Lona IX - Gutes Blasen will gelernt sein
von EviAngel
Wir standen am Flughafen Ajaccio auf Korsika, Jule stand hinter mir, die Arme um mich geschlungen. Wir sahen dem Flugzeug zu, das auf der Startbahn in Position rollte, bis zum Stillstand abbremste. Ein tiefer Seufzer bahnte sich den Weg, großer Druck lastete mir auf der Brust, die Tränen rannen ungebremst die Wangen hinunter.
Die Ruder bewegten sich an dem Flieger, die Motoren wurden laut, das Flugzeug setzte sich in Bewegung, wurde schneller und schneller, hob ab. Das Fahrgestell fuhr ein, der Flieger stieg und stieg, drehte eine lange Kurve und verschwand im Himmel.
Bis er nicht mehr zu sehen und auch nicht mehr zu hören war, schaute ich ihm nach. Jule hielt mich fest und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel.
„Er kommt ja wieder, er bleibt ja nicht lang.“
Obwohl ich nicht weinen wollte, rannen mir weiterhin die Tränen aus den Augen und die Wangen hinunter, wie einem Schulmädchen mit Liebeskummer. Jule reichte mir ein Papiertaschentuch.
„Ea kimmd doch wieda, Schatzl! Ea kimmd doch wieda!“
Nein, weinen war eigentlich nicht nötig, da hatte Jule recht, aber trotzdem. Einmal noch seufzen, die Tränen abwischen und die Nase schnäuzen, damit musste es gut sein. Wir nahmen uns ein Taxi und fuhren zurück zum Hafen.
Am Boot angekommen, das wunderbare Wetter, das schöne Schiff im Blick, fand sich die gute Laune zum Teil wieder ein. Um etwas Witziges zu sagen, sagte ich etwas, was mir schon lange auf der Zunge lag und rieb es ihr unter die Nase:
„Habt ihr in Bayern eigentlich auch Deutschunterricht oder lernt ihr nur bayrisch?“
„Na, Frollein!“, imitierte Jule Seppis Sprechweise. „Wir bilden uns halt in der Vielseitigkeit, wir lernen Bayrisch und Deutsch gleichzeitig, ihr lernt ja bloß euren Dialekt.“
Teils ernst, aber immer noch Spaß, klärte ich sie auf:
„Wir Dialekt? Wir sprechen das reinste Hochdeutsch, wo denkst du hin? Reinstes Deutsch, direkt hinter Hannover!“
„Naja, immerhin, aber doch nur maximal zweiter Platz, nach Hannover. Wie Dortmund in den besten Tagen. Oder Leverkusen. Oder wie Schalke.“
„Wie?“
„Ach, nix.“
So alberten und flaxten wir herum. Mit Jule zusammen konnte mir nichts passieren und gemeinsam mit ihr könnten wir jeder Gefahr trotzen, obwohl wir miteinander immer extrem viel Spaß haben. Flaxen, einander aufziehen, immer lieb und freundschaftlich, nie verletzend. Wir wussten von uns beiden, dass wir uns blindlings aufeinander verlassen konnten und dass wir keinerlei Gemütsregung oder Geheimnis vor der anderen verbergen mussten. Es bestand eine unglaublich enge und sehr, sehr schöne Verbindung zwischen Jule und mir.
Trotzdem war ich traurig, echt. Seppi fehlte mir von der ersten Sekunde an. Die Wochen mit ihm, hier an der Westküste Korsikas, waren unglaublich bereichernd. Das reine Glück die ganze Zeit. Die Liebe zwischen uns war allgegenwärtig, die Wochen mit ihm und Jule zusammen waren derartig kurzweilig, dass sie so schnell verflogen waren, als seien es Tage gewesen.
Mit Seppi fehlte ein wichtiger Teil unseres Trios, es gab ein Ungleichgewicht, der größte Teil unserer Energie war verschwunden. Ohne Antrieb saß ich da auf dem Boot und stierte in die Landschaft. Selbst am nächsten Tag war die Stimmung nicht wesentlich besser. Wir, Jule und ich, saßen am Nachmittag auf dem Vordeck, blickten in die weite Welt hinaus, nippten am ersten Prosecco des Abends und wussten nicht recht etwas mit uns anzufangen. Jule fühlte sich in der Trauer mit mir verbunden, so fehlte uns beiden die Energie, etwas an der Antriebslosigkeit zu verändern. Das würde schon bald anders sein, aber im Moment fehlte uns der drive.
„Ahoi, Lona!“, rief ein Mann vom Kai aus.
Es standen dort drei unbekannte Typen, der kleinere, dunkelhaarige, zeigte auf mich und sagte auf deutsch zu den anderen:
„Da, det muss se sein. Comtesse!“, fügte er spöttisch hinzu.
„Auf jeden Fall sind wir hier richtig!“, schloss er, nahm einen kurzen Anlauf und sprang vom Kai auf unsere Badeplattform hinunter.
„He!“, beschwerte ich mich und rannte nach achtern. Die beiden anderen, ein mittelblonder, Kleiner und ein hellblonder, Großer, schickten sich an, es dem Dunkelhaarigen gleich zu tun.
„Was soll das denn?“, protestierte ich aggressiv und ungeduldig. „Verschwinden Sie, gehen Sie weg!“
„Jou, det isse, große Klappe und Ruhrgebietsslang. Schätzchen, wir haben eene Überraschung für dir!“
Der Dialekt kam aus dem Raum Berlin, unverkennbar.
„Was-was, wie, äh, gehen Sie von meinem Schiff runter!“
In der Zwischenzeit waren, trotz meiner Gegenwehr, die anderen beiden ebenfalls auf die Badeplattform gesprungen. Ich stand auf dem Achterdeck und schaute auf die drei hinunter. Der Große war wirklich sehr groß.
„Nicht! Bleiben Sie weg!“, rief ich protestierend, als sie sich anschickten, die Treppen hinauf zu steigen. Vielleicht hörte man mich auf den Nachbarbooten und half mir gegen die Einbrecher, denn das schienen sie zu sein. Sie ginmgen zielstrebig und besitzergreifend vor, es war unheimlich.
Jule stand hinter mir, wir auf uns allein gestellt, sahen keine Möglichkeit, die Männer aufzuhalten.
„Schätzchen, reg dir nich uff, wir sind Freunde von Jonas“, meinte der Dunkelhaarige beschwichtigend. „Wir holen uns nur, wat uns zusteht, denn sind wir wieda vaschwunden!“
„Gehen Sie weg! Jule, ruf die Polizei!“
Das sagte ich ihr vor lauter Aufregung auf französich.
„Keine Police, Schätzchen, keine Police, du machst dir unjlücklich!“
Jule tupfte hektisch auf dem Handy herum, der Dunkelhaarige stand mittlerweile genau vor mir, Jule versetzt hinter mir. Ansatzlos schlug er Jule volles Rohr mit der Faust ins Gesicht, mit voller Kraft, ungebremst, haarscharf an meinem Gesicht vorbei. Die liebe Freundin taumelte rückwärts, verlor das Handy aus der Hand, konnte sich gerade noch am Tisch festhalten, um nicht zu stürzen.
„Was soll denn der Scheiß?“, entsetzt und empört wie ich war, rastete ich richtig aus. Schlägereien gab es damals als Halbwüchsige in der Schule, um sich gegen die Dumpfbacken zu behaupten, aber doch nicht in der Erwachsenenwelt. In meiner jedenfalls nicht.
„Was wollen Sie überhaupt? Gehen Sie weg, verschwinden Sie!“
Die drei Männer waren die Ruhe selbst. Sie übten Gewalt aus, ohne dass Erregung zu erkennen war, einfach so. Der Schlag gegen Jule war mit soviel Gleichgültigkeit und emotionslos ausgeübt worden, dass es einen schaudern konnte. Das wirkte auf mich ganz besonders bedrohlich. Jule rappelte sich auf, sie schaute verstört zu mir. Ich half ihr auf und stützte sie.
„Weeste, Schätzchen“, allein die Anrede regte mich schon auf. Die Stimme war unangenehm, der Ton anmaßend und respektlos. In mir rasten die Gedanken ungesteuert und ohne Ziel durchs Hirn. Gegen die Gewalt konnte ich mich nicht durchsetzen, ich wusste nicht was gespielt wurde, meine liebe Freundin war verletzt worden, ein Ausweg zeichnete sich nicht ab. Nachzugeben, zu fliehen oder mich zu verkriechen war keine Option, hier war mein Zuhause, das würde ich verteidigen. Immer noch empört und voller Adrenalin, das Herz klopfte heftig, reagierte ich gereizt und aggressiv, empfand mich jedoch als macht- und hilflos. Irgendwie musste ich mich behaupten, so fuhr ich den Typen an:
„Comtesse Lona ist die richtige Anrede, mein Herr, Comtesse Lona und ‚Sie‘, bitteschön.“
Der Dunkelhaarige amüsierte sich, er sprach zu seinen Kumpanen:
„Kiek ma wattse kiebig is, die Kleene. Kaum ne Handvoll Mensch, aber ne Fresse wie ne Jroße.“
Grinsend wandte er sich wieder mir zu.
„Also gut, Comtesschen, sollst deinen Willen haben. Ick will aber ooch meinen Willen haben. Wo ist det Geld?“
Mir schwante Fürchterliches. Die ganze Zeit über schlummerte die Befürchtung auf meiner Seele, dass Jonas eines Tages kommen und das Geld für die Wohnung von mir fordern würde. Nun war es wohl so weit. Kampflos würde ich es mir auf keinen Fall abnehmen lassen, vor allem nicht unter Gewaltandrohung und nicht von diesen drei Pappnasen hier.
„Sicher, logisch, das Geld!“, meinte ich sarkastisch. „Von welchem Geld reden Sie?“
„Na, von welches Geld haste denn dieset Schiffchen hier bauen lassen, wa? Ist doch nagelneu det Dingen, det sieht man doch.“
„Die Grafen von Buchenhain sind ein uraltes Adelsgeschlecht aus Westfalen. Das Schiff hier ist mein Geburtstagsgeschenk.“
Ausreden zu finden ist mir noch nie schwer gefallen. Jetzt war ich im Rosamunde-Pilcher-Comtesse-Modus, so kam der Spruch sehr bedeutungsvoll und überzeugend herüber.
„Jonas meint, den Titel hätte er erfunden?“, wandte er ein, meine Selbstsicherheit machte ihn unsicher. Ich blieb in dem souveränen Ton und sagte:
„Das ist völliger Blödsinn, das weiß er genau. Der hat Ihnen einen schönen Bären aufgebunden. Von welchem Geld reden Sie also?“
Er wurde aggressiver und selbstsicherer:
„Ach, Schätzelein, äh, Comtesschen, det ist doch janz einfach. Der Jonas, den kennste doch oda? Der ist dir bekannt, oder willste ooch det abstreiten?“
Es war besser, etwas zuzugeben, um das vorher Gesagte glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Maigret hätte das nicht besser hinbekommen, mein Hirn ratterte auf Hochtouren.
„Ich streite überhaupt nichts ab. Nein, natürlich nicht. Wir waren einige Zeit zusammen, das stimmt. Wir hatten eine gute Zeit, aber die war dann auch mal zu Ende. Also, wovon sprechen Sie?“
Der Dunkelhaarige schaute mich nachdenklich an.
„Weeßte“, meinte er nach einiger Zeit. „Ick jloobe dir keen Wort. Jonas sagt, er hat dir det Geld jejeben und der war nicht mehr in der Lage zu lüjen, det kannste jlooben. Ick will jetzt nich det Gleiche mit dir machen, wat wir mit dem jemacht haben, det fände ick persönlich unästhetisch. Trotzdem, ick will mein Jeld und jloob mir, det bekomme ick.“
Er entspannte sich etwas.
„Gibts bei dir nen Kaffee, Schätzchen?“
Jule hörte mit, von der Gewalt und der ausweglosen Situation war sie geschockt. Auf Französisch bat ich sie:
„Mach ihnen mal Kaffee. Ich sorge dafür, dass dir keiner mehr etwas tut.“
Sie nickte ihr Einverständnis und machte sich auf den Weg, um Kaffee zu bereiten.
Der Dunkelhaarige wies auf den Tisch.
„Lass uns mal sitzen, wie et unter zivilisierte Menschen üblich is. Kommt Jungs, setzt euch.“
Vielleicht war Jule so schlau und rief von meinem Handy die Polizei an. Die Hoffnung blieb so lange, bis der kleinere Blonde hinter ihr her ging. Ich schaute ihm nach, sie durften Jule nichts mehr antun. Ganz kurze Zeit später war er wieder da. Er brachte mein Portemonnaie und Jules und mein Handy mit. Das Portemonnaie war ein dickes, altes, vergammeltes Ding, von dem ich mich nicht trennen konnte, weil es so praktisch war. Alle meine Karten, Scheckkarten, Personalausweis, Führerschein, Bootsschein, Kreditkarten, alles war darin, auch etwas Bargeld.
„Na, da haben wir ja allet!“, meinte der Dunkelhaarige ganz entspannt.
„Weeßte, Schätzchen“, erklärte er, während er alle Karten aus dem Portemonnaie nahm und vor sich ausbreitete. „Der Jonas, det ist een janz linken Vogel is det. Wir drei“, er deutete auf seine Begleiter, „wir sind Georgier, wie der Jonas ooch. Ick bin schon mehr als die Hälfte von mein Leben in Balin, bin ooch da uffjewachsen, hört man velleicht son bisschen. Jedenfalls, der Jonas, der war bei uns een echtet Finanzgenie, in Georgien, auf die dunkle Seite der Macht, wenn du vastehst. Wir, det Land, haben eenen dicken Kredit von die EU jekriegt, det war janz prima. Der Jonas hat einen Weg jefunden, wie er einen großen Teil davon für uns abzweijen konnte. Wir wollten teilen, er die Hälfte vom Kuchen und wir die andere Hälfte. Nur, denn hat er sich den janzen Batzen unterm Narel jerissen, vastehste? Der hat uns abjezogen, uns, seine Kumpels und Mitstreita, vastehste? Det is unsa Jeld, det wollen wir wieder ham, is klar, oda?
Det sich der Jonas die janze Kohle unterm Narel reißt und wir jehen leer aus, det jeht nich, det vastehste doch, oda?“
„Ihre Rechtsauffassung in allen Ehren“, ich war jetzt voll in der Rolle der Comtesse, die Lektüre von Rosamunde Pilcher half mir dabei, ganz automatisch den richtigen Ton zu treffen. „Was, bitteschön, habe ich damit zu tun?“
„Er hat dir die janze Kohle anvatraut und du wärs damit abjehaun, det sacht er jedenfalls. Jetzt sind wir hier und nehmen sie dir wieder ab. Janz einfach.“
„Na, da muss ich Sie enttäuschen, bei mir finden Sie kein gestohlenes Geld, keine Chance. Da müssen Sie woanders suchen.“
Er pflückte die Bankkarte heraus und sagte ungerührt:
„Jetzt lass uns doch mal een Blick uff dein Konto werfen, da müsste det Moos ja zu finden sein. Oda du hast et im Kopfkissen einjenäht.“
Er schaute kritisch.
„Haste? Einjenäht?“
„Ich habe kein gestohlenes Geld und kein Geld vom Jonas, bestimmt nicht. Ich habe das Geld, das mir meine Familie sendet, damit komme ich aus und damit ist auch alles erklärt. Jetzt gehen Sie bitte.“
„Schätzchen, ick vastehe dir, kannste jlooben, aba vasteh auch uns. Wir haben den Coup mit Jonas zusammen jeplant und durchjezoren, vastehste? Un wir wollen unseren Anteil. Zur Strafe, weil er uns beschissen hat, deswejen nehmen wir ihm auch die andere Hälfte noch ab. Als Lektion, vastehste? Kumpels beklaut man nich und haut se auch nich übert Ohr, det bringen wir ihm jetzt bei.“
„Online-Banking, oder?“, fragte er mich und hielt mir die Bankkarte unter die Nase. Er reichte mir das Handy und sagte:
„Nu ruf mal deine Konten ab.“
Nun war ich Odessa sehr, sehr dankbar. Sie hat mir damals den Rat gegeben, die Geldanlage zu einer anderen Bank zu bringen, als zu der Bank, bei der man das Girokonto hat. Die Bank, die sie mir empfohlen hatte, war eine reine Investmentbank, unter einer Million brauchte man der gar nicht zu kommen. Die Karte für mein Girokonto lautete auf die französische Sparkasse, Caisse d'Epargne, die hielt er in der Hand. Die Karte für die Investmentbank trage ich nicht ständig mit mir herum, die lag im Tresor unter der Treppe zur Flybridge.
Leichten Herzens öffnete ich die Seite der Bank auf meinem Handy und zeigte ihm die Umsätze.
„Hundertdreißig Tausend Guthaben! Ja Himmelarschundzwirn, wat is det denn?“
Das waren die Reste des Betrages, den die Investmentbank an Dividende vierteljährlich auf mein Konto schickte. Hochnäsig klärte ich den Dunkelhaarigen auf:
„Das ist mein Taschengeld, davon muss ich ein ganzes Jahr leben.“
„Hundertdreißigtausend Euro Taschenjeld? Mein lieber Specht! Det is nich schlecht.“
Er richtete seinen Blick gen Himmel und mimte Verzweiflung:
„Nur een einzijet Mal Kind von reiche Eltern sein, nur een einzijet Mal. Bah, Herrjott!“
Entschlossen raffte ich die ausgebreiteten Karten zusammen und wollte sie wieder ins Portemonnaie stecken.
„Dann ist ja alles geklärt, dann können Sie jetzt gehen.“
Der Dunkelhaarige grinste.
„Ick vastehe dir, Schwesta, ick vastehe dir sehr jut. Aba, bei zwee widersprüchliche Aussaren muss ick die Sache uffen Jrund jehen, vastehste? Det vastehste doch, oda?“
„Jetzt zeig ma, auf die Kreditkarten haste doch ooch Jeld, oda?“
Auf keiner der Karten lag Geld. Mir erschien es unsinnig, auf Kreditkarten Guthaben anzuhäufen.
„Jibts doch nich, nirgends Jeld druff!“, meinte er ratlos.
„Sag ich doch!“, bekräftigte ich. Der Bluff schien geglückt, jetzt noch die Piraten los werden, wir würden sofort ablegen, nur weg!
Er sah sich um, Jule kam mit dem Kaffee und stellte ihn auf den Tisch. Sie wollte sich gleich wieder verkrümeln, der Dunkelhaarige hielt sie auf.
„Leiste uns noch een bisken Jesellschaft, scheene Frau. Tut mir leid wejens det blaue Ooge, det jeht aba schnell wieda wech.“
„Also, du kannst mit det Schiff fahren, is det richtig?“, fragte er mich direkt.
„Ja, sicher, es ist mein Schiff, natürlich kann ich damit fahren.“
„Wat die kiebig is, die Kleene, wa?“, fragte er seine Spießgesellen.
„Also jut, denn bringste uns mit den Äppelkahn ma nach den Jonas hin, Cap der Eule oder so. Du weeßt ja, wo.“
„Wie? Ich soll …? Mit meinem Schiff?“
„Det wäre mein persönlicher Wunsch, ja. Tu mir den Jefallen. Schon im Interesse von det andere Ooge von deine Freundin.“
„Wie bitte?“
Er gab keine Antwort, sondern schaute mich nur an.
„Bitte“, sagte er nach einiger Zeit. Er drohte damit, uns Gewalt anzutun, falls ich seiner Bitte nicht entspräche, das kam deutlich herüber.
„Also, das ist doch …“ wandte ich halbherzig ein. Was sollte ich, was könnten wir zwei Frauen gegen die drei Männer ausrichten? Die Drei erschienen mir zu allem entschlossen. Dass sie bereit waren, ihre Wünsche mit Gewalt durchzusetzen, hatten sie bewiesen. Das ergab für uns eine mehr als bescheidene Situation.
„Heute noch? Unmöglich! Wir brauchen neun Stunden bis dahin, jetzt ist es bereits nach sechs. Kommen Sie morgen wieder, dann fahre ich Sie.“
„Nee, is klar, Schätzchen, is klar. Haste Angst im Dunkeln oder was willst du mir weismachen? Jetzt laber nicht länger rum, mach die Leinen los und lass uns abdampfen. Schließlich hast du Radar und dieset GPS-Dingen. Jetzt ab und keene künstliche Vazöjerunk!“
Jule und ich tauschten Blicke. Es war geboten, der drohenden Gewalt nachzugeben. Jule fuhr die Gangway heraus, ging hinaus auf den Kai und löste die Leinen, ich startete die Maschinen.
Mir fiel ein, wie ich Verstärkung herbei rufen konnte. Im Cockpit lag das Tablet, es war an eine USB-Buchse angeschlossen, um den Akku zu laden. Ich schaltete es ein, der kleinere Blonde stand daneben, der mit dem unangenehm stechenden Blick. Er deutete darauf.
„Was machen?“
„Navigation, brauche ich dafür.“
Er nickte und gab sich damit zufrieden. Der Dunkelhaarige passte auf Jule auf, die auf dem Kai die Leinen löste. Wahrscheinlich hielt er sie im Blick, damit sie ihm nicht davon lief. Jule würde mich nie allein in der Gewalt der Männer lassen, kein Gedanke, seine Sorge war unbegründet.
Ich tippte Seppis Nummer in das Tablet.
„Also!“, sprach ich laut, damit Seppi hören konnte. Ob er dran war, konnte ich nicht sehen, das Tablet lag umgedreht, damit der Typ neben mir nicht sah, dass ich mit Seppi in Verbindung stand, außerdem konnte so die bessere hintere Kamera mich und den Typen filmen. Der Dunkelhaarige kam herbei, um zu kontrollieren, was ich da machte.
„Wir haben eine Reichweite von fünfhundert Seemeilen“, erklärte ich, so deutlich, dass auch Seppi es verstand. Wenn er denn den Anruf mitbekam. „Davon haben wir bereits zweihundert verbraucht. Unser Tank fasst eine Tonne Diesel, sind eintausendzweihundertundfünfzig Liter. Ich sage das nur, damit hier keine Missverständnisse aufkommen.
Wir sollen euch jetzt nach Cap d’Ail bringen?“
„Watt is? Mehr macht der Kahn nich? Fünfhundert Kilometer? Det is allet? Watt versuchs du mir zu erzählen, Meechen?“
„Nein, Seemeilen, fünfhundert Seemeilen sind etwa achthundert Kilometer.“
„Mehr macht det Dingen nich? Damit kannste aber keene Atlantiküberquerung machen. Ick dachte, det Dink würde weita fahrn können.“
„Mit so einer Jacht fährt man zu einem Hafen im Mittelmeer, verbringt dort ein paar Tage und fährt wieder nach Hause“, flunkerte ich. „Das ist ein Freizeitboot, kein Fernreise-Dampfer.“
Die Tanks fassten zwölf Tonnen, sie waren unterteilt in Tanks zu je einer Tonne, aus Sicherheitsgründen. Aus dem gleichen Grund war es möglich, Tanks zu verschließen. Von Tank Eins nahm ich die Tankanzeige auf den Monitor, er war tatsächlich noch zu etwas weniger als zu zwei Dritteln gefüllt. Die anderen Tanks verschloss ich, es ging nur einzeln, einen nach dem anderen, von denen wusste er nichts, von der Elektroreserve ebenfalls nicht. Zu bluffen und die Fähigkeiten des Bootes nicht zu offenbaren, erschien mir das Risiko wert zu sein. Dass er sich mit diesem Prototypen auskannte, war höchst unwahrscheinlich.
„Watt ihr Reichen allet so macht für euern Vajnüjen, det jeht auf keene Kuhhaut. Watt fummelste denn da rum?“
Konzentriert schaltete ich die Tanks ab, jeden einzeln. Es kam immer die Nachfrage: ‚abschalten?‘ Ich musste bestätigen: ‚OK, wirklich abschalten, ja!‘
Elektronik eben, das dauert und dauert.
„Macht man so, sind alles Routinehandgriffe, hat mit der Sicherheit zu tun.“
„Na, jut, nu jib ma Stoff!“
Langsam beschleunigte ich auf zwölfeinhalb Knoten.
„Jeht det nich schnella?“
„Nur unwesentlich, dann verringert sich allerdings die Reichweite deutlich. Bis Cap d’Ail sind es knapp hundertvierzig Seemeilen. Wenn ich schneller fahre, kommen wir nicht bis ganz dahin. Wollen Sie aussteigen und schieben, wenn wir ohne Treibstoff liegen bleiben?“
Er guckte, als wenn er mich fressen wollte.
„Pass uff, du Göre, werd nicht übermütig!“
Lasse ich mich einschüchtern? Cool, ganz die Comtesse, erwiderte ich:
„Ich nenne die Fakten. Ich bin die Kapitänin und trage letzten Endes die Verantwortung, egal was passiert. Gibts einen Schiffbruch, weil wir aus Spritmangel liegen bleiben, dann hafte ich, ich allein. Deswegen achte ich auf alles was passieren kann, ist klar oder?“
Er guckte wieder so giftig, gab aber Ruhe. Der Autopilot war längst eingeschaltet, trotzdem tat ich so, als würde ich hoch konzentriert das Steuer bedienen und alles im Blick behalten.
Der Typ entspannte sich etwas.
„Wo soll ich Sie absetzen? Beim Cap d’Ail gibt es eine Marina, in die könnten …“
„Nix, Marina, du hast doch Anker oder? Du wirst uns vor der Küste absetzen und wir fahren mit deinem Beiboot an die Küste. Du hast doch ein Beiboot oder?“
Zögernd gab ich das zu, es wäre blöd gewesen es zu verneinen. Widerstand war da zwecklos und würde nur zu Stress führen. So erzählte ich ihm von der Tendergarage und dem Tender. Wenn er mit dem Beiboot wegfuhr, dann würde ich mit Volldampf das Weite suchen, das war klar. Lieber das Dinghy opfern, als weiterhin in der Gewalt der Männer zu sein. Obwohl der Tender ein sehr schönes Boot war, maßgeschneidert für mein Schiff, mit eigenem Innenbordmotor, der über genügend Leistung verfügte, um damit zwei Wasserski-Läufer zu ziehen.
Der Dunkelhaarige machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem und schaute mir auf die Finger.
„Haste keene automatische Steueranlage?“, fragte er nach etwa zwei Stunden, in denen ich untätig herum stand und mich am Steuer festhielt. Auf die oder eine ähnliche Frage war ich vorbereitet.
„Ja, natürlich. Die ist allerdings nicht so zuverlässig, wie man sich das vorstellt. Bevor wir gegen etwas Festes donnern, passe ich lieber auf, vor allem nachts. Das Radar und das Echolot muss immer ein Mensch im Blick behalten, das geht nicht automatisch. Meine Familie bringt mich um, wenn ich das Schiff beschädige. Ihr seid bitte auch vorsichtig mit dem Inventar und so.“
„Du hast ne große Fresse, Kleene, aba det jefällt mir. Wieso spricht deine Kollejin eigentlich nich?“
Jule stand in der Küche und lauschte angestrengt.
„Die kann kein Deutsch“, behauptete ich. „Nur Französisch und Italienisch. Und wie sieht es mit Ihren Begleitern aus?“
„Die hatten beede Deutsch in der Schule, een bisken kriejen se mit. Mir vastehen Se aber so jut wie nich, weeß nich warum nich. Aba ick, ick meene wir, wir sprechen ja ooch Georgianisch, damit jeht et denn, die Vaständijunk.“
Nach weiteren zwei Stunden meinte er:
„Deine Familie ist wohl sehr wohlhabend, oder? Wenn se dir so ein Schiffchen zum Jeburtstag schenken kann? Watt kostet son Bötchen? Etliche Millionen oda? Na? Wieviel kostet sowatt?“
„Ja, mit einer Million kommt man da nicht weit.“
Worauf zielte der ab? Mir schwante etwas, aber ich wusste nicht, was, nur dass es für mich nachteilig war, das war klar.
„Sone reiche Familie, die würde doch garantiert auch ne Menge Kohle ausjeben, damit ihr Zuckerpüppchen wieder heil nach Hause kommt, oda?“
Das war es. Ohje! Er plante eine Entführung und Erpressung! Eine erfundene Familie würde keinen Cent ausspucken, natürlich nicht. Wie kam ich da wieder heraus?
„Die sind nicht gut auf mich zu sprechen“, fiel mir nach einigem Nachdenken eine Ausrede ein. Sie war mehr als dünn, dieses Ausrede, aber besser als keine.
„Mit dem Schiff und dem Taschengeld haben sie mich ruhig gestellt. Denen gefällt mein Lebenswandel nicht. Ob die auf eine Entführung reagieren würden, wage ich zu bezweifeln. Wahrscheinlich würden sie denen einen Gefallen tun, wenn sie mich nicht wiedersehen müssten.“
Er guckte mich an und meinte dann nach einiger Zeit:
„Na, ausprobieren kann man det ja. Wenn du mir allerdings det Jeld vom Jonas jibst, denn können wir darauf vazichten. Vastehste det?“
Was für eine vertrackte Situation. Ich verfluchte den Jonas, den Blödmann.
Morgens um drei Uhr waren wir am Ziel.
„Richtig ankern, sonst treibste noch vor die Felsen“, befahl der Dunkelhaarige. Weder er noch ich haben geschlafen oder geruht während der Fahrt. Er beobachtete alles mindestens so aufmerksam wie ich.
„Kleene, im Hafen hattest du zwee Leinen hinten und zwee Anka vorne, wieso jetzt nur zwee Anker vorne?“
Der Grund dafür war klar, ich wollte mich aus dem Staub machen, sobald die Burschen weit genug weg waren. Das Schiff war schneller als das Beiboot, mit dem bekamen sie uns nicht mehr eingeholt. Die Anker hinten einzuholen dauerte allein sicher vier bis fünf Minuten. Um die Zeit zu sparen, wollte ich sie gar nicht erst einsetzen. Er bestand jedoch darauf. Nun gut, dann musste ich länger warten, bis sie weit genug weg waren, um mich dann aus dem Staub zu machen.
„Im Hafen, das war zur Sicherheit, da sind die anderen Schiffe und die Kai-Mauer sehr nahe, da darf sich das Boot nicht bewegen. Hier spielt es keine Rolle, wenn es sich um die Anker herum bewegt“, versuchte ich es trotzdem mit einer Ausrede.
„Mach ma richtig, Kleene, mach mal janz uff Sicherheit. Eventuell brauchen wir deinen Kahn noch.“
Keine Chance für ihn, würde ich sagen. Sobald er unterwegs war, war ich auch unterwegs, logisch, nur in entgegengesetzter Richtung.
Er blieb als Beobachter dabei, als ich mit Jules Hilfe die achteren Anker zu Wasser ließ. Er ließ sich noch zeigen, wie man die Tendergarage öffnete, dann kam das, was ich nicht erwartet hatte:
„Nu, denn jeht ihr beiden Hübschen mal runter in die kleene Kabine, die ist für die Crew jedacht, stimmts? Is nicht janz so komfortabel, aber dafür könnt ihr uns nich wegloofen. Een kleenet Fenster, ne Tür, die man von außen abschließen kann, ideal. Für euch jibt et sojar eenen Fernseher. Ja, so bin ick, ick jönne jedem det seine.“
Da war ich sprachlos und starrte ihn nur an.
„Nich lange kieken, Herzchen, runter mit dir und mit deine Liebste. Ihr seid doch een Liebespaar oda? Sieht man gleich. Nu aber hopp, wird euch schon nicht langweilig werden.“
Sie sperrten uns tatsächlich in die Crewkabine ein, Jule und mich. Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Wir hörten, wie sie die Tendergarage öffneten und mit dem Boot davon fuhren. Was ich nicht glauben konnte, passierte trotzdem, sie ließen die Garage offen! Wenn jetzt etwas Wind aufkam und damit mehr Wellengang, dann bestand die Gefahr, dass die Tendergarage volllief und nach und nach auch das Schiff. Erst Schlagseite, dann Untergang, wir saßen eingesperrt in der Kabine und konnten nichts tun! Es gab eine Fernbedienung für die Tendergarage, die war im Beiboot fest installiert. Sie brauchten nur auf den Knopf zu drücken! Jule versuchte, mich zu trösten:
„Des bassiert nicht, keine Bange. Warum sollt ausgrechnet 'etz a Sturm aufkomma?“
Ich musste mich unbedingt von der offen stehenden Garagentür ablenken, so entwarf ich mit Jule einen Schlachtplan. Wir gingen davon aus, dass Seppi auf jeden Fall alarmiert war. Er würde wahrscheinlich die Polizei auf unsere Notsituation aufmerksam machen, was die tun könnte, war mir allerdings schleierhaft. Nur, wenn wir nichts taten und in der Gewalt der Piraten blieben, dann sah es echt düster aus mit unseren Zukunftsaussichten.
„Wir bleiben aber dabei, du kannst kein Deutsch, wir sprechen nur italienisch und französisch, OK?“
Jule nickte nur, so langsam bekam sie meine Panik mit. Wir waren uns beide über die Gefährlichkeit der Situation einig.
„Wir können versuchen, sie mit der Motorkraft über Bord gehen zu lassen. Mal sehen, was sich so ergibt.“
Es war klar, wenn man sich nicht festhielt, bei voller Beschleunigung, ich mein, wenn die Piraten unbedacht waren und ich zum richtigen Zeitpunkt voll beschleunigte, dann wäre es fast unmöglich für sie, das Gleichgewicht zu behalten. Mal sehen, was sich ergeben wird. Am besten wäre es, wenn alle drei gemeinsam auf der Badeplattform standen und ich am Steuer, dann wäre es möglich, sie alle gleichzeitig los zu werden. Bisher wussten sie von der Kraft der Maschinen nichts. Wichtig war nur, dass wir hier aus diesem Gefängnis heraus kamen.
Es verging sicher mehr als eine Stunde, bis wir das Beiboot wieder hörten. Es rumpelte heftig, als sie das Boot in die Halterung fuhren. Sie behandelten es nicht so pfleglich, wie ich es mir gewünscht hatte. Als sich die Kabinentür endlich öffnete, war ich aufgebracht. Der Dunkelhaarige begrüßte uns grinsend, ich fuhr ihn gleich an:
„Hatte ich Sie nicht gebeten, mit dem Schiff pfleglich umzugehen? Die Garage muss man schließen, wenn man wegfährt und das Beiboot langsam und vorsichtig in die Halterung fahren. Ist das zu viel verlangt?“
Er staunte mich erst an, grinste dann und wandte sich an seine Kumpane:
„Ist se nicht niedlich, die Kleene, wenn se sich so uffregt?“
„Komm, Schwesta“, wandte er sich dann entschlossen an mich. „Mach dein Boot klar, wir müssen weita, wa. Kommt ma raus da!“
Er drängte uns hinaus, den Grund dafür sah ich gleich. Jonas stand draußen, die Hände auf dem Rücken gefesselt und einen blutbeschmierten Einkaufsbeutel aus Jute über dem Kopf.
Der gefesselte Mann wurde in die Kabine hinein gestoßen und die Tür von außen verschlossen. Den Schlüssel steckte der Dunkelhaarige ein.
„Sicha is sicha“, begründete er das.
„So, Schwesta, nu zu uns, wa“, hob er an, als wir im Cockpit ankamen. Das Tablet lag noch so da, wie ich es hingelegt hatte.
„Wat is det denn?“, fragte er und zeigte darauf.
„Das ist ein Navigationsgerät, es ist wichtig“, behauptete ich.
Er nahm das Tablet auf und drehte es um, der Sperrbildschirm von Windows zehn erschien.
„Aha“, sagte er sarkastisch. „Navigation, wa? Wohin navigierste denn damit? Hä?“
„Darauf bekomme ich den Wetterbericht und die wichtigsten Nachrichten aus der Zielregion, das ist wichtig! Außerdem verschaffe ich mir damit Überblick über die Strecke und ich brauche es als Rechner.“
„Weeste, Kleene, ick mag dir, wirklich, wa? Ick mag dir ooch und jerade, wennde frech bist und kiebig, wa? Aba, übertreibs nich, verarsch mich nicht, hörste? Ick merke det!
Sieh mal der Djoko da“, er deutete auf den kleinen Blonden. Der saß auf einem der Hocker der Frühstücksbar und starrte mich auf die Art an, wie er immer starrte, ohne zu blinzeln, mit ausdruckslosem Gesicht, starr und stur.
„Der Djoko, der ist scharf auf deinen kleenen Arsch und auf den von deine Freundin ooch, vastehste? Wenn ick den vonne Leine lasse, wa, und ihn det mit eine von euch machen lasse, wat er mit Frauen eben so macht, wa, denn jeht et euch schlecht. Ick habe noch keene Frau alebt, die hinterher so aussah wie vorher, wenn se der Djoko in die Finger bekommen hat. Ick hab ooch noch keene Frau jetroffen, der det jefallen hat, wat Djoko mit ihr jemacht hat. Also, Schätzchen. Wenn de willst, det et deine Freundin und dir jut jeht, denn biste vorsichtig, vastehste, denn vasuchste nich, mir zu hinterjehen, wa? Haste det vastanden?“
Puh, der Djoko erschien mir nach der Predigt noch unheimlicher, als er mir vorher schon war. War jetzt der Zeitpunkt gekommen, um klein bei zu geben? Demütig das zu tun, was verlangt wurde? Dazu war ich noch zu aufgebracht, weil sie schlecht mit dem Schiff umgingen, außerdem machte ich mir Sorgen um Jonas. Er war mir zwar nicht mehr sympathisch, aber so, wie sie ihn behandelten, so ging man nicht mit Menschen um, das gehörte sich nicht. Vor allem nicht auf meinem Schiff.
Jule wartete auf mein Zeichen, um die Anker einzuholen. Wir holten erst die achteren, dann die Buganker ein. In der Zwischenzeit hatte ich mir eine Bestätigung für die Notwendigkeit des Tablets zurecht gelegt. Ich nahm es auf, es lag direkt vor dem Dunkelhaarigen, rief den Rechner auf und rechnete:
500 - 200 - 149 = 151
Fünfhundert Seemeilen war die Reichweite mit einer Tonne Treibstoff bei zwölf bis dreizehn Knoten. Zweihundert hatten wir auf dem Weg nach Korsika und an der Westküste entlang verbraucht, einhundertneunundvierzig war der Rückweg von Ajaccio zum Cap d’Ail. Das hatte ich vorher im Kopf ausgerechnet, logisch, aber so begründete ich die Anwesenheit des Tablets.
„Dafür brauchst du einen Computer“, sagte er ironisch.
„Dafür nehme ich immer einen Computer“, erwiderte ich. „Ich verrechne mich einfach zu leicht, wenn ich es im Kopf überschlage. Wenn wir wegen Treibstoffmangels liegen bleiben, dann wird es sofort peinlich.“
„Bei deine akkurate und jebildete Sprache könnte man meinen, du wärst wirklich ne Comtesse. Also, wat haste ausjerechnet?“
Nebenher fummelte ich an dem Tablet herum, um die Verbindung zu Seppi wieder herzustellen.
„Wir haben Treibstoffreserven für einhunderteinundfünfzig Seemeilen. Wohin wollen Sie?“
Er nahm mir das Tablet aus der Hand und rief Google-Maps auf, Sizilien.
„Da wollen wir hin, dahin bringste uns jetzt, wa? Leg mal los.“
Ich nahm ihm das Tablet aus der Hand, ganz selbstverständlich. Um ihm die Entfernung klar zu machen, maß ich einhundertfünfzig Seemeilen ab.
„Mit unserem Treibstoffvorrat kommen wir bis“, ich maß die Entfernung. „Genua. Da gibt es einen Freihafen, da tanken wir.“
„Aha“, er nickte und mimte den Verständigen. „Wat hat jetzt der Freihafen mit uns zum tun?“
„Da können wir zollfrei tanken, der Treibstoff ist da von der Mineralölsteuer befreit. Wir müssen den Hafen allerdings auch sofort wieder verlassen und dürfen nicht aus dem Freihafen heraus an Land gehen. Wir können auch im Jachthafen tanken, aber ich gehe nicht davon aus, dass Sie die Tankrechnung zahlen!??“
„Ick mag dir, echt, du bist so schön kiebig. Denn fahr mal los, ab nach Genua.“
„Müssen wir so weit? Ich bin todmüde.“
Er griente süßsauer. Dass er mir das Tablet lassen musste und mir dessen Notwendigkeit nicht in der Art widerlegen konnte, wie er sich das vorgestellt hatte, wurmte ihn ganz offensichtlich. Er merkte, das etwas nicht stimmte, aber konnte mir nichts beweisen. Das wirkte bei ihm noch, er musste seine Machtposition behaupten. Er bestand darauf, dass wir sofort weiter fuhren.
„Der Djoko, der hält dir schon wach, da bin ick mir sicher.“
Er wechselte einen Blick mit dem kleinen Blonden, gab ihm ein Zeichen, er solle auf mich aufpassen, und ging. Djoko schaute mich an, wie die Schlange ein Kaninchen. Dort wo seine Blicke mich trafen, entstand Gänsehaut. Auch wenn ich ihm den Rücken zukehrte, konnte ich sie spüren, die Blicke fühlten sich an wie Messerstiche.
Wenn ich mit dem Gefummel am Tablet ohne hin zu schauen alles richtig gemacht hatte, dann konnte Seppi wieder mithören, Genua müsste er verstanden haben. Nur, was würde er in der Kürze der Zeit erreichen können? Konnte Seppi Italienisch? Würde er jemanden alarmieren? Vielleicht erwartete uns die Polizei in Genua. Das Tablet zeigte mir auf Google-Maps die Route an, der Kartenplotter zeigte sie mir wesentlich genauer, mit allen Seezeichen und Landmarken, mit den Wassertiefen und den Strömungen, aber ich schaute die ganze Zeit aufs Tablet, als sei das das maßgebliche Instrument. Djoko kam und schaute mir über die Schulter. Er nahm mir das Tablet weg, schaute darauf, schaute mich an und zerbrach es. Wirklich wahr, er blickte mich an und zerbrach mein Tablet. Es wirkte, als weide er sich an meinem Entsetzen und als würde ihn meine hilflose Empörung erfreuen. Das zerbrochene Gerät warf er achtlos zu Boden.
„Ja, und? Wie soll ich jetzt …“
Er zeigte grinsend auf den Kartenplotter. Meine Empörung war echt. Ich kann es nicht leiden, wenn man meine Sachen kaputt macht und auch nicht, dass man mich zu irgendetwas zwingt.
„Das ist doch …! Was soll das denn?“
Er schaute mich mit starrem Blick an. Es sah aus, als wenn er auf eine unbedachte Äußerung wartete, um mich zu maßregeln oder mir Schlimmeres anzutun. Eingeschüchtert schaute ich wieder nach vorn. Er setzte sich erneut an die Frühstücksbar auf den ersten Hocker und beobachtete mich, ohne zu blinzeln, ohne zu zwinkern. Keine Regung. Ich hielt ihn mittels des Spiegelbilds in dem dunklen Cockpitfenster im Auge.
Meine Nerven beruhigten sich nach einiger Zeit, meine Empörung hielt an.
Die Fahrt ging nur übers offene Meer und war in meinem übermüdeten Zustand schrecklich langweilig. Der Autopilot hatte längst übernommen, mein Eingreifen war nicht notwendig, jedenfalls nicht in den nächsten fünf-sechs Stunden. Mit meiner Konzentration war es aus dem Grund nicht weit her. Ob ich am Steuer auf dem Fahrersitz eingeschlafen bin, das eine oder andere Mal, kann ich nicht genau sagen, es wird aber so gewesen sein, denn die Zeit machte mehrere merkwürdige Sprünge. Um halb Fünf war es noch dunkel, als ich wieder etwas bewusst wahr nahm, war es sechs Uhr durch, und taghell. Jule brachte mir Obst und nach einiger Zeit auch Kakao und ein aufgebackenes Croissant. Sie musste die Männer mit Essen versorgen, das machte sie widerwillig, aber doch sehr pflichtbewusst.
Eine gewisse Routine kehrte ein, einer der Piraten saß immer hinter mir, die anderen beiden lungerten irgendwo im Schiff herum. Entweder befragten sie Jonas oder schliefen in einer der Kabinen oder lümmelten sich auf den Sofas im Salon herum.
Der große Blonde rauchte! Das gefiel mir überhaupt nicht! Als der Dunkelhaarige beim nächsten Mal in meine Nähe kam, wollte ich ihn deswegen ansprechen. Als ich seinen Blick sah, unterließ ich es. Er sah zum Fürchten aus.
„Jonas bleibt dabei, du hast die Kohle, ick habe ihn jerade noch jefragt“, meinte er mit zusammen gebissenen Zähnen. Er nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
„Weeßte“, berichtete er mir nach einiger Zeit. „Mir is det sicha so unanjenehm, wie et dir is, aba, ick will mein Jeld und ick bekomme mein Jeld, det kannste jlooben.
Also, foljender Plan: Du brings uns hier mit den Äppelkahn nach Batumi, det is in Georgien, ins Schwarze Meer, vastehste? Also, da fahren wir jetzt hin.“
„Georgien?“, rief ich aus. „Was soll ich in Georgien?“
Er grinste böse.
„Du brauchst mir nur meine Kohle jeben, denn biste mir los, vastehste? Wennde Glück hast, denn nehm ick sogar den Djoko mit, wenn ick jehe, vastehste? Würde ick machen, für dir, ick bin halt een Jemütsmensch, ja, det bin ick. Jibst du mir aber die Kohle nich, wa, denn garantier ick für nüscht. Und wenn wir dir als Geisel nehmen und deine Familie bluten lassen, mir isset wurscht, ick krieje meine Kohle.“
Mir wurde echt unheimlich. Schwarzes Meer, Geiselnahme, Familie erpressen, mir wurde schlecht. Nadja würde keinen Cent für mich zahlen und andere Verwandte hatte ich nicht. Doch, die Tante aus Berlin, eine Cousine von Mama. Aber die ging putzen, die hatte nichts, mit dem sie mich auslösen könnte.
„Um wieviel Geld geht es denn überhaupt?“, fragte ich nach einiger Zeit. Von Müdigkeit war bei mir in dem Moment keine Rede mehr.
„Wir haben damals dreihundertsechzig Millionen abjezweigt, die will ick haben und die krieje ick ooch.“
„Dreihun … ? Und die soll ich haben? Was für ein Unsinn! Jonas Frau ist mit dem Golflehrer durchgebrannt, die wird das Geld haben. Außerdem hat Jonas Firmen im Silicon-Valley, daher stammt sein Vermögen.“
„Hat er dir auch so einen Bären aufgebunden?“
„Wieso Bären aufgebunden? Der war außerdem Amerikaner. Und ist auch zigmal mit seinem Privatjet dahin geflogen, ich dachte, um sich um seine Firmen zu kümmern. Außerdem, er wollte seiner Frau einen Golfplatz bauen, das weiß ich genau, der hat die geliebt.“
„Wat wollte der?“
„Er wollte eine künstliche Insel vor Monaco aufschütten und darauf einen Golfplatz errichten. Ist wirklich im Plan gewesen, können Sie glauben. Er hatte die fertigen Pläne und die maßgeblichen Minister bereits in der Tasche. Es ist aus dem Grund nichts daraus geworden, weil sie mit dem Golflehrer durchgebrannt ist.“
Er grübelte ein paar Minuten und sah mich dabei immer wieder an.
„Hört sich fast so an, als wenn det stimmen könnte, wat du sagst. Det ist aba ooch ejal, du bist mitjefangen, denn wirste mitjehangen, Pech jehabt. Mal sehen, wie viel deine Familie für dir locka macht. Ick will meine Kohle haben, dabei bleibt et!“
Er blieb sitzen und starrte aus dem Fenster. Das waren ja düstere Zukunftsaussichten, lieber Himmel!
Wir erreichten Genua, man wies uns einen Anlegeplatz an dem Versorgungskai zu. Von Polizei oder gar von Seppi keine Spur.
Der Tankwart staunte nicht schlecht, als ich nur eine Tonne Diesel bei ihm bestellte. Er führte aber achselzuckend den Auftrag aus. Ich bezahlte und damit waren wir wieder reisefertig. Der große Blonde war an Land gegangen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich ihnen nicht von dem zollfreien Supermarkt innerhalb des Freihafens erzählt hätte. Es gab ihn, damit sich durchreisende Schiffsbesatzungen mit Alltags- und Luxusgütern günstig versorgen konnten, ohne den Freihafen verlassen zu müssen. Der Große kam nach einiger Zeit mit einer Einkaufstüte voller Schnapsflaschen und Zigaretten zurück. Das konnte ja heiter werden.
Wir legten ab und fuhren südwärts. Mit dem Treibstoffvorrat würden wir bis Santa Catarina kommen, von hier aus hinter Neapel, ich zeigte es dem Dunkelhaarigen, die Routenplanung hatte ich während des Tankvorgangs auf dem Kartenplotter erledigt und den Autopiloten programmiert. Ich beklagte mich darüber, dass der Djoko das Tablet zerbrochen hatte und mir nun die Übersicht fehlte. Die Beschwerde beantwortete er mit einem Achselzucken und befahl:
„OK, denn mach mal, leg los!“
Die Reise ging bis zur nächsten, einigermaßen geschützten Bucht. Dort hielt ich und wies Jule an, mir beim Ankern zu helfen.
„Heh!“, beschwerte sich der Dunkelhaarige. „Wat solln det?“
„Ich bin seit über zwanzig Stunden gefahren. Es geht erst wieder weiter, nachdem ich mich ausgeruht habe.“
Damit stellte ich eine Tatsache in den Raum und fragte ihn nicht um Erlaubnis. Erst schaute er böse, dann entspannte sich seine Miene.
„Ick liebe dir, wenn du so kiebig bist, Kleene. Denn schlaf mal ne Runde, hast Kabine zwee.“
„Nixda, ich schlafe in meinem Bett!“, bestand ich. Für Diplomatie war ich zu müde.
„Von wegens, da habe wir et uns jemütlich jemacht, du schläfst mit deine Jeliebte in Kabine Zwee.“
Er ließ sich auf keine weitere Diskussion ein. Wir durften unsere Toilettensachen holen, dann schlossen sie uns in ‚Kabine Zwee‘ ein, die kleinere unter Deck. Die Müdigkeit war bei mir mit einem Schlag so groß, dass ich mich nicht mehr auszog, sondern aufs Bett fallen ließ und sofort einschlief.
An einen Traum konnte ich mich beim Aufwachen noch erinnern, ich lief im Dunklen durch eine Unterführung, es rannte jemand hinter mir her. Ich floh, aber kam nicht vom Fleck. Er packte mich und rüttelte mich, dann erwachte ich mit einem Riesenschreck und klopfendem Herzen. Draußen war es dunkel, der Oberpirat stand neben meinem Bett und rüttelte mich wach. Der Albtraum war noch nicht zu Ende, der Verfolger aus der Unterführung wäre mir lieber gewesen, als dieser dunkelhaarige Sadist.
„Hörmal, Meechen, willste den Rekord im Langschlafen brechen oder wie ist det? Steh uff, et jeht weita. Wir haben nich ewich Zeit!“
Er roch stark nach Alkohol, sie schienen dem Schnaps aus Genua zugesprochen zu haben.
Die Kurzhaarfrisur war wirklich sehr praktisch, an den Haaren brauchte ich nichts zu tun, einmal durchbürsten und fertig. Aber anziehen musste ich mich. Ich trug nur das Hemdchen, das ich normalerweise als Nachthemd trage. Jule hatte mich entkleidet und zugedeckt, dafür bedankte ich mich bei ihr. An Deck fanden wir Chaos und Unordnung vor. Der Sofatisch war voller Dreck und Asche, es gab sogar Brandspuren von liegengelassenen Zigaretten darin. Auch der nagelneue Teppichboden wies etliche Brandlöcher auf. Entnervt zeigte ich dem Dunkelhaarigen den Dreck und die Beschädigungen.
„Schätzchen, det Schiff und sein Teppichboden sind, ehrlich jesacht, dein kleenstet Problem, wa? Sieh zu, det wir voran kommen.“
Er lallte ein wenig und war auch nicht besonders sicher auf den Beinen.
„Kiek ma!“, wies er mich an und zeigte auf Djoko. Der stand am Eingang zum Achterdeck und stierte zu uns herüber.
„Ick wees nich, wie lange ick den noch halten kann. Sieh zu, det wia Kilometa machen, det is die einzije Möglichkeit, det Problem zu lösen.“
Mit dem Druck der Drohung im Hinterkopf gingen wir Anker auf und fuhren los. Natürlich blieb ich bei den zwölfeinhalb Knoten, logisch. Sobald wir in Fahrt waren, der Autopilot waltete seines Amtes, schaute ich, was zu tun war. Jule bereitete etwas zu essen für uns, lecker, wie immer. Da ich das Steuer nicht verlassen durfte, richtete sie mir etwas auf einem Teller an und ich aß am Steuer. Sie saß derweil auf dem Beifahrersitz und leistete mir Gesellschaft.
Sie ging öfter zur Küche, um etwas zu holen oder weg zu bringen, immer folgte ihr der Djoko mit Blicken. Der war mehr als unheimlich. Er trank ab und zu aus einer halbleeren Literflasche, die anscheinend Grappa enthielt. Mittlerweile war es komplett dunkel, das behinderte mich nicht, mir reichte der Kartenplotter für die Navigation.
Nach einiger Zeit nahm Jule auf der Sitzbank neben dem Cockpit Platz, da wurde er des Schauens müde. Er hielt Wache und zog uns nicht mehr mit den Blicken aus. Nach einiger Zeit wanderte er zurück aufs Achterdeck und stellte sich an die Reling. Auf der Backbordseite zog die beleuchtete Küste vorbei, die betrachtete er gelangweilt, immer wieder trank er dabei aus der Schnapsflasche. Mir kam eine Idee.
Der Dunkelhaarige und der Große lungerten auf der Couch im Salon herum, sie dösten mehr, als sie wachten, schauten fern und tranken ebenfalls aus Schnapsflaschen. Jule vertrat mich auf dem Kapitänssitz, ich schlich mich die Treppe hinunter, auf der es zu der Crewkabine, dem Maschinenraum und vom Schiffsinneren aus zur Badeplattform ging.
Rings um die Badeplattform befand sich eine steckbare Reling. Während der Fahrt war sie eingesteckt, wenn man baden wollte, zog man sie aus der Halterung heraus und verstaute sie in dem Schapp. Sie war zweigeteilt, das Gestänge auf der Backbordseite zog ich heraus, leise-leise, damit der besoffene Djoko auf dem Achterdeck oberhalb der Badeplattform nichts davon mitbekam, und lehnte es an die Steuerbordreling, die eingesteckt blieb.
Zurück am Ruder schaute ich nach, wie es den beiden Besoffskis auf der Saloncouch ging. Der Große schnarchte laut, der Dunkelhaarige sah ebenfalls so aus, als ob er schliefe.
Alles sah gut aus, wie ich durch die Heckkamera beobachtete. Der Djoko stierte auf die vorbei ziehenden Lichter am Ufer und trank aus der Flasche. Als er mal wieder einen Schluck nahm und sich weder festhielt, noch auf seine Umgebung achtete, gab ich Vollgas. Das Schiff machte den bekannten Satz durch die Beschleunigung, Djoko verlor prompt das Gleichgewicht und wurde heckwärts getrieben. Er fiel kopfüber die Treppe zur Badeplattform hinunter, ich sah noch seine Arme und auch die Beine in der Luft, dann verschwand er aus dem Blickfeld der Kamera. Die Geschwindigkeit fuhr ich sofort wieder zurück. Der Dunkelhaarige erwachte, raffte sich sehr mühsam auf und kam ins Cockpit getorkelt.
„Wat war det?“, fragte er lallend.
„Was jetzt genau?“, fragte ich und sah konzentriert in die Nacht hinaus.
„Ick hab doch wat jehört! Verarsch mir nicht! Wat war det, nu sag schon!“
Vor lauter Ärger wurde er fast schon wieder nüchtern.
„Ach, Sie meinen die Fehlzündung? Das haben Sie gehört? Der Backbordmotor macht mir Sorgen. Das war jetzt die dritte Fehlzündung innerhalb der letzten halben Stunde“, flunkerte ich. „Ich würde gern eine Werft anlaufen, um nachschauen zu lassen, was das war.“
„Nix da, Fehlzündung am Arsch. Fahr weita.“
„Sie müssen es wissen, Sie riskieren einen Motorschaden.“
„Mach dir ma keenen Kopp, Schätzchen, det wird nich so schlimm sein.“
Er sah den beleuchteten Bildschirm und dass die Heckkamera eingeschaltet war.
„Wieso? Wat jibtet da hinten zu kieken? Hä?“
Vielleicht ging er nachschauen und gab mir damit die Gelegenheit, auch ihn über Bord gehen zu lassen, das wäre doch etwas. Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht. Wenn der Djoko schwimmen konnte, dann hatte er die Möglichkeit, die anderthalb oder zwei Kilometer zum Ufer zu schwimmen. Wenn nicht, dann leider nicht, das war aber nicht mein Problem. Mein Problem näherte sich der Brüstung des Achterdecks, um von der Mitte des Decks auf die Badeplattform hinab zu schauen. Er gab mir leider keine Gelegenheit, ihn ebenfalls aus dem Gleichgewicht zu bringen, die Treppe hinab stürzen und über Bord gehen zu lassen. Aber von dort oben, wo er stand, musste er unbedingt die ausgehakte Seite der Reling entdecken, mein Herz klopfte vor Angst bis in den Hals hinauf.
„Nee, allet klar. Wat jab et denn da zu kieken?“
„Nichts, die Kamera muss noch von heute Mittag so stehen. Ich hab sie seitdem nicht mehr angerührt.“
„OK“, er war beruhigt. Er stand hinter mir und schaute zu, wie ich mich am Steuerrad festhielt.
„Sachma, hast du den Djoko jesehen?“
Jule schlich sich hinter ihm von der Treppe zum Maschinenraum auf die Sitzbank neben dem Cockpit. Sie war es, die das Geländer wieder eingesteckt hatte, super. Geht doch nichts über Gedankenübertragung und Teamwork.
„Ja, er stand auf dem Achterdeck und ist zur Badeplattform hinunter, das habe ich noch gesehen.“
„Na, denn wird er von da in die Kabine jejangen sein. Ick kiek mal nach, nich det er den Jonas kalt macht.“
Djoko würde an Bord dieses Schiffes niemanden kalt machen, das stand fest.
Nach einiger Zeit kam er die Treppe wieder hinauf getorkelt und legte sich auf die Couch im Salon. Jule und ich klatschten uns ab, leise und diskret, versteht sich. Einer weniger. Ich sprach für mich und für Jule mit ihr über unser nächstes Ziel, damit sie informiert und ich sicher war. Einen festen Zeitplan zu haben fand ich hilfreich, damit war die Reise besser durchzustehen, fand ich in dem Moment zumindest.
„Wir erreichen Marina di Casal Velino etwa in zwei Tagen gegen siebzehn Uhr,“ erklärte ich ihr leise und hatte mir damit ein ziemlich großes Pensum aufgehalst. Von unserem Standpunkt aus waren es noch deutlich mehr als vierhundert Seemeilen, das bedeutete eine reine Fahrzeit von mehr als dreiunddreißig Stunden.
In der Nacht versuchten wir, heimlich an unsere Handys zu kommen. Keine Chance, wir fanden sie nicht. Den Seefunk hatte der Djoko außer Betrieb gesetzt, indem er die Sicherung entfernt hatte, die das Funkgerät mit dem Strom verband. Jetzt auf blauen Dunst irgendwo anzulegen und um Hilfe zu bitten, trauten wir uns nicht, Jule und ich. Außerdem wussten wir nicht, wie tief die Piraten schliefen. Als ich probeweise an ihnen vorbei zum Achterdeck ging, blinzelte der Dunkelhaarige. Er war auf der Hut. Meine, unsere Stunde würde noch kommen, da war ich sicher.
Am nächsten Morgen, wir waren schon wieder elf Stunden unterwegs, tauchten die Piraten im Cockpit auf.
„Hat sich der Djoko jemeldet?“, fragte mich der dunkelhaarige Oberpirat.
Ich schaute ihn nur an.
„Na, nu sag schon, ick bin nich in Bestform, reiz mir besser nich!“
„Der Djoko“, erklärte ich ihm mit voller Ironie. „Der Djoko, der und sich bei mir melden. Ja nee, ist klar!“
Er verstand und griente.
„Ick liebe dir ooch!“, meinte er nur und bat Jule mit Gesten um eine Tasse Kaffee. Wir fuhren weiter und weiter. Plangemäß suchte ich nach vierzehn Uhr einen Ankerplatz.
„Watt is los?“, fragte die neugierige Nervensäge von einem Piraten.
„Ich habe jetzt siebzehn Stunden das Schiff gesteuert, jetzt ist Ruhepause. Wecken Sie mich bitte nicht vor einundzwanzig Uhr.“
Er schaute ernst, erst dachte ich, er wird aggressiv. Aber nach ein paar Augenblicken grinste er.
„Du bist wieder so schön kiebig, det jefällt mir. Dir kann man wohl nich einschüchtern, wa? Finde ick jeil. Ma sehen, velleicht jönn ick mir dich, wenn wa in Batumi sind. Du bist bestimmt geil zu ficken.“
Nee, darauf freute ich mich auch ganz besonders. Ich musste dringend überlegen, wie wir die beiden Burschen auch noch los wurden. Auf Hilfe von außen konnten wir ganz offensichtlich nicht hoffen. Woher sollten Seppi, so er den Anruf überhaupt mitbekommen hatte, woher sollte er wissen, wo wir uns jetzt im Moment aufhielten?
Wenn wir einen los geworden waren, dann würden wir auch die anderen beiden loswerden. Da schwang meine Zuversicht mit, wieso auch nicht? Jule und ich hatten bisher noch allen Problemen getrotzt, inklusive des bekloppten Diego und eines versenkten Schiffes. Das hier würden wir auch noch hin bekommen.
Wie gestern schlief ich sofort ein, allerdings erst als ich die Zähne geputzt und das Nachthemdchen übergezogen hatte.
Tatsächlich war es kurz nach einundzwanzig Uhr, als er uns weckte. Er hatte wirklich und wahrhaftig meine Ruhezeit beachtet, dachte ich zumindest im ersten Moment.
„Wo ist dein Tablet?“, fragte er als Begrüßung, noch während er meine Schulter rüttelte.
Schlaftrunken wie ich war, antwortete ich wahrheitsgemäß:
„Das hat doch der Djoko zerbrochen, wissen Sie doch. Warum?“
„Komm hoch, et jeht weita!“
Mit einem einzigen Blick klärte ich ihn darüber auf, was ich von ihm hielt und was er mich konnte. Davon nahm er sich, wie zu erwarten, nichts an.
„Sieh zu, sieh zu!“, meinte er nur und verschwand.
Als ich ins Cockpit kam, stand er schon da. Er versuchte vergeblich, den Kartenplotter einzuschalten.
„Was suchen Sie?“
„Wo sind wir? Wo ist die nächste Stadt?“
Die Instrumente schaltete ich ein, als er gerade woanders hin schaute. Auf dem Plotter erschien die Küste.
„Wir sind hier“, zeigte ich ihm. „Wieso? Was ist los?“
Er wählte auf seinem Handy und gab Anweisung an den Angerufenen.
„Komm nach Civitavecchia, ick buchstabiere, Ceh-ih- …“
„Was ist denn los?“, fragte ich, als er fertig buchstabiert hatte und das Gespräch beendete.
„Du hast den Djoko über Bord geworfen!“
„Was habe ich?“
„Sagt er. Wir treffen ihn in Civitavecchia, fahr mal da hin.“
Das war eine Hafenstadt, nahe bei Rom.
„Djoko ist über Bord gegangen?“
„Tu mal nicht so scheinheilig. Det wirst du noch bereuen!“
„Ich hab doch nicht …“, mein Herz klopfte bis in den Hals hinein, die Gefahr, in der ich mich befand, war riesig.
„Ich schwöre, ich habe nicht… , wie sollte ich das tun? Ich bin die ganze Zeit am Steuer gewesen. Er stand auf dem Achterdeck und hatte dauernd die Schnapsflasche am Hals, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Sicher war der nicht mehr auf den Beinen. Ich mein, er wär runter zur Badeplattform, keine Ahnung, und er ist über Bord gegangen?“
Er bedachte mich mit finsterem Blick und schaute dann geradeaus aus dem Cockpit.
„Ab in die Kabine!“, wurde uns befohlen, sobald wir das Schiff in der Marina von Civitavecchia festgemacht hatten. Mir schwante Fürchterliches, Jule tröstete mich.
„Wird schon nicht schlimm werden, es weiß jeder, dass sie besoffen waren wie tausend Russen. Da passierts einfach, dass mal jemand über Bord geht. Selbst Schuld.“
Mit den tröstenden Worten im Ohr schlief ich ein. Es war schon wieder hell, als ich erwachte. Djoko und der Dunkelhaarige standen neben meinem Bett. Aus dem Schlaf heraus verfiel ich bei dem Anblick gleich in Panik. Beide Männer schauten finster.
„Wir werden dir im Ooge behalten, Schätzchen. Noch son Stunt und ick lasse den Djoko det tun, wat er am liebsten mit dir machen würde. Jetzt raus, et jeht weita.“
Während des Zähneputzens arbeitete ich einen Plan aus, wie es jetzt am leichtesten weiter ging. Was ich als Erleichterung empfunden hatte, die niedrige Geschwindigkeit und die geringe Reichweite, empfand ich in dem Moment als unnötige Verlängerung unseres Leidens. Dann dachte ich daran, was uns im Schwarzen Meer erwartete, da war ich dann doch dankbar für die Idee, das Tankvolumen und die tatsächliche Geschwindigkeit des Bootes zu verheimlichen.
Wenn wir hier tanken würden, wo wir schon einmal im Hafen waren, würden wir mit einem weiteren Tankstopp bis Kreta kommen. Warum ich unbedingt dort hin wollte, war mir nicht klar. Bei einer raschen Durchsicht der Route war mir Kreta ins Auge gefallen, dort gab es mindestens einen großen Hafen, den es an der Südküste des Peloponnes nicht gab, oder ich entdeckte ihn nicht gleich, und dort auf Kreta gab es eine Werft, die mir bekannt war.
Im Cockpit schlug ich dem Dunkelhaarigen den vorgezogenen Tankstopp vor und erklärte auch, was er für Vorteile beinhaltete.
„Wat willste denn uff Kreta?“
Ich zuckte mit der Schulter, als sei mir das nicht wichtig.
„Das ist die beste und unproblematischste Route. Da können wir tanken, da gibt es eine Werft, falls der Backbordmotor doch kaputt ist. Außerdem haben die einen sehr schönen, venizianischen Hafen aus dem 14. Jahrhun …“
„Weeste, wat mir dein venizianischer Hafen mal kann? Wat is denn mit Athen, det liecht doch ooch in unsere Entfernung, oda?“
„Hab ich gerechnet, nein, passt knapp nicht, es sind dreißig Meilen zu viel. So knapp zu kalkulieren liegt mir nicht. Mir wäre es lieber, wenn wir von Roccella aus Chania anlaufen.“
„Wat is Roccella?“
„Das ist einer der wenigen Häfen an der Südküste Italiens. Von da nach Chania auf Kreta geht es in einem Rutsch. Das ist die einfachste und eine der schnellsten Routen. Vor allem aber die sicherste.“
Er schaute mich weiter an, fällte dann die Entscheidung:
„OK, wir fahren über Kreta, ist kaum ein Umweg, von da aus schaffen wir et leicht bis in det Schwarze Meer, oda? Hab ick doch richtig jerechnet?“
„Nicht ganz, wir müssen vor Istanbul nochmal tanken“, berichtigte ich ihm, nachdem ich mittels des Kartenplotters die entsprechende Berechnung durchgeführt hatte. „Dafür würde sich Mytilini auf Lesbos hervorragend eignen.“
„Da kennste dir aus, auf Lesbos, stimmts? Ihr zwee Dosen aufeinander, det vasteh ick sowieso nich. Trotzdem würde ick det jern mal sehen, wie ihr et so miteinander treibt. Haste denn schon mal mit een richtijen Kerl jepimpert? Macht viel mehr Spaß als mit eine Frau.“
Es juckte mich, etwas Direktes zu erwidern. Diesmal traute ich mich, obwohl allerhand Drohungen im Raum hingen. War ich Lona oder war ich feige?
„Wissen Sie das aus eigener Erfahrung, dass es mit einem Mann mehr Spaß macht als mit einer Frau?“
Es dauerte einige Augenblicke, bis er die Anzüglichkeit verstand. Dann musste er lachen und wackelte mit dem Zeigefinger.
„Pass uff, Herzchen!“, meinte er im Spaß. Er wurde wieder ernst und bemerkte:
„Du brauchst det Tablet gar nich, stimmts? Hast mir verarscht, wa?“
„Nein. Mir ist es lieber, mit dem Tablet zumindest das Grobe, die Übersicht zu sehen und das Wetter im Griff zu behalten. Der Plotter ist für die Seefahrt gemacht, mit allen Seezeichen, allen Bojen, den Untiefen und den anderen wichtigen Marine-Punkten. Für die Übersicht ist das Tablet besser. Zumindest für mich. Außerdem, mit dem Rechnen habe ich es nicht so, da bringt mir eine Kontrolle mit dem Tablet deutlich mehr Sicherheit, als alles im Kopf zu rechnen.“
Er akzeptierte die Ausrede. Um etwas mehr Ruhe in der Seele zu haben, fragte ich:
„Ist denn mit Djoko alles in Ordnung? Kann er sich noch richtig erinnern?“
Der Dunkelhaarige guckte wieder grimmig, vergessen war nichts, das machte er deutlich.
„Er weeß bloß, det er an Deck jestanden hat und uff eenmal lag er im Wassa. Wat dazwischen passiert is und wie er da hin jekommen is, hat er nicht mitjekriecht. Hast nochmal Glück jehabt. Nimm dir in Acht, Frolleinchen, nimm dir in Acht!“
Mir lag auf der Zunge, ihn an ‚Comtesse‘ zu erinnern, aber ich war froh, dass sie meinen Anschlag auf Djoko nicht weiter verfolgten, so ließ ich es ihm durchgehen.
Was mich an Kreta so reizte, wusste ich nicht zu sagen. Das war einer der mir bekannten Punkte auf unserer Reise, vielleicht lag es daran. Wahrscheinlich war die Insel der letzte Punkt auf der Fahrt, den ich kannte, an dem es unter Umständen sogar Menschen gab, denen ich bekannt war und an die ich mich wenden könnte. In der Werft würden sie mich auf jeden Fall kennen. Ob sie mich den Backbordmotor nachschauen ließen? Sobald mehr Leute an Bord waren, ergab sich vielleicht eine Möglichkeit, die Piraten los zu werden oder zu fliehen.
Der Dunkelhaarige saß auf dem Beifahrersitz und schaute durch das Cockpitfenster hinaus. Er war noch nicht fertig, so sah er aus.
„Pass ma uff, Kleene. Du bist nicht so dumm, wie man denken könnte, wenn man dir sieht. Ick habe et im Urin, det du wat mit dem Djoko seine Schwimmeinlage zu tun hast.“
Er schaute mich an, sehr ernst und sehr bedrohlich, obwohl er in ganz normalem Plauderton sprach.
„Wir brauchen nur dir, um unsere Ziele zu erreichen, ist klar, oda?“
Er schaute rüber und wartete so lange, bis ich nickte.
„Also, wenn du dir nochmal irjendeenen Stunt erlaubst, wa, du weeßt wat ick meine, wa?“
Er wartete wieder bis ich nickte.
„Also, denn tun wir deine Freundin außenbords, so nennt ihr Seefahrer det doch, wa? Et is zwar janz nett anzuschauen, det Mädel, und et schmeckt ooch, watse kocht. Aba, ick jloobe, et würde dir wat ausmachen, wenn se nich mehr da wär, stimmt det?“
Mir klopfte das Herz bis in den Hals. Was er androhte war gruselig.
„Also, um det nochma klar zu sagen: wenn nur die kleenste Unpässlichkeit hier an Bord passiert, ejal wat. Wir werden dir dafür verantwortlich machen und deine Kleene wird et büßen, klaro? Bevor wir se über Bord schmeißen, lassen wir den Djoko ran. Hat der sich vadient, is klar, wa? Ob se denn noch schwimmen kann, weeß der Himmel, aber et wird ihr nich jut jehen und se wird ooch nich mehr an Land kommen, davon kannste ausjehen.“
Er schaute wieder durchs Cockpitfenster in den Hafen hinaus.
„Also, sind wa uns einig?“
Er schaute rüber und wartete wieder so lange, bis ich nickte.
„Jut, denn lass uns ma tanken und denn fahren wir, wie besprochen. OK?“
„OK!“, bestätigte ich mit Herzklopfen.
„Denn mal los!“
Wir tankten und waren vor acht Uhr wieder auf See.
Nach zwölf Stunden Fahrt war der Dunkelhaarige mit einer Pause einverstanden, wir ankerten vor der Insel Ischia, ohne eine Möglichkeit zum Landgang, war mir lieber so. Am nächsten Morgen ging es bereits kurz vor sechs Uhr weiter Richtung Messina. Ziemlich genau um zehn am Abend erreichten wir Scilla, dort ankerten wir in einer Bucht. Unmittelbar nach einem hastigen Imbiss fiel ich in tiefen, traumlosen Schlaf. Auf die Dauer schlauchte das Bootfahren ganz schön. Vor allem, da ich dauernd so tun musste, als müsste ich aufpassen wie ein Luchs, dabei steuerte der Autopilot. So kam ich nicht zur Entspannung, sondern musste stets und ständig auf der Hut sein.
Ab jetzt war es nur ein verhältnismäßig kleiner Turn von sechs Stunden, bis zur nächsten Tankpause in der Marina von Roccella. Kaum dort angekommen, verordnete mir der Dunkelhaarige sofortige Bettruhe. Nach sieben Stunden weckte er mich wieder.
„So Mäusken“, meinte er. Nach dem abgebrochenen Schlaf war ich leicht grantig.
„Comtesse Lona, bitteschön“, verlangte ich. „So viel Zeit muss sein!“
Er lachte.
„Ick habe ooch schlechte Laune, wenn man mir weckt. Ick finde dir richtig süß, wenn de so grantig bist. Manchmal könnte ick dir echt knutschen!“
Der Blick, denn ich ihm zuwarf, hielt ihn von weiteren Vertraulichkeiten ab.
„So, denn mal los. Deene Jule hat schon jetankt, ick hab mit deine Bankkarte jezahlt. Fühlt sich jut an, so viel Jeld aufs Konto.“
Er sah zu, wie ich den Kurs eingab. Von jetzt an würden wir erst in mehr als sechsunddreißig Stunden wieder Land in Sicht bekommen. So weite Strecken war ich bereits gefahren, allerdings nicht mit einer so handfesten Bedrohung im Hintergrund und auch nicht mit dieser Scharade, dass ich dauernd so tun musste, als müsste ich aufpassen, obwohl der Autopilot die Fahrt ganz großartig allein bewerkstelligte.
Am Ablauf änderte sich nichts, einer der Piraten war ständig auf Wache und beaufsichtigte uns. Mit Jule verabredete ich, dass wir uns alle vier Stunden am Steuer ablösen, während die andere auf der Couch nebenan schläft. Es bestand die Gefahr, dass sich die Ganoven anboten, uns dort abzulösen. Sie würden rasch bemerken, dass man nichts tun musste und eine Aufsicht eigentlich überflüssig war. Rein theoretisch könnte man, den Kurs einmal eingegeben, ins Bett gehen und dem Autopiloten alles überlassen.
So wechselten wir uns nach vier Stunden ab, von den Piraten kamen dazu keine Bemerkungen. Sie hielten uns wohl beide für sachkundig. An Jule richteten sie kein Wort, sie glaubten uns, dass sie nur französisch und italienisch sprach.
Beruhigend fand ich, dass sie keinen Schnaps mehr gekauft hatten, weder in Civitavecchia noch in Rocella.
Die Fahrt war sehr ermüdend. Wir mussten ständig auf der Hut sein, weil die Bedrohung durch den Djoko immer intensiver wurde, seine Blicke immer zudringlicher, immer gegenständlicher sein Verlangen. Jule und ich gaben ihm so wenig Anreize, wie es eben ging, wir trugen lange Hosen und weite Oberteile. Ganz verbergen konnten wir unsere Körper natürlich nicht. Nach dreißig Stunden waren wir beide so müde, dass wir gewiss unattraktiv aussahen. Djoko sah das wohl anders, er glotzte weiterhin.
Mein Wunsch, den Backbordmotor in der Werft nachschauen zu lassen, wurde vom Dunkelhaarigen abschlägig beschieden.
„Det is nicht nötig, Schätzken, det wirste sehen. Is ja ooch jetzt nicht mehr uffjetreten, oda? Wa?“
„Nein, im Moment höre ich auch nichts, aber es war ja da.“
„Det macht een Motor schon mal, mach dir nüscht draus. Außerdem, ick weeß ja noch nich, ob wir dir det Boot wieder jeben, kommt ja druff an, wat deine Familie bezahlt, wa? Sonst vakitschen wir den Kahn, denn haben wir wenigstens en bischen wat.“
Mir wurde echt schlecht. Die Drohung war eindeutig. Was mit uns passierte, wenn sie ihr Geld nicht bekamen, wagte ich nicht, mir auszudenken. Ich brauchte nur Djoko anzuschauen und nachzufühlen, was er dachte, da wurde mir von den Gedanken erst recht schlecht. Fest stand, dass sie von mir und meiner Familie gewiss keinen Cent sehen würden.
OK, ich könnte ihnen das Konto bei der Investmentbank übergeben, aber das waren ja beileibe keine dreihundertsechzig Millionen. Damit wären wir gewiss nicht aus der Gefahrenzone heraus. Wenn ich mich von dem Geld trennte, blieben mir immer noch die voraussichtlichen Einnahmen aus der Cupidon-Gesellschaft, die mein süßer Seppi jetzt wohl gerade gründete. Aber gewiss war es nicht, dass wir safe waren, sobald sie mein Geld hatten. Die Entscheidung, ob ich ihnen mein Geld gab oder nicht, würde ich auf jeden Fall so lange wie möglich hinaus schieben wollen.
Nach unendlich lang erscheinenden siebenunddreißig Stunden sichteten wir Land, Kreta lugte über den Horizont. Auf der Frequenz der Hafenmeisterei erreichte ich jemanden, der mich mit starkem, griechischen Akzent auf englisch bat, um die Halbinsel herum nach Souda zu fahren, in Chania habe man ein Problem mit dem Versorgungskai. Die Stimme des Mannes am anderen Ende der Funkline löste etwas in mir aus, das ich nicht klar beziffern konnte, aber sie ließ eine wunderbare Saite in mir anschlagen. Der Seefunk verzerrt die Stimmen immer, damit erklärte ich mir die plötzliche Gemütsregung als einen Zufall.
Mir wurde bestätigt, dass wir auch in Souda zollfrei tanken könnten, da beruhigte man mich. Wir wären auch für die Nacht dort willkommen, müssten nur bis spätestens 12:00 Uhr mittags am nächsten Tag den Hafen verlassen haben.
Der Dunkelhaarige hörte mit.
„Da machen wir mal ne Nacht lang Pause, ick kann det Drecks-Jeräusch von die Maschinen nich mehr hören. OK, Süße, Endspurt!“
Das Hafenbüro wies mir einen Platz zu, als wir die Hafeneinfahrt passierten. Rechts und links von unserem Liegeplatz lagen ein Ausflugsdampfer und ein Saugbagger, mit dem man wohl das Hafenbecken ausbaggerte oder die Hafeneinfahrt. Beide lagen dort fest vertäut, waren wohl nicht in Betrieb. Wir sollten rückwärts anlegen, das ging recht flott mit den Bedienelementen auf dem Achterdeck und Jule an den Fendern und den Leinen, obwohl der Raum zwischen den beiden Schiffen gerade eben ausreichend war. Alle drei Schiffe lagen dicht an dicht. Über die Notwendigkeit, so dicht nebeneinander zu liegen, machte ich mir mit dem übermüdeten Kopf keine Gedanken.
Kaum lagen wir fest vertäut und alle Maschinen und die Elektronik herunter gefahren, verzogen sich Jule und ich mit einer vorbereiteten Mahlzeit in unsere Kabine. Dort speisten wir in Ruhe und gingen bereits vor acht Uhr abends zu Bett.
Nachts um drei wurde ich wach. Mir war unruhig zumute. Zuerst dachte ich, es sei Durst, der mich geweckt hatte. Ich schlich mich hinauf in die Kombüse und trank etwas. Alle drei Piraten waren noch wach, sie schauten sich auf dem großen Fernseher im Salon einen Film an, sie tranken dabei Wein oder Bier. Es gab eigentlich keinen Grund, heimlich zu tun, jedoch wollte ich die Herren so wenig wie möglich auf mich aufmerksam machen, so schlich ich mich barfuß oben auf die Flybridge. Die Luft war seidig, lauwarm, wunderbar. Im Hafen leuchteten etliche Lampen, hinten in der Stadt war noch Betrieb, einige Nachtschwärmer waren unterwegs.
Nach einiger Zeit gesellte sich Jule unverhofft zu mir. Sie hatte es fertig gebracht, Kakao zu kochen, ohne dass die Entführer etwas davon mitbekamen. Sie drückte mir eine Tasse in die Hand, ich bedankte mich lautlos mit einem Küsschen. Überhaupt war mir sehr nach ihrer Nähe, jetzt, in dem Moment. Wir kuschelten uns auf der breiten Liege zusammen und schauten von dort hinunter durch die gläserne Brüstung auf den Kai und die Stadt.
Zwei sehr betrunkene Männer, die wir für Seeleute hielten, torkelten Arm in Arm den Kai entlang in unsere Richtung. Vielleicht gehörten sie zur Besatzung des Schwimmbaggers oder zu dem Ausflugsdampfer. Sie unterhielten sich leise, aber waren ganz offensichtlich betrunken.
Sie gingen auf den Schwimmbagger zu und dort an Bord. Wir wunderten uns, dass kein Licht an Bord erschien. Dann sah ich sie, sie schlichen an der Reling auf unserer Seite entlang. Deren Reling lag etwa einen halben Meter über der Reling unseres Oberdecks, etwa einen halben Meter von unserem Schiff entfernt, uns trennten nur die Fender. Die Männer wirkten nun nicht mehr betrunken, sie schwangen sich geräuschlos über die Reling des Saugbaggers auf den Gang unseres Schiffes, in Höhe der Kombüse. Die Tür vom Gang in die Küche öffnete sich lautlos, die beiden Gestalten huschten hinein. Jule und ich hingen an der Reling mit klopfendem Herzen und sahen zu, was passierte. Sobald die beiden Gestalten in der Kombüse verschwunden waren, schlichen wir die Treppe hinunter und beobachteten von dort aus, was geschah. Von unserem Standort aus hatten wir einen Einblick in die Kombüse und einen Überblick über den Salon. Die drei Raubritter hingen auf dem Sofa, schauten konzentriert irgendeinen Ballerfilm, tranken Wein und Bier und krümelten alles mit Chips voll. Bei dem Film ging es lautstark zur Sache, Gefechtslärm schallte durch den Raum, es wurde reichlich geschossen, gesprengt und geschrien.
Die beiden Gestalten in der Kombüse lugten vorsichtig über die Frühstücksbar. Was waren das für Figuren? Sie waren schwarz vermummt mit Sturmhauben auf dem Kopf, die nur die Augenpartie frei ließen. Mir kam gleich Seppi und seine Bundeswehrzeit in den Kopf. Der war doch bei irgend so einer Kampftruppe, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuschte. Aber wie sollte der hierher kommen? Er konnte nicht wissen, wo wir uns befanden, das Tablet war seit Genua tot. Nein, den Gedanken schlug ich mir aus dem Kopf.
Atemlos schauten wir, was passierte. Es war klar, dass sie den drei Spießgesellen nicht freundlich gesonnen waren, sonst wären sie nicht heimlich an Bord gekommen und würden sich jetzt verstecken. ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund’, eine alte arabische Weisheit, soweit ich weiß. Wie konnte ich die beiden Feinde unserer Feinde unterstützen? Wir beobachteten atemlos, was sich tat.
Die beiden schwarz Gekleideten orientierten sich. Als ich die Bewegungen des einen betrachtete, da klopfte mein Herz. Sollte das tatsächlich Seppi sein? Ach nein, das war zu unwahrscheinlich. Obwohl mir heute Nachmittag das Herz ebenfalls geklopft hatte, als ich die stark akzentuierte Sprache der Hafenmeisterei hörte und deren Fragen beantwortete. Das war mir bei der Übermüdung nicht gesondert aufgefallen, aber jetzt könnte es einen Sinn ergeben haben, auch dass man uns nach Souda dirigiert hatte. Hier im Hafen war es dunkler und weniger belebt, als in Chania. Dort war längs des Hafens Gastronomie und reichlich Remmidemmi, alles hell erleuchtet und dauernd Leute auf der Straße. Hier nun war es beinahe totenstill, draußen, ideal für einen unbemerkten Angriff.
Im Salon tobte der Krieg lautstark aus dem Fernseher und der Surround-Soundanlage. Die drei Piraten waren hoch konzentriert, trotz des Alkoholkonsums, dem sie ausgiebig frönten. Jedoch galt ihre Aufmerksamkeit nicht der direkten Umgebung, sondern nur dem Geballer auf dem Fernseher, der Film war wohl sehr spannend.
Die beiden Gestalten aus der Kombüse kamen nicht recht weiter, sie diskutierten. Ich ging ganz offen in die Kombüse hinein und öffnete den Kühlschrank. Der Dunkelhaarige schaute kurz, was sich da bewegte, sah mich und wandte sich gleich wieder dem Film zu.
Tatsache, einer der Typen in der Kombüse war Seppi. Als ich die Augen sah, war mir sofort klar, dass er es war. Ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Ich blieb aber stehen und trank aus dem Glas, mit Blick in den Salon.
„Wie viele sind an Bord?“, raunte Seppi. Ich zeigte mit der Hand hinter dem Frühstückstresen ‚Drei‘ und trank einen langen Schluck.
„Die drei da?“ fragte er weiter. Ich zeigte ihm den empor gereckten Daumen.
„Schusswaffen?“, fragte er weiter. Ich verneinte mit wedelndem Zeigefinger. Pistolen waren mir bei den dreien nicht aufgefallen.
„OK!“, meinte mein Liebster. „Jetzt hau ab!“
Frechheit, sowas!
Gehorsam, wie ich nur manchmal und nur bei meinem Liebsten bin, ging ich auf die Treppe zu, die hinab zu den Kabinen führte. Gleich daneben lag die Treppe hinauf aufs Flydeck. Auf die bog ich in letzter Sekunde ein und gesellte mich zu Jule. Die hockte da mit weit aufgerissenen Augen und der Hand vor dem Mund.
Sie flüsterte empört: „Bist nicht ganz gscheit?“
Es war spannend, zu schauen, was jetzt geschehen würde, deswegen zwinkerte ich ihr nur zu und widmete mich dem, was sich tat. Seppi und sein Kumpan huschten aus der Kombüse heraus, geduckt und in Windeseile, schlichen in den Gang zwischen Cockpit und Heck, der hinter dem Sofa entlang führte, auf dem sich die drei Ganoven lümmelten.
Ehe es sich die drei versahen, hatten Seppi und sein Mitstreiter den Großen und den Dunkelhaarigen am Kragen. Der Kumpan schlug den Dunkelhaarigen gleich KO, mit einem Handkantenschlag an den Hals, und anschließend sehr hart gegen die Schläfe. Es hörte sich beinahe so an, als bräche bei dem Schlag etwas, aber das Krachen konnte auch ein Teil der Geräuschkulisse sein, die immer noch aus den Lautsprechern dröhnte.
Schneller als man denken konnte, sprang Djoko auf und verschwand auf der Treppe zum Unterdeck. Einer der beiden Angreifer, er sah aus wie Seppi, hielt den großen Blonden im Schwitzkasten, würgte ihn von hinten, dass er rot und anschließend blau anlief. Der Handkanten-Angreifer setzte sofort dem Djoko nach, die Treppe hinunter. Nach den Bewegungen zu urteilen, war das nicht Seppi, der bewegte sich anders.
Man hörte von unten nichts, die Filmgeräusche waren zu laut. Ich hüpfte zur Fernbedienung und schaltete den Ton aus. Die abrupte Stille war ohrenbetäubend. Man hörte den gewürgten Großen röcheln, Seppi atmete schwer, er hielt so lange durch, bis der Große schlapp machte. Von unten ertönte eine Schmerzensschrei, Seppi hetzte sofort die Treppe hinunter.
Dann sah ich Djoko. Er lugte die Treppe von der Badeplattform aus hinauf, er stand am Fuß der Treppe, die ich ihn letztens hinunter geschickt hatte und von der aus er ins Wasser gefallen war. Dort lauerte er und schaute, was sich hier im Salon tat. Ich stand da starr, die Fernbedienung in der Hand und guckte ihn an, hypnotisiert von der Gefahr, die von ihm ausging. Es war mir unmöglich, mich zu bewegen oder etwas zu rufen, nichts, ich war wie gelähmt. Starr vor Entsetzen sah ich ihm entgegen. Er schlich geschmeidig auf mich zu, der Bewegungsablauf und der lauernde Blick waren extrem bedrohlich. Er wirkte wie eine Raubkatze, Tiger oder Leopard. Ich war starr und blieb stehen. Jule kam aus dem Versteck gerannt und stellte sich schützend vor mich.
„Hau ab!“, schrie sie ihn an. Er packte Jule am Hals, seinen Blick werde ich nicht vergessen. Er war der Inbegriff eines Raubtieres, frei gelassen und pur aufs Töten aus. Er verkörperte die reine Mordlust, die war in seinen Augen zu erkennen. Jetzt schnell zu handeln, lief bei mir automatisch ab, ich griff ihn an, wollte ihn schlagen.
Er schaute mir entgegen, seine Augen wirkten gelb, diabolisch. Anstatt dass ich ihn schlug, packte er mich mit der freien Hand ebenfalls am Hals, fest, schnürte mir mit einem Griff die Luft und das Leben ab.
Das war mein Ende, das war mir sofort klar. Jule und ich würden jetzt, hier, gemeinsam sterben. Wenn der Typ mehr als zwei Hände gehabt hätte, dann hätte er liebend gern noch jemand Drittes gewürgt, das sah man ihm an. Er grinste, aber wie. Mein Leben war zu Ende, es konnte nur noch Sekunden andauern.
Sein Kopf wurde von jemandem, der hinter ihm stand, mit behandschuhten Händen gepackt und, bevor er reagieren konnte, mit einem Ruck zu seiner Backbordseite gedreht, fest und schnell, dass es zu einem lauten Knacken kam. Sein Griff ließ sofort nach, die Arme fielen herab, der Körper sank schlaff zu Boden. Vor uns stand der schwarz Gekleidete und Maskierte, der nicht Seppi war. Er schaute auf den regungslos da liegenden Djoko und sagte:
„Des blede Oarschloch, des dreckarde!“
Jule sank zu Boden, hielt sich den Hals und rang röchelnd und hustend nach Luft. Meine Atemnot war nicht ganz so groß, ich kümmerte mich um sie. Sie hustete wie eine Erstickende, atmete schnell und hastig, hustete immer wieder. Sie sah mich an wie ein sterbender Schwan. Ich half ihr auf und brachte sie aufs Achterdeck an die frische Luft, wo sie einigermaßen wieder beikam. Seppi gesellte sich zu uns, riss sich die Maske vom Kopf und brachte damit seine Haare ganz durcheinander.
„Was ist mit ihr? Bist du OK?“
Er nahm mich in den Arm. Mein Seppi! Er hatte uns gerettet! Mein Supermann! Mein Ein und Alles! Mein Held! Mein …, mein …, aach, mein Liebster!
Mit ihm, mit seiner Gegenwart war nun wirklich nicht zu rechnen, obwohl meine Hoffnung auf eine Rettung durch ihn niemals ganz erloschen war.
Mit einem Ruck löste ich mich von ihm, was war mit der Bedrohung? War sie weg?
„Was ist mit den Piraten?“
„Keine Sorge, die sind gefesselt, die Polizei ist verständigt, sie werden gleich abgeholt. Da sind sie schon!“
Am Kai erschien Blaulicht, bewaffnete Polizisten stürmten herbei.
Seppi rief ihnen etwas auf griechisch zu.
„Fährst du bitte die Gangway aus, Süße?“
„Der Jonas!“, rief ich aus. „Deren Gefangener!“
„Oh, ein Gefangener? Wo steckt der?“
„In der Kapitäns-Kabine, der Dunkelhaarige hat den Schlüssel dazu in der Tasche.“
Ich wollte gleich losstürzen, Seppi hielt mich zurück.
„Lass uns das machen, OK? Könnte unappetitlich sein. Geh jetzt mit Jule in die Kabine, ruht euch aus, erholt euch. Ich kümmere mich um alles. Wir räumen auf, wir sehen uns morgen früh!“
Ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit durchströmte mich. Mein Seppi! Er kümmerte sich um alles! Wunderbar!
So aufgewühlt wie ich war, würde ich ganz gewiss nicht schlafen können, aber mein Seppi kümmerte sich um alles! Ich konnte loslassen, brauchte mich um nichts mehr zu kümmern, konnte, wie eine Prinzessin, auf mein Zimmer gehen und mein Prinz kümmerte sich um alles Unappetitliche.
Jule kam so langsam wieder richtig zu Atem, ich leitete sie hinunter.
„Wir sind in der kleineren Kabine!“, rief ich meinem Traumprinzen über die Schulter zu. Am Horizont war die Dämmerung bereits zu erahnen, die Konturen der umstehenden Gebäude waren dabei, sich aus der Dunkelheit zu materialisieren. Ich war aufgewühlt, aber auch extrem erleichtert. Wunderbar, Seppi war da, er nahm das Steuer in die Hand, wir waren erlöst.
Nun vergalt ich Jules Fürsorge, leitete sie zu Bett, entkleidete sie, deckte sie zu. Ein paar Minuten später krabbelte ich zu ihr unter die Decke, nahm sie in den Arm und summte leise vor mich hin. Sie weinte.
„Alles ist gut, Süße, alles ist gut. Seppi ist da, die Piraten sind weg, alles ist gut.“
So summte und murmelte ich vor mich hin. Jule wurde immer ruhiger, wir beide schliefen ein.
Am Morgen wachte ich erschreckt auf, weil ich dachte, ich wäre am Steuer eingeschlafen, das Schiff würde führerlos irgendwo gegen fahren und Djoko würde mich würgen.
Ich atmete lautstark und entsetzt ein, saß aufrecht im Bett und fasste mir an den Hals. Mein Herz pochte heftig bis in den Kopf hinein, das Blut rauschte in den Ohren. Als ich sah, dass ich mit Jule im Bett lag und fest stellte, dass das Schiff ruhig am Pier lag, pustete ich erleichtert. Jule war mit wach geworden, sie fasste sich als erstes an den Hals und räusperte sich.
„Na?“, fragte ich sie. „Alles gut?“
„Puh!“, sagte sie, sie sah süß aus, total verschlafen und die Haare verstruwwelt. Sie hörte sich heiser an.
„Wos fia a Oibtraum, oda?“
„Das kannst du laut sagen. Komm, lass uns sehen, ob unsere Helden schon wach sind.“
„Du bist meine Heldin!“, sagte sie. Sie sah mich wieder so an, als wenn ich Jesus wäre, mit Löchern in den Händen und einer Dornenkrone auf dem Kopf.
„Er hätte dich umgebracht, weil du mich beschützen wolltest!“
„Andersherum, du wolltest mich beschützen! Außerdem, Seppi war doch da. Für mich bestand keine Gefahr. Mach mich nicht größer als ich bin.“
„Die größte Einsfünfzig-Frau der Welt!“, meinte sie und grinste blöd. Da schlug ich ihr das Kopfkissen über den Schädel. Sie ließ sich nicht lumpen und verkloppte mich mit ihrem Kissen. Letzten Endes lagen wir uns lachend in den Armen.
„Was hab ich für ein Glück, dich getroffen zu haben!“, meinte sie, während wir uns die Zähne putzten.
„Superglück, einmal versenkt und dabei fast ertrunken, einmal entführt, dabei beinahe ermordet. Jau, Superglück!“
„Jepp!“, bestätigte sie und schmierte sich irgendeine Creme auf ihr buntes Auge. „Alles das überlebt, dank dir! Der größten Einsfünfzig-Frau der Welt.“
Ich versuchte, das kalte Wasser aus dem Wasserhahn umzulenken, um sie damit nass zu spritzen. Der Erfolg war, dass ich patschnass war und sie sich kaputt lachte.
Ausgelassen aber extrem gespannt auf die beiden Helden und die Ergebnisse der Nacht, stiegen wir hinauf zum Oberdeck. Unsere beiden Helden saßen am Tisch auf dem Achterdeck.
„Meine Güte! Wie lange pennt ihr denn?“, empfing mich mein Süßer, mein Held. Logisch, dass ich ihm als Allererstes um den Hals fallen musste. Er empfand die gleiche Sehnsucht, drückte mich fest an sich, küsste wie wild alles, was er vor den Kussmund bekam, die Haare, die Nase, den Hals und letztendlich auch den Mund.
„Gott im Himmel was bin ich froh, dass wir das heil überstanden haben!“, meinte er, als wir wieder in der Lage waren, Luft zu holen.
Ihm gegenüber saß einer mit einem blauen Auge, einer mit einem rotwangigen Pfadfindergesicht, ungefähr die gleiche Größe wie Seppi, mit auffallend breiten Schultern.
„Das ist Kurt, genannt KuKa, ein Kamerad vom KSK und ein Kommilitone. Wir waren zusammen in Afghanistan, die zwei härtesten Jahre meines Lebens. Ihm verdanke ich mein Leben, sogar zwei Mal.“
„Und i eahm moins viermoi!“, mischte sich KuKa ein.
„Alter! Noch ein Bayer!“, entfuhr es mir, ich schlug gleich die Hand vor den Mund, weil ich mich schämte, so unbedacht gesprochen zu haben. Zur Versöhnung reichte ich ihm die Hand zur Begrüßung.
„Tschuldigung“, meinte ich. „Habt ihr euch schon vorgestellt? Jule und du?“
„Jule!“, rief ich die Freundin, die sich gleich in der Küche zu schaffen machte. Sie kam herbei mit einer Kanne mit Kaffee und einer mit Kakao.
„Das ist Jule, Oberbayern, Jule, das ist KuKa, wo kommst du her?“
„Straubing! Niederbayern. Servus, Jule!“, meinte er und betrachtete interessiert Jules mittlerweile buntes Auge.
„Schickes Veilchen!“, frotzelte er. Sein blaues Auge war rechts, Jules links.
„Passt doch!“, grinste mein Seppi, Jule lächelte nur.
„Setzen wir uns an die Frühstücksbar?“, schlug ich vor. „Da sind wir näher bei den Fleischtöpfen.“
„Siehste?“, sprach Seppi im Aufstehen zu KuKa. „Ne echte Kapitänin. Ist klar, wer hier das Kommando hat, oder?“
KuKa grinste nur, wir setzten uns an die Bar und sahen Jule bei der Arbeit zu. Eine Einmischung meinerseits hatte sie sich rigoros verbeten. Ich kannte das schon, die Küche war ihr Reich, da ließ sie niemanden hinein. Das würde sich nicht mit ihrer Ehre vereinbaren lassen, wie ich mir bereits mehrmals sagen lassen musste.
So sahen wir ihr zu, wie sie Baguettes aufbuk, mit großer Geschicklichkeit eine rote und eine gelbe Paprika, Tomaten, Zucchini und ein Bund Frühlingszwiebeln putzte, kleinschnitt, in die Pfanne warf, Eier hinein schlug und daraus Rührei bereitete. So lange es brutzelte, deckte sie für uns, holte die Baguettes aus dem Ofen, schnitt sie in Stücke, stellte sie in einem Brotkorb auf die Tischfläche. Alles das mit runden, glatten Bewegungen, in atemraubender Geschwindigkeit, jedoch ruhig und gelassen, niemals hektisch. Es war ein Genuss, ihr bei der Arbeit zuzusehen.
„Erzähl mal“, bat ich meinen Seppi. „Wie seid ihr uns eigentlich auf die Spur gekommen? Das Tablet war doch ab Genua zerstört?“
„Den Anruf habe ich nicht mitbekommen“, erzählte Seppi. „Auf der Mailbox waren nur undeutlich einige Stimmen zu hören, Männerstimmen. Es geht ja nicht, dass du einfach Männer auf deinem Boot empfängst, das geht ja nun wirklich nicht, da musste ich einschreiten und der Sache auf den Grund gehen.“
Er meinte das im Scherz, logisch oder?
„Dein Telefon war abgeschaltet, über Seefunk tat sich nichts, da mussten wir andere Wege beschreiten.
Du hast einen Transceiver an Bord, der in Stunden-Abständen deine Position angibt, Position und Schiffsname. Sobald klar war, dass ich dich am Handy nicht erreichen würde, habe ich die Daten im Vessel-Finder verfolgt. Du warst mit etwa zwölf Knoten unterwegs, ohne anzuhalten und in der Hauptsache nachts. Da war mir klar, dass da etwas nicht stimmte. Ich den KuKa alarmiert, das ist übrigens der Leiter der IT-Abteilung in der Cupidon-GmbH. KuKa, das ist unsere Chefin.“
KuKa stand andeutungsweise aus dem Barhocker auf und verbeugte sich. Er nahm meine Hand, deutete einen Handkuss an und meinte: „Chefin!“ Der Riesenkerl mit den breiten Schultern, den roten Pfadfinderbäckchen und dem blauen Auge. Seine Erscheinung zusammen mit seiner unterwürfigen Geste wirkte äußerst skurril. Ich grinste ihn huldvoll an, alberne Burschen, alle beide.
Jule stand da und schaute den KuKa verliebt an. Sie dachte wohl daran, dass er sie gerettet hatte. Sie gab Rührei auf einen Teller und stellte ihn vor den Pfadfinder.
„Meinem Retter!“, erklärte sie.
„Wie geht es denn dem Djoko?“, fragte ich und schaute auf das Rührei, das Jule mir servierte.
„Der is hie! Dem hob i des Gnack brochen, der sagt nix mehr“, sagte KuKa ganz trocken und biss in das belegte Baguette. Die Hälfte des darauf gestapelten Rühreies tropfte zurück auf den Teller. Jule stand dort starr und glotzte ihn entgeistert an. KuKa sah das und erklärte mit vollem Mund:
„Der Sack hat mich erst in die Falle gelockt und mir mit irgendeinem Gegenstand aufs Aug ghauen“, er zeigte auf das blaue Auge. „Dann hatte er euch beide am Hals, du warst schon ganz blau im Lätschn. War die einfachste und schnellste Methode. War doch richtig, oder?“ Er bat Seppi damit um seine Expertise.
„War die einzig richtige Methode“, bestätigte mein Süßer. „Schnell und effizient. Die beiden anderen leben noch, der eine nur ganz knapp, der Dunkelhaarige, der Große Blonde wird Halsschmerzen haben, ansonsten geht es ihm gut. Sie waren zu dritt, ihr wart in deren Gewalt, ihr schwebtet beide in Lebensgefahr, da war die schnellste und die sicherste Methode die erste Wahl. Lasst uns nicht über die Penner reden, die haben nichts besseres verdient.“
Auch er biss ein großes Stück Brot ab.
„Jule!“, sagte er mit Begeisterung. „Schmeckt wieder ganz, ganz großartig.“
Jule freute sich, setzte sich mir gegenüber und belegte ebenfalls ein Stück Brot mit Rührei. Seppi fuhr fort:
„Wir erst runter nach Sizilien, Messina. Da habt ihr aber nicht angelegt, wo wart ihr da?“
„Hinter Scilla, in einer kleinen Bucht. Hast du dein Tablet?“
Er legte es auf den Tresen, ich zeigte es ihm.
„Hier, in dieser Bucht waren wir.“
„Des wenn wir gwusst hättn!“, meinte KuKa.
„Da waren wir nämlich noch zu viert“, führte Seppi fort. „Die anderen haben wir nach Hause geschickt, weil wir euch verloren hatten und erst wieder suchen mussten. Dann haben wir euch zwei Tage später auf dem Weg nach Kreta gefunden, da war das Signal wieder da. Was war denn da los?“
„Der Djoko hat zwischendurch immer mal an den Sicherungen herum gespielt“, gab ich zur Antwort. Von dem Transceiver hörte ich jetzt zum ersten Mal.
„Er wollte vermeiden, dass wir mit jemandem in Verbindung treten könnten. Da wird er die Stromversorgung von dem Ortungsdinges erwischt haben.“
„Möglich. Dann war jedenfalls klar, dass ihr Kreta ansteuert. Erst dachten wir, dass ihr eventuell nach Neapoli Voion unterwegs seid, aber war ja nicht der Fall. Ihr seid immer unterhalb von fünfhundert Seemeilen bis zum nächsten Tankstopp geblieben. Warum?“
„Wir haben gedacht, dass wir dich alarmiert hätten. Den Piraten haben wir weis gemacht, dass wir nur immer eine Tonne Treibstoff laden können und die würden bei zwölf Knoten für fünfhundert Seemeilen ausreichen. Es war schwierig, sie davon zu überzeugen, aber sie haben es geschluckt. Auch, dass das Boot maximal fünfzehn Knoten schnell ist, aber dann viel mehr Sprit braucht. Auch das haben sie geschluckt. Gottseidank hatten die absolut keine Ahnung von der Seefahrt.
Wie seid ihr dann von Sizilien aus nach Kreta gekommen?“
„Das war tatsächlich schwierig. Wir haben einen Privatflug bekommen, eine Gulfstream hat uns gegen einen happigen Preis zu zehn anderen Passagieren nach Kreta in den kleinen Privatflieger gepackt. Gestern Mittag sind wir hier gelandet, den Rest kennst du.“
„Puh, hätte nicht gedacht, dass das so knapp war“, sagte ich. Jule folgte dem Geschehen sehr aufmerksam, hatte jedoch mehr und mehr Aufmerksamkeit für KuKa übrig. Sie himmelte ihn an, wie sie mich auch häufig anhimmelte. Der nahm das erst nicht wahr, als er es dann bemerkte, wurden die Pfadfinderbäckchen noch roter. Er zwinkerte der Freundin zu, die zwinkerte zurück und lächelte. Na, das soll etwas geben.
Die waren so vertieft in ihren Augenflirt, dass sie für kurze Zeit nichts mitbekamen.
„Hast du ihm was über sie erzählt?“, raunte ich zu Seppi hinüber.
„Kein Wort, muss er selbst rausfinden.“
Der Schlawiner wusste gleich, was ich meinte.
„Wieso habt ihr keine Verstärkung von der Polizei bekommen?“
„Die zu überzeugen, hat einfach zu lange gedauert. Außerdem dachten wir, das hätten wir nicht nötig. Wir sind beide KSK und trainierte MMA-Kämpfer. Hast ja gesehen, dass wir mit drei Mann gut fertig werden.“
Jule hörte das, fasste sich theatralisch an den Hals und hustete übertrieben, um zu bedeuten, dass sie nicht so ohne Weiteres mit den Dreien fertig geworden waren.
„Jo-mei, a weng Schwund is oiwei!“, kommentierte ihr Retter sehr trocken.
„Ja, oiso!“, empörte sich Jule.
„Jo, wos hätt i tun solln? I hob so schnell gmacht wies gingan dat!“
„Alter!“, stöhnte mein Seppi. „Verstehst du, wovon die reden?“
„Kein Stück!“, diskriminierte ich die beiden Mundartler und musste grinsen.
Jule übersetzte:
„Ich habe mich darüber beklagt, dass ich fast gestorben wäre, da sagte er, dass das doch nix wär, immer ist ein bissel Schwund dabei. So an Saubazi!“
Gleichzeitig mit dem Schimpfwort zwinkerte sie dem Saubazi zu, der griente als Antwort und nahm sich von dem Rührei.
„Passt zu deim Aug!“, frotzelte er und wies auf das Bunte im Rührei.
„Pass auf, mein Freund!“, erwiderte sie im Spaß. „Bazi!“
Man sagt ja: ‚Was sich liebt das neckt sich.‘ Ich fand, dass die beiden nicht nur im Dialekt gut zueinander passten.
„Also, Chefin“, hob mein Süßer an, als wir bei abschließendem Kaffee und Kakao an der Frühstücksbar saßen. „Du solltest noch ein paar Tage auf die Mastercabin und die Käptens-Kabine verzichten.“
„Watt? Warum?“
„Wie der Salon sehen sie echt ramponiert aus, einer Comtesse unwürdig sie …“
„Was?“
„Des hoißt bitte, nicht wos!“, fuhr Jule dazwischen.
„Der Salon sieht noch einigermaßen aus“, erzählte Seppi, „die Mastercabin nicht und die Käptens-Kabine ebenfalls nicht, die sind unter aller Sau. Ich habe ein Putzteam bestellt …“
„So etwas brauchen wir nicht hier an Bord!“, fuhr Jule dazwischen. „Dafür bin ich da!“
Seppi war ganz lieb, wirklich, er wandte sehr geduldig ein:
„Den Dreck machst du nicht weg, Jule, glaub mir, das willst du nicht und ich will auch nicht, dass du dich damit beschäftigst. Außerdem haben wir Wichtigeres zu tun. Wir müssen gleich auf die Polizeistation und unsere Aussagen machen, das habe ich zugesagt. Damit werden wir sicher bis zum Nachmittag beschäftigt sein. Bis dahin hat der Putzdienst die Aufgaben erledigt. Die Kabinen inklusive des Salons sind dann immer noch nicht in einem guten Zustand, dann aber sauber.“
Er war weiterhin ganz lieb und freundlich, jedoch sehr bestimmt. Er wollte nicht einmal, dass wir uns den Schlamassel in den Kabinen anschauten. Mir war alles egal, soweit. Wenn Seppi das wollte, dann wollte ich das auch. Jule war mit dem einverstanden, mit dem ich einverstanden war. Außerdem hatte sie mit dem Flirt mit KuKa genug zu tun.
„Chefin“, wandte sich Seppi an mich, „wir kennen uns gut, stimmts?“
Über die Frage war ich sehr erstaunt. Was meinte er? Stellte er eine Vertrauensfrage? An mich als Chefin?
Statt einer Antwort lächelte ich nur. Er fragte:
„Traust du mir zu, dass ich in deinem Sinn handle?“
Er fragte mich, ob ich ihm vertraue. Würde ich ihm mein Leben anvertrauen? Hatte er nicht gerade meines gerettet? Was wäre ohne ihn aus uns geworden? Was wäre geschehen, wenn wir tatsächlich in Georgien gelandet wären? Der Dunkelhaarige hatte mir angedroht, dass er sich dort ‚mich gönnen‘ würde. Was das bedeutete, konnte ich mir sehr gut vorstellen. Klar vertraute ich Seppi.
„Logisch! Warum fragst du?“
„Sie gibt das Kommando nicht ab, siehste?“, fragte er KuKa. Der griente nur und spielte mit seiner Kaffeetasse, zwischendurch suchte er immer den Blick von Jule. Sie lächelte ihn an, er lächelte zurück.
„Also, ich habe etwas geplant und in die Wege geleitet, dazu müssen wir nach Limassol.“
„Watt?“, fragte ich überrascht. Auf Zypern gab es nichts, was es hier auf Kreta nicht auch gab. Nunja, bis auf die Höhle mit dem lehmigen Strand. Beim Gedanken daran wurde mir echt heiß. Bis ich dann auf einmal rekapitulierte, wie ich mich benahm, da gab ich mir einen Ruck.
Natürlich vertraute ich Seppi, er war der vertrauenswürdigste Mensch auf der ganzen Welt, natürlich konnte er machen was er wollte. Die vergangenen Tage saßen mir in den Knochen und im Hinterkopf. In der letzten Zeit musste ich stets die Kontrolle und die Übersicht behalten, auch wenn ich todmüde war, stets mit voller Konzentration nur für Jule und mich denken und uns beschützen, musste die Täuschungsmanöver vorbereiten und beibehalten. Immerzu saß mir die Angst im Nacken, die Angst davor, verletzt zu werden, Angst vor deren Brutalität, davor, dass sie Jule etwas antaten, die Angst vor der Ungewissheit, Angst um unser Leben, einfach immerzu Angst.
All das war jetzt nicht mehr nötig, denn wir befanden uns in Sicherheit, einer Sicherheit, die wir Seppi zu verdanken hatten. Die ständige Bedrohung der letzten Tage war weg, endgültig. Ich konnte loslassen, ohne dass uns etwas geschehen würde. Selbstverständlich würde ich jederzeit das Kommando an Seppi abgeben, logisch, selbstverständlich, ohne den geringsten Zweifel.
Seppi beobachtete mich, Jule las meine Gedanken, war aber nicht ganz bei der Sache, weil sie sich gerade mit KuKa zu verbinden versuchte, um in dessen Gedankenwelt einzudringen.
„OK!“, willigte ich ein. Es war nicht so, dass ich klein bei gab, das war bei uns nicht nötig. Außerdem vertraute ich Seppi restlos, blindlings. Er war es, der mich zu einer Kapitänin ausgebildet und mir das notwendige Wissen und noch viel wichtiger, das notwendige Selbstvertrauen eingetrichtert hatte. Natürlich war er der Chef, wenn er es sein wollte und sobald er es für nötig erachtete.
„Wie sieht der Plan aus?“, fragte ich.
Er zwinkerte mir zu, er ahnte, wie ich mich fühlte.
„Ich will unbedingt den Elektroantrieb ausprobieren. Mal sehen, wie schnell man damit ist und wie weit man damit kommt. OK? Außerdem habe ich eine Überraschung für dich, in Limassol.“
Wirklich, es kostete mich Überwindung, dazu fröhlich ‚Ja‘ zu sagen. Die Abenteuerlust war im Moment nicht meine stärkste Triebfeder. Was ich wollte, war mir nicht klar. Vielleicht brauchte ich ein paar Tage und Nächte Abstand? Da war es am besten, wenn ich meinem Süßen das Kommando überließ und einfach mal alle Verantwortung und die Planung jemand anderem überließ.
Schutz und Halt suchend lehnte ich mich an meinen Großen, an den liebsten Mann der Welt, der stärkste, beste und klügste Mann meines Lebens. Er nahm mich in den Arm. Ich sah zu ihm auf und entschuldigte mich:
„Verzeih!“ und verlangte einen Kuss. Den bekam ich.
„Es gibt nichts zu verzeihen. Du hast alles richtig gemacht, alles ist gut, ich bin für dich da.“
Es kam so viel starke Wärme von ihm herüber, dass mir echt ganz anders wurde. Wärme, Schutz, Liebe, Freundschaft, Vertrauen, alles da, was der Mensch begehrte.
Mein Seppi!
Bei der Polizei übersetzte nicht nur er, sondern sie verlangten, dass ein Polizeidolmetscher immer anwesend war, teilweise wurden wir getrennt gleichzeitig befragt. Schließlich hatte es einen Toten gegeben, da war es richtig, die Vorschriften einzuhalten und alles akribisch zu rekapitulieren. Anhand des Zustand des Schiffes, anhand unserer Route, anhand des Vorstrafenregisters der drei Piraten, und weil sich alle unsere Aussagen deckten, glaubten sie uns die Entführung. Nach der Aussage des Notarztes, der Jule noch in der Nacht untersucht und die Halsverletzung dokumentiert hatte, glaubte man KuKa, dass er in Nothilfe nicht anders handeln konnte. Im Laufe der Aktion war der Djoko zu Tode gekommen, KuKas Handlung wurde im Nachhinein gebilligt und der Totschlag als unbeabsichtigte aber unabdingbare Folge der Rettungsaktion entschuldigt. Das Geräusch, dieses kurze, stumpfe Knacken, werde ich wohl nicht vergessen. Das Bild ebenfalls nicht. Es war echt gruselig, ich habe vorher noch nie einen Menschen sterben sehen.
Auf dem Weg mit dem Taxi von der Polizei zurück zum Schiff lotste uns Jule zu einem Supermarkt und zu einem Fischverkaufsstand im Hafen, um Vorräte zu bunkern. Im Supermarkt erwarb sie große Mengen Grillfleisch. Es sah aus, als hätte sie eine Vorahnung von dem, was auf sie zukam und es schien mir, als sei sie bereit dazu. In ihren Vorstellungen spielte der KuKa eine zentrale Rolle. Es war so, dass die gedankliche Verbundenheit nicht nur in der einen Richtung, von mir zu ihr, funktionierte, sondern offensichtlich auch anders herum. Ich ahnte, was sie fühlte, worauf sie sich freute und wovor sie sich fürchtete. Wir saßen im Taxi nebeneinander. Sie drückte mir die Hand, ich hielt dagegen und wir zwinkerten uns zu.
„Es wäre super, wenn wir gleich losfahren könnten“, erklärte Seppi. Wir fanden das Schiff sauber geputzt vor, es roch überall nach einem besonders scharfen Reinigungsmittel.
„Im Dunkeln können wir sehen, bei welcher Geschwindigkeit die Elektromotoren wie viel verbrauchen und bei Sonnenschein morgen können wir ausklamüsern, bei welchem Tempo die Ladegeschwindigkeit mit dem Verbrauch mithält. Das fände ich sehr interessant. Leider geht weder aus den Unterlagen im Netz noch aus der Anleitung des Bootes hervor, wie hoch der Ladestrom ist. Mit der Berechnung der Elektrik tue ich mich insgesamt ein bisschen schwer, da weiß der KuKa besser Bescheid.“
„OK, dann lass uns gleich los fahren. Haben wir alles?“, fragte ich Jule.
„Jupp!“, bestätigte sie. Sie war glücklich, weil wir frei waren, weil wir alle Sorgen los waren und weil sie verliebt war. Ich gönnte ihr alles Glück der Welt.
Wir brachen auf, Seppi startete die Dieselmotoren noch nicht einmal, er benutzte nur die Elektropower. Zum ersten Mal benutzten wir den Elektroantrieb ausschließlich. Bisher hatten wir die Verbrenner immer mitlaufen lassen, schon aus Gewohnheit, jetzt ging alles elektrisch. Der Autopilot kam damit gut zurecht. Das verwunderte mich erst, aber dann dachte ich daran, mit welch hochwertiger Technik das Schiff insgesamt ausgerüstet war und wie gut alles durchdacht war. Da sollte es mich nicht verwundern, dass auch die gesamte Elektrik mit der Elektronik gesteuert werden konnte. Die Ruhe an Bord, das kaum hörbare Summen des Elektroantriebs, das deutliche Plätschern der Bugwelle, alles das war ein wenig unheimlich, denn es ging trotz der Ruhe ziemlich stramm vorwärts. Als wir den Hafen und seine Beschränkungen hinter uns gelassen hatten, schob Seppi die Gashebel bis zum Anschlag vor, Vollgas.
Das Schiff machte, ungelogen, den gleichen Satz nach vorn, wie mit den Verbrennern, nur ging es unmittelbarer und gleichmäßiger. Man musste sich wirklich festhalten.
„Ja leckts am Oarsch, das ist doch a Schiff, oda?“, rief KuKa erstaunt.
Die Endgeschwindigkeit war nicht so hoch wie mit den Verbrennern, aber lag über vierzig Knoten.
Seppi studierte die Verbrauchsdaten.
„Bei der Geschwindigkeit ziehen sie natürlich mächtig an der Batterie. Aber echt flott, oder?“
Nach einiger Zeit nahm er die Gashebel zurück, bei fünfundzwanzig Knoten hielt er die Geschwindigkeit. Bei der ruhigen See war das ein strammes Tempo, die Komforteinbußen waren bei diesem Tempo geringer, als bei fünfzehn Knoten. Lag wohl daran, weil das Schiff ab etwa achtzehn Knoten vom Verdränger zum Gleiter wurde. So erklärte ich mir die vergleichsweise ruhige Fahrt.
„Das wollen wir mal die Nacht durch fahren, dann sind wir morgen Vormittag in Limassol. Falls kein Sturm dazwischen kommt!“, merkte er noch an und zwinkerte mir zu. Er dachte wohl noch an die Beschwerde, die ich an ihn wegen der ‚Badewanne Mittelmeer‘ gerichtet hatte.
„Lass mich mal fahren“, schlug er vor, „ich löse mich mit KuKa ab. Entspannt ihr euch, geht schön früh schlafen, Seppi macht.“
Bei mir brach irgendetwas auf, es löste sich etwas. Wahrscheinlich, weil der Grund für die ständige Anspannung der letzten Tage weg war. Es gab keinerlei Bedrohung mehr, ich musste nicht in jeder Sekunde auf eine feindliche Reaktion meiner Umwelt gefasst sein. Alles war im Reinen, ich konnte mich ausruhen, Seppi war da, mein Beschützer, mein Held! Mit aller Kraft kuschelte ich mich an ihn, meinen Supermann.
Seppi macht, was für eine Beruhigung.
Wir aßen sehr früh zu Abend, Jule bereitete einige Schnittchen vor, als Nachtproviant für die Männer, stellte ihnen die Thermoskanne mit Kaffee und Tassen in das Cockpit. Wir gingen sehr früh schlafen. Die Entspannung setzte jetzt erst richtig ein, die innere Ruhe übernahm das Ruder, Jule und ich umschlangen uns unter der Decke. So schliefen wir ein und so wachte ich in der Nacht auf.
Alles war gut, alles war geregelt, es bestand keine Gefahr mehr. Jule lag da und schlief tief und fest. Ich kuschelte mich an, nahm ihre Wärme und Nähe mit in den Traum und schlief selig lächelnd wieder ein.
So tief wie in dieser Nacht habe ich, meines Wissens nach, noch nie geschlafen, ganz tief, ganz weg, voller Frieden und absolut sorglos.
Als ich die Augen aufschlug war es heller Tag. Jules Seite des Bettes war leer, vom Gefühl her war es nach neun Uhr. Das Schiff fuhr, das leise Summen und das Plätschern der Bugwelle waren zu hören.
Neben mir saß Seppi auf dem Bett und schaute mich an. Als sich unsere Blicke begegneten, war gleich eine solche Elektrik da, dass ich mich kaum halten konnte vor Begierde, ganz nah bei ihm und mit ihm zu sein.
Als Einladung an meinen Großen, Starken, hob ich die Bettdecke an. Er sollte mit hinunter zu mir schlüpfen. Er wand sich mit großer Geschwindigkeit aus den Kleidern, ich zupfte mir das Schlafoberteil über den Kopf und erwartete ihn. Er kam herein, zu mir. Er brachte Kühle mit und dieses faszinierende Männliche, die Größe, die Stärke, die Härte, den speziellen Seppi-Duft, ich kuschelte mich gleich an, er presste mich an sich. Ich legte mich auf ihn, den Großen, den Starken. Lag auf seiner Brust, schaute ihn an, hörte und fühlte seinen Herzschlag, roch den betörenden Duft, spürte den warmen Körper unter mir. Es gab keine andere Möglichkeit, ich musste ihn küssen.
„Deine Frisur ist echt der Hammer!“, brummelte er mit seiner tiefen Stimme. Diese Stimme, diese Größe, diese Kraft, diese Souveränität. So wie er wurde noch kein Mann jemals auf der Welt geliebt. Mein Herz schmerzte beinahe vor lauter Sehnsucht nach ihm, obwohl er mir so nahe war. Was für ein wunderbarer Mann und was für ein toller Mensch. Dieser Ausbund an positiven Eigenschaften lag hier bei mir im Bettchen, sein starkes Lustschwert lag betriebsbereit zwischen meinen Beinen, es strahlte die Hitze an mich ab.
Er erwiderte meine Küsse, von seinen heißen Lippen arbeitete ich mich hinunter an den Hals, auf die Brust. Die Breite, die Härte der Muskeln unter der Haut waren wunderbar anzufassen und zu beschmusen. Er roch betörend, sein Duft berauschte mich und machte mich vollkommen zu seiner Sklavin. Den muskulösen Bauch dieses wunderbaren Mannes zu beschmusen, zu streicheln und zu küssen verführte mich zu Wonnegeräuschen. Ich wollte, ich musste eins mit ihm sein, unbedingt.
Sein Penis stand groß, stark und gewohnt beeindruckend, er zeigte schräg über seinen Bauch. Er schmeckte ganz einfach wunderbar, nach ihm, nach seinem Verlangen, nach seiner Liebe, er schmeckte nach allem, was mir in dem Moment die Sinne raubte.
Es war wunderbar, das schöne Glied zu streicheln, die Haut zu sehen, wie sie sich verfärbte, wenn man sie über den großen Kopf zog und sie hinunter bewegte. Die Gefühle, die durch den Reiz, durch die Küsse und durch meine Liebe hervorgerufen wurden, teilte er mir über unsere Gedankenbrücke mit. Eigentlich war es eine Gefühlebrücke, über die wir kommunizierten, eine wunderbare Allianz, die nur uns beiden vorbehalten war, so etwas gab es auf der ganzen Welt nicht noch einmal.
Mein Verlangen gebot mir, zu ihm hinauf zu krabbeln, ihn zu küssen, ihn zu streicheln und zu lieben. Sein Verlangen war riesig, es konnte jedoch kaum mit dem meinigen Schritt halten. Ich musste ihn küssen und küssen. Seinen harten Lustbringer bugsierte ich vor mein heißes Lustpförtchen, ohne ihn mit den Händen zu berühren. Ganz zart drückte ich dagegen, schaute ihm in die Augen, ließ seinen Heißen ein in die Hitze meines Leibes. Hieß ihn willkommen, schaute mir an, was es mit ihm machte, wenn ich ihn weiter und weiter bis hinauf an mein Herz schob. Er jammerte mir sein achso schweres Los mit geschlossenen Augen vor. So intensiv spürte nur er meine Liebe, eine solche Hitze konnte nur er in mir erzeugen.
Jenseits aller Kontrolle lag ich auf ihm, seinen Lustboten tief in meiner Scheide, breitete mich vollkommen über ihn aus, meine Arme auf seinen Armen, meine Beine auf seinen Beinen, mein Ohr auf seiner Brust. Er brummte wie ein Grizzly, sein Brustraum vibrierte, unsere Körper bebten vor Lust und Verlangen. Die Hitze in meinem Inneren verbrannte mit Leichtigkeit jede Vorsicht, jede Möglichkeit der Kontrolle, jedes Vorhaben nach Steuerung oder Lenkung. Von einem Moment zum anderen unterschied uns nichts mehr von wilden Tieren.
Sein Heißer blieb in mir, auch als er uns drehte. Er brachte mich unter sich und legte los, mich mit ungezügelter Leidenschaft zu vögeln. Jeder seiner Stöße wurde von mir pariert, die weiterhin steigende und unbeherrschbare Lust entlockte mir Töne, die ich nicht mehr wahr nahm, die sich meiner Kontrolle entzogen. Wir näherten uns einer Kernschmelze, die auf eine unkontrollierbare Explosion zuraste. Innerhalb weniger Sekunden knallte mir ein heftiger Orgasmus von innen gegen die Schädeldecke, dass ich dachte, ich sterbe, dass ich dachte, es ist jetzt aus, ich dachte, ich habe es geschafft, die Lustexplosion hat mich von der Erde weggerissen und in den Himmel katapultiert.
Schwer atmend stopfte er sein Gesicht neben mir in das Kissen, richtete sich auf und küsste mich, legte sich schwer, ganz schwer auf mich, presste mich an sich, schmiegte seine schweißnasse Wange an meine. Ich hielt seinen Nacken umklammert. Nie mehr würde ich diesen Mann jemals loslassen, nie mehr!
„Gott im Himmel, Süße!“, stöhnte er, als er neben mir lag. Ich musste meinen Kopf auf seine Brust legen, ihn immer wieder anschauen, ihn streicheln und ihn lieben.
„Weißte, Süße, wenn man das erlebt hat, was wir beide gerade erlebt haben, dann weiß man, dass man vorher nicht gelebt hat. Dagegen verblasst jedes andere Erlebnis. Meingott, wie sehr liebe ich dich.“
Mir schossen die Tränen in die Augen. Ich verbarg mein Gesicht, streichelte ihn weiter und benässte seine Brust mit meinen Tränen. So intensiv wie jetzt habe ich noch nie empfunden, so tief wie jetzt war noch niemals jemand in meine Seele vorgedrungen. Unsere Zusammengehörigkeit war so tief einzementiert, die könnte man niemals lösen.
Der sentimentale Moment meines Liebsten war rasch vorbei.
„Ich soll dich holen“, sagte mein Lieblingsmensch. „Frühstück ist fertig!“
Die kurzen Haare erlaubten es mir, rasch unter die Dusche zu springen und sofort wieder hinaus, das ging ganz flott, nicht zu vergleichen mit der Zeit, die es gedauert hat, um mit den Extensions fertig zu werden.
Mit noch feuchten Haaren fand ich mich oben ein. Dort herrschte eitel Sonnenschein und Freude. An der Frühstücksbar bediente Jule ihren Helden sehr zuvorkommend, sie übte sich darin, seine Wünsche in die Tat umzusetzen, bevor er sie überhaupt formulierte.
Wir wurden ebenfalls versorgt, da zeigte sich ihre Routine, jedoch hatte sie nur für ihn Augen. Seppi und ich zwinkerten uns zu und genossen das amerikanische Frühstück, das es bisher an Bord noch nie gegeben hatte. Es bestand aus Rührei, gebratenem Speck, Pfannkuchen mit Ahorn-Sirup und Kaffee. Die Kanne mit dem Kakao sah ich nirgends, es war zu befürchten, dass ich mir den Kakao selbst zubereiten musste. Ohne mich anzusehen, zauberte sie die Kakaokanne hinter dem Tresen hervor und stellte sie neben mich. Sie ließ die Augen nicht von ihrem Helden.
Etwas interessierte mich doch:
„Was heißt eigentlich KuKa? Ist das ein richtiger Name? Nee, oder?“
„Doch“, widersprach KuKa, ohne die Augen von Jule zu lassen. Zwischen den beiden bahnte sich etwas an, das sah ein Blinder mit dem Krückstock. Seppi erklärte es mir:
„KuKa heißt eigentlich Kurt Kalbertodd. Mit so einem Namen würdest du auch lieber nach einem Nick suchen.“
Die beiden waren so vertieft in ihrer Augenflirterei, dass sie es nicht mitbekamen.
Nach dem Frühstück erklärte mir Seppi, wie es in der Nacht gelaufen war und wie sich der Ladungszustand der Akkus nach der durchfahrenen Nacht präsentierte. Erst erklärte er mir alles in mehr als trockenen Zahlen, mit Ampére-Stunden in Abhängigkeit der Geschwindigkeit und der Ladegeschwindigkeit durch die Sonnenkollektoren. Er bemerkte, dass ich bei den Zahlen abschaltete, da erklärte er es mir in einfachen Worten.
„Bei den in der Nacht gefahrenen fünfundzwanzig Knoten haben wir ein Viertel der Akkukapazität verbraucht. Jetzt, bei Sonnenschein, verbrauchen wir bei den fünfundzwanzig Knoten etwas mehr, als wir laden. Bei dreiundzwanzig Knoten ist es ausgeglichen, bei zwanzig Knoten laden wir mehr als wir verbrauchen. Wenn man Tag und Nacht mit zwanzig Knoten fährt, lädt man das am Tag wieder auf, was man nachts verbraucht hat. Ist das spannend?“
Nach einiger Zeit kam mir dann die Bedeutung des Gesagten:
„Wir haben bei zwanzig Knoten eine unendliche Reichweite? Heißt es das?“
Er grinste mich an.
„Wir könnten, ohne einen Tropfen Diesel zu verbrauchen, innerhalb von vierzehn Tagen von hier aus auf die Bahamas fahren, Non-Stop, in einem durch.“
Bahamas! Mein Kleiner spinnt wohl ein wenig! Da gab es Hurrikans und vierzehn Tage lang kein Land in Sicht. Darüber müssten wir noch reden, wenn, ja, wenn es ernst gemeint gewesen wäre. Bahamas, der kommt auf Ideen!
Jule himmelte weiterhin den KuKa an, der sonnte sich in der Aufmerksamkeit, kann man sich ja vorstellen. Die Jule war ihm aber auch nicht gleichgültig, das war deutlich zu sehen.
Kurz vor dreizehn Uhr sichteten wir von der Flybridge aus Land, Zypern kam in Sicht.
„Wir haben noch etwas Zeit“, erklärte mir mein Großer, der mit dem Bahamas-Tick. „Ich möchte zur Entspannung mit euch tauchen.“
„Auja“, war ich gleich begeistert. Zurück in die Normalität! Zu unserer Tagesroutine gehörten zwei Tauchgänge pro Tag, einen könnten wir vor dem Abend gewiss noch unternehmen.
Wir bogen gleich von der Route zum Hafen ab, ostwärts, zur Steilküste, zu den zahlreichen Grotten und Höhlen. In Deutschland waren die Pfingstferien gerade vorüber, sodass wir keine Überbevölkerung der Sehenswürdigkeiten unter Wasser befürchten mussten. Seppi lotste uns zu einem seiner zahlreichen Geheimtipps. Weder ihm noch dem breitschultrigen KuKa passten die Tauchanzüge an Bord, die beiden Männer waren einfach zu groß. Jule und ich verzichteten ebenfalls auf die Neoprenanzüge und alle vier tauchten wir in unserer normalen Badebekleidung. Bei der Wärme des Wassers war das wirklich kein Problem.
Es war ein toller Tauchgang, wir durchschwammen eine sehenswerte Höhle, erschreckten die kleinen Fische draußen an der Klippe. Eine Muräne erschreckte uns, aber wie. Jule bekam fast einen Herzkasper, als das Viech plötzlich aus seinem Versteck hervor schnellte. Sie klammerte sich gleich am KuKa fest, der sie beruhigend tätschelte. Seppi und ich tauschten einen beredten Blick. „Was für ein Luder oder?“ fragte ich ihn mit Blicken. Das verstand er nicht. Naja, Männer!
Bei einem leichten Salat entspannten wir uns, später an Bord. Die Jungs waren rechtschaffen müde, alle vier legten wir uns zu einer Siesta hin, Seppi und ich auf der Flybridge, die beiden Turteltauben auf die Sonnenliegen des Hauptdecks. Wir sahen sie durch die Glasreling hindurch. Man kommt sich dann oben auf der Flybridge vor, als befände man sich auf einer unbegrenzten Plattform hoch über dem Meer mit ungehinderter Aussicht zumindest nach achtern und zu den Seiten. Vorausgesetzt, die Scheiben waren so blank geputzt wie unsere.
Seppi und ich hielten Händchen, wir fühlten den starken Drang, uns zu berühren, um uns nicht zu verlieren.
Ich muss wohl eingeschlafen sein, Seppi weckte mich mit einem sanften Stupser.
„He, guck mal!“, raunte er und zeigte auf die beiden unter uns. Sie hatten die Liegen ganz zusammen gestellt, der KuKa fummelt an Jules Liege herum, zog sie noch näher zu sich, Jule schaute ihm zu. Sie verspürte keine Angst, nichts, sie freute sich, das kam bei mir an.
KuKa beugte sich zu ihr hinüber. Sie schauten sich in die Augen, kamen sich nah und näher. Seppi stieß mich an, sie küssten sich! Wirklich wahr, KuKa küsste Jule und die machte mit, das war ja kaum zu glauben! Nach ein paar Minuten Knutscherei umschlang sie gar KuKas Nacken und gab sich immer weiter hinein in die Küsserei. Seppi und ich schauten uns entgeistert an, mussten aber sofort weiter zuschauen, was sich da ergab. KuKa verdeckte mit seinem breiten Kreuz das, was er da an Jule herum fummelte, aber nach kurzer Zeit hielt er das Bikini-Oberteil der Freundin in der Hand und ließ es achtlos fallen.
„Is nich wahr!“, meinte Seppi ungläubig.
KuKa vertiefte sich in die Brüste der Freundin, die hielt die Augen geschlossen und gab sich ihrem Lebensretter hin. Der arbeitete sich weiter hinunter, Jule öffnete die Augen und sah mich an, ungelogen.
„Das Luder weiß genau, dass wir zusehen!“, behauptete ich.
„Versteh einer die Weiber!“, wagte sich Seppi vor. Was sich auf dem Deck unterhalb tat, war jedoch so spannend, dass ich es ihm durchgehen lassen musste.
Jetzt, ganz ohne Schei … ohne Jux, der KuKa handelte so, wie ein Mann eben so handelt, wenn die Frau ihm nicht Einhalt gebietet. Er wusste ja nichts von Jules seltsamen Eigenheiten. Und Jule benahm sich wie eine Frau, der genau das im Sinn stand, was der KuKa gerade unternahm.
Er widmete sich der Stelle unter Jules Bikinihöschen, ihrem Heiligtum, das bisher weder Seppi noch ich je berühren durften.
KuKa arbeitete weiter, er wusste weder vom Eid der Veaux Marins, noch von Jules Kindheitserinnerungen, die ihr angeblich den Sex verboten, den er gerade im Begriff war, mit ihr zu zelebrieren.
„Alter!“, ächzte Seppi, als KuKa das Höschen der Freundin lüftete und ihr langsam über die Beine hinunter streifte. Die beiden Turteltauben schauten sich dabei ins Gesicht. Wenn Jule nicht das zulassen wollte, was der KuKa im Begriff war zu tun, dann war jetzt einer der letzten Augenblicke gekommen, um ihn darauf aufmerksam zu machen.
Das Gegenteil geschah, Jule öffnete die Arme für ihn, sie lockte ihn zu sich! Man glaubt es nicht, wir jedenfalls nicht, Seppi und ich. KuKa kam über sie, er küsste die nackte Jule und befummelte sie dabei auf das Unanständigste.
„Meinst du echt, sie weiß, dass wir zusehen?“
„Sie will, dass wir zusehen, sie macht es für uns.“
„Alter!“, stöhnte Seppi verzweifelt. „Verstehst du sie?“
„Keine Chance!“, bestätigte ich die Unberechenbarkeit der Freundin. Für Erklärungen fand ich keine Zeit, zu spannend war das, was Jule uns bot.
Wir beobachteten die beiden mehr oder weniger atemlos. Dass wir uns dabei näher kamen, war zwangsläufig. Ich stand mittlerweile direkt an der Glasreling, um mir nichts von dem unglaublichen Geschehen entgehen zu lassen, Seppi umfing mich von hinten fest. Er fummelte an mir herum, dabei war nicht immer klar, ob ich das fühlte, was Jule gerade geschah oder ob die Berührungen real waren und von Seppi stammten.
Mittlerweile lag KuKa nackt auf der Freundin. Die hielt ihren Lebensretter weiterhin umklammert. Ganz offensichtlich führte er seinen Harten bei Jule ein, die Geräusche, die sie von sich gab, waren eindeutig. So habe ich sie noch nie gehört, ein tiefes, gutturales Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Ein Geräusch, das Angst und Lust gleichzeitig ausdrückte. KuKa hielt inne, er konzentrierte sich auf seine Gespielin, küsste sie und bewegte sich gleichzeitig in ihr. Jule schluchzte entsetzt auf, ich kannte das Gefühl. Es war die Unausweichlichkeit, die dich als Frau zur Empfangenden macht. Denn in dem Augenblick kannst du nicht mehr entkommen, die Macht, die Kraft, das Gewicht und die Dominanz seines Triebes lassen dich hilflos ausgeliefert sein.
Wie es bei Jule bisher immer war, so geschah es auch jetzt: wenn sie sich einmal entschlossen hatte, dann verlor sie die Angst. Sie umschlang ihren KuKa nicht nur mit den Armen, sondern verhakte ihre Beine hinter seinen, um sich auszuliefern, sich vollständig hinzugeben, ohne für sich einen Ausweg frei zu halten. Die Geräusche ihrer Lust nahmen zu, meine ebenfalls, denn Seppi schob mir seinen Harten ganz sanft und lieb von hinten in die Scheide. Es erregte uns natürlich, was wir dort sahen, dass uns dieser Anblick stimulierte und wir zur Entspannung vögelten, war ganz natürlich.
Wir schauten dem Liebespaar zu, wie es sein erstes Nümmerchen schob, sahen zu, wie Jule entjungfert wurde, wie sie sich der Lust ergab. Mit ihr gemeinsam erlebte ich das Gefühl, dieses harte und heiße Lustobjekt in die Scheide gedrückt zu bekommen, es willkommen zu heißen, es fest zu umklammern. Es ist ein unbeschreiblicher Genuss, wenn es hinein und hinaus geschoben wird. Die Hitze nahm kontinuierlich zu, bei ihr und bei mir. Sie wurde immer lauter, über meine eigenen Geräusche kann ich nichts sagen, die kommen immer von allein und sind nicht zu kontrollieren.
Seppi brummte seinen Bass dazu, Jule begann auf eine Art freudig zu quieken, wie ein Hündchen, dem man ein Leckerchen vor die Nase hält und es kaum abwarten kann, um es zu bekommen. Ihre Stimme überschlug sich, sie raste unter dem Lebensretter dahin.
Seppis Brummen wurde lauter, die Hitze in mir nahm zu und zu, Jule atmete pfeifend, quiekte, jammerte, stöhnte in einer Lautstärke, wie ich es noch nicht gehört habe.
KuKa rief laut: „Ouh!“, ganz lang gezogen, warf den Kopf in den Nacken, stieß drei mal fest auf seine Partnerin ein, die einen letzten Quieklaut von sich gab, verharrte in angespannter Haltung, und erschlaffte.
Mein Süßer und ich waren ebenfalls so weit, jetzt, wo wir den anderen nicht mehr zusehen mussten.
Seppi raste los, gab Gas, ich hielt so gut es ging dagegen. Wir verbrannten in der plötzlich auftauchenden Hitze, beide gleich, beide heftig und ungebremst.
„Bah!“, stöhnte Seppi außer Atem. „Leck mich am Arsch! Die spinnen doch die beiden!“
Es schien ihm gefallen zu haben, was wir uns dort angeschaut hatten. Die beiden, von denen die Rede war, lagen eng umschlungen nackig auf der Sonnenliege und ließen sich nicht stören. Nicht von uns, nicht von der Umgebung, sondern waren nur für sich, ineinander versunken.
„Hätt ich ja nicht gedacht, dass die Jule so aus sich heraus gehen könnte“, meinte mein Großer und brachte seine Kleidung in Ordnung. Ich brauchte zur Vervollständigung meiner Garderobe nur mein Kleidchen hinab zu streifen, mein Höschen war abhanden gekommen, wurde jedoch nicht vermisst.
Mein Großer nahm mich in den Arm und raunte:
„Du bist vielleicht eine geile und heiße Schnecke. Dich könnt ich pausenlos vögeln, echt jetzt.“
Ich gab ihm einen Kuss, löste mich und holte etwas zu trinken. Wir stillten unseren Durst auf der Sonnenterrasse des Oberdecks. Die beiden Liebenden gesellten sich nach einiger Zeit hinzu, immer am Turteln, am Kuscheln und küssen. Für uns hatten sie ganz offensichtlich keine Zeit.
Wir hüpften nochmals ins Wasser, praktischerweise alle vier nackig, duschten uns auf der Badeplattform das Salzwasser vom Körper und widmeten uns dem gemeinsamen Abend.
Jule grillte uns etwas auf dem Flydeck-Grill, es gab Baguette und Salat dazu und Prickelweinchen.
Jule flüsterte mit mir:
„Ich bin dir so dankbar, dass du mir gezeigt hast, wie es geht.“
„War es denn schön?“
„Erst nicht, aber dann. Der ist ja so a Liaber, der KuKa, ich kann das nicht glauben, dass Männer so sind wie unsere beiden.“
Die beiden verzogen sich in die Nachbarkabine, sie benahmen sich gleich so, wie ein Paar sich benimmt, stets im Einklang. Weder Jule noch uns erschien es sonderbar, sich paarweise zum Schlafen zurück zu ziehen, es war ganz natürlich. Von einem Tag auf den anderen war Jule eine ganz normale, verliebte Frau.
Seppi und ich blieben in der ‚Kabine zwee‘. Die Masterkabine sei nicht bewohnbar, so mein Liebster. Er empfahl mir nachdrücklich, die Masterkabine nicht zu betreten. Wie das weiter gehen sollte, war mir egal. Mein Süßer war hier bei mir, Jule war glücklich mit ihrem KuKa, Herz, was willst du mehr?
Am anderen Morgen dann, wir lagen immer noch vor Anker, vor der Steilküste Zyperns, weckte mich Seppi, indem er mich streichelte. Er streichelte, um mich zu erregen und das war ich von einer Sekunde auf die andere, erregt, meine ich. Wir liebten uns, da war ich noch beinahe im Halbschlaf, befand mich mit einem Fuß im Traumland, mit dem zweiten in der Wirklichkeit. So liebe ich es, das wusste mein Schlawiner natürlich haargenau. Wie immer, wenn er alles richtig macht, ging ich ab wie eine wild gewordene Rakete. Es dauerte nicht lange und wir beide explodierten ineinander.
Nach diesem wunderbaren Akt lagen wir und entspannten uns. Ich lag großflächig auf ihm, wärmte mich an seiner Wärme und labte mich an seiner Nähe. Wir waren beieinander und ineinander. Er strich geistesabwesend zart auf meinem Rücken hin und her, ich hörte auf den Herzschlag in seiner Brust, roch den wunderbaren Duft, der von dem dünnen Schweißfilm auf der breiten Brust und aus seinen Achseln strömte. Wir waren so inniglich verbunden in dem Moment, dass ich nicht genau sagen konnte, wo ich aufhörte und wo er anfing. Mit ihm war es so wunderbar, wie es eigentlich gar nicht sein kann. Nicht einmal in den Büchern wurde eine so wunderbare Liebe erwähnt, wie wir sie füreinander empfanden.
Auf einmal hörte man eine Schiffsglocke bimmeln, wenn ich es richtig wusste, dann läutete sie drei Glasen. Seppi beugte sich ganz gelassen zu seiner Hose neben dem Bett und kramte das Handy hervor. Er hielt mich dabei fest, damit ich nicht hinunterrutsche. Ich träumte weiter vor mich hin, ich befand mich im Paradies.
„Joup!“, meldete sich mein Seppi sehr lax. Wir waren noch vereint in der Liebe, da kann man nicht gleich formell sein und alles richtig machen, braucht man auch nicht.
„Achja?“, fragte er, brauchte nicht zu überlegen als er versicherte:
„Ich rufe gleich zurück.“
„Geschäft“, erklärte er, ließ das Handy auf seine Hose auf dem Boden fallen und kuschelte weiter mit mir. Wir waren so innig miteinander, das hat es auf der ganzen Welt garantiert noch nie gegeben, noch nie.
Es war schwierig, sich voneinander zu trennen, unsere Seelen waren noch eins. Sie blieben auch aneinander, als wir aufstanden. Wir hüpften, nackig wie wir waren, von der Badeplattform ins Wasser, tauchten unter, umarmten uns unter Wasser und wollten uns wieder nicht loslassen.
Bei der anschließenden Dusche auf der Badeplattform kuschelten wir uns wieder zusammen, wuschen uns gegenseitig den Rücken und wollten uns erneut nicht trennen.
Beim Frühstück auf dem Achterdeck, Jule tischte auf, was die Küche hergab, amerikanisch und kontinentaleuropäisches Frühstück, beugte er sich zu mir hinüber und raunte:
„Ich liebe dich, dich geb ich nie mehr wieder her.“
Kann es etwas geben, was ein Mädchen noch glücklicher macht? Nein, oder?
Erst nach dem Frühstück erinnerte er sich daran, dass er versprochen hatte, zurück zu rufen. Nach dem Gespräch berichtete er:
„Wir werden gebraucht, alle vier, in Deutschland.“
Die Bedeutung dieses Satzes benötigte eine ziemlich lange Zeit, bis sie in mein Bewusstsein vorgedrungen war.
„Häh?“, stellte ich die geistreichste aller Verständnisfragen.
„Du moanst, mia miassn na Preißn?“, fragte Jule. Aus der Stimmlage war der Ekel heraus zu hören, den sie allein bei der Vorstellung empfand.
„Nein, nicht nach Preußen, sondern nach Bochum. Ist dringend notwendig, wegen der Gesellschaft. Wir müssen sie gründen und die ersten vier Projekte begutachten. Wir, KuKa und ich, haben eine Ausschreibung an die IT-ler gesandt, die ersten vier, die einigermaßen vielversprechend sind, wollen wir treffen. Später wird sehr Vieles online gehen, jetzt, zu Beginn, ist unsere persönliche Anwesenheit erforderlich.“
Er blätterte in seinem Tablet.
„Es gibt einen Flug heute Mittag, von Nikosia direkt nach Dortmund. Sind alle einverstanden?“, fragte er in die Runde. Dann mich direkt:
„Chefin?“
Das Gefühl in dem Moment kann ich nicht beschreiben. Alle schauten mich an, um zu sehen, ob ich einverstanden war oder nicht. Sie wollten nicht nur meine Meinung hören, sondern ich sollte die Erlaubnis erteilen oder vielmehr, ich sollte den Befehl zur Abreise geben. Mein Wort gab den Ausschlag ob wir fuhren oder nicht. Irre, echt irre.
Sie fragten allen Ernstes die kleine Fleischereifachverkäuferin Ilona, Einsfünfzig groß und blond. Sie fragten nicht nur nach meiner Meinung und um Erlaubnis, sondern sie warteten auf meine Anweisung. Große, erwachsene, gestandene Menschen. Hammer? Hammer!
„Müssen wir?“, fragte ich meinen Seppi. Jetzt aus diesem Paradies aufzubrechen konnte ich mir nicht recht vorstellen. Sehr vernünftig erklärte er:
„Wir wollen früher oder später alles online erledigen. Die Infrastruktur dazu müssen wir schaffen. Das Ziel ist es, höchstens ein-zweimal pro Jahr in die Heimat zurück zu kehren, den Rest werden wir auch aus der Ferne von überall auf der Welt online geregelt bekommen. Die Infrastruktur für unser Business müssen wir vor Ort schaffen, dazu ist unsere Anwesenheit unbedingt notwendig. Schon von den rechtlichen Voraussetzungen her, die wir erst noch prüfen und passend für uns gestalten müssen. Wir müssen entwerfen, genehmigen, begutachten, beraten und beurkunden. Das dauert und geht nur persönlich.
Also, alle vier heute Mittag nach Dortmund?“
Er fragte mich direkt. Wenn es notwendig war, dann war es am besten, es sofort zu erledigen, obwohl wir uns gerade mitten im Paradies und in dieser wahnsinnig intimen Stimmung befanden.
„Wenn es notwendig ist, dann jetzt sofort“, entschied ich. „Wie lange werden wir brauchen?“
„Zwei-drei Tage, mehr nicht.“
„OK, dann los!“
Seppi buchte gleich vier Tickets.
„Bah, no Preißn, bah. Nicht dass uns die Einheimischen foltern.“
„De san jo arm wia de Kirchmäuserl, de wern uns hechsdens kochn und essn woin! Wenn Deitschland Bayern ned häd, wärn die Entwicklungsland.“
Seppi lachte und gab zu bedenken:
„Wenn Bayern Deutschland nicht hätte, dann würde sie auf der Welt überhaupt niemand verstehen!“
„De Ösi scho!“, erwiderte Jule darauf.
Bei so einer Neckerei und dem freundlichem Hin und Her fühlte ich mich wirklich wohl, das war ganz nach meinem Geschmack. Freunde zu haben war wirklich toll, ganz anders als mein Leben vor Seppi. Jule und KuKa waren eindeutig als Paar zu erkennen. Sie himmelte ihn an und er sie. Sie bemühten sich umeinander, verstanden sich und übten Verständnis, sowohl sie als auch er. Es war für mich traumhaft anzusehen, wie Jule sich veränderte, wie ihr Selbstvertrauen wuchs, wie sie aus sich herausging und ganz selbstverständlich die sinnliche Gefährtin von KuKa war. Auch wie sie ihn versorgte und auch bemutterte. Der Schlawiner ließ sich natürlich gern bedienen, er genoss es und nahm es als selbstverständlich hin. Andererseits trug er auch Verantwortung für sie, er war eindeutig der Mann in deren Beziehung und sie die Frau. Modern, jedoch in der üblichen Rolle. Es schien beiden zu gefallen, Jule tat es sehr gut. Es schien mir so, als habe sie lange auf die Gelegenheit gewartet, Gefährtin eines Mannes zu sein und eine angestammte Rolle zu übernehmen.
Wir gingen Anker auf und orientierten uns in Richtung Hafen. Seppis Onkel erwartete uns bereits, wir bekamen einen sehr schönen Liegeplatz zugewiesen. Nah am Geschehen, aber weit genug, um unsere Ruhe zu haben.
Wobei wir die Ruhe im Moment nicht brauchten, weil wir uns sofort auf den Weg zum Flughafen machten. Seppi schaute uns an, wir alle trugen leichteste Freizeitbekleidung.
„Für die Besprechungen brauchen wir seriöse Kleidung. Ich habe nichts mit, nur den Kampfanzug und Badezeug. Da müssen wir uns in Bochum oder Dortmund noch etwas zulegen.“
Er sah meinen Blick. „Muss sein“, sagte er darauf. „Brauchen wir noch öfter.“
Er bestand darauf, dass ich den Ersatzschlüssel fürs Schiff bei seinem Onkel lasse. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, als Vorsorge für den Fall eines Falles. Das war keine Aktion, über die man großartig nachdenken musste. Trotzdem begründete er es äußerst umständlich:
„In einem Hafen am Peleponnes, weiß nicht mehr wo, da ist ein Schiff im Hafen in Brand geraten. GFK brennt ganz prima, kannst du glauben. Es verbrannten an die zwanzig Boote, weil keiner da war, der die anderen Boote wegfahren konnte, waren alle verschlossen. Deswegen ist es sinnvoll, den Schlüssel hier zu lassen.“
Er schaute mich bedeutsam an, dabei brauchte ich nicht überredet zu werden. Außerdem war es sein Onkel, wir kannten uns gut.
„Außerdem ist er mein Onkel, ihr kennt euch gut!“
Komisch, oder? Mir kam es erst da komisch vor, als er es so betonte. Da hätte ich den Schlüssel am liebsten behalten, denn dass da etwas nicht stimmte, wurde ganz deutlich, schon dadurch, wie er schaute. In dem Moment war aber das Reisefieber bereits so weit angestiegen, dass ich mir keine Gedanken mehr machte, sondern dem Onkel den Schlüssel in die Hand drückte.
In Dortmund angekommen, nahmen wir uns ein Taxi und fuhren Richtung Bochum, da wusste ich ein Einkaufszentrum, das auf dem Weg lag.
Wir kleideten uns ein und bezogen zwei Zimmer in einem guten Hotel in der Nähe des Bahnhofs, zugleich in der Nähe des Bermuda3ecks. Das Wetter war so, wie ich es lange nicht gesehen und erlebt hatte: es regnete und war kühl. Mitte Juni!
Im Hotel gab es Konferenzräume, in denen hielten wir während der nächsten zwei Tage Besprechungen ab, sichteten die Kandidaten und ihre Projekte.
Bei drei der vier Vorgestellten hatte ich ein gutes Gefühl, Jule ebenfalls. Seppi meinte, der dritte Kandidat wäre ein Blender, er würde nicht genügend Engagement mitbringen, sondern sei nur scharf auf unser Geld. Das vierte Projekt war einfach zu verrückt, das nahmen wir nicht in die engere Wahl.
Abends durchzogen wir das Bermuda3eck, allerdings waren wir ziemlich geschlaucht. Es war erstaunlich, wie sehr einen die Besprechungen und die Sichtung der Projekte anstrengten. Außerdem war das Wetter deprimierend.
Es war für unsere Zukunft sehr wichtig, dass wir die richtige Auswahl trafen, deswegen war höchste Konzentration gefragt.
Von der Materie, was die Projekte bewirken sollten und wie sie ihre Ziele zu erreichen versuchten, verstand ich nichts. Jule und mich interessierten in der Hauptsache, wie sich die Aspiranten präsentierten. Da gab es schon ein paar sehr spezielle Charaktere. Wenn man sie danach beurteilte, wen man von denen nach einem Club-Besuch mit nach Hause nehmen würde, dann würde das Ergebnis lauten: Null! Es waren nur Langweiler, nur Spezialisten, die sich ausschließlich für ihr Projekt interessierten.
Seppi kam am zweiten Morgen auf die Idee, wir Mädels sollten uns sehr leicht bekleidet präsentieren, um zu sehen, inwieweit sich die Leute von ihrer Arbeit ablenken ließen. Fair erschien uns das nicht, Jule und mir, wir folgten natürlich dem, was der Herr Geschäftsführer anordnete und gingen erst einmal shoppen.
Die ersten Nerds, denen wir sexy gekleidet gegenüber traten, war allerdings eine Truppe junger Frauen. Drei Mädchen, die sich von uns und unserem Auftritt nichts annahmen. Sie trugen alle männliche Vornamen, Alex, Jo und Sam. Wenn man die Namen liest, kommt man nicht darauf, dass es sich um Mädchen handelte. Die stellten irgendein Spiel vor, das uns nicht interessierte, jedenfalls Jule und mich nicht. Computerspiele sind öde. Die Jungs fanden es spannend, die interessierte in der Hauptsache der Aufbau des Spieles und wie es sich entwickelte, wenn man es spielte.
Am dritten Tag mussten wir beim Notar allerhand Urkunden sichten und unterschreiben, um die rechtlichen Grundlagen für die Firma fest zu schreiben. Es war der letzte Tag in Bochum, am Abend wollten wir fliegen. Von der Lobby aus kommend, betrat ich unser Zimmer, Seppis und meines.
Seppi saß auf dem Sofa, die Hose runter gelassen, Jule kniete zwischen seinen Beinen, vollständig bekleidet, und blies ihm den Schwanz.
Das wollte ich nicht glauben, ich stand da und traute meinen Augen nicht.
Seppi sagte:
„Ohja, das machst du gut, ja, da, ja, genau, sehr gut. Ohja, du lernst schnell, ja, wunderbar!“
Und so weiter.
Mich erwischte es eiskalt im Magen, drehte auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Wie betäubt ging ich runter ins Restaurant und bestellte mir einen Salat. Vor dem blieb ich sitzen und wusste nicht, ob ich gesehen und gehört hatte, was ich gesehen und gehört hatte oder ob ich spinne. Auf einmal saßen Jule und Seppi mit am Tisch, Seppi redete auf mich ein, Jule saß da, schuldbewusst mit hängendem Kopf.
„Schatz, Süße, lass es dir erklären.“
Die Wut schlug über mir zusammen, ich sah nur noch rot. Mit vollem Gift schaute ich ihn an.
„Nenn mich nicht Schatz!“, fauchte ich ihn an, stand auf und ging.
Die Sachen waren rasch gepackt, über die Rezeption bestellte ich ein Taxi zum Flughafen. Ich saß schon drin, da kamen Jule und Seppi aus dem Hotel gestürzt, die Reisetaschen hinter sich her ziehend.
Ich knallte ihnen die Tür vor der Nase zu, das Taxi fuhr los.
KuKa war bereits vorgefahren, er wollte einen Kommilitone oder einen Bundeswehrkameraden am Flughafen treffen, irgendetwas Nostalgisches.
Er saß am Tresen einer Kaffeebar als ich ihn entdeckte. Er lud mich ein, mich neben sich zu setzen. Sprechen konnte ich nicht, er fragte:
„Jo, wos is? Is dia a Laus üba de Leba glaffa?“
Es war mir unmöglich zu sprechen. Jule und Seppi kamen an mit ihren Rollköfferchen.
„Schatz, hör zu. Es war ganz anders, als es ausgesehen hat!“, sprudelte Seppi heraus. Jule stand daneben mit hängendem Kopf. Die versuchte zumindest nicht, das, was ich gesehen hatte, zu relativieren. Was hätte da anders sein können, als es ausgesehen hat? Sie hatte ihm den Schwanz geblasen. Beide wähnte ich als die besten Freunde meines Lebens, sogar beide als die Lieben meines Lebens. Und die machten so etwas!
Mir schossen die Tränen in die Augen. Weinen wollte ich nicht, nein, ich schaute Seppi nur an.
„Schatz! Süße!“, hob er an. Da kam dann das Gift wieder zum Vorschein. Seitdem Nadja mich Schatz genannt hatte, war ich gegen den Ausdruck allergisch, irgendwie. Jetzt benutzte er das Wort, um mich anzulügen und um wieder in die alte Spur zu bringen, die, in der er mich ausnutzen, belügen und betrügen konnte.
Der Blick brachte ihn zum Schweigen, gut so.
Unser Flug wurde aufgerufen, wir betraten die Maschine. Jules Platzkarte zupfte ich ihr aus der Hand und reichte ihr meine. Neben dem Verräter würde ich nicht sitzen wollen. KuKa versuchte, Klarheit zu bekommen, was geschehen war. Jule war nicht ansprechbar, sie litt unter schlechtem Gewissen, logisch. Seppi stierte blicklos durch die Gegend. Das hatte er nun davon.
Während des Fluges und der Taxifahrt von Nikosia nach Limassol sprachen wir kein Wort. Im Hafen wunderte es mich nicht genug, dass das Schiff an einem anderen Platz lag, um mich dafür zu interessieren. Ich schloss das Achterdeck auf, ging selbst die Außentreppe zur Flybridge hinauf. Mit den Schweinen wollte ich nichts zu tun haben.
Ich hockte da und schmollte. Was blieb mir anderes übrig? Ich musste die Cupidon-Gesellschaft auflösen und mich wieder allein auf den Weg machen. Die Tränen kamen von allein, sie waren nicht zu stoppen. Es ist klar, so kann man nicht mit mir umgehen, das kann ich nicht dulden und nicht aushalten. Die besten und liebsten Menschen auf der Welt hatten mich beschissen, um es auf einen Nenner zu bringen und in meinen Worten auszudrücken.
Das, was ich während des Fluges und da auf der Flybridge empfand, war mit ‚brennender Enttäuschung‘ nur sehr schwach beschrieben. Ob die ganze Welt so ist? Kaum dreht man jemandem den Rücken zu, da haut er einen schon übers Ohr? In so einer Welt wollte ich nicht leben. Man kann niemandem vertrauen? Es bestand bei mir kein Bedarf, in solch einer Gesellschaft leben zu wollen. Was nutzte mir die finanzielle Unabhängigkeit, wenn es niemanden gab, mit dem man sie teilen, dem man glauben und vertrauen konnte?
Wenn ich damals im Sturm umgekommen wäre, dann wäre all das nicht passiert. Beinahe wünschte ich mir, dass ich nicht ein so glückliches Händchen gehabt hätte und dass ich im Sturm untergegangen wäre.
Oder bei dem Schiffbruch. Oder, dass die Piraten mich kalt gemacht hätten.
KuKa kam und setzte sich neben mich. Willkommen war er nicht, ich wollte allein sein und mich in der Verzweiflung suhlen. So blickte ich ihn an.
„Respekt, du kannst echt giftig schaugn! Da kriegt man ja Angst. Schmollen kannst auch wie keine Zweite“, meinte er. Wir waren Freunde, er durfte das sagen. „Woher kannst du sowas?“ Die Frage war im Scherz gemeint, unter Freunden eben.
„Volkshochschule!“, erklärte ich ihm kurz angebunden. Was ging ihn das an? Dass ich sauer war, merkte er von allein.
„Schau“, meinte der große Mann mit den roten Pfadfinderbäckchen und den breiten Schultern.
„Ich bin auch nicht begeistert, kannst du dir vorstellen. Aber es ist anders als du denkst.“
Den giftigen Blick bekam er nochmal, der beeindruckte ihn dieses Mal nicht.
„Jule hat mir alles erzählt, Seb war dabei und hat genickt. Also, Jule hat in deinem Beisein mit Seb gefickt, das stimmt doch oder? Ihr beide habt es ihr beigebracht, hat sie so erzählt. Stimmt das? Mit deiner Einwilligung und unter deiner Anleitung.“
So war es, ja.
„Was hat das mit dem zu tun, was sie vorhin gemacht haben?“
„Also, ich hab nicht gewusst, dass Jule so oane Problemfrau ist. Hätte ich es gewusst, dann hätte ich sie nicht ogfasst, ist klar oder? Jedenfalls, mir ist nichts aufgefallen, die ist sogar richtig heiß und heiß darauf, äh, wenn wir zusammen sind, du weißt schon was ich meine.
Sie will immer noch besser sein und mir immer noch mehr Freude machen. Sie wollte mir einen blasen, war sich aber unsicher, wie es geht. Da hat sie Seb gefragt und, selbstlos wie der geile Bock so ist, er hat’s ihr gezeigt und sie angeleitet.“
Er schaute, ob ich dem folgte, was er sagte.
„Mehr war da nicht. Also, ich glaube das, es passt zu den beiden.“
Das musste ich erst einmal verstehen. Da müsste ich ja völlig neu denken. Könnte das der Wahrheit entsprechen? Konnte das überhaupt sein?
Es war logisch, ja, doch. Jule will immer alles richtig machen und scheut sich nicht, nachzufragen, was sie verbessern könnte. Sie würde um Rat fragen, selbst wenn sie sich allein mit der Frage schon zum Horst macht. Es war logisch, dass sie Seppi danach fragt und es war logisch, dass sie den nicht lange bitten musste.
Aber trotzdem. Sowas macht man nicht!
„Sie hats mir vorhin gezeigt, sie kanns wirklich gut“, erklärte mir KuKa. So wie er schaute, glaubte ich es. Es spielte ganz gewiss auch eine Rolle, dass ich es glauben wollte. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, alles das, was wir hatten, auflösen zu müssen und tatsächlich wieder allein übers Meer zu streifen. War das der wichtigste Grund, dass ich es glauben wollte? Oder sperrte ich mich, die Tatsachen zu sehen und zu akzeptieren, weil ich lieber leiden wollte und dieses Leiden auch entsprechend darstellen und gewürdigt haben wollte? Nein, so war ich nicht, so war Nadja, ich war so nicht. Ich wollte lieber glauben, dass alles OK ist. War alles OK?
Es wäre besser, viel besser. Denn dann könnten wir wieder so sein und zueinander stehen, wie vor fünf Stunden. Ja, ich glaubte den beiden, doch, ja. Doch. Wirklich. Ganz ehrlich.
Es war logisch, es sah Jule ähnlich und dass Seppi da mitmachte, war auch logisch. So passte es zusammen, die drohenden Unwetter-Wolken klärten sich. Da brauchte ich mir nicht länger zu wünschen, tot zu sein, oder allein. Wenn ich das akzeptierte, dann könnten wir wieder Freunde und wieder froh sein.
An mir sollte es nicht scheitern.
Nein, oder? War ich jetzt die Blöde, die hintergangen worden war oder war ich die Blöde, wenn ich die Tatsachen nicht akzeptieren wollte?
Ja, es sah denen ähnlich, genau so konnte es gewesen sein. Es passte zu dem, wie ich Jule kannte, und, ja, es passte auch zu Seppi. Dem hilfsbereiten Schlawiner.
Jule war ja auch komplett bekleidet, da, im Hotelzimmer vor der Couch, und Seppi hatte nur die Hose unten. Ja, alles das passte so zusammen, auch was Seppi gesagt hatte, dabei, das passte auch zu dem, was KuKa erzählt hatte.
Was jetzt?
Fest steht, dass mir etliche Tonnen Steine vom Herzen fielen. Es war, relativ gesehen und unter wirklichen Freunden, ganz logisch, nachvollziehbar und nichts Schlimmes. Sie hatten es heimlich gemacht, aber doch nicht ganz heimlich, sie hatten es offen in unserem Zimmer geübt. Die Tür war nicht abgeschlossen oder so, und ich war auch nicht überraschend zurück gekehrt. Sie wähnten sich sicher, weil sie eben Freunde waren und es nichts gab, was sie verbergen müssten. Ich durfte es wissen, es war kein Geheimnis.
Ja.
Die Tränen waren noch nicht ganz trocken und es gab immer noch ein unangenehmes Gefühl im Magen. Aber der Kopf befreite sich. Mir fielen weitere Steine vom Herzen, als ich den Entschluss, den beiden zu glauben, auch wirklich akzeptierte. Man kann sich nicht vorstellen, wie erleichtert ich auf einmal war.
„Du kannst ja richtig Hochdeutsch sprechen, woher kannst du das?“, gab ich KuKa ein Kompliment, um mich abzulenken und die Kurve zu unserem normalen Umgang zu bekommen. Ohne nachzudenken, ganz spontan sagte er:
„Volkshochschule!“
Da musste ich so lachen. Ich fiel ihm um den Hals und lachte. Ich konnte nicht aufhören zu lachen. Er hielt mich fest und freute sich mit mir. Auf einmal saß Seppi neben mir und Jule neben ihrem Pfandfinder und ich konnte nicht aufhören zu lachen.
„Volkshochschule!“, berichtete ich Seppi, immer noch lachend. „Er hat Deutsch in der Volkshochschule gelernt!“
Seppi lachte pflichtschuldig mit.
„Volkshochschule, nee. In Bayern lernen sie Deutsch auf der Volkshochschule!“, ich kriegte mich nicht mehr ein.
Jule schaute grinsend zu mir herüber, an KuKa vorbei. Der grinste ebenfalls. Immer noch lachend, fiel ich Seppi um den Hals.
„Deutsch lernen sie in Bayern auf der Volkshochschule! Ich werd ja nicht mehr!“
„Ja, Schatz, ist witzig, sehr witzig!“
„Nenn mich nicht Schatz!“, bat ich ihn, immer noch lachend. „Dass du so eine Scheiße bauen kannst, hätte ich ja nicht gedacht, echt nicht.“
Damit war ich ziemlich abrupt im Ernst und gab ihm mit den Worten einen Hieb mit. Wir mussten es aussprechen, damit wir es erledigt bekamen. Das sah er wohl ähnlich, er erklärte:
„Ganz ehrlich? Ich habe mir nichts dabei gedacht, und mache ich immer noch nicht. Jule wollte es lernen, sie wollte wissen, worauf sie achten muss, und ich hab’s ihr gezeigt. Mehr war nicht.“
„Und ich kam im richtigen Augenblick dazu“, setzte ich seinen Gedanken fort.
„Genau im richtigen Augenblick.“
„Sind wir wieder gut?“, fragte Jule zaghaft. Ganz war mein Gift noch nicht weg:
„Ich kann ja dem KuKa mal zeigen, wie ich es mache. Und vielleicht zeigt er mir dann, wie er fickt.“
Jule bekam einen roten Kopf und zog sich ganz zurück. Der Spruch tat mir sofort leid.
„Na!“, mischte sich KuKa ein, sehr ernst. „Jetzt seid ihr aber quitt. Gebt euch die Hand!“
Jule war echt verletzt, ich reichte ihr die Hand und bat sie um Verzeihung.
„Tut mir leid, Jule, war nicht so gemeint. Ist mir so rausgerutscht.“
Schüchtern reichte sie mir die Hand, ich zwinkerte ihr zu, sie zwinkerte zurück.
„Wenn es wirklich Freundschaft ist, dann hält man so etwas aus“, gab Seppi seinen Senf dazu. „Und wir sind Freunde. Stimmts?“
Er reichte mir die Hand, ich reichte KuKa die Hand und Jule ihm und mir.
„Wieso liegt das Schiff an einem anderen Platz?“, fragte ich Seppi. Die großen Dinge waren erledigt, jetzt konnten die Nebensächlichkeiten aufgearbeitet werden.
Es gab immer noch ein wundes Gefühl, zwischen Jule und mir. Ich wollte das nicht. Ich hatte sie verletzt und sie hatte mich verletzt, jetzt musste es gut sein.
„Komm mal mit“, bat mich Seppi. Anstatt ihn an die Hand zu nehmen, nahm ich Jule in den Arm. Seppi ging vor, die Außentreppe hinunter aufs Oberdeck, er stieß die Glastür zum Salon auf und sagte:
„Tata!“
Der Salon sah aus wie immer. Er roch anders, er roch neu, er roch so, wie er gerochen hat, als wir das Schiff zum ersten Mal besichtigten.
„Der Rauchgeruch ist weg!“, bemerkte ich. Dann sah ich es.
„Die Brandflecken sind auch weg!“
Der Teppichboden präsentierte sich makellos, hell und sauber, wie am ersten Tag.
„Was ist passiert?“, fragte ich in die Runde.
„Schau mal den Tisch an.“
Auch da waren die Brandflecken verschwunden.
„Wie jetzt? Was, äh?“
„Komm mit!“, lotste mich Seppi in die Masterkabine. Die sah ebenfalls aus wie neu.
„Die haben im Bett und auf dem Klo geraucht und überall Brandflecken, überall. Am Waschbecken, überall auf dem Teppich, auf dem Bett, überall. Dann haben sie Rotwein verschüttet, überall Essensreste und anderer Dreck, hier sah es aus wie in Pompeji nach dem Vulkanausbruch. Auch die Kaptänskajüte sah unterirdisch aus, voller Blut und Dreck. Alles wieder OK, alles wieder wie neu.“
„Wie, wer, was ist passiert?“
„Ich habe dich gefragt, ob du mir vertraust …“
„Da habe ich wohl vorschnell geantwortet!“, konnte ich mir nicht verkneifen.
„Ihr habt euch die Hand gegeben, jetzt ist es gut!“, meldete sich KuKa aus dem Hintergrund.
„Äh, ja, hast Recht“, antwortete ich darauf zerknirscht. Irgendwann musste es wirklich mal gut sein.
„Sorry!“, meinte ich zu meinem Großen. Der winkte ab:
„Geschenkt“, und fuhr dann fort: „Das Schiff ist gegen Einbruch-Diebstahl und gegen Vandalismus versichert. Ich habe erst die Versicherung und dann die Werft angerufen. Es gehört bei Lürssen zum Service, dass sie überall auf der Welt Reparaturen an ihren Schiffen durchführen. Sie haben alles neu mitgebracht und eingebaut, perfekt würde ich sagen. Und es kostet dich keinen Cent!“
Er stand da und genoss es, dass ich mich fühlte, wie ein kleines Kind an Weihnachten.
„Super, oder?“, fragte er auch noch. Natürlich fiel ich ihm um den Hals.
„Ist ja irre, alles wieder wie neu?“
„Wie neu!“, bestätigte er in einem Ton, als wenn er es alles selbst herbei geschafft und eingebaut hätte.
Zwischen uns fühlte es sich wieder gut an. Ich stellte mich neben Jule und nahm ihre Hand.
„Alles wieder gut?“, fragte ich sie.
Sie lächelte, und bestätigte:
„Jo-mei, wos sonst?“
– Ende der Geschichte –
© Evi Engler 2021
Kommentare
Kommentare: 26
...das ist doch nicht dein Ernst, oder?
Danke fürs Lesen-lassen, hab ich gern gelesen! Crime, Sex und Mittelmeer.....einfach nur schön.«
Kommentare: 2
Kommentare: 2
Kommentare: 58
Eine der besten Geschichten hier.
Das sollte man verfilmen. Ein Erotik-Thriller mit etwas mehr nackter Haus als sonst :)«
Kommentare: 49
Vielen lieben Dank von Peter
einfach Fantastisch!«
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