willst du bald nach Hause?“
„Nein, ich kann morgen ausschlafen, hab keinen Dienst. Im Grunde hast du
recht, doch du spannst mich auf die Folter, mit solchen Andeutungen.“
Bruno grinste zum ersten mal etwas anzüglich, was Robert nicht entging. Völlig
überraschend griff er über den Tisch nach Robert‘s Hand und schaute ihm
erneut in die Augen.
„Ich muss nachher noch mit den Hunden raus, danach machen wir es uns
gemütlich. Doch davor gibt es noch ein Dessert, das muss sein.“
Die Berührung der Hand versetzte Robert in Erregung. Zum ersten mal an
diesem Abend hatte ihn Bruno berührt, von der Begrüssung einmal abgesehen.
Robert interpretierte diese Geste eindeutig als eine Geste des Verlangens.
Das Verlangen eines zutiefst schüchternen, vielleicht auch verklemmten, doch
sicherlich verletzten Menschen. Welche der drei Möglichkeiten es sein würde,
hoffte er zu erfahren. Ganz zaghaft begann in ihm ein Fünkchen Hoffnung zu
keimen, dass sich der Abend doch noch in eine intime Richtung entwickeln
könnte. An richtigen Sex wagte er nicht zu denken. Dazu wirkte Bruno zu
distanziert, zu indirekt, zu seltsam und zu hetero. „Vermisst du deine Familie
sehr?“ fragte Robert, während ihm gleichzeitig bewusst wurde, wie dumm und
indiskret diese Frage war.
„Ja. Es wird nie wieder so sein, wie früher. Das ist das, was mich am meisten
beschäftigt.“
„Danke, war sehr lecker.“ lobte Robert, während er das Besteck auf den
abgegessenenTeller legte, den Mund mit der Serviette wischte und einen
grossen Schluck Wein aus dem Glas nahm.
„Erzähle mir was von dir. Gefällt dir deine Arbeit?“
„Gefallen wäre das falsche Wort, ich habe das Gefühl etwas Nützliches zu tun.“
„Du bist Altenpfleger, nicht wahr?“
„Stimmt. Woher weist du das, ich habe bisher noch nicht darüber gesprochen.“
„Ich weiß es eben.“ meinte Bruno lapidar, schaute ihn aber direkt an, als wolle er
Roberts Reaktion prüfen.
Erst langsam begriff Robert was diese Worte bedeuten.
„Woher weist du, was ich für einen Beruf habe?“
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„Das war nicht schwer rauszukriegen, ich weiß auch wo du arbeitest und ich
wusste auch, wo und wann du einkaufst.“
Robert leerte sein Glas in einem Zug, ihm war plötzlich danach.
Bruno sah ihn an und lächelte.
„Und weshalb, wenn ich fragen darf ? Ich meine...“
Robert fehlten die Worte.
„Du wirst es schon noch erfahren.“ sagte Bruno knapp.
Robert begriff nach und nach, dass die Rollen ungleich verteilt waren. Diese
Tatsache verschaffte ihm ein Unbehagen, das weit tiefer ging, als die Furcht vor
den Hunden. Am liebsten hätte er jetzt seine Jacke genommen und wäre
gegangen. Wären da nicht die beiden ‚Lebensgefährtinnen‘ im Treppenhaus
gewesen.
„Weshalb bin ich hier, was willst du von mir?“
„Ich möchte, dass du mir Gesellschaft leistest, das ist alles.“
„Also entschuldige Schätzchen, ich bin zwar schwul, habe auch die magische
Grenze von 40 überschritten, trotzdem bin ich manchmal naiv, weil ich immer
noch neugierig bin. Was willst du? Sex? Dann sag‘s doch einfach und mach‘s
nicht so spannend. Diese Spielchen brauch ich nicht, sie turnen mich eher ab.“
„Wie kommst du darauf ? Nein, ich will keinen Sex. Wieso kommst du überhaupt
auf den Gedanken, dass mich Sex mit Männern interessieren würde?
Doch Geduld, du wirst es bald wissen.“
Bruno stand auf, räumte die Teller ab und verschwand hinter der Küchenwand.
Robert wusste nicht mehr, was er denken soll.
„Hattest du dich auf Sex eingestellt?“ fragte Bruno, als er sich wieder an seinen
Platz setzte.
„Um ehrlich zu sein, irgendwie schon. Weshalb sollte mich ein Typ wie du, sonst
einladen? Ich meine, du bist attraktiv, ich hab das mit dem Wein als Vorwand
empfunden und dachte, warum nicht. Männer brauchen manchmal die
merkwürdigsten Vorwände, daran hab ich mich gewöhnt. Solange der Typ geil
und sympathisch ist lass ich mich gerne drauf ein.“
„Hab ich dir einen Anlass gegeben, Sex zu erwarten?“
„Nein, nicht wirklich. Doch seit ich hier bin bist du so anders, das irritiert mich.“
„So, das irritiert dich? Was erwartest du?“
„Bruno, bitte, warum weisst du wo ich arbeite und wer ich bin?“
„Weil ich dich näher kennenlernen wollte und es ist mir gelungen.
Ich habe lange überlegt, wie ich es anstellen soll. Meinst du ich war zufällig in
diesem Supermarkt? Ich hasse Supermärkte, doch es schien mir eine Chance,
dich kennen zu lernen, ohne dass du Verdacht schöpfen würdest.“
„Verdacht? Was für einen Verdacht, ich gehöre zur Spezies der völlig harmlosen
Menschen. Was hast du mit mir vor ? Auf welche Perversionen stehst du?“
Robert war richtig in Fahrt, obwohl er auch etwas Angst hatte.
„Und die Nummer mit dem Wein, hattest du das geplant?“ „Nein, lachte Bruno.
„Das hat sich ergeben. Weisst du Robert, wenn man etwas
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unbedingt will, dann reagiert man im richtigen Augenblick. Dass du heute Abend
mein Gast bist, ist purer Zufall. Ich dachte, dass es länger dauern würde, bis ich
dein Vertrauen habe.“
„Du bist gerade dabei, dieses dumme naive Vertrauen zu verspielen.“
entgegnete Robert verärgert.
An der Tür waren jetzt kratzende Geräusche und ein lautes Fiepen zu hören.
„Entschuldige, die Hunde werden unruhig. Es ist ihre Zeit, ich muss mit ihnen
raus.“
Bruno sprang auf, ging zur Tür und zischte Befehle ins Treppenhaus, die Robert
nicht verstand. Dann setzte er sich wieder, als ob es diese Störung nicht
gegeben hätte.
„Ich bringe jetzt das Dessert, magst du? Eine Mousse au Chocolat. Sie ist
himmlisch, du musst sie probieren.“
Bruno stellte zwei Teller auf den Tisch, mit zwei Halbkugeln aus dunkler Creme,
gekrönt mit Sahnehäubchen und Himbeeren.
„Sieht gut aus“ sagte Robert, der sich wieder etwas beruhigt hatte.„Ich bin ein
Süssmaul, dazu kann ich nicht nein sagen.“
„Ich auch nicht, dann passt es ja“, meinte Bruno lächelnd. Robert tauchte seinen
Löffel in die zarte Creme und streifte ihn genüsslich am Mund ab.„Hmm, sehr
lecker, wie in Frankreich.“
„Freut mich“ sagte Bruno lächelnd.
„Verzeih, wenn ich mich so irritierend verhalte, ich möchte dich erst noch ein
bisschen kennenlernen.“
„Du meinst zappeln lassen. Wenn du mich kennenlernen willst, dann frag doch
einfach. Einiges weisst du ja bereits, ohne mich gefragt zu haben.“
„Warum bist du so ungeduldig, wir haben Zeit, viel Zeit. Du hast nicht nur
morgen keinen Dienst, sondern übermorgen und am Montag auch noch. Darf
ich dir noch Wein nachgiessen?“
Robert brauchte ein Weilchen, bis er die Bedeutung dieser Worte verstand.
„Das wird ja immer besser, du kennst auch meinen Dienstplan? Danke, keinen
Wein mehr, ich hab das Gefühl, ich muss jetzt klaren Kopf bewahren.“
Robert löffelte den Rest der Mousse, trank den letzten Schluck Wein und
wischte sich den Mund mit der Serviette ab. „Ich denke es ist besser, ich
verziehe mich jetzt. Die Karten sind schlecht gemischt und ungleich verteilt.
Schade, es hat so gut begonnen.“
„Komm mit, Robert, bevor ich mit den Hunden rausgehe, zeige ich dir etwas.“
Robert war hin und hergerissen zwischen Neugier und Ängstlichkeit.
Er war hellwach und seine Menschenkenntnis sagte ihm, Bruno ist kein
perverses Monster, das ihn abschlachten wird. Doch er spielte ein Spiel, das ihn
beunruhigte und gleichsam zu interessieren begann.
Er folgte Bruno in einen Raum, der direkt neben der Küche lag.
Der Raum war dunkel, das einzige Fenster war durch eine Jalousie
verschlossen, durch deren Lamellen kein Licht drang, als wäre es zugemauert.
Bruno betätigte einen Schalter, worauf eine Neonröhre aufflackerte und fahles
Licht verbreitete.
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Der Raum war eine Art Büro, mit Metallregalen und einem grossen Tisch, auf
dem ein Computer stand. Daneben Akten, Karteikästen und mehrere Stapel
Zeitungen, zwischen denen Zettel mit Notizen heraushingen. Die Regale waren
voll mit Büchern und Aktenordnern.
Doch nirgends eine Folterbank oder ähnliche Requisiten, alles sah nach einem
normalen Büro aus. Eine andere Tür im Raum, aus der ein strenger Geruch
strömte, stand leicht offen. Bruno bemerkte, dass diese Tür Robert beunruhigte.
„Das ist das Hundezimmer, soll ich die Tür schliessen?“
„Ja, bitte, es erinnert mich so an ihre Anwesenheit.“
Bruno schloss die Tür und griff zielstrebig nach einen Ordner im Regal, schlug
ihn auf und knipste die Schreibtischlampe an.
Der Ordner enthielt alte Schwarzweiss-Fotos im Postkartenformat, alle sauber
auf schwarze Bogen geklebt und in Klarsichthüllen gesteckt.
„Ich zeige dir jetzt ein paar Fotos, es geht um einen Mann, den du kennst.“
Bruno zog mehrere Fotografien aus den Hüllen und breitete sie vor Robert aus.
Auf den Bildern waren mehrere Männer zu sehen, in einem holzgetäfelten
Raum, mit Sektgläsern in der Hand.
Alle trugen Uniformen, Naziuniformen, wie Robert auf den zweiten Blick
feststellte. Sie schienen ziemlich fröhlich zu sein, lachende Gesichter, es wurde
gefeiert.
“Es geht um diesen da.“ Bruno deutete auf eines der Fotos und auf eine der
Personen. Schau ihn dir genau an. Hier nimm die Lupe.“
„Warum sollte ich ihn kennen. Ich war damals noch nicht auf der Welt.“
„Doch, du kennst ihn. Schau genau hin.“
Tut mir leid, ich wüsste nicht, wen du meinst.
„Schau, hier sieht man ihn deutlicher.“
Das neue Bild, das Bruno ihm vorlegte zeigte wiederum mehrere Männer, die
sich über einen Tisch beugten, auf dem eine Landkarte lag.
„Beim besten Willen nicht, tut mir leid, ich weiss nicht was du meinst.“
„Doch, du fütterst ihn täglich, hilfst ihm beim Baden und wischst ihm den Arsch
ab.“
Langsam fiel bei Robert der Groschen.
„Du meinst einen unserer Patienten?“
„Ja. Sieh ihn dir genau an. Schau dir das Muttermal an, rechts neben der
Oberlippe.“
„Jetzt wo du es sagst, das könnte der alte Marschner sein.“
„Genau der ist es. Er ist seit etwa zwei Jahren bei euch, stimmt‘s?“
„Ja, er ist nach einem Schlaganfall in die Reha eingeliefert worden und kam
anschliessend zu uns. Er hat sich ganz gut erholt, bis auf die Beine.
Den Rollstuhl wird er wohl nicht mehr loswerden, aber ansonsten hat er Glück
gehabt.“
„Dieses Schwein hat immer Glück gehabt.“ sagte Bruno beiläufig.
„Was meinst du damit?“
„Ach nur so. Wusstest du dass er Nazi war?“
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„Ehrlich gesagt nein. Ich hab nie mit ihm darüber gesprochen. Er redet
überhaupt wenig von Vergangenheit, im Gegensatz zu den andern, die nur von
damals reden.“
„Der weiss ganz genau, weshalb er nicht darüber redet. Und geistig? Ist er noch
fit?“
„Na ja. Er ist nicht so debil wie die Andern, macht gerne Witze. Zugegeben,
dreckige Witze, vor allem beim Waschen, aber zumindest ist er amüsant.
Er sagt immer ich hätte ’nen geilen Arsch. Überhaupt hat er ein Auge für mich
und freut sich immer, wenn ich Dienst habe.“
„Das passt zu ihm. Er hatte schon immer ein Faible für junge Männer. Ich muss
jetzt mit den Hunden raus, die drehen sonst durch. Bin in einer halben Stunde
wieder da.“
„Woher kennst du ihn, was weisst du über ihn?“
„Eine ganze Menge. Seit zwanzig Jahren bin ich diesem Schwein auf den
Fersen. So nah wie jetzt, war ich ihm noch nie.“
Nun war ein lautes Scharren und Winseln an der Tür zu hören.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet, Bruno.
Woher kennst du ihn?“
„Geduld, du wirst es erfahren.“ Bruno holte aus dem Hundezimmer
Ledergeschirre und Maulkörbe, zog sich eine Jacke über und ging zur Tür.
„Marschner muss weg. Er hat schon viel zu lange gelebt. Und du wirst mir dabei
helfen.“
Dann fiel die Tür ins Schloss und ein Schlüssel drehte sich.
3.)
Robert rang nach Luft und blieb einfach auf seinem Stuhl sitzen.
Obwohl Bruno weg war, verharrten seine letzten Worte im Raum. In diesem
seltsamen Raum, der ihn plötzlich an ein düsteres Verhörzimmer erinnerte.
Überall waren Akten, Ordner und Geheimnisse, er hätte überall rumschnüffeln
können, doch was hätte es genützt ? Ihm wurde plötzlich klar, dass er
eingesperrt war. Ich bin im falschen Film dachte er, gleichzeitig spürte er ganz
tief eine Neugier, wie der Film weiter geht. Nie im Leben könnte er einen
Menschen umbringen, selbst wenn er jemanden abgrundtief hassen würde.
Die anfängliche Sympathie für Bruno war nun komplett verschwunden.
Seine erotischen Erwartungen haben sich aufgelöst wie Wassertropfen in der
Sonne heissen Sonne.
Als er die Hunde als Lebensgefährten bezeichnete, hätte er hellhörig werden
sollen. Menschen die Beziehungen zu Tieren über die von Menschen stellen,
sind ihm prinzipiell suspekt. Du wirst mir dabei helfen, woher nimmt er diese
Gewissheit?
Nun begann Robert doch zu schnüffeln. In dem Ordner, der immer noch offen
auf dem Schreibtisch lag, fand er noch andere Fotos, auf denen Marschner zu
sehen war.
Immer mit andern Männern zusammen, immer in Uniform und immer fröhlich.
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Es gab Bilder von Paraden auf breiten Prachtstrassen, Marschner immer in
vorderster Reihe, strahlend wie ein Sieger, immer umgeben von gut
aussehenden Männern.
Das muss in Berlin oder München sein, ging Robert durch den Kopf, solche
breiten Prachtstrassen gibt es hier nicht.
Immer wieder schaute er sich die Fotos an. Auffallend war, dass Marschner auf
jedem Bild lachte oder lächelte. Er hatte nichts von dem, wie man sich einen
skrupellosen Nazi vorstellt, ganz im Gegenteil.
Es muss eine sehr persönliche Geschichte sein, ging Robert durch den Kopf.
Die Enge des Raumes begann ihn bedrücken. Robert ging
in den grossen Wohnraum und blickte auf die erleuchtete Stadt. Zu gerne wäre
er auf die Terrasse gegangen, doch die Schiebetür liess sich nicht öffnen, trotz
mehrerer Versuche. Wozu? Hat er Angst, dass ich mich abseile oder
runterspringe? Der Drang zu Pinkeln machte sich plötzlich bemerkbar.
Im linken Flur vermutete Robert die Toilette, hinter einer der drei geschlossenen
Türen. Die erste Tür führte ins Badezimmer, die Toilette fand er daneben.
Nachdem er sich erleichtert hatte öffnete er neugierig die andere Tür und
entdeckte Bruno‘s Schlafraum.
Das Faible für grau in allen Nuancen war auch in diesem Raum sichtbar.
Doch es hatte nichts Düsteres, die Räume wirkten durchaus freundlich und
elegant. Es war nicht Roberts Art zu schnüffeln, doch unter diesen Umständen
verzieh er sich seine Neugier.
Das Schlafzimmer war so perfekt, wie Bruno selbst. Das französische Bett war
mit blütenweißer Wäsche bezogen und zurechtgemacht, wie im Hotel, kein
Fältchen störte.
Am Kopfende des Bettes eines dieser seltsamen Bilder, das einen Knaben und
ein Mädchen zeigt, die sich bei der Hand halten. Eine Bank im Louis Seize Stil,
mit grauem Jacquart bezogen stand am Fussende, zwei Stühle im selben Stil
standen daneben unter den beiden Fenstern, dazu ein kleiner Tisch mit einer
Wasserkaraffe und einem Glas.
Robert ging sogar soweit eine Tür des Einbauschrankes zu öffnen, hinter der
sich ein höchst aufgeräumter und komfortabler Kleiderschrank verbarg, aus dem
ein angenehmer Duft drang.
Wenige, doch feine Anzüge hingen da, perfekt gebügelte Hemden, edle
Cashmere Pullover lagen einzeln in Schubladen, teure Unterwäsche war in
dezent duftenden Schatullen sortiert.
Hinter einer andern Tür war ein kleines Sportstudio untergebracht mit einer
Trainingsbank, einer Klimmzugstange und chromblitzenden Hanteln.
Alles war so perfekt, wie er es bisher nur in teuren Zeitschriften gesehen hatte,
die manchmal bei seinem Friseur auslagen.
Schade, dass alles so gekommen ist. In diesem Raum, mit diesem attraktiven
Mann Sex zu haben, stellte er sich plötzlich so geil vor, dass sich in seiner Hose
eine Erregung bemerkbar macht.
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Doch dann fielen ihm Bruno‘s letzte Worte ein, bevor er mit den Hunden nach
draussen ging.
Plötzlich überfiel ihn eine Müdigkeit, die es ihm schwer machte, die Augen offen
zu halten. Er ging zurück in den Wohnraum, setzte sich auf eines der Sofas und
versuchte dagegen anzukämpfen, doch eine bleierne Schwere breitete sich in
seinen Gliedern aus.
Das kann doch nicht von dem bisschen Wein kommen, war der letzte Gedanke,
bevor er zur Seite sank und einschief.
Als er erwachte, sass ihm Bruno gegenüber und lächelte. Eine leichte
Benommenheit dämpfte Roberts Wahrnehmung, doch er wusste sofort wo er
war und wer ihn da anschaute.
„Na, gut geschlafen?“ fragte Bruno freundlich.
„Wo sind die Hunde?“
„Die schlafen auch, in ihrem Zimmer. Es ist drei Uhr morgens.“
„Und weshalb hab ich geschlafen? Ich war nicht müde.“
„In der Mousse war ein Beruhigungsmittel. Zusammen mit der Schokolade wirkt
es sehr gut.“
„Nett!“ sagte Robert, du hättest mich auch ins Jenseits befördern können.“
„Warum sollte ich das tun, du bist mir sympathisch Robert, sehr sympathisch
sogar. Ich will nicht dein Leben beenden, sondern das eines Anderen. Dazu
brauche ich dich. Du irrst, wenn du denkst ich sei ein verrücktes Monster, auch
wenn ich dir suspekt vorkommen sollte. Doch jetzt bist du ruhiger, wirst mich
besser verstehen und besser zuhören.
„Magst du einen Café?
„Warum nicht,“ sagte Robert „es ist zwar eine ungewöhnliche Zeit für Café, aber
es war ja auch ein ungewöhnlicher Abend.“
In die Stille hinein hörte Robert das Klappern der Kaffeetassen, dann das
Zischen einer Espressomaschine. Er fühlte eine Gelassenheit in sich, die er
sich nicht erklären konnte. Von ihm wurde erwartet, dass er einen Menschen
umbringt, schon der Gedanke würde ihn normalerweise in Panik versetzen,
doch er war die Ruhe selbst.
Bruno kam mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Tassen mit duftendem Kaffee
standen. Er setzte sich wieder auf das Sofa gegenüber und schaute Robert
ernst an. Ohne das Lächeln, das normalerweise seinen Mund umspielte und das
Robert zuletzt aasig vorgekommen war.
„Ich denke, ich muss dich langsam aufklären.“
„Das denke ich schon lange. Ich müsste auch langsam mal nach Hause.“
„Du wirst den Rest der Nacht hier verbringen.“ sagte Bruno ruhig, „Niemand wird
dich vermissen.“
„Und wenn ich das nicht will?“
„Es wird dir nichts anderes übrig bleiben. Meinst du ich habe das alles
arrangiert, um mit dir zu plaudern? Es ist mir ernst, Robert, sehr ernst sogar.
Es hat gedauert, bis ich einen Menschen ausfindig gemacht habe, der ihm
täglich so nahe ist wie du. Es hat gedauert, bis ich deine Gewohnheiten kannte
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und dich einschätzen konnte. Du wirst es vollbringen. Dir wird nichts passieren,
du bist in absoluter Sicherheit. Jetzt trink bitte den Kaffee, bevor er kalt wird.
„Oder bevor ich kalt bin,“ sagte Robert, in einem Anflug von Geistesblitz.
„Das war zynisch, vertrau mir einfach, es ist alles bestens vorbereitet. Wenn ich
dich aufgeklärt habe, wer dieser Marschner ist, wirst du keine Minute mehr
zögern. Ich weiss, du hattest dir Sex mit mir erhofft, doch dazu bin ich nicht in
der Lage. Vielleicht wird sich alles wieder ändern, wenn dieses Schwein endlich
tot ist. Es wird meine letzte Therapie sein.“
Robert war ausserstande auch nur ein Wort zu sagen. Er starrte regungslos aus
dem Fenster in den Nachthimmel.
Das Wort Sex kam ihm vor, als hätte er es zuvor nie gehört.
Auch der Café änderte nichts, er machte ihn eine Spur wacher, vertrieb jedoch
nicht seine Willenlosigkeit.
„Wann komm ich hier wieder raus, Bruno?“
„Bald. Gefällt es dir nicht?“
„Doch, alles ist sehr schön, alles so perfekt. Man schläft gut auf diesen
herrlichen Daunensofas. Ich fühle mich sehr wohl.“
„Siehst du, nichts anderes möchte ich, als dass du dich wohl fühlst.“
„Wo sind die Hunde, ich sehne mich nach ihnen. Sie haben so traurige Augen.“
„Du irrst, Robert, sie haben heute keine traurigen Augen, sie freuen sich, dass
noch jemand im Haus ist. Normalerweise ist hier niemand, ausser mir.“
„Was sind das für Bilder, die hier überall hängen. Sie sind sehr schön.“
„Meine Frau ist Malerin, die Bilder sind von ihr. Es sind Portraits unserer Kinder.“
„Ach ja, und wo ist deine Frau jetzt?“
„Sie ging zurück in ihre Heimat, in die Vereinigten Staaten. Sie hat mich vor zwei
Jahren verlassen und unseren Sohn mitgenommen.“
„Weshalb? Weshalb hat sie dich verlassen? Weshalb hat sie den Sohn
mitgenommen, auf den Bildern sind doch zwei Kinder?“
Robert sprach wie in Trance. Ohne Gestik, ohne Regung. Ihm war, als würde er
hier die nächsten Jahre mit Bruno, Angelina und Carlotta verbringen.
„Das wirst du alles später erfahren, wenn du mich besser verstehst.“
Trotz des Cafés wurde Robert immer müder und legte sich wieder auf das Sofa,
doch dann fiel ihm sein Handy ein, das in der Jackentasche sein müsste.
Schlaftrunken wankte er zu seiner Jacke, durchsuchte alle Taschen, doch
nirgends war das Handy.
„Wo ist mein Handy? Bruno, verdammt noch mal, wo ist das Handy? Es war hier
in der Jacke, das weiss ich.“
„Das brauchst du jetzt nicht, morgen bekommst du es wieder. Ich muss nun
auch schlafen. Ich werde dir eine Decke bringen.“
Bruno ging aus dem Raum und kam mit einer flauschigen Decke zurück.
„Hier, nimm, sie ist leicht und warm. Gute Nacht.“
Als Bruno aufhörte zu sprechen war eine Stille im Raum, die Robert als
Totenstille empfand. Er starrte aus dem Fenster, lautlos fiel eine Sternschnuppe.
Sein Kopf war leer und ohne Widerstand.
22
„Gute Nacht,“ sagte Robert in diese Stille hinein, als Bruno längst im
Badezimmer verschwunden war.
4.)
Ein feuchter Kitzel an den Füssen liess Robert aus tiefem Schlaf erwachen.
Automatisch zog er die Beine an und die Füsse unter die Decke. Er öffnete die
Augen einen kleinen Spalt, sofort begann ein nasser rauer Lappen sein Ohr zu
lecken, den er mit der Hand zu verscheuchen versuchte. Doch die Zungen
leckten jetzt auch die Hand, den Arm, alles was unter der Decke hervorkam.
Die beiden grauen Monster winselten und wedelten freudig mit den Schwänzen
weil der schlafende Gast endlich wach war.
„Carlotta, Angelina, lasst das. Hierher, Platz.“
Bruno näherte sich in Boxershorts, mit freiem Oberkörper, dessen Anblick
Robert für einen Moment sehr wach werden liess. Doch er war zu müde, als
dass es ihn erregen könnte.
„Siehst du, sie lieben dich. Sie haben sich an deinen Geruch gewöhnt und
wünschen dir einen guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“
„Ja, danke. Wer hat mich ausgezogen?“
„Ich, wer sonst. In Kleidern schläft sich schlecht. Ich hab in der Nacht noch die
Hunde hereingelassen, bei der Gelegenheit habe ich dich ausgezogen. Ich hoffe
es stört dich nicht. Du hast sehr ruhig geschlafen, ich hab dich beobachtet.“
Die Hunde hatten inzwischen von Robert abgelassen und sassen fiepend neben
Bruno.
Robert war einigermassen froh, dass er sich erinnerte, wo er war und was
geschehen ist.
„Ich habe geträumt,“ murmelte er, sich um Erinnerung bemühend. “Seltsame
Dinge. Von Marschner, der mit seinem Rollstuhl in einem grossen Garten
herumgefahren ist.“
„Interessant.“ sagte Bruno neugierig.
„In diesem Garten waren auch spielende Kinder. Sie sahen aus, wie die Kinder
auf den Bildern deiner Frau.“
Ein merkwürdiger Traum, meinte Bruno beiläufig.
„Wenn du duschen möchtest, ich zeig dir das Badezimmer.“
„Ich weiss wo es ist, doch ich muss nur pinkeln. Ich weiss auch, wo die Toilette
ist. Als Robert die Decke zurückschlug um aufzustehen bemerkte er, dass er
nackt war. “Kannst du mir bitte meine Unterhose geben, oder etwas, das ich
überziehen kann?“ „Warte, ich bringe dir ein Handtuch.“
Bruno ging in sein Schlafzimmer und kam mit einem grossen weissen Badetuch
zurück und warf es ihm grinsend zu. Robert wickelte es um die Hüfte, doch
seine Morgenerektion war deutlich zu sehen.
Er kam sich plötzlich albern vor, die Hunde folgten ihm zur Toilette und warteten
wie Skulpturen vor der Tür, bis er wieder herauskam.
„Jetzt würde ich doch gerne eine Dusche nehmen?“
„Ja bitte, doch warte, ich muss dir die Armaturen erklären,“ meinte Bruno „man
verbrüht sich leicht.“
23
Das Badezimmer war gross, mit grauem Schiefer gefliest. Eine Wand war
mit einem grau-silbernen Mosaik gestaltet, die freistehende Badewanne und das
grosse Waschbecken wirkten wie edle Möbelstücke.
Die Dusche bestand lediglich aus einem leicht abgesenkten Abfluss.
Ein schmales Fenster vom Boden bis zur Decke gewährte den Blick über die
Stadt. Robert genoss den scharfen warmen Strahl der aus einer Suppenteller
grossen Brause auf ihn nieder rieselte. An seinem Hintern klebte ein kleines
Heftpflaster, von dem er sich nicht erklären konnte, wie es dahin kam.
Während seine Lebensgeister langsam zurückkehrten, versuchte er sich zu
erinnern, was Bruno in der Nacht gesagt hatte. Jedes Detail fiel ihm ein, doch er
hatte weder eine Meinung noch ein Gefühl dafür. Selbst die Hunde flössten ihm
weder Angst noch Ehrfurcht ein, sie waren einfach da.
Im Spiegel erblickte er sich selbst. Er hatte eigentlich mit einer andern Person
gerechnet, doch äusserlich war nichts zu sehen. Kein Werwolf, kein Mr.Hyde,
kein Spiderman, er sah sich selbst, obwohl er spürte, dass sich etwas in ihm
verändert hatte.
Seine Kleider lagen ordentlich gefaltet auf der Lehne des Sofa‘s. Während er
sich anzog liessen ihn die Hunde nicht aus den Augen. Wie Sphinxe lagen sie
mit erhobenem Kopf nebeneinander auf dem grauen Teppich.
Bruno hatte einen kleinen Tisch vor das grosse Fenster im Wohnraum gestellt,
und war dabei ein Frühstück zu servieren. Er bat Robert sich zu setzen, sofort
kamen die Hunde und legten ihre Vorderpranken auf seinen Schoss.
„Genug! Platz! In euer Zimmer!“ herrschte Bruno sie an.
Sie verschwanden mit sehnsüchtigem Blick.
„Ich habe selten einen Gast, sie freuen sich einfach, dass jemand da bist.“
„Ja, das sagtest du schon, ich freue mich auch.“ sagte Robert beinahe
mechanisch.
„Kaffee?“ fragte Bruno lächelnd. „Ja bitte. Wann kann ich wieder nach Hause?“
„Bald, jetzt stärke dich erstmal. Es ist grau draussen, keine Sonne, so wie
gestern.“
„Grau,- hier ist ja sowieso alles grau. Grau und weiss und schwarz, ich habe
keine einzige Farbe gesehen. Auch deine Hunde sind grau, so grau wie dein
Leben, scheint mir.“
„Darüber habe ich nie nachgedacht, vermutlich hast du recht. Das Grau war
eine Entscheidung, als ich hier eingezogen bin. Irgendwie konnte ich Farben um
mich herum nicht mehr ertragen.“
Schweigend nahmen sie das Frühstück zu sich, das Bruno serviert hatte, ein
klassisches Frühstück mit Brötchen, Schinken, Käse, einem gekochten Ei und
einem Glas Orangensaft. Dazu Kaffee, Robert kam sich vor wie in einem
Dreisterne-Hotel.
Nach einem Räuspern begann Bruno zu sprechen.
„Weisst du Robert, ich will wieder zurück in ein normales Leben.“
Bruno sprach ernst und bedrückt.
„Die verbissene Suche nach diesem Menschen hat mich verändert und mich viel
Zeit und Kraft gekostet.“
24
Nach einer nachdenklichen Pause sagte er plötzlich: „Es ist seltsam, dass du
von den Kindern und einem Garten geträumt hast.“
„Wieso, was ist mit dem Garten? Ja, ich hab ihn ganz deutlich gesehen, es war
eher eine Wiese mit Obstbäumen. Ich hörte Wasser rauschen, obwohl kein
Wasser zu sehen war. Was ist mit dem Garten ?“
„Es fällt mir schwer, ich habe lange nicht darüber gesprochen.“ sagte Bruno
gequält und leise.
„Wenn du nicht drüber sprechen willst...“
„Doch doch, ich bin ja kurz vor dem Ziel. Deshalb kann ich darüber sprechen.“
„Vor welchem Ziel….?“
„Es war der letzte glückliche Tag mit meiner Familie, ich werde diesen Tag nie
vergessen.
An jenem Tag hatte ich Marschner gefunden, in dem Altenheim, in dem du
arbeitest. Das war vor etwa zwei Jahren. Ich habe mir überlegt ob ich einfach
hingehen und ihn erschiessen soll. Doch ich wollte mich der Familie wegen nicht
in Gefahr bringen.“
Robert wurde langsam klar, dass da ein Häufchen Elend vor ihm sass, der mit
dem Bild, das er von Bruno hatte, nicht mehr das geringste zu tun hat.
Es kam ihm vor, als würden sie sich schon ewig kennen. Beim Frühstück kennt
man den Mann, der einen gegenüber sitzt. Man hat in der Regel eine heiße
Nacht miteinander verbracht, Sex gehabt, mehr oder weniger viel Alkohol
getrunken und meistens ist man guter Dinge.
Nun sitzt er einem Mann gegenüber, der jede Menge Probleme hat und ihn da
hineinziehen will. Robert spürte, dass es ihn grosse Überwindung kostet,
darüber zu reden.
„Ich war mit den Kindern im Garten. Es war einer der ersten schönen
Frühlingstage, die Sonne schien und die Kinder haben mit unserm kleinen Hund
gespielt. Sie haben Stöckchen geworfen, der Hund rannte unermüdlich hinterher
und hat sie wieder apportiert. Ich stand ziemlich weit vom Haus weg, vorne am
Gartenzaun. Das Tor stand offen, unten floss die Oos, eigentlich ein kleines
harmloses Flüsschen, doch im Frühjahr ist es ein Fluss mit reissendem Wasser.
Die Kinder waren fröhlich bis zum Übermut. Dann klingelte mein Handy. Ich
hatte das Stöckchen in der Hand, der junge Hund stand kläffend vor mir und
wartete, dass ich es endlich werfe.
Am andern Ende der Leitung war der Kollege vom Innenministerium, der sich
mit Nazitätern befasst.
„Wir haben Marschner gefunden,“ sagte er „er lebt in einem Altenheim, in der
Nähe von Stuttgart.“ Ich war so perplex und erregt, warf das Stöckchen einfach
von mir und wollte sofort ins Büro fahren.
Das Stöckchen landete im Wasser. Der Hund sprang wie ein Verrückter
hinterher und wurde von der Strömung abgetrieben. Dann versuchte er gegen
die Strömung anzuschwimmen. Meine Tochter schrie plötzlich: “Papi, Papi,
Knuddel ist ins Wasser gesprungen.“
Ich hatte es nicht genau verstanden, weil sie so schrie und weil meine Ohren auf
das Handy konzentriert waren. Dann sah ich plötzlich das Kind bis zu den Knien
25
im Wasser stehen, sie wollte den Hund retten, dann wurde auch sie von der
Strömung weggerissen.“
Robert bemerkte, wie Bruno mit den Tränen kämpfte.
„Das ist ja furchtbar, doch sie wurde gerettet, nicht wahr ?“
„Nein, es war zu spät. Meine Frau kam aus dem Haus gerannt, weil sie die
Schreie gehört hatte.
Dann schrie sie mich an, was los sei, wo Lisa sei.
Ich schrie nur noch ins Handy, dass ich sofort kommen würde.
Dann rannte ich am Ufer entlang und sah das Kind mitsamt dem Hund an einem
Ast hängen.
Ich watete panisch ins eiskalte Wasser, löste das Mädchen und trug es ans
Ufer.“ Bruno barg das Gesicht in seinen Händen und schluchzte, ich war unfähig
etwas zu sagen.
„Meine Frau hatte den Rettungsdienst gerufen, sie haben alles versucht, das
Kind zu retten, doch ihr kleines Herz war stehengeblieben.“
4.)
Eine Totenstille breitete sich aus, als Bruno aufhörte zu reden und zu weinen.
Auch von draussen kamen keine Geräusche.
Sie sahen sich nicht an, jeder sah in sich hinein.
Robert spürte genau, dass sein Gehirn funktionierte, nur wesentlich langsamer.
Er begriff das Ausmass der Tragödie und war kaum in der Lage weiter zu
frühstücken.
Bruno trank schweigend Kaffee und sagte lange nichts.
„Bist du schon mal vergewaltigt worden?“
fragte Bruno plötzlich und ganz unvermittelt.
Robert war schon einige Überraschungen gewöhnt, doch Bruno schien einen
unerschöpflichen Vorrat davon zu haben.
„Nein, ich scheine nicht der Typ zu sein, den man vergewaltigt.“
entgegnete Robert fassungslos. „Wie kommst du überhaupt darauf ?“
„War eine schlichte Frage.“
„Wieviele dieser schlichten Fragen hast du noch auf Lager?“
„Schon gut, du kannst ja nichts wissen, entschuldige.“
„Darüber weiss ich in der Tat nicht viel, ich weiss nur, es kommt in Gefängnissen
oder in Pornofilmen vor. Ich war noch nie im Gefängnis und in einem Porno
habe ich auch noch nie mitgespielt. Beides gehört nicht zu meinen Fantasien,
falls du das meinst.“
„Wie stellst du dir das vor, vergewaltigt zu werden?“
„Darüber hab ich nie nachgedacht, weil es mich nicht interessiert.
Wieso fragst du, stehst du etwa drauf ?“
Bruno bewegt die Hand vor Robert‘s Gesicht, als wenn er winken würde. Die
langsame Reaktion der Pupillen beruhigte ihn. Robert bat um eine weitere Tasse
Kaffee, die dritte, doch sie wirkte, als hätte er Schlaftee getrunken.
„Magst du noch etwas essen ?“
„Danke, ich bin satt.“
26
„Dann kann ich den Tisch abräumen?“
„Ja, doch schau, die Sonne! Die Wolken haben sich verzogen, kann ich auf die
Terrasse?“
„Aber ja, komm ich mach die Tür auf, sie geht ein bisschen schwer.“
„Gestern war sie abgeschlossen.“
„Nein, du hast sie nur nicht aufbekommen, man muss wissen, wie sie aufgeht.
Du warst etwas geschwächt, doch keine Bange, das vergeht.“
Robert ging sofort nach vorne ans Geländer. Das Haus kam ihm noch höher vor,
der Hang gegenüber noch weiter weg. Er atmete tief ein und versuchte sich zu
konzentrieren. Als er am Hintern angestubst wurde, war ihm klar, wer das ist.
Wie schaffen sie es, so lautlos zu gehen?
Die Sonne war schon wieder hinter der nächsten Wolke verschwunden. Die
Viecher legten die Vorderpfoten auf‘s Geländer und schauten abwechselnd in
die Gegend, dann mit Sehnsuchtsblick auf Robert, stupsten ihn am Ellbogen, bis
er beidseitig seine Streicheleinheiten vergab.
Bruno betrat die Terrasse und legte schweigend einen Arm um Roberts Schulter.
„Wie ging es dann weiter, mit dir und deiner Frau?“ wollte Robert wissen.
„Sie hat gespürt, dass ich versessen war, diesen Marschner zu finden.
Sie gab mir die Schuld am Tod unserer Tochter. Ich hatte meine Aufsichtspflicht
verletzt und vergessen, was wirklich wichtig war. Das hat ihr grosse Angst
gemacht. Sie hat die Urne unserer Tochter in ihrer Heimat Philadelphia
beisetzen lassen. Auch den 8 jährigen Sohn hat sie mitgenommen, ich blieb
alleine mit meiner Schuld zurück.“
Intuitiv verstand Robert Bruno’s Verhalten und seine Verzweiflung. Doch er
wusste immer noch nicht, was er damit zu tun hatte.
„Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Mit dem letzten Rest von Energie
habe ich mich für diesen Job entschieden, der mit diesem Penthouse verknüpft
war. Unser Haus in Baden-Baden habe ich gewinnbringend verkauft, wir hatten
es ja aufwändig restaurieren lassen.“
Robert starrte in Ferne. Roberts Arm lag immer noch über seiner Schulter und
ein Gefühl der Verbundenheit überströmte ihn.
„Und die Hunde sind dir zugelaufen?“
„Nein,“ lachte Bruno und zog Robert leicht zu sich.„Ich brauchte Schutz, eine
Aufgabe und etwas, was ich lieben kann.
Dann las ich eine Anzeige von einem Doggen-Züchter. Ich bin dahin gefahren,
die beiden ‚Mädels‘ haben mich ausgesucht. Sie sind Geschwister aus einem
Wurf. Seither bereichern sie mein trostloses Leben.“
Robert empfand sein biederes Leben plötzlich als Segen. Er hatte Arbeit,
verdiente damit Geld, mit dem er seine Wohnung und seinen bescheidenen
Lebensunterhalt finanzieren konnte.
„Wenn du willst, können wir beginnen,“ sagte Bruno, ich hab den Computer
schon hochgefahren.“
„Beginnen mit was?“
„Ich muss dir zeigen, wer dieser Marschner ist und war, und wer mein Vater
war.“
27
Robert folgte Bruno wie ein Hund ins Büro. Die beiden Doggen wurden mit
einem scharfen Befehl in ihr Zimmer verwiesen.
Robert hatte Mühe seinen Kopf zu sortieren, doch alles war da, Stück für Stück.
„...Langsam verstehe ich...“
„Komm setz dich hierher, ich zeige dir jetzt Bilder die du dir einfach anschauen
sollst. Ich werde dir erklären, wer darauf zu sehen ist, mehr nicht. Die Bilder
sprechen für sich. Ich habe sie eingescannt, so erscheinen sie grösser und
deutlicher.“
Robert nahm auf einem Stuhl Platz, den ihm Bruno bereitstellte.
Bruno setzte sich daneben auf einem Hocker und bediente die ‚Mouse‘.
„Okay, fang an.“
„Hier das Hochzeitsbild meiner Eltern. Sie haben 1942 geheiratet.“
„Wie alt waren sie damals?“
„Mein Vater war 22, meine Mutter ein junges Mädchen mit 19 Jahren.“
„Hübsches Paar. Was ist das für eine Uniform?“
„Mein Vater ist früh in die Wehrmacht eingetreten. Das hat man in der Familie
erwartet.
„Meine Mutter war eine schöne Frau und kam aus einer guten jüdischen Familie.
Hier noch mal meine Eltern, bei einem Empfang in der Staatsoper.
„Schöner Mann, dein Vater, jetzt wundert mich nichts mehr...“
„Ja, er sah gut aus. Seine Neigung zu Männern musste er allerdings verbergen,
wie alle, die damit geschlagen waren. Doch meine Mutter war keine Alibi-Heirat,
er hat sie geliebt, das habe ich den Briefen entnommen, die mein Vater
hinterlassen hat. Dummerweise hatte man ihn kurz vor Kriegsende mit einem
Mann erwischt, bei einer Razzia im Münchner Untergrund. Beide wurden
verhaftet und eingesperrt. Später hat man ihn erschossen, dadurch ist ihm die
Schmach des rosa Winkels erspart geblieben. Meiner Mutter gelang die Flucht
nach England, sie war schwanger.
So, jetzt zeig ich dir Bilder aus Marschners Privatarchiv. Dieses Schwein hat sie
nicht einmal vernichtet. Sie wurden in einer Kiste gefunden, die er vor seiner
Flucht einem Freund von der SS zur Aufbewahrung gab. Ich hoffe, du hast gute
Nerven.“
Was Robert nun sah, brachte ihn an den Rand der Aufnahmefähigkeit. Auf den
Fotos waren Folterszenen zu sehen, junge nackte Männer wurden
ausgepeitscht, mit brennenden Fackeln gequält und von uniformierten Männern
vergewaltigt.
Die Szenen waren von einer Grausamkeit, die ihn schaudern liessen.
„Mach das weg, das ist ja furchtbar.“ war das Einzige, was er dazu sagen
konnte.
„Lieber Robert, du stehst unter Droge. Trotzdem kannst du das nicht sehen?“
„Nein, mach sie weg, verschone mich damit!“
„Nein, warum? Schau, das ist mein Vater. Für ihn hatte Marschner eine
besondere Vorliebe. Verstehst du nun? Wenn du das Tagebuch meines Vaters
28
lesen würdest, du könntest weder leben noch schlafen. Er muss unsäglich
gelitten haben.“
Robert war dem Weinen nahe und schlug die Hände vor’s Gesicht.
„Meine Frau hat es nicht mehr mit mir ausgehalten.“erzählte Bruno weiter.
„Ich konnte an nichts mehr anderes denken und war nur noch versessen, dieses
Monster zu finden.“
„Weshalb wurde er nicht längst gefasst…?“ wollte Robert wissen.
„Weil er mit dem Holocaust nichts zu tun hatte, nur periphär. Die Amerikaner
haben sich nur für die Grossen interessiert, die am Völkermord beteiligt waren.
Marschner war für den rosa Winkel zuständig und hat genau das für seine
sadistischen Triebe genutzt.“
„Aber diese Geschichten verjähren doch nicht...?
Ich meine, du könntest ihn doch noch heute vor ein Gericht bringen, mit diesen
Fotos und diesem Tagebuch.“
„Man hat ihn in Brasilien aufgestöbert und nach Deutschland gebracht. Darauf
hat man ihm mehrere Prozesse gemacht, doch zu einer Verurteilung ist es nie
gekommen.“
„Bruno, ich kann kaum noch zuhören. Es ist alles so anstrengend.“
„Ja, das verstehe ich, komm, leg dich draussen auf das Sofa und ruhe dich aus.
Ich muss gleich mit den Hunden runter, wir machen nachher weiter. Du sollst
alles wissen, ja du musst es wissen, sonst kannst du den Auftrag nicht erfüllen.“
Robert verstand plötzlich, dass es kein Entrinnen gab.
Zuerst kamen die Hunde aus dem aus Hundezimmer, dann Bruno mit
Hundeleinen und Maulkörben.
„Bis später, es wird ein Weilchen dauern, bis wir zurück sind. Im Kühlschrank
findest du etwas zu essen, falls du hungrig bist.“
Damit schloss er die Tür und sperrte von aussen ab.
Robert kämpfte gegen seine Müdigkeit, jedoch ohne Erfolg.
5.)
Von kalten Hundeschnauzen, die seine Hände berührten, wachte er auf.
Draussen dämmerte es bereits.
„Ich habe uns ein Abendessen mitgebracht,“ rief Bruno aus der Küche, „du
hast bestimmt Hunger.“
Robert hatte zwar keinen Hunger, doch etwas zu essen, fand er vernünftig.
Bruno werkelte in der Küche, dann zog Essengeruch in den Wohnraum.
„Ich hab uns ein Steak gebraten, eines der wenigen Dinge, die ich zustande
bringe.“
Die Hunde hatten sich in ihr Zimmer zurückgezogen, Robert stand auf und ging
in den Nebenraum.
Der Tisch war bereits gedeckt, eine grosse Schüssel Salat stand auf dem Tisch
und Bruno kam mit einer Pfanne, in der zwei dicke Rindersteaks bruzzelten.
„Ich denke sie sind ‚à point‘. Magst du deins durch?“
„Nein nein, schon gut,“ meinte Robert, als er sich an den Tisch setzte.
29
Bruno trug Jeans und den dünnen cremefarbenen Pulli.
„Ich habe auch eine Flasche Rotwein mitgebracht, wir wollen es uns doch gut
gehen lassen.“
Die ersten Bissen der Mahlzeit verliefen wortlos, bis Bruno meinte, dass es ihm
leid täte, dass er ihn da mit hineinziehen würde, doch er hätte keine andere
Wahl.
„Weisst du Robert, meine Welt war in Ordnung. Wir haben gut gelebt, unsere
Kinder haben sich prächtig entwickelt. Ich hatte eine Karriere vor mir und habe
sehr gut verdient. Dann haben wir dieses Haus gekauft. Ein wunderbares
Anwesen nicht weit von Baden-Baden.
Mit viel Geld haben wir es zu unserm Heim ausgebaut. Meine Frau bekam ein
Pferd, die Kinder einen kleinen Hund, wir waren glücklich. Meine Frau malte und
kümmerte sich um die Kinder, ich plante die weitere Zukunft.
Dann hat mir ein anonymer Mensch das Tagebuch meines Vaters zukommen
lassen. Sofort erkannte ich die Schrift, ich las es und war erschüttert.
Dem Tagebuch lag ein handgeschriebener Brief bei, den ich kaum entziffern
konnte. Das Päckchen hatte als Absender die Adresse eines Berliner Hospizes.
‚Kommen sie so schnell, wie möglich nach Berlin…S.K.‘, stand in dem Brief,
mehr nicht.
Ich nahm Kontakt mit dem Hospiz auf und erkundigte mich über einen Patienten
mit den Initialen S.K. Die Hospizleitung war etwas skeptisch, doch am nächsten
Tag wurde ich zurückgerufen, drei Patienten kämen infrage, zwei Männer und
eine Frau. Noch in derselben Woche flog ich nach Berlin.
Eine Oberschwester sagte aus, dass sie für einen Herrn Siegfried Küster ein
Päckchen verschickt hätte. Eine junge Ärztin führte mich zu ihm.“ Robert starrte
mit glasigem Blick aus dem Fenster, unfähig etwas zu sagen.“Robert, hörst du
mir überhaupt zu?“ „Ja Bruno, doch ich muss mich sehr konzentrieren, ich bin
müde.“
„Der alte Mann lag im Sterben. Er hätte nur noch auf mich gewartet.“ fuhr
Bruno fort. „Mit letzter Kraft erzählte er, dass er der letzte Geliebte meines
Vaters war. Wie durch ein Wunder hätte er selbst das Konzentrationslager
überlebt und es geschafft, das Tagebuch meines Vaters zu retten. Er wusste,
dass sein Geliebter einen Sohn hatte, der Bruno Berger hiess, eine Schwester
aus dem Hospiz hätte ihm geholfen, diesen Sohn ausfindig zu machen.“
Bruno schwieg jetzt, sehr lange. Das Steak war inzwischen kalt. Plötzlich trank
er das Gas Wein in einem Zug leer. Robert sass ihm stumm gegenüber und
wusste nicht, was er sagen sollte. Eine Mischung aus Trauer und Entsetzen
schnürte ihm die Kehle zu.
„Tja, das alles hat mich komplett aus der Bahn geworfen.“ sagte Bruno nach
einer Weile.
„Wut und Ohnmacht beherrschten von nun an mein Leben.
Ich empfand unendliches Mitleid mit meinem Vater, nachdem ich das Tagebuch
gelesen hatte und konnte nur noch an Eines denken: Diese Bestie muss weg.“
Bruno sprach erregt und ruhig zugleich.
30
„Ich gebe dir ein Fläschchen mit, davon gibst du ihm täglich drei Tropfen ins
Essen, in den Tee, wohin du willst. 4 Tage lang. Es wird sich nichts verändern.
Dann wirfst du das Fläschchen weg, irgendwohin wo es nicht gefunden werden
kann. Nicht in den Müll. Nach weiteren 3 Tagen setzt die Wirkung ein. Der Alte
wird abkratzen, ganz langsam, unter unerträglichen Schmerzen.
Er wird in ein Krankenhaus gebracht werden, doch kein Arzt wird ihm helfen
können. Seine Leber wird sich langsam zersetzen. Kein Mensch kein Arzt wird
herausfinden warum. Für dich besteht also keinerlei Gefahr.
Währenddessen werde ihn einmal besuchen und mit ihm reden. Das muss sein,
er muss wissen, wofür er leidet.“
Robert war plötzlich hellwach.
„Bruno, entschuldige, du spinnst. Ich könnte niemals einen Menschen töten.“
Bruno sah ihn beinahe mitleidig an und sagte leise:
„Du irrst dich, Robert, du wirst es tun.“
„Und woher nimmst du die Gewissheit?“
„Weil dich das Mittel, das ich dir gespritzt habe, willenlos macht. Du weisst es
nur noch nicht.“
„Das glaube ich nicht, ich kann‘s mir einfach nicht vorstellen. Ich kann keinen
Menschen töten, nie im Leben.“
„Das haben viele behauptet. Marschner auch. Er hat Hunderte auf dem
Gewissen, auch meinen Vater. Doch er war noch schlimmer. Er hat sie alle
gequält und missbraucht. Alle die ihm gefielen, hat er sich gefügig gemacht.
Mit demselben Mittel, das ich dir verabreicht habe.“
Robert‘s Ohren hörten, doch nichts rührte sich. Keine Regung, keine Empörung,
kein Widerstand, nur Wahrnehmung.
„Was ist das für ein Mittel?“ war das Einzige, was er sagen konnte.
„Ein harmloses Zeug. Die Wirkung vergeht nach etwa zwei Wochen.
Doch das hat damals kaum einer erlebt. Die meisten kamen davor in die
Gaskammer oder wurden erschossen.“
„Ich auch? Gibt es in diesem Haus, hinter einer dieser tausend Türen vielleicht
auch eine Gaskammer? Deine ganz private Gaskammer?“
„Nein Robert, versuche nicht zynisch zu sein. Mein Vater wurde davor
verschont. Er wurde erschossen, nachdem er nicht mehr gebraucht wurde.
Gott sei Dank.“
„Und woher weisst du das alles?“
„Aus Briefen und Dokumenten, die die Nazis als perfekte Bürokraten gesammelt
hatten und die alle in diesem verdammten Haus archiviert waren. Erst Ende der
sechziger Jahre hat man die Akten gesichtet und sortiert. In diesem Haus, hinter
diesen Türen ist nicht nur der Geruch von Papier, sondern der strenge Geruch
des Todes, des Verschleierns, Vertuschens und Vergessens.“
Robert war ausserstande ein Wort zu sagen. Obwohl er unter Drogen stand,
begriff er seine Situation und deren Ausweglosigkeit.
„Das Mittel, das ich dir gespritzt habe, hat ein Nazichemiker erfunden. Es ist
verwandt mit Meskalin, macht gefügig, doch nicht apathisch. Die Rezeptur war,
wie alles, fein säuberlich in den Akten notiert. Ich habe sogar einen
31
Selbstversuch gemacht, es funktioniert. Du kannst ganz normal arbeiten, wenn
die Wirkung aufhört, hast du dein Werk bereits vollbracht.“
Bruno nutzte Roberts Sprachlosigkeit um das Geschirr abzuräumen.
Er goss noch einmal Wein in die Gläser und fuhr fort.
„Der Mann, von dem ich dieses Tagebuch erhalten habe, war einer der wenigen
Überlebenden von Sachsenhausen. Ohne ihn hätte ich das alles nie erfahren.“
Robert konnte seinen Kopf vor Müdigkeit nicht mehr halten, liess ihn einfach auf
seine Brust sinken.
„Begreifst Du endlich, warum dieses Scheusal weg muss?
Marschner wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Er hat es geschafft durch alle
Löcher der Justiz zu schlüpfen. Doch du wirst es vollbringen!“
Bruno sprach die letzten Worte laut und triumphierend.
Robert hörte sie nicht mehr, Der Schlaf hatte ihn übermannt.
6.)
Als Robert erwachte, lag Bruno neben ihm und sah ihn zärtlich an. Er beugte
sich zu ihm, küsste ihn sanft auf die Wange und wuschelte ihm durch die Haare.
Bruno war nackt, unrasiert und offensichtlich eben erst aufgewacht.
„Guten Morgen mein Lieber, hast du gut geschlafen?“
Robert hatte keine Ahnung, welcher Tag, welche Uhrzeit es war. Er wusste nur
wo er war und wer neben ihm lag. Das beruhigte ihn.
„Ich wollte dich nicht alleine auf der Couch schlafen lassen, da hab ich dich
ausgezogen und in mein Bett geholt. Ich hoffe es stört dich nicht. Du hast
geschlafen wie ein Murmeltier.“
Robert wurde erst jetzt bewusst, dass er ebenfalls nackt neben Bruno
geschlafen hatte.
An die Nacht hatte er nicht die geringste Erinnerung.
„Welcher Tag ist heute? Mein Zeitgefühl ist weg. Ist es Morgen oder Abend?“
„Heute ist Sonntag, es ist später Nachmittag. Wir haben gestern die ganze
Nacht geredet und sind erst heute früh zu Bett.“
„Hast du mich berührt, geliebt heute Nacht? Ich kann mich an nichts erinnern.“
„Nein Robert, ich habe dich ins Bett getragen, das war alles. Jetzt mach ich uns
erst mal einen Café und eine Kleinigkeit zu essen. Danach bist du frei, du
kannst einfach aufstehen und gehen. Deine Freiheit hast du verdient.“
flüsterte Bruno sanft.
„Ich will hier bleiben, bei dir, in diesem Bett, in deinen Armen, die mich
festhalten.“ Bruno lächelte „ich weiss, doch in ein paar Stunden wirst du gehen
wollen, wenn das Mittel dich in die Wirklichkeit entlässt.“
„Kann ich morgen wiederkommen?“ fragte Robert, dem der Gedanke nicht mehr
hier zu sein, plötzlich unvorstellbar schien.
„Nein,“ sagte Bruno ruhig. „Du gehst zurück in dein Leben und erfüllst deinen
Auftrag. Die Erinnerung an mich wird verblassen, irgendwann hast du alles
vergessen.“ Bruno hüllte sich in einen Bademantel und ging in die Küche.
Robert schlüpfte in seine Kleider, die ordentlich auf einem Stuhl neben dem Bett
lagen und ging in den Wohnraum. Die Sonne stand bereits tief, er setzte sich an
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den kleinen Tisch vor dem Fenster und sah versonnen nach draussen. Beinahe
lautlos kamen Angelina und Carlotta aus ihrem Zimmer und setzten sich in
gebührendem Abstand neben ihn. Sie wussten, dass der Gast bald gehen
würde. Er hörte Bruno in der Küche hantieren, dann ging er in sein
Schlafzimmer und zog sich an. Mit einem Tablett auf dem 2 Cafétassen und 2
Teller standen, kam er wieder. Wortlos assen sie den Schinkentoast und tranken
den starken Café, der spürbar die Lebensgeister weckte.
Bruno stand auf und brachte ihm seine Jacke, umarmte ihn und drückte ihn an
sich.
„Das Fläschchen ist in der Innentasche. Jeden Tag 3 Tropfen, erinnerst du
dich?“
„Ja, in den Tee oder ins Essen, ich weiss alles.“
„Gut, sagte Bruno beruhigt, dein Handy ist in der Aussentasche, du musst es
aufladen, wenn du nach Hause kommst.
Ich habe dir eine Nachricht darauf gesprochen, die dich an alles erinnern wird,
falls du etwas vergisst. Wenn du deine Mission erfüllt hast, rufst du mich an.
Pass auf dich auf, Robert, wir werden uns nicht mehr wiedersehen.“
Bruno stieg mit ihm in den Fahrstuhl und verabschiedete sich unten mit einer
innigen Umarmung.
Darauf schloss sich die Haustür mit einem dumpfen Geräusch.
Langsam kam die Erinnerung zurück, wo er das Auto abgestellt hatte. Auf dem
Beifahrersitz lag noch Brunos Visitenkarte. Er steckte sie in die Jackentasche
und fand dabei sein Handy, das allerdings komplett leer war. In der Innentasche
tastete er nach dem kleinen Fläschchen. Es war aus braunem Glas mit einem
kleinen aufgeklebten Etikett, auf dem tgl. drei Tropfen in Handschrift zu lesen
war. Zum Glück sprang das Auto nach drei Versuchen an, nach einer kurzen
Irritation wusste er auch wieder, wie Autofahren geht.
Gas, Bremse und Kupplung, alle Pedale waren am gewohnten Platz, auch die
Funktion der Gangschaltung hatte Robert schnell aus dem Unterbewusstsein
abgerufen. Er legte den Rückwärtsgang ein und wollte zurückstossen, doch der
Motor würgte ab. Ach ja, die Handbremse. Peu à peu kehrte das gesamte
Bewusstsein zurück. Er fühlte sich sicher, als er am Ende der Strasse in die
Talstrasse abbog, dann durch den Wagenburgtunnel fuhr, sich vor dem Bahnhof
links hielt, um Richtung Süden zu fahren.
Wie erwartet musste er einen Parkplatz suchen, doch er hatte Glück, unweit
seiner Wohnung fuhr einer weg und er manövrierte sich ungeschickt in die
Lücke.
In der Jackentasche war auch sein Hausschlüssel. Als er die Haustür aufschloss
kam ihm alles so fremd vor, als wäre er ein halbes Jahr im Ausland gewesen.
Das Treppenhaus roch nach Bohnerwachs, ein Geruch der ihm beim Einzug in
die Wohnung aufgefallen war, seither hat er ihn nicht mehr bewusst
wahrgenommen.
33
Der Aufstieg in den fünften Stock war mühsam wie immer. Er musste an den
alten Aufzug in Brunos Haus denken und wünschte sich, dass es hier auch so
ein Fossil gäbe.
Als er seine Wohnung betrat, kam sie ihm noch kleiner vor. Das Küchenfenster,
das eigentlich eine normale Grösse hatte, empfand er wie eine Schiessscharte.
Lediglich das Basilikum lies die Blätter hängen, ansonsten war alles normal.
Im Schlafzimmer war noch das Chaos, das er hinterlassen hatte, als er sich
nicht entscheiden konnte, was er anziehen soll.
Als erstes steckte er sein Handy ans Ladekabel, dann öffnete er alle Fenster,
um ordentlich durchzulüften.
Auf dem Dienstplan las er, dass er morgen noch frei hat und erst Dienstag früh
zur Arbeit muss, Gottseidank, wenigstens ausschlafen. Robert füllte den
Wasserkocher um sich einen Tee zu machen und schaltete den Fernseher an.
Die 19:00 Uhr Nachrichten hatten gerade begonnen, doch die Neuigkeiten
interessierten ihn nicht. Zu präsent waren die letzten Tage, die sein Leben
ordentlich durcheinander gewirbelt hatten. Er goss sich eine Tasse Tee ein und
setzte sich in sein altes Ikeasofa, das so durchgesessen war, dass er an Bruno’s
Daunensofas denken musste.
Das Handy gab plötzlich Piepslaute von sich. Es hatte sich soweit aufgeladen,
dass er sich anmelden konnte.
Mehrere Sprach- und Textnachrichten hatten sich angesammelt. Alle waren von
Kollegen, manche von der Heimleitung.
‚Robert, wo steckst du denn, geh doch ran.‘ ‚Herr Reiser, melden sie sich. Wo
sind sie?‘. Alle Nachrichten hörten sich nach Hilferufen an, nur eine nannte den
Grund.’ Hallo Robert, Marschner hatte heute Nacht einen neuen Schlaganfall, er
verlangt immer nur nach dir. Bitte komm so schnell du kannst. Gruss Olli’.
Oliver war sein vertrautester Kollege. Sofort versuchte er ihn anzurufen, doch
ohne Erfolg. Olli hatte Wochenenddienst und während der Arbeit sein Handy
ausgeschaltet. Okay, hat Zeit bis morgen, dachte Robert.
Doch die Nachricht von Marschners Schlaganfall liess ihm keine Ruhe.
Ausgerechnet an diesem Wochenende, an dem er das seltsame Erlebnis mit
Bruno hatte.
Er wählte die Nummer der Heimleitung, doch es dauerte bis sich die
Wochenendvertretung meldete. Sie wüsste keine Details, doch sie wüsste,
dass er auf der Intensivstation des Katherinenhospitals liegen würde.
Robert hatte sich auf einen ruhigen Abend eingestellt, aber plötzlich lief der
ganze Film von Marschners Vergangenheit vor ihm ab. Er dachte an die
schrecklichen Folterfotos, die ihm Bruno gezeigt hatte, an die Geschichte seines
Vaters, das Tagebuch, das Kind im Wasser. Alles war so präsent und er war
ausserstande es zu verdrängen.
Robert entschied zuerst im Katherinenhospital anzurufen, bevor er Bruno
informierte.
Es dauerte, bis er zur Intensivstation durchgestellt wurde und es dauerte
nochmal, bis er eine kompetente Person am Telefon hatte.
Robert nannte seinen Namen und stellte sich als Pfleger des Altenheims vor,
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der Herrn Marschner betreut hatte.
„Wie geht es ihm, wird er überleben?“ „Hören sie, wir sind keine Hellseher, wir
tun hier unsere Pflicht. Sie sind Robert Reiser?“ „Ja, meinen Namen nannte ich
doch schon.“ „Er hat wenige lichte Momente, doch wenn, dann nennt er ihren
Namen. Können Sie morgen vorbeikommen?“ „Ich weiss nicht, ich hab morgen
zwar keinen Dienst, doch viel privates zu erledigen.“
Robert befand sich plötzlich in einem Zwiespalt, der ihn überforderte. Wenn
Marschner den Schlaganfall nicht überlebt, käme er drum herum, die Tropfen
einzusetzen. Nach wie vor hatte er ein Gefühl der Willenlosigkeit, als ob er
ferngesteuert wäre. Er fühlte sich Bruno gegenüber verpflichtet, seinen Auftrag
auszuführen.
Noch immer hatte er Probleme mit dem Zeitgefühl. Ihm war als sei es weit nach
Mitternacht, doch es war gerade mal neun Uhr abends und er beschloss ins Bett
zu gehen.
7.)
Die Nacht war eine Achterbahnfahrt der Träume.
Morgens war er dermassen verwirrt, dass er erst mal seinen Kopf sortieren
musste. Er machte sich einen Kaffee und fand noch 2 Scheiben Toast im
Kühlschrank. Kurz darauf rief sein Kollege ‚Olli‘ an.
„Hi Robert, wo hast du denn gesteckt? Wir haben versucht dich zu erreichen.“
„Ja, ich hab die Nachrichten alle gehört.“ „Hör mal, du hast ja heute noch frei.
Gehe bitte ins Katharinenspital und schau nach dem alten Marschner. Der hat
dauernd nach dir verlangt und hat ganz wirres Zeug geredet.“
„Ehrlich gesagt hab ich dazu wenig Lust. Was geht mich der Marschner an.
Er ist einer von vielen ‚Alten‘ bei uns, weshalb sollte er eine Sonderstellung
einnehmen.“ „Er hat gesagt, dass ihn der Teufel bald holen würde und dass er
dich vorher noch mal sehen wolle.“ „Na und? Weshalb ausgerechnet mich?“
„Das wissen wir auch nicht, auch der Heimleitung ist es wichtig, dass du dahin
gehst. Ich hab das abgesprochen.“
„Olli, ich muss erst mal nachdenken, wir sehen uns dann morgen. „Schon ok.
Melde dich, wenn du Neuigkeiten hast.“ „Ok. Ciao Olli.“
Robert war hin und-her gerissen. Er hatte plötzlich Angst. Angst, dass er noch
tiefer in eine Geschichte hineingezogen wird, die ihn eigentlich nichts anging.
Doch er war bereits mitten drin und wollte sie jetzt irgendwie zu Ende bringen.
Kurz entschlossen rief er Bruno an. „Hallo Robert, so schnell habe ich deinen
Anruf nicht erwartet. Was gibt’s?“ „Marschner hatte einen Schlaganfall und liegt
auf der Intensivstation im Katharinenhospital. Er verlangt immer nach mir, doch
ich habe keine Lust mit ihm zu reden, schliesslich geht mich das Ganze nichts
an.“ Bruno sagte darauf nichts, bis Robert ungeduldig wurde. „Bruno, bist du
noch dran? Warum sagst du nichts?“ “Ich denke nach, ich ruf dich in ein paar
Minuten zurück, ok?“ Robert sass wie auf Kohlen. Die zehn Minuten, die es bis
zum Rückruf dauerte, kamen ihm wie eine Ewigkeit vor.
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„Robert, wir statten ihm heute zusammen einen Besuch ab, du begleitest mich.
Ich will das Schwein sehen, bevor er abkratzt.“ Robert überlegte kurz und
willigte ein.
„Wir treffen uns um halbdrei vor der Klinik, Haupteingang, ok?“ „Ok.“ sagte
Robert, „bis dann.“
Bruno tigerte bereits vor der Klinik auf und ab, als Robert dort eintraf. Es regnete
leicht. Bruno trug er einen beigen Trenchcoat und sah aus wie ein
Kriminalkommissar.
„Danke, dass du mich informiert hast. Ich hoffe, dass man uns zu ihm lässt.“
Robert zitterte vor Aufregung und ging voraus zur Anmeldung. Nach ein paar
Telefonaten mit der Station, bekamen sie einen Zettel mit der Wegbeschreibung.
Auf der Station wurden sie von einem jungen Arzt empfangen, der sie in ein
Besprechungszimmer führte. Bruno zeigte ihm seinen Dienstausweis des
Innenministeriums und klärte den Arzt auf, dass es sich bei Marschner sich um
einen der letzten Nazitäter handeln würde. „Wie stabil ist er denn, können wir
mit ihm reden?“
„Er hat sich erstaunlich gut berappelt nach dem Schlaganfall. Er redet zwar wirre
Dinge, doch er weiss wer und wo er ist. Medizinisch ist er aus der
Gefahrenzone, trotz seines hohen Alters.“ „Ja, auf Grund des Alters ist auch
nicht mehr gerichtlich zu belangen. Können wir jetzt mit ihm sprechen?“
„Es wird einen Moment dauern,“ sagte der Arzt, „wir werden ihn hierher bringen.“
Der Arzt verliess den Raum, Robert und Bruno waren alleine.
„Ich hab dir gesagt, dass er ein zähes Monster ist. Wir werden sehen, wie er
reagiert.“ sagte Bruno ganz ruhig.
Robert nahm die Stille wahr, die sie in diesem fensterlosen Raum umgab. Kaltes
Neonlicht beherrschte die Atmosphäre. Eine Liege, über der ein schlichtes
Kruzifix hing, ein Tisch und ein paar Stühle waren die einzigen Möbel.
Plötzlich ging die Tür auf und Marschner wurde von zwei Krankenpflegern im
Rollstuhl hineingeschoben. „In 20 Minuten holen wir ihn wieder ab.“ sagten sie
beim abgehen.
Marschner wirkte müde, doch sofort erkannte er Robert und lächelte.
„Ach mein Robert, schön, dass du mich besuchen kommst.“ nuschelte der Alte.
„Ich wollte dich nochmal sehen, bevor mich der Teufel holt. Wie ich sehe hast du
noch jemanden mitgebracht.“, sagte der Alte. „Ist das dein Geliebter?“
„Nein Herr Marschner, er ist nicht mein Geliebter. Ich kenne ihn noch nicht
lange.“ „Weiß der Mann wer ich bin?“
„Ja, Marschner, ich weiss wer du bist.“ sagte Bruno nun ganz ruhig. Marschner
lächelte aasig. „Und woher willst du mich kennen? Wir sind uns noch nie
begegnet.“
„Ja das stimmt. Und trotzdem hast du mein Leben zerstört.“
„Oh, es ist lange her, dass ich Leben zerstört habe, nichtswürdiges, entartetes
Leben. Es war ein Befehl und meine Aufgabe.“
„Wessen Befehl?“ schrie ihn Bruno an.„Ein Befehl des Führers?“
Marschner sah in prüfend an.“Was weisst du schon von unserm Führer.“
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„Dein Führer interessiert mich nicht, du interessierst mich.“ entgegnete Bruno
ruhig. Marschner lachte, “ Oh, wie schmeichelhaft, doch du bist zu spät, ich bin
ein alter, kranker Mann für den sich höchstens die Ärzte interessieren.“
Marschner sah Bruno prüfend an, mit kalten stechenden Augen.
„Du erinnerst mich tatsächlich an jemanden, dessen Leben ich zerstört habe. Ich
habe das Gesicht eines hübschen jungen Mannes vor Augen, dem du sehr
ähnelst.“
„Das war mein Vater,“ sagte Bruno ruhig,“ man sagt, ich sähe ihm ähnlich.“
„Soso, dein Vater. Es ist schon lange her, nicht wahr? Weisst du, ich habe viele
junge Männer gehabt und danach ihr Leben vernichtet, da erinnert man sich
nicht an jeden Einzelnen, doch an deinen Vater erinnere ich mich jetzt.“
Robert spürte plötzlich die eisige Kälte, die von diesem alten Mann ausging und
fröstelte.
Seelenruhig zog Bruno eine Pistole aus der Manteltasche und richtete sie auf
Marschner.
Marschner erschrak kurz, dann fing er höhnisch an zu lachen. „Wenn du mir
einen Gefallen tun willst, dann drücke ab. Doch du traust du dich nicht,
stimmt’s?“
„Nein, den Gefallen werde ich dir nicht tun, Marschner. Das was dich erwartet ist
schlimmer, als erschossen zu werden.“ Blitzartig zog Bruno eine Spritze aus der
andern Manteltasche, ging auf Marschner zu, hielt ihm mit einer Hand den Mund
zu und rammte ihm die Nadel in den Oberschenkel. Er gab keinen Mucks von
sich. Kurz darauf kamen die beiden Krankenpfleger, um ihn abzuholen.
Marschner röchelte leise, dann wurde er aus dem Raum gefahren.
“Er muss jetzt wieder liegen und braucht Ruhe.“ Die Pfleger schoben ihn aus
dem Zimmer und fragten, ob sie den Arzt noch mal vorbei schicken sollten.
„Nein danke, nicht nötig.“ sagte Bruno gelassen. „Komm Robert, wir gehen.“
Vor der Klinik musste Robert erst mal kräftig durchatmen, bevor er etwas sagen
konnte. „Geht’s dir jetzt besser?“ fragte Robert erleichtert ? „Ja,“ sagte Bruno
knapp. „Bist du mit dem Auto hier?“ „Nein, mit der Strassenbahn, hatte keinen
Bock auf Parkplatzsuche.“
„Du kannst mit mir fahren, wir nehmen uns ein Taxi. Schau, dort ist ein
Taxistand, okay?“
„Ja, aber ich möchte nach Hause, nicht zu dir.“ „Ja klar, ich möchte jetzt auch
alleine sein.“ meinte Bruno lächelnd.
„Robert, ich möchte mich für das, was du für mich getan hast, nicht nur
bedanken, sondern mich auch erkenntlich zeigen. Ich schlage vor, du fährst mit
zu mir, ich gehe kurz in die Wohnung hole etwas, während du im Taxi wartest.
Können wir das so machen?“
„Okay, warum nicht.“ sagte Robert überrascht. Im Taxi streichelte Bruno kurz
Roberts Hand und lächelte ihn an. Es war ein warmes Lächeln voller
Dankbarkeit.
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Das Taxi fuhr in die Aurelienstrasse, Bruno bezahlte und stieg aus. Dann ging er
ins Haus und kam nach 10 Minuten mit einem Päckchen zurück, das etwas
grösser als ein Schuhkarton war.
Robert stieg aus dem Taxi, um sich von Bruno zu verabschieden.
Bruno umarmte ihn und gab ihm das Päckchen, mit der Bitte, es erst zuhause
zu öffnen.
„Sehen wir uns wieder?“ fragte Robert.“ „Ich weiss es noch nicht, jetzt nimm erst
mal das und mach dir über den Inhalt keine Gedanken. Das Fläschchen, das ich
dir gegeben habe, kannst du entsorgen, wickle es in Zeitungspapier und werfe
es in den normalen Haus-Müll. Marschner wird nicht mehr lange leben, es ist
vollbracht. Ciao Robert, mach’s gut.“
Der Taxifahrer brachte ihn nach Hause, Robert fragte, ob er noch was zu
bezahlen hätte, doch der verneinte und fuhr davon.
In seiner Wohnung angekommen liess sich Robert erschöpft auf einen
Küchenstuhl plumpsen und sagte: “ Was für ein Tag! “
Nach einer Weile wurde er neugierig und öffnete das Päckchen.
Eine Flasche Rioja aus dem Supermarkt lag obenauf, Brunos goldne
Armbanduhr war um den Flaschenhals geschlungen, darunter lag ein Kuvert,
aus dem ‚Danke‘ stand.
Als er den Brief herausnahm, um ihn zu lesen entdeckte er viele Bündel mit
Geldscheinen, 200 Euroscheine, frisch von der Bank, mit frischen Banderolen.
‚Danke lieber Robert, bringe es nicht zur Bank und verwahre es gut. Nimm
etwas davon, wenn du dir etwas gönnen willst, eine Reise z.B.
Bei deinem bescheidenen Leben wird es bis an dein Lebensende reichen.
Bleib so wie du bist, finde einen Mann, der dich liebt und behalte unser
Geheimnis für dich. Ach ja die Uhr, ich brauche sie nicht mehr, ich habe noch
andere Uhren. Trage sie und halte sie in Ehren.
Von Herzen, Bruno.’
Robert öffnete mit Tränen in den Augen die Flasche, holte zwei seiner besten
Weingläser und goss ein.
Er liess sein Glas am Glas des nicht vorhandenen Gastes klingen und sagte
laut:
„Zum Wohl Bruno, du schöner, wunderbarer Mann. Danke, es ist alles perfekt,
nur, daß du mir nicht gegenüber sitzt, ist sehr schade.“
Nun heulte Robert richtig los und wusste, daß er diesen Traummann nie wieder
sehen würde.
Er sinnierte noch etwas vor sich hin, liess die Ereignisse Revue passieren und
leerte dabei die Flasche. Leicht wankend ging er zu Bett.
Als der Wecker um halbsechs klingelte, war Robert mitten in diesem seltsamen
Traum, mit den Kindern im Garten und dem kleinen Hund.
Der Traum verflog in Sekunden. Das kurze hastige Frühstück war er gewohnt.
Punkt sieben erschien er bei seinem Arbeitsplatz und übernahm die Frühschicht
vom Kollegen des Nachtdienstes.
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Nach einer kurzen Einweisung über die Veränderungen, machte er den ersten
Rundgang bei seinen ‚Schäfchen‘, wie er die Alten nannte.
Danach ging Robert zur Klinikleitung und erkundigte sich nach Marschners
Befinden.
„Nun, wir wissen nichts genaues, doch er wird nicht mehr zurück kommen,
Seit gestern Abend geht es ihm sehr schlecht, meinte der Stationsarzt.“
„Ich war gestern Nachmittag noch bei ihm, er hatte ja nach mir verlangt.“
berichtete Robert, allerdings ohne Bruno zu erwähnen.
„Da ging es ihm noch erstaunlich gut.“
„Nun, wir werden sehen…“ sagte die Leiterin, die es gewohnt war, dass
Bewohner aus dem Krankenhaus nicht mehr zurück kamen und verstarben.
Für Robert war bald wieder der Alltag eingekehrt. Über das Wochenende waren
drei neue Heimbewohner dazugekommen, mit denen er künftig zu tun haben
würde. Zwei davon waren alte Damen, die in der Regel von seinen Kolleginnen
betreut wurden. Der alte beleibte Herr war zum Glück weder dement, noch
gebrechlich. Er war, wie sich bald herausstellte, ein fröhlicher Schwabe mit
Humor, der sich schnell bei den alten Damen beliebt machte, was sich auf das
Heimklima sofort positiv auswirkte.
Nach ein paar Tagen teilte das Klinikum dem Seniorenheim mit, dass Marschner
unter grossen Qualen verstorben wäre. Man hätte alles versucht, das zu
verhindern und man bittet, alles für eine Bestattung vorzubereiten und
eventuelle Angehörige zu informieren.
Robert war über diese Information teils erleichtert, doch auch betroffen.
Schliesslich hatte ihn dieser alte Mann in eine Situation gebracht, die ihm noch
in bester Erinnerung war.
Es war Freitag, Robert hatte Frühschicht und ging danach gewohnheitsmässig
in den Supermarkt in seiner Nähe, um fürs Wochenende einzukaufen. Als er vor
dem Weinregal stand, ging ihm plötzlich Bruno durch den Kopf.
Bruno prophezeite, dass die Erinnerung an ihn verblassen würde. Woher wusste
er das?
Roberts Lieblingswein war alle, er musste sich für eine Alternative entscheiden,
die seinem Geschmack und Geldbeutel entsprach. Er stand unentschlossen vor
dem Regal und las Etiketten.
„Darf ich mal bitte?“ sagte eine ungeduldige Stimme.
Robert trat beiseite, ein dicker bärtiger Mann nahm 4 Flaschen Trollinger und
stapelte sie in seinen übervollen Einkaufswagen.
‚Ich muss Bruno anrufen, er muss wissen, dass Marschner tot ist.‘ ging ihm
durch den Kopf, als er an der Kasse stand.
Im fünften Stock angekommen, wählte er Brunos Nummer.
‚Der Teilnehmer antwortet nicht. Bitte versuchen sie es zu einem späteren
Zeitpunkt.‘
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Robert versuchte es das ganze Wochenende über mehrmals, doch immer
dieselbe Ansage. Eine Mailbox war nicht eingerichtet. Es war ihm ein Rätsel und
er begann sich Sorgen zu machen.
Doch die Sorgen verblassten. Der Alltag hatte schnell die Führung
übernommen.
Neue Bewohner zogen im Altenheim ein, sie wurden mit einem Auto gebracht,
viele wurden später auf einer Bahre wieder hinausgetragen. Mit manchen
Bewohnern kam er gut zurecht, mit andern nicht, das war normal.
Die Wochenenden verliefen meistens ereignislos.
Manchmal rief ein Freund an und fragte, ob er Lust hätte mit ins Kino zu gehen,
doch in der Regel hatte er einen anderen Filmgeschmack als seine Freunde, die
am liebsten ‚Blockbusters‘ mit Action und viel Pyrotechnik sahen.
Robert mochte eher leise Filme, mit guten Schauspielern, das war wohl der
Grund, weshalb er meistens alleine ins Kino ging.
Viele Stunden verbrachte er im Internet und chattete mit vermeintlichen
Partnern, doch die, die ihm gefielen, wollten nur Sex oder wohnten weit weg.
Am Sonntagabend sah er meistens den Tatort, während er das Geschirr spülte
oder die Waschmaschine ein- oder ausräumte.
Dann trank er noch ein Glas Wein und ging danach ins Bett. Er las noch zwei
Seiten in dem Buch, das auf dem Nachttisch lag, dann fielen ihm die Augen zu.
Wenn er Frühschicht hatte musste er den Wecker stellen, wenn er Spätschicht
hatte, wachte er von alleine auf. Dann ging Robert manchmal früher zur Arbeit
und setzte sich in den Aufenthaltsraum, holte sich einen Becher Café aus dem
Automaten und las in Ruhe die Tageszeitungen, die dort auslagen.
Eine kleine Polizeinotiz auf den Lokalseiten machte ihn plötzlich stutzig und
fassungslos.
‚Ein Mann sei im Osten der Stadt, aus einem Haus aus hoher Höhe gestürzt und
wäre inzwischen seinen Verletzungen erlegen. Ein Fremdverschulden konnte
bisher nicht nachgewiesen werden. Man gehe davon aus, dass es sich um
Suizid handle. Im Haus hätte die Spurensicherung zwei erschossene Hunde
gefunden. Der Mann hätte nichts schriftliches hinterlassen, weder einen Brief
noch eine Nachricht.
Hinweise nimmt die Polizei unter der Nummer…….gerne entgegen.’
Mehr stand nicht in der Notiz.
Copyright:
Valain
Kommentare
(AutorIn)
Kommentare: 1
Dafür kann ich nichts, das passiert beim übermitteln.
Ich wäre froh über technische Hilfe und einen Hinweis, wie ich das verhindern kann.
Ich arbeite mit einem MAC, da sind nicht viele Programme Microsoft kompatibel.«
Kommentare: 215
Das Thema tragisch und verstörend, trotzdem mußte ich bis zum Schluß lesen, obwohl ich eigentlich mehrfach aufhören wollte.«