Wo Männer noch echte Männer sind
von Dark Angel
Der Boden des großräumigen Saloons bestand fast ausschließlich aus unbearbeiteten Brettern, die vom Staub der Hauptstraße regelrecht zugeschneit worden waren. Draußen auf den engen Straßen des kleinen Dörfchens inmitten den meist noch immer unerforschten Weiten der Neuen Welt, die von Neuankömmlingen der Alten Welt nach und nach beheimatet wurde, war seit dem Morgengrauen die Hölle los - ständig kamen neue Tracks aus allen Himmelsrichtungen angereist und brachten ihre großen und weniger großen Herden mit. Die kleine Stadt war eine beliebte Zwischenstation für Cowboys und Trackführer geworden, die sich hier ein wenig Abwechslung von ihrer langen Reise in den Süden versprachen und die ihre paar Dollar in Bier, Spiel oder Frauen investieren wollten.
An diesem Tag war es besonders heiß und stickig, und der ersehnte Regen blieb ebenso aus wie der kühlende Wind aus dem hohen Norden, der meist um diese Zeit die stehende und flirrende Hitze durcheinanderwirbelte und so für etwas Linderung sorgte.
Im Saloon selbst herrschte noch kein Betrieb, dafür war es noch zu früh, die Männer mußten ihre Tiere vor den Toren der Stadt in den weiten Koppeln erst unterbringen und versorgen, so das noch etwas Zeit blieb. Außer dem Mann an der eilig zusammengehämmerten Theke war niemand zu sehen. Der geschäftstüchtige Mann, der die Idee mit der Gastwirtschaft hatte, versuchte in einem eigens abgestellten Faß die Gläser vom feinen Staub sauber zu bekommen und reinigte ein Trinkgefäß nach dem anderen mit einem feuchten Tuch und stelle sie in einem breiten, windschiefen Schrank ab. Auch wenn der Schrank nicht gerade an die übliche Kunst der Tischler heranreichte, so würde er dennoch gut genug sein, um den Staub fernzuhalten. Die Tische und Stühle standen so wie er es vorgesehen hatte in Reih und Glied für die Cowboys bereitgestellt und selbst die hingeschusterte kleine Bühne war rechtzeitig fertiggeworden, die seine diesjährige Attraktion werden sollte. Selbst einen roten, etwas schmutzigen Theatervorhang hatte er aufgetrieben, der in zwei traurigen Fetzen Stoff herunterhing und wartete, aufgezogen zu werden.
Das schwarze, altersschwache Klavier, das später noch für Stimmung sorgen sollte, stand gleich neben der Bühne vor der Treppe, die nach oben in den ersten Stock führte. Dort waren Spieltische aufgestellt worden, an denen noch eifrig gearbeitet wurde. Zwei Männer aus der Stadt halfen dem Gastwirt und fungierten gleichzeitig als Art Aufpasser, da kleine Streitereien nicht ausbleiben würden und denen man gebührend begegnen mußte.
Der Barkeeper sah sich nochmals zufrieden um - die Flaschen mit Rum und Whiskey standen hinter ihm bereit, die Fässer mit Bier waren unterhalb der Theke im Keller einigermaßen gekühlt untergebracht und der erste Stock würde ebenfalls in wenigen Minuten fertig sein.
Der Pianist und die Mädchen, die er aus der nächstgelegenen Stadt für eine Woche eingekauft hatte warteten bereits im einzigen Hotel auf seine Nachricht – und dann würden sie zum Einsatz kommen und das Ihrige zur gelungenen Wochenpause der vielen Männer beitragen.
Der Barkeeper grunzte selbstzufrieden - alles lief bestens und schon bald würden sich bündelweise Dollarscheine in seiner Kasse türmen...
Er stellte gerade das letzte Glas in den Schrank als ihn ein leichter Windzug zur Tür blicken ließ. Die beiden Flügeltüren, die wie Zangen aufgehängt worden waren mußten einfach nur aufgedrückt werden.
Und dies tat der Fremde.
Er war von mächtiger Gestalt, ein Hüne, und sein langer, imprägnierter Ledermantel, der fast bis zu den staubigen Stiefeln reichte, verstärkte diesen Eindruck auf das Doppelte und ließ den Barkeeper blaß werden. Das braungegerbte Gesicht des Fremden wurde durch seinen Hut fast verdeckt, nur sein unrasiertes Kinn ragte aus dem Schatten heraus und zeigte etwas von der Entschlossenheit, mit der der Riese den Saloon betrat.
Die Sporen rasselten zunächst melodisch klingend als er seinen Fuß auf die Bretter setzte und danach knirschte es überlaut, als der Staub von den genagelten Stiefelsohlen noch feiner zermahlen wurde. Der Riese wankte seltsam steif auf den Gastwirt zu, stellte ihn mit seinem mächtigen Körper in den Schatten der hereinströmenden Sonne und blieb an der Theke stehen.
„Wo sind die Beiden?“ fragte er ohne Umschweife und in einem tiefen, knarrenden Bariton. Der Fremde hatte sein Gesicht noch immer nicht gezeigt und starrte kalt auf den dicklichen Mann, der plötzlich nervös dastand und schwitzte.
Der Gastwirt hatte einen üblen Verdacht bekommen, der sich bei näherer Überlegung noch stärker verdichtete, und so betrachteten seine zu Schlitzen zusammengedrückten Augen den Riesen nun ängstlich und auch scheu, denn er ahnte warum der Mann hierhergekommen war.
Es war vorhersehbar gewesen.
Oben lag ein Mann, den seine beiden Helfer gestern mitgebrachten hatten, und den sie aufgrund seiner „Krankheit“ fertig gemacht hatten. Da sie aus der Stadt, die 50 Meilen entfernt war, hergeritten waren, hatten sie noch keine andere Bleibe für den übel zugerichteten Burschen gefunden und ihn einstweilen nach oben gebracht.
Mehr tot als lebendig.
Recht war es dem Wirt wahrlich nicht, aber die absonderliche Neigung dieses Mannes hatte nichts mit seiner christlichen Erziehung zu tun, und so beschloß er, wie alle anderen in der Stadt, nichts gegen die Mißhandlungen seiner beiden Helfer zu unternehmen. Schlimmer noch, er gewährte ihnen die Möglichkeit den halbtoten Körper in seiner Gaststube auch noch aufzubewahren.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen. Diese Möglichkeit sah und erkannte er erst jetzt und er musste trocken schlucken.
Mit unsicher wirkendem Augenaufschlag versuchte er den Riesen zu besänftigen und er hob dazu die Schultern. Er stellte sich dumm.
„Wen meinen sie, Mister?“
Der Riese war durch den kurzen Gang zum Tresen in eine Wolke von Staub eingehüllt worden, der sich langsam senkte und sich auf die zuvor blankpolierte Oberfläche der Theke legte.
Der Riese hatte keine Zeit und war ungeduldig.
Der Staub stob heftig davon, als er mit seiner flachen Pranke auf die Theke schlug. Ein einschüchternder Knall folgte und verfehlte nicht seine Wirkung. Der Wirt zuckte heftig zusammen, als ob er selbst den überraschenden Hieb abbekommen hätte.
Das schlechte Gewissen war nahezu zu riechen.
Er richtete sich wieder auf und seine Pupillen starrten noch verängstigter in den Schatten des Hutes, wo er das Gesicht des Riesen vermutete, wanderten kurz nach links, wieder zurück in den Schatten, und wieder nach links.
Das verriet ihn - und das leise Knarren der Holzstufen.
Mit einer Geschwindigkeit, die man dem massigen Körper des Hünen nicht zugetraut hätte wirbelte er seitlich weg und brachte sich aus der Schußbahn.
Im selben Augenblick dröhnten zwei dumpfe Schüsse durch den Saloon und gellten mit ohrenbetäubenden Krach durch die Holzwände ins Freie.
Dann folgte ein derber Fluch, weil die Schüsse Löcher in die Holzwand schlugen und nicht wie gewünscht den vermeintlichen Freund des oben liegenden Mannes ausschalteten.
Dann war der Fremde am Zug.
Unheimlich schnell, aber mit einer gleichzeitig bewundernswerten Ruhe agierte er.
Sein langer Mantel teilte sich elegant auseinander und ein armlanger, gußeisernen Schürhaken kam zum Vorschein, den er unter dem Mantel gut versteckt gehalten hatte. Die Eisenstange wurde von dem Fremden mit hartem Griff gehalten und richtete sich nun wütend gegen den sehnig aussehenden Mann, der soeben den Fluch ausgestossen hatte und die Situation noch nicht überblickte.
Der Hüne steppte leichtfüßig zu dem Mann mit der Waffe hin und war blitzschnell bei ihm angelangt. Dann schlug er unbarmherzig zu und führte einen tiefen Schlag gegen beide Kniescheiben des Mannes aus. Dieser kam nicht dazu zu schreien, sondern er vollführte einen beinahe perfekten Salto und krachte auf die harten Dielen auf, die ächzend etwas nachgaben und ihn unsanft stoppten.
Die Stange gab keinen Millimeter nach. Die Kniescheiben jedoch schon, sie blieben in diesem Spiel die Verlierer. Der Mann, dessen Revolver einen weiten Bogen in eine der finsteren Ecken gemacht hatte, blieb stöhnend liegen und hielt sich schmerzverzerrt seine Beine.
Er würde nie mehr richtig laufen können und war zunächst ausser Gefecht gesetzt.
Das war zunächst das Wichtigste.
Der Fremde war noch immer die Ruhe selbst.
Seelenruhig packte er die Stange wieder weg und schloß seinen Mantel. Dann trat er nochmals auf den Wirt zu und musterte ihn – zumindest ahnte dies der Dicke, dessen Poren gänzlich geöffnet waren und Schweiß ohne Ende austreten ließen. Sein pausbäckiges Gesicht glänzte und sein lächeln war gekünstelt und zeigte etwas von seiner Furcht, die sich in seine Seele grub und ihn dazu veranlasste, sich in die Hose zu pinkeln.
Er hatte richtige Todesangst und seine Blicke richtete sich beschwörend nach oben. Wie ein kleines Schoßhündchen winselte der Wirt und er betete, daß ihm nichts zustieß.
Der Dicke konnte vor Panik nicht sprechen, aber seine Blicke genügten dem Fremden.
Ohne Hast drehte er sich angewidert um und stieg die Stufen hinauf ... für ihn war der Wirt gestorben, ein erwachsener Mann der sich vor Schiß in die Hose pisste – einfach widerlich ...
Unbehelligt erreichte der Hüne den ersten Stock und fand gleich bei den Treppen seinen Liebhaber vor, der gleichgültig hingeworfen rücklings auf einem der vielen Tische lag und sich nicht rührte. Eine große Blutlache bildete sich unter dem Tisch und ließ erahnen, wie schlecht es um den jungen Mann bestellt war.
Der Fremde schluckte, als er die tiefen Wunden im Gesicht seines Freundes sah. Spuren von eng angelegten Ketten konnte man ebenfalls deutlich um die Handgelenke und um den Hals erkennen und das ein Arm gebrochen und im abnormalen Winkel auf seiner Brust lag, zerriss dem Fremden fast das Herz.
Wässrig wurden die vorhin noch so harten Augen.
Seine große Liebe lag auf dem Tisch und war Opfer von gehässigen, nichts verstehenden Kreaturen geworden, die von Moral sprachen und nicht das geringste von der Zuneigung verstanden, die die beiden Männer für einander empfanden.
Der Bursche am Tisch röchelte leise vor sich hin und kleine Blasen aus Blut sprühten über den aufgesprungenen Lippen des einstigen Schönlings hinweg, der dem Fremden vor zwei Jahren das Herz brach und seither ununterbrochen bei ihm war und ihm bei seiner nicht weit entlegenen Farm im Haushalt half.
Ja, richtig, im Haushalt - die Augen des Fremden wurden für einen winzigen Moment weich - für die rauhe Arbeit draußen am Feld war der Bursche nicht zu gebrauchen gewesen. Aber das war den beiden egal gewesen.
Die kastanienbraunen, hübschen und gütigen Augen zählten für den Fremden um einiges mehr als die Arbeit außerhalb, und die Augen waren es auch, die ihm bei Johnny als erstes auffielen, als sie sich das erste Mal beim Gemischtwarenhändler trafen.
Der Fremde legte seine flache Hand liebevoll um die Wange des Freundes und flüsterte ihm zu: „Ich bin’s Johnny, hörst du mich?“
Johnny röchelte stärker, da er seinen Freund erkannte und er weitete seine dunklen Augen, die sich kaum öffnen ließen, da sie tief zugeschwollen und mit leichten Einrissen an den Lidern versehen waren. Die haßerfüllten Männer hatten ganze Arbeit geleistet.
Die tellergroße Hand des Fremden strich zärtlich über die Haare des Verletzten. „Es wird alles wieder gut.“
Dann legte er seine Arme unterhalb des geschundenen Körpers und hiefte ihn hoch. Seine scharfen Augen beobachteten jeden Winkel und jede Ritze. Seine Sinne waren angespannt wie noch nie und noch läuteten keine Alarmglocken – alles war ruhig. Mit seinem Geliebten bepackt schritt er die Stufen wieder hinab, stieg über den mittlerweile bewußtlosen Revolvermann, dem die Gnade einer Ohnmacht zuteil wurde, und durchmaß mit festen Schritten den Saloon. Der Dicke hatte sich mit einer Schrotflinte bewaffnet und lugte feig und hinterhältig hinter dem Tresen hervor, tat aber weiter nichts.
Keine fünf Schritte bevor der Fremde den Ausgang erreicht hatte, wurden die beiden Flügel der Türe kräftig und rüde aufgestossen.
Der Zweite im Bunde bremste sich schleunigst und zutiefst überrascht ein und verharrte wie zu einer Salzsäule erstarrt wenige Meter vor dem Fremden. Mit großen Augen blinselte er den Hünen samt dem Burschen an, den der Farmer auf seinen Händen trug.
Dann löste sich die Überraschung.
„Sieh an, sieh an, zwei Perverse wieder vereint.“ Sein Grinsen war hönisch, gemein, niederträchtig.
Der Fremde wußte, das er nicht so ohne weiteres aus dem Saloon herauskommen würde um dieses unversöhnliche Dorf verlassen zu können, und er schmiedete einen Plan...
„Paß auf, der ist gefährlich ...“ rief der Dicke als es eigentlich schon zu spät war.
Das widerliche Grinsen wurde dem Mann an der Tür aus dem Gesicht gerissen. Die Eisenstange, die sich urplötzlich in der linken Hand des Fremden befunden hatte, wirbelte auf das Gesicht des Mannes zu und schlug mit der vollen Breitseite auf die Oberlippe auf, nachdem reflexartig der Kopf noch ein wenig zur Seite genommen werden konnte. Doch diese Aktion bewirkte nichts, zu überraschend kam der Angriff des Fremden.
Zähne lösten sich spielend leicht aus ihrer Verankerung und sprangen beherzt aus dem Mund heraus. Der getroffene Mann mußte auf die Knie. Seine Schmerzen mußten unmenschlich sein.
Der Fremde, der durch den kraftvollen Wurf für einen Bruchteil einer Sekunde seinen Geliebten auslassen musste, fing den schmalen Körper im Fallen und knapp vor den staubigen Dielen wieder auf und blies kräftig durch. Das war knapp.
Ohne weitere Aufregung legte er seinen Freund auf seine rechte, breite Schulter, holte sich gefaßt und besonnen seinen Schürhaken zurück, blickte in die farblosen Augen des um einige Zähne ärmeren Ganoven, der sich jetzt einigermaßen gefangen hatte und zu seiner Waffe greifen wollte, und gab ihm den Rest. Die Eisenstange arbeitete effektiv und ohne Kompromisse. Die Knochen knirschten und auch ein furchtbares Knacken mischten sich in die beiden Hiebe, die die Augen des zweiten Lumps schloßen und ihn wie seinen Freund abtreten liessen.
Verkrümmt kauerte der Mann vor der Tür und gab für geraume Zeit Ruhe.
Weich bettete der Fremde seinen Freund auf eines der Tische und stellte sich anschließend vor den dicken Wirt hin. Wortlos übergab der seine Flinte und stolperte in den Keller, wo ihn der Fremde einschloß.
Wieder hiefte der Fremde seinen Geliebten hoch und trug ihn diesmal unbeschadet aus dem Saloon in die wärmende Sonne hinaus, legte ihn auf den mitgebrachten Wagen und gab den Pferden die Peitsche.
Der Doktor war ein Meister seines Fachs und konnte den Jungen retten. Heimlich mußte er ihn verarzten, heimlich mußte er sich nachts wie ein Dieb aus dem Dorf schleichen und zur Ranch fahren.
Einige Narben blieben bei beiden Männern zurück, physich wie psychisch, aber eines blieb gewahrt, und auf das kam es an.
Die Liebe der beiden Männer hielt ungebrochen an, und die Heldentat des Mannes, der für einen anderen Mann sein Leben aufs Spiel setzte, blieb den Menschen des kleinen Dörfchens in langer Erinnerung inmitten von Texas, wo Männer noch echte Männer waren, ob sie schwul waren oder nicht.
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